Читать книгу Friesentod - Sandra Dünschede - Страница 8
2. Kapitel
ОглавлениеGenau dieses Abwarten fiel Haie schwer – das war einfach nicht sein Ding. Rumsitzen und nichts tun, das war für ihn kaum auszuhalten, daher versuchte er sich mit Hausarbeit abzulenken.
Innerhalb von zwei Tagen hatte er das gesamte Haus geputzt, hatte den Frühjahrsputz einfach vorgezogen und alles auf den Kopf gestellt, bis nichts mehr da war, das es aufzuräumen oder zu putzen gab. Alles blinkte und blitzte. Sein Blick fiel wieder einmal zum Nachbarhaus. Er beschloss, dass es nicht schaden konnte, sich im Dorf ein wenig umzuhören. Der beste Ort dafür war natürlich der Sparladen, wo viele Dorfbewohner zusammenkamen und wo Helene, die Kaufmannsfrau, dadurch die Nachrichtenquelle schlechthin in der Gegend war. Er musste ohnehin ein paar Sachen einkaufen, rechtfertigte er seine eigenmächtigen Ermittlungen.
Nachdem Niklas das Haus verlassen hatte und zur Schule aufgebrochen war, zog Haie sich an und holte sein E-Bike aus dem Schuppen. Es war noch dunkel draußen zu dieser Jahreszeit und die nasskalte Luft machte Haie zu schaffen. Die Knochen schmerzten, er hatte nie gedacht, dass ihn das Wetter einmal so plagen würde. Aber wenigstens hatte sich der Ostwind gelegt.
In wenigen Minuten hatte er den Laden in der Dorfstraße erreicht. Die morgendliche Rushhour war beinahe vorbei, denn viele Leute aus dem Dorf hielten vor Arbeitsbeginn bei Helene, um schnell etwas einzukaufen. Er fragte sich, ob Tatjana das auch tat. Immerhin lag der Supermarkt auf ihrem Arbeitsweg.
Als er die Tür öffnete, strömte ihm ein Schwall warmer Luft entgegen, sodass augenblicklich seine Brille beschlug. Er schnappte sich einen Einkaufskorb und steuerte zunächst die Obst- und Gemüseauslage an.
»Bannig kold worn, was?« Meta Lorenz stand an der Waage und wog drei Bananen ab.
»Geiht«, entgegnete Haie.
»Na, ik wäre jetzt lieber irgendwo im Süden, aber in unserem Oller?« Meta Lorenz klebte das ausgedruckte Etikett auf die Bananen und verstaute sie im Einkaufswagen.
»Wat schall dat denn heißen?«
»Na, die jungen Lüüd jetsetten durch die Welt. Mal eben fürs Wochenende nach Mallorca – kein Problem. Aber unsereins?« Sie lächelte ihn an. »Dat ist nichts mehr für uns.«
Haie nickte. Er sah das ähnlich, wobei er auch in jungen Jahren selten verreist war – und schon gar nicht ins Ausland. Geträumt hatte er immer davon, getraut hatte er sich nicht. Fliegen, das war nichts für ihn. Der Mensch war keine Graugans, sagte er sich.
Tom hatte ihm bereits öfter angeboten, mit ihm und Niklas zusammen wegzufliegen, aber ehrlich gesagt, hatte Haie ein wenig Angst. Was da alles passieren konnte. Sah man doch ständig in den Nachrichten, abgestürzte Flugzeuge, Notlandungen. Nee, das mal schön ohne ihn. Da machte er bei gutem Wetter lieber eine anständige Fahrradtour.
Die jüngeren Leute sahen das anders, waren mit der Art der Fortbewegung groß geworden. Für sie, da hatte Meta Lorenz recht, war das etwas Selbstverständliches. Ob auch Tatjana Lieberknecht nur ein paar Tage in die Sonne geflogen war?
»Sag mal, hast du meine Nachbarin in den letzten Tagen gesehen?«
Statt Meta Lorenz antwortete plötzlich Helene, die sich lautlos angeschlichen hatte.
»Dat junge Ding, diese Tatjana?«
Haie blickte sich überrascht um und nickte wortlos.
»Nee, die war schon ein paar Tage nicht hier. Letzte Woche habe ich die das letzte Mal gesehen.«
»Hat sie erzählt, ob sie wegfahren wollte?«
»Wegfahren, nee. Die hatte sich nur ordentlich aufgebrezelt. Ich hatte erst vermutet, dass die einen neuen Kerl hat, aber dann hat die hier im Laden telefoniert und ich habe mitbekommen, dass sie abends wohl zur Disco wollte.«
»Hier bei Kalle?«
»Wo denn sonst.« Helene warf ihm einen verständnislosen Blick zu.
»Na ja, gibt ja auch noch andere Läden«, rechtfertigte Haie sich.
Helene stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte leicht den Kopf. »Na, da hast du wohl einiges nicht mitbekommen.« Ihre Stimme hatte einen triumphalen Unterton angenommen, sie lächelte süffisant. »Die Disco in Niebüll ist doch dicht.«
»Aber das Töff gibt’s ja noch, außerdem fahren die jungen Lüüd ja auch noch weiter weg, beispielsweise nach Husum«, mischte sich nun ein älterer Herr in einem alten Bundeswehrparka ein.
»Ja, aber in ist nu gerade Kalles Disco.« Helene legte ihre Betonung auf das Wort ›in‹. »Habe genau gehört, wie sich Tatjana für den Abend bei Kalle verabredet hat.«
Haie konnte sich gut vorstellen, wie Helene das Telefongespräch belauscht hatte. Hier im Laden blieb der emsigen Kaufmannsfrau nahezu nichts verborgen – aber genau deswegen war er ja hier.
»Und weißt du mit wem?«
»Hä, bin ich Jesus? Die hat telefoniert, weiß ich doch nicht, wer am anderen Ende war. Oder kannst du hellsehen?«, empörte Helene sich, beleidigt, dass ihre Informationen nicht ausreichend gewürdigt wurden.
Beinahe hätte Haie sich erkundigt, warum sie denn nicht nachgefragt hatte, verkniff sich jedoch die Bemerkung.
»Ich habe nur gehört, dass die um zehn da hinwollte. So spät, und das mitten in der Woche. Kein Wunder, dass die jungen Leute nichts auf die Reihe kriegen, wenn die sich die Nächte um die Ohren schlagen.«
Meta Lorenz nickte zu Helenes Kommentar, obwohl Haie wusste, dass die beiden Frauen in ihrer Jugend auch nicht immer um zehn Uhr abends in ihren Betten gelegen hatten.
Die Dorfdisco bei Kalle, deren Betreiber inzwischen zwar einige Male gewechselt hatte, war eine jahrzehntelange Institution im Dorf und Haie aus seiner Jugendzeit bekannt.
Er überlegte, mit wem Tatjana sich verabredet haben könnte. Besuch bekam die junge Frau selten, soweit er das beobachtet hatte, aber natürlich war sie oft unterwegs. Dass sie zu Kalle ging, hatte sie nie erwähnt, was jedoch nichts heißen musste. Trotzdem erschien ihm Helenes Hinweis als durchaus relevant. Er könnte …
»Wann ist denn die Disco immer?«
»Immer donnerstags«, antwortete Helene grinsend und zwinkerte ihm zu.