Читать книгу Friesenrache - Sandra Dünschede - Страница 7

3

Оглавление

»Herr Carstensen, wie ich dem Streit zwischen Ihnen und Ihrer Mutter vorhin entnehmen konnte, waren Sie nicht sonderlich gut auf Ihren Vater zu sprechen«, stellte Dirk Thamsen am Beginn der Befragung von Ulf Carstensen fest.

Der Sohn des am Morgen tot aufgefundenen Landwirts saß ihm in seinem Büro gegenüber und nippte bedächtig an einer Tasse Kaffee, die Thamsen zuvor aus der Gemeinschaftsküche des Polizeireviers besorgt hatte.

»Was genau meinten Sie damit, als Sie davon sprachen, dass es jede Menge Leute gäbe, die nicht gut auf Ihren Vater zu sprechen sind?«

»Na ja«, entgegnete der Befragte und richtete sich auf dem schlichten Holzstuhl vor Thamsens Schreibtisch auf. Das einfache Sitzmöbel wirkte unter dem hochgewachsenen Mann beinahe winzig. »Wissen Sie, mein Vater war nicht gerade beliebt.«

»Geht es vielleicht etwas präziser?«

»Er war gierig, unersättlich, ging, wenn’s sein musste, über Leichen. Wenn Sie verstehen, was ich meine?«

Ulf Carstensen blickte ihn fragend an. Dirk Thamsen fand die Formulierung seines Gegenübers angesichts der Tatsache, dass Kalli Carstensen nun ja selbst die Leiche war, von der hier die Rede war, nicht besonders passend. Er schüttelte seinen Kopf und gab dem anderen dadurch zu verstehen, dass er nicht wirklich kapierte, was dieser damit andeuten wollte. Der wurde langsam ungeduldig.

»Mensch!«, bellte er Thamsen geradezu an und erklärte ihm ausführlich, was er mit seiner Äußerung gemeint hatte.

Für seinen Vater habe immer nur das Geld gezählt. Regelrecht gehortet habe er es. Seiner Frau habe er kaum genügend Haushaltsgeld gegeben.

»Sie haben ja selbst gesehen, wie es bei uns aussieht.«

Thamsen erinnerte sich an das spärliche und zum Teil ziemlich abgenutzte Inventar im Wohnzimmer der Carstensens.

»Und womit hat Ihr Vater sein Geld verdient? Der Hof kann ja nicht so besonders viel abgeworfen haben, oder?«

»Nee«, bestätigte Ulf Carstensen und erzählte, dass sein Vater Gelder aus irgendwelchen Versuchen bekommen hatte, und das wohl nicht zu knapp.

»Was für Versuche?«

Ulf Carstensen zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich glaube, irgendetwas mit Mais.«

Thamsen wurde plötzlich hellhörig. War es unter Umständen kein Zufall, dass man Kalli Carstensens Leiche in einem Maisfeld gefunden hatte? Er fragte nach weiteren Einzelheiten über die angeblichen Experimente, bei denen der Landwirt mit von der Partie war, doch der Sohn konnte nur wenig Auskunft darüber geben.

»Hat mich nicht so sonderlich interessiert, was der Alte da veranstaltet hat«, erklärte er seine Unwissenheit über die Vorgänge auf dem Hof. »Weiß nur, dass er einmal ziemlichen Ärger bekommen hat, weil er den Mais unerlaubt verkauft und auch an unsere Tiere verfüttert hat. Es hat ihn wohl jemand deswegen angezeigt.«

»Wissen Sie zufällig, wer das war?«

Ulf Carstensen runzelte die Stirn, tat so, als dächte er angestrengt nach. Thamsen erschien das ganze Gehabe des jungen Mannes reichlich geschauspielert, sah aber großzügig darüber hinweg, als endlich der Name der Person fiel, die Kalli Carstensen angezeigt hatte.

›Barne Christiansen‹ notierte er schnell auf dem Zettel, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag.

Viel mehr wusste der Sohn allerdings nicht zu dem ganzen Vorfall zu berichten.

»Wie bereits gesagt, es hat mich nicht sonderlich interessiert, was der Alte so getrieben hat.«

Thamsen nickte und rief sich noch einmal das Streitgespräch zwischen Mutter und Sohn in Erinnerung, um weitere Ansatzpunkte für seine Befragung zu finden.

»Sie erwähnten, dass Ihr Vater möglicherweise noch weitere Personen übers Ohr gehauen hat, wie Sie das nannten. Können Sie dazu noch konkrete Angaben machen?«

Ulf Carstensen lehnte sich in dem Stuhl, soweit es ihm aufgrund seiner Statur möglich war, zurück und stöhnte leise auf. Dann nannte er eine Liste von Personen, die von seinem Vater nach Strich und Faden ›verarscht‹ worden waren, wie er sich ausdrückte. »Besonders mein Onkel Friedhelm musste darunter leiden.« Thamsen blickte sein Gegenüber fragend an, der unaufgefordert fortfuhr und ihm die Geschichte eines wahren Familienkrieges erzählte.

»Aber am besten, Sie fragen meinen Onkel selbst. Der wird Ihnen das bestätigen. Mein Vater hatte keinen Funken Anstand, nicht einmal wenn es um die eigene Familie ging.«

Tom hatte recht behalten. In der Gastwirtschaft, die sich etwas zurückgelegen auf einem kleinen Hügel an der Dorfstraße befand, war die Hölle los.

Normalerweise war die Wirtschaft zu dieser Tageszeit gar nicht geöffnet, aber aufgrund der letzten sensationellen Ereignisse hatte der Wirt, der sich das gute Geschäft nicht hatte entgehen lassen wollen, die Türen aufgesperrt, als die ersten Gäste vehement gegen das Glas der Eingangstür geklopft und nach einem Klaren verlangt hatten. Nach und nach waren immer mehr Leute aus dem Dorf in die kleine Gaststube geströmt, um sich über die neuesten Nachrichten auszutauschen. Das Bier und der Schnaps flossen in rauen Mengen. Hitzige Diskussionen über den möglichen Tatvorgang waren bereits in vollem Gange, als die drei Freunde die Gastwirtschaft betraten.

»Moin, Moin«, grüßten sie in die Runde, und Haie rief dem Wirt zu, dass er ihnen zwei Bier und einen Grog für Marlene bringen sollte. Dann zwängten sie sich durch das im Gastraum herrschende Gedränge zu einem der hinteren Tische, an dem Tom und Marlene noch einen Sitzplatz ausgemacht hatten.

»Mensch«, stöhnte er. »Die Gerüchteküche ist ja ganz schön am Kochen.«

Der Wirt kam und brachte die bestellten Getränke. Dabei versäumte er nicht, die Neuankömmlinge auf den neuesten Stand zu bringen.

»Hett jem all hört? Kalli hamse dod in Ingwers Maisfeld gefunnen. Mit ’nem Häcksler hett Ingwer ihn ufgabelt. Gruselig, sech ick euch!«

Haie lehnte sich über den Tisch.

»Und weiß man schon, wie datt passiert is?«

Der Wirt zuckte mit den Schultern. Bekanntlich hielt er sich aus konkreten Spekulationen, was die Geschehnisse im Dorf anging, raus. Selten ergriff er für die eine oder andere Seite Partei; hielt sein Fähnchen immer schön in den Wind. Schließlich lebte er davon, dass die Leute, egal welche Ansichten oder Meinungen sie vertraten, zu ihm kamen und notfalls, wenn kein anderer ihren Klatsch und Tratsch hören wollte, zumindest der Wirt ein offenes Ohr für sie hatte und ihnen dabei meist reichlich Bier und Korn einschenkte. Doch ihr Tischnachbar, ein älterer grauhaariger Mann, kam dem Inhaber der kleinen Gastwirtschaft bereitwillig zu Hilfe.

»Ich hab gehört, dass Kalli schon dod gewessen sein muss, bevor der Häcksler ihn …« Er machte ein paar schmatzende Geräusche. »Wahrscheinlich hat der da schon länger gelegen.«

»Nee, das kann nich sein«, schaltete sich nun ein weiterer Gast unaufgefordert in das Gespräch ein. »Am Dienstag war der Kalli noch beim Stammtisch. Wahrscheinlich hat sein Bruder ihn auf dem Heimweg abgepasst.«

»Der Friedhelm? Nie im Leben! Wie kommst du denn darauf?«

Marlene und die Männer verfolgten interessiert das Geschwätz der beiden Tischnachbarn.

»Na, weil der Kalli doch rumerzählt hat, dass er wieder beim Anwalt gewesen sei und seinem Bruder nun wegen dem Erbe die Pistole auf die Brust legen wollte.«

»Die haben sich ums Erbe gestritten?«, fragte Haie.

»Na und wie«, bestätigte nun der ältere, grauhaarige Mann, »aber trotzdem glaub ich nich, dass der Friedhelm den Kalli … Da hatten noch ganz andere gute Gründe, nich Ernst?«

»Was willst du denn damit sagen?« Auf dem Gesicht des Angesprochenen bildeten sich rote Flecken.

»Na, nur, dass du auch ’nen Hass auf den Kalli hattest. Hat er dir beim Skat nicht etliche Fennen1 abgeluchst?«

»Glücksspiel?«, warf Marlene unvermittelt fragend in den Raum.

Doch der Grauhaarige winkte ab. »Normalerweise spielen wir nur um Pfennigbeträge. Zum Spaß. Aber manchmal ist es eben doch hoch hergegangen.«

»Und der Kalli hat dann die Fennen von Ihnen gewonnen?«, hakte Tom nach.

»Ja, aber deswegen bring ich ihn doch nicht gleich um! War doch meine eigene Dummheit«, verteidigte sich nun der andere. »Außerdem war ich nicht der Einzige, der verloren hat. Der Ingwer selbst hat etliches Land an den Kalli abtreten müssen!«

»Und deshalb hab ich ihn mit dem Häcksler aufgegabelt, oder was?«

Unbemerkt war der Landwirt, der am Morgen die Leiche in seinem Maisfeld gefunden hatte, an den Tisch getreten. Überrascht blickten sie zu ihm auf.

»Der Kalli war schon tot, als die Maschine ihn zu fassen gekriegt hat. Oder meint ihr, der hat zum Spaß da zwischen dem Mais gelegen?«

»Ja, aber wer ist denn so doof und legt die Leiche in ein Feld, das kurz vor der Ernte steht? Is’ doch klar, dass man ihn dann schnell findet«, bemerkte der Grauhaarige und blickte fragend in die Runde.

»Vielleicht wollte der Mörder ja genau das«, spekulierte Marlene. Plötzlich waren alle Augen auf sie gerichtet.

Die Befragung Ulf Carstensens hatte Thamsen zwar einige neue Hinweise gebracht, doch solange der Obduktionsbericht aus Kiel noch nicht vorlag, wollte er keine weiteren Ermittlungen einleiten. Verhöre aufgrund von Spekulationen gestalteten sich schwierig. Meist war es nicht möglich festzustellen, ob der Befragte die Wahrheit sagte, solange noch keine konkreten Hinweise über einen möglichen Tathergang zur Verfügung standen. Außerdem hatten sie noch nicht einmal Angaben über den Todeszeitpunkt. Was nützte es da, nach irgendwelchen Alibis zu forschen?

Er ordnete die Zettel auf seinem Schreibtisch und verabschiedete sich von seinem Kollegen.

»Bis morgen Hans. Mach nicht zu lange!«

Er fuhr nicht direkt zu seiner Exfrau, um Anne wie besprochen abzuholen, sondern zunächst zu seinen Eltern. Seine Mutter öffnete auf sein Klingeln. Sie trug wie gewöhnlich eine geblümte Küchenschürze.

»Dirk, schön dich zu sehen.« Sie umarmte den Sohn.

»Komm rein, willst du etwas mitessen?«

Der Abendbrotstisch in der Küche seiner Eltern war bereits gedeckt, sein Vater saß auf der Eckbank, vor ihm auf dem Tisch stand ein Bier. Er begrüßte den Sohn flüchtig.

Thamsen spürte sofort, dass dem Vater sein Besuch unangenehm war. Der ließ sich nur ungern in seinem Tagesablauf stören. Deshalb schüttelte er auf die Frage seiner Mutter nur kurz den Kopf.

»Ich will euch auch gar nicht lange aufhalten«, begann er umständlich. »Wir haben nämlich einen aktuellen Mordfall und deswegen hab ich auch jede Menge zu tun.«

»Ach, was ist denn passiert?« Es war wie immer seine Mutter, die Interesse an seinem beruflichen Leben zeigte.

»Ein Leichenfund in Risum-Lindholm.« Er nahm den genervten Gesichtsausdruck seines Vaters wahr und sparte sich weitere Ausführungen.

»Ja, und deshalb kann ich morgen auch nicht freimachen. Können Anne und Timo vielleicht nach der Schule zu euch kommen?«

Die Frage hatte er absichtlich nur an seine Mutter gerichtet, dennoch fühlte sein Vater sich sofort genötigt, dem Sohn einen ausführlichen Vortrag über die Belastung zu halten, die Dirk seiner Mutter mit der Betreuung der Enkel zumutete.

»Das sind schließlich deine Kinder. Du wolltest doch, dass sie bei dir wohnen. Deine Mutter kann da nicht ständig für dich einspringen. Warum fragst du nicht Iris? Immerhin sind das auch ihre Kinder.«

Dirk Thamsen hatte selbst bereits diese Möglichkeit in Betracht gezogen, sich aber nach reiflichem Überlegen bewusst dagegen entschieden. Er wollte nicht, dass Anne und Timo zu viel Zeit mit ihrer Mutter verbrachten. Iris hatte in der Vergangenheit nicht gerade einen guten Einfluss auf die Kinder gehabt. Außerdem hatte er das Gefühl, je öfter die beiden mit der Mutter zusammen waren, umso mehr keimte in ihnen die Hoffnung, dass irgendwann wieder alles so wie früher werden würde. Zumindest bei Anne, der Jüngeren der beiden, hatte es für ihn den Anschein, als warte das Mädchen nur darauf, dass die Eltern sich wieder vertragen und zusammenziehen würden. Vielleicht redete Iris ihr das ja sogar ein. Was wusste er schon, was sie den Kindern erzählte? Am Ende war er noch derjenige, der sich gegen die Familie entschieden hatte.

Er ging auf das Gerede seines Vaters nicht ein, sondern wandte sich erneut an seine Mutter.

»Bitte, es wäre nur morgen. Am Wochenende kann ich mich dann wieder um die beiden kümmern.«

Sie nickte, obwohl ihr der missbilligende Blick ihres Mannes nicht entging. Aber wie konnte sie dem Sohn eine Bitte abschlagen? Noch dazu, wenn es um ihre Enkel ging? Dennoch hasste sie es, wenn der Haussegen schief hing, und das tat er, nun da sie sich gegen die Meinung ihres Mannes gestellt hatte. Deshalb fügte sie schnell hinzu: »Aber nur morgen und ausnahmsweise. Danach musst du sehen, wie du zurechtkommst!«

Friesenrache

Подняться наверх