Читать книгу Mehr als Freundschaft? - Сандра Грауэр - Страница 12

Оглавление

Leon

Leon stand vor dem kleinen Spiegel im noch kleineren Badezimmer und betrachtete sich seit zehn Minuten von allen Seiten. Er hatte die ganze Wohnung für sich. Seine Mutter war noch bei der Arbeit, und so musste er sich keine Gedanken darüber machen, dass er so lange das Bad blockierte.

Allzu viel verändert hatte sich in der Tat nicht. Der Schnitt war vielleicht ein bisschen flippiger und moderner, aber im Grunde derselbe wie vorher. Und das Gel war so dezent, dass man es kaum wahrnahm. Aber so hatte er es ja gewollt.

Vielleicht hätte er doch mehr riskieren sollen? Vielleicht hatte Mia recht, genauso wie Pitt recht hatte. Sie schien ein wenig sauer gewesen zu sein, als sie sich vor etwa einer halben Stunde vor dem Frisörsalon verabschiedet hatten. Das war so nicht geplant gewesen, immerhin wollte sie ihm ja nur helfen.

Morgen waren sie verabredet, um gemeinsam neue Klamotten kaufen zu gehen. Leon nahm sich fest vor, ein bisschen nachgiebiger zu sein, damit Mia sich wieder einkriegte. Er wollte nicht, dass sie sauer war.

Und er musste ja wirklich lockerer werden, da stimmte er ihr und Pitt schon zu. Aber verdammt, musste er sich jetzt deshalb von Grund auf verändern? Konnten die anderen ihn nicht einfach so akzeptieren wie er war? Das tat er doch auch.

Ja, okay, eventuell war das übertrieben, aber immerhin ließ er sie in Ruhe und hackte nicht permanent auf ihnen herum. Mehr wollte er doch erst mal gar nicht.

Leon hörte die Haustür ins Schloss fallen. Kurz darauf rief seine Mutter: »Jemand zu Hause?«

Seufzend öffnete Leon die Badezimmertür. Der erste Weg seiner Mutter führte immer ins Bad oder in die Küche, wenn sie nach Hause kam, und davon wollte er sie nicht abhalten.

Der Flur war klein, genauso wie die ganze Wohnung, und so konnte man sich hier nur schwer aus dem Weg gehen. Trotzdem schafften es Leon und seine Mutter irgendwie immer.

Sie stand an der Garderobe und zog sich die roten Pumps aus, während sie sich mit einer Hand an der Kommode festhielt. »Warst du beim Frisör?«, fragte sie, als sie Leon kurz ansah. Er nickte, doch das nahm sie kaum wahr. »Sieht irgendwie genauso aus wie vorher. War das Absicht?«

Gute Frage, dachte er sich. Er zuckte mit den Schultern. »Weiß ich auch nicht so genau.«

»Okay.« Sie sah ihn einen Moment an, dann schenkte sie ihm ein zaghaftes Lächeln und marschierte barfuß an ihm vorbei ins Badezimmer.

Leon blickte einen Moment auf die geschlossene Tür, dann ging er in sein Zimmer, machte die Musik an und ließ sich aufs ungemachte Bett fallen.

Freitag, 3. Mai, 21 Uhr

Mia hat mich heute wie angekündigt zum Einkaufen geschleppt. Es war gar nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte, und dabei waren die Geschäfte ziemlich voll. Und Mia war nicht mehr sauer auf mich, das war das Wichtigste. Es war nett, mal wieder was zusammen zu machen. Wir waren zwar am Tag davor beim Frisör gewesen, aber ich hab das Gefühl, sie und Pitt ziehen sich gerade ein wenig zurück. Das passt mir gar nicht. Wir haben die letzten Jahre immer den letzten April gemeinsam verbracht. Das war eine Art Tradition geworden. Und dieses Jahr haben sie's beide einfach vergessen. Pitt war Maibaumstellen, und Mia hat sich lieber mit Patrick und den Hühnern getroffen. Zwar haben beide gefragt, ob ich mitkommen will, aber erst, nachdem sie schon alles geplant hatten. Darauf hatte ich dann auch keine Lust. Mein Bedarf, fünftes Rad am Wagen zu spielen, ist vorerst gedeckt. Und am Wochenende haben sie beide auch schon wieder keine Zeit. Gut, ich muss eh mal wieder ins Altenheim, Oma besuchen und aushelfen. Aber abends hätte ich schon Zeit. Na ja, irgendein schlechter Film wird schon im Fernsehen laufen.

»Hallo Leon. Was ist denn mit dir passiert?« Neugierig musterte Elisabeth ihren Enkel.

»Hallo Oma.« Leon umarmte sie, dann ließ er sich auf den zweiten Sessel gegenüber seiner Oma fallen. »Wie geht’s dir denn?«, wollte er wissen, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Doch Elisabeth ließ nicht so schnell locker. »Ach, wie soll's mir schon gehen? Alles wie immer. Du siehst irgendwie anders aus. Was hast du gemacht? Nimmst du etwa Drogen und hörst diese schreckliche Rock 'n' Roll-Musik?«

Leon lachte. »Sehr witzig. Ich war beim Frisör und hab ein paar neue Klamotten gekauft.«

Elisabeth nickte schmunzelnd.

»Was ist?«, fragte Leon.

»Da steckt doch ein Mädchen dahinter, oder? Hast du endlich eine Freundin gefunden?«

Leon unterdrückte ein Seufzen und schüttelte den Kopf. Er hasste es, seine Oma enttäuschen zu müssen. Er kam sich immer wie ein Verlierer vor, wenn er nach einer Freundin gefragt wurde, auch wenn er ganz genau wusste, dass ihm das vor seiner Oma nicht peinlich sein musste. »Alles wie immer.«

»Schade. Ich wünsch dir so sehr, dass es endlich mal klappt. Es muss doch irgendein nettes Mädel geben …« Sie trank einen Schluck Tee und sah dann einen Moment aus dem Fenster. »Wie geht es denn deinen Freunden?«

»Mia und Pitt geht’s gut. Die haben gerade viel zu tun, aber wir sehen uns immer mal wieder.«

»Raus mit der Sprache, mir kannst du nichts vormachen.«

Nein, das konnte er nicht, und das mochte Leon so an seiner Oma. Mit ihr konnte er offen und ehrlich über alles sprechen. »Was soll ich sagen? Sie haben halt noch andere Freunde, und das ist auch okay. Aber ich komm mit den anderen einfach so gar nicht klar.«

»Inwiefern?« Elisabeth betrachtete ihren Enkel liebevoll.

Leon zuckte die Schultern. »Na ja, sie mögen mich nicht. Ich kann mir noch so viel Mühe geben. Und Mia und Pitt scheint das in letzter Zeit ziemlich egal zu sein.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Weißt du, für die beiden ist das bestimmt auch nicht so einfach. Versetz dich mal in ihre Lage.«

Leon dachte einen Moment darüber nach. Sicher, seine Oma hatte schon irgendwie recht. Für Mia und Pitt war das Ganze auch immer ein Spagat, und sie konnten ihre anderen Freunde nicht dazu zwingen, ihn zu mögen. Er wollte ja auch gar nicht, dass sie sich nur noch mit ihm trafen. Aber als guter Freund konnte er doch verlangen, dass sie die anderen in Schach hielten, oder etwa nicht? Dass sie sich nicht über ihn lustig machten, ihn blöd ansahen und all so was.

»Und, stimmt's, was ich sag?«, hakte seine Oma noch einmal nach.

Leon nickte zögerlich. »Ja, schon ein wenig. Weißt du, es würd mir ja auch schon reichen, wenn sie mich einfach akzeptieren würden.«

»Weiß ich doch. Deshalb solltest du dich aber nicht verrückt machen und jeder neuen Mode hinterherrennen. Du musst dir treu bleiben, versprich mir das.«

Leon nickte. »Ich weiß, was du meinst, und das hab ich auch vor. Das mit der Frisur und den neuen Klamotten ist übrigens nicht auf meinem Mist gewachsen. Es war Mias Idee.«

»Das hab ich mir schon gedacht«, meinte Elisabeth.

»Sie wollte unbedingt, dass ich selbstbewusster werde und meinte, 'ne neue Frisur und neue Klamotten würden da helfen.«

»Da ist nichts gegen einzuwenden, und außerdem ist es sehr nett von ihr. Hilft's denn?«

»Das ist noch nicht raus.«

»Verstehe.« Leons Oma lächelte wissend. »Bring doch Mia mal wieder mit. Ich hab sie schon ewig nicht mehr gesehen.«

Leon war sich nicht sicher, ob Mia wirklich zustimmen würde, auch wenn ihm selbst die Idee ganz gut gefiel. »Ich kann sie ja mal fragen.«

»Tu das.« Seine Oma nahm ein Plätzchen von dem Teller, der zwischen ihr und Leon auf einem kleinen Tisch stand, und schob ihn dann ihrem Enkel zu. »Da, nimm was. Du siehst so dünn aus. Isst du auch genug?«

Leon nickte und schob sich ein Plätzchen in den Mund.

Eine Weile aßen sie schweigend, dann fragte Elisabeth: »Kocht sie auch immer frisch und regelmäßig?«

Leon musste nicht fragen, wen sie meinte. Er und seine Oma sprachen nicht viel über seine Mutter. Die hatte sich mit Elisabeth zerstritten, als sein Vater noch da gewesen war. Leon wusste gar nicht so genau, worum es da gegangen war, und er bekam auch nie eine Antwort, wenn er nachhakte. »Ja, meistens schon.« Okay, das war gelogen. Oft gab es einfach nur Fertigsachen, weil seine Mutter spät von der Arbeit kam und dann keine Lust mehr hatte, lange in der Küche zu stehen. Aber Leon wollte seiner Oma nicht unnötig Sorgen machen.

»Und wie geht es ihr?«, fragte sie knapp.

»Ganz gut. Sie arbeitet viel.«

Elisabeth nickte, dann raffte sie sich etwas mühsam auf. »Lass uns mal ein bisschen an die frische Luft gehen. Ich habe Lust auf ein Eis.«

»Es ist endlich passiert«, sagte Mia leise und blickte verträumt an die weiße Decke, die mal wieder einen neuen Anstrich nötig gehabt hätte.

Leon war gerade dabei, die Musik zu wechseln, da Mia keine Lust auf Nirvana hatte, und hielt mitten in der Bewegung inne. Er hoffte inständig, dass Mia nicht von sich und Patrick sprach. Langsam drehte er sich zu ihr um. Sie lag mit dem Rücken auf seinem Bett und sah irgendwie glücklich aus. Am besten, er stellte sich dumm. Vielleicht ging es ja doch um etwas ganz anderes. Er schluckte. »Was ist endlich passiert?«

»Du weißt schon … Es.« Sie stützte sich hinter dem Rücken auf ihre Ellenbogen auf und sah Leon direkt an.

Verdammt, hatte er also doch richtig getippt. In seinem Kopf drehten sich die Gedanken, und ihm wurde mit einem Mal übel. Er wandte sich wieder seinem MP3-Player zu und stellte die Musik an. Dann atmete er ein paar Mal tief durch, bevor er sich neben Mia auf sein Bett fallen ließ.

»Warum sagst du gar nichts?«

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, gestand Leon ehrlich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

»Na komm, irgendwas wird dir ja wohl einfallen.« Sie drehte sich auf die Seite und sah ihn an, doch er wich ihrem Blick aus, indem er starr an die Decke blickte.

Ihm fiel da schon so manches ein, was er gerne gesagt hätte: Wie konntest du nur? Du kennst ihn doch kaum! Warum ausgerechnet mit ihm? Aber das kam ihm alles irgendwie unpassend vor. Klar hätte er jetzt auch fragen können, wie es war, aber er wollte die Details nicht wissen. Wenn sie in allen Einzelheiten davon erzählen wollte, dann musste sie schon zu Pitt gehen. Ohne zur Seite sehen zu müssen, spürte er, dass sie ihn immer noch fixierte. Sie wartete auf eine Reaktion, also sagte er das erste, was ihm in den Sinn kam. »Und seid ihr noch zusammen?« Einen Moment starrte Mia ihn an, dann lachte sie ungläubig und schüttelte den Kopf. Wütend sprang sie vom Bett auf. »Du bist wirklich unglaublich, Leon.« »Jetzt wart doch mal, kein Grund, gleich wieder sauer zu sein«, erwiderte Leon und setzte sich hin. Mia ließ ihre Tasche, nach der sie gerade gegriffen hatte, wieder auf den Boden fallen. »Ich hab ja wohl jedes Recht dazu, sauer zu sein. Immerhin hältst du mich ja scheinbar für 'ne Schlampe. Was denkst du eigentlich von mir?« »Um dich geht es hier doch gar nicht. Es geht um Patrick.« Mia warf die Arme in die Luft. »Natürlich, wie konnte ich das nur vergessen. Es geht immer um ihn.« »Hör zu, ich weiß, dass mich das nichts angeht und dass es deine Entscheidung ist. Ich hatte bloß Angst, dass er dich sitzen lässt, sobald er bekommen hat, was er wollte. Umso besser, wenn ich mich geirrt hab.« »Traust du mir überhaupt keine Menschenkenntnis zu? Denkst du wirklich, ich wäre mit ihm ins Bett gegangen, wenn ich geglaubt hätte, dass er nur das wollte?« Leon zuckte die Schultern und sah Mia entschuldigend an. »Liebe macht blind.« Einen Moment schwiegen sie. Mia funkelte ihn immer noch böse an, doch dann ließ sie die Schultern hängen und seufzte. »Mensch Leon, warum musst du mir immer alles versauen?« Leon bekam ein schlechtes Gewissen. Er wusste selbst nicht so recht, was mit ihm los war. »Es tut mir leid, Mia. Das war echt nicht meine Absicht.« Er stand auf und näherte sich ihr vorsichtig. Gerne hätte er sie in den Arm genommen, aber er war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. »Darf ich?«, fragte er deshalb, während er die Arme ausbreitete. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht, sie nickte. Er nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich. Es fühlte sich gut an. Schon lange hatten sie sich nicht mehr richtig umarmt. Eine Weile standen sie so da, dann sagte Mia leise: »Ich wünschte, du würdest ihm wenigstens eine Chance geben.« Leons schlechtes Gewissen wuchs noch mehr. »Es tut mir wirklich leid. Ich hab halt einfach das Gefühl, dass er nicht gut genug für dich ist.« Sie lachte leise auf. »Wenn es nach dir ginge, wär doch ohnehin niemand gut genug für mich.« Leon streichelte einen Moment geistesabwesend über Mias weiche Haare. Wahrscheinlich stimmte ihre Vermutung sogar. »Du bist halt was ganz Besonderes«, versuchte er sich zu verteidigen. Mia war wie erwartet geschmeichelt. Sie löste sich nach seinem Geschmack viel zu schnell aus der Umarmung und setzte sich wieder aufs Bett. »Du meinst es sicher nur gut, aber kannst du nicht wenigstens versuchen, ihn zu mögen? Nur ein ganz kleines bisschen, mir zuliebe.« Leon musste lachen. »Dir zuliebe tu ich alles.« Er sah sie einen Moment an, dieses Mal ernster, dann setzte er sich neben sie. »Vielleicht könntest du im Gegenzug ja mal mit ihm reden. Ich hab nämlich das Gefühl, dass er mich wie die Hühner übrigens auch absolut nicht leiden kann. Und das macht das Ganze nicht wirklich einfacher.« »Ich versteh schon«, antwortete sie. Leon hatte keinen Zweifel daran gehabt, dass die anderen ihn nicht mochten, und trotzdem versetzte es ihm einen kleinen Stich, als Mia ihm das jetzt mehr oder weniger bestätigte. Sie starrte auf den Boden und malte mit dem nackten Fuß Muster in den flauschigen Teppich, der direkt vor dem Bett lag. »Ich red mal mit ihm, okay?«, meinte sie schließlich, ohne aufzusehen. Er nickte. Sie wirkte mit einem Mal gar nicht mehr so glücklich wie noch ein paar Minuten zuvor, und er fühlte sich deshalb richtig mies. Er musste sie unbedingt wieder aufmuntern, also sprang er über seinen Schatten und fragte: »War's denn schön?« Dabei wollte er die Antwort gar nicht wissen. Sie zögerte, doch dann sah sie auf und nickte strahlend. Er nickte ebenfalls und unterdrückte nur mit Mühe ein Seufzen.

Montag, 6. Mai, 19 Uhr

Sie hat es wirklich getan, sie hat mit ihm geschlafen! Warum nur hat sie das getan? Die beiden sind erst seit Kurzem zusammen, kennen sich doch kaum. Wie kann sie da mit ihm ins Bett gehen? Ausgerechnet mit ihm? Wenn er wenigstens einer dieser unwiderstehlich tollen Kerle wäre – wobei ich das auch dann nicht gut finden würde, ich meine nach der kurzen Zeit. Aber immerhin könnte ich es ansatzweise nachvollziehen. Vielleicht bin ich auch einfach prüde? Aber es war doch ihr erstes Mal. Egal, was Pitt sagt, das sollte was Besonderes sein, etwas, an das man sich gerne erinnert. Und Patrick ist definitiv nichts Besonderes. Wobei Mia nicht wirklich unglücklich ausgesehen hat, ehe ich mich eingemischt hab … Mann, mir gehen diese Bilder einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie bin ich enttäuscht von Mia und gleichzeitig wütend auf sie. Gut, ich kann Patrick, den Arsch, nicht ausstehen und glaube weiterhin, dass er nur mit ihr spielt. Aber hab ich deshalb das Recht, sauer zu sein? Verdammt, so eine Scheiße. Wenn ich so weiter mache, verlier ich sie vielleicht noch. Sie hat sicher keinen Bock darauf, dass ich ihr immer die Laune verderbe und alles diskutieren muss, und ich will sie ja auch nicht traurig machen. Das ist das Letzte, was ich will. Was mach ich jetzt nur? Was ist nur los mit mir?

Mehr als Freundschaft?

Подняться наверх