Читать книгу Patrickson - Sandra M. Busch - Страница 11
18. März
ОглавлениеSeit einigen Tagen gab es kein anderes Thema als Patrickson mehr in den Nachrichten, denn täglich wurden mehr Menschen zum Opfer von Gewalt und Aggressionen. Ein LKW-Fahrer war am Abend zuvor in eine Menschenmenge gefahren. 17 Tote und zahlreiche Verletzte waren zu beklagen.
Und Tag für Tag wurde die Angst vor dem nahenden Frühling größer. Da der Winter durch die Klimaerwärmung wieder einmal viel zu warm war, befürchtete man eine erneute Mückenplage. Alle Impfstofftests an Rhesusaffen waren bisher erfolglos. Selbst wenn ein Impfstoff anschlagen sollte, musste dieser noch an Menschen getestet werden und es würde Monate dauern, bis eine Genehmigung erteilt würde und die Produktion so weit fortgeschritten war, dass genügend Impfangebote zur Verfügung ständen.
Draußen war es aber immer noch recht kalt und Mücken galten bisher als einzige Überträger, so dass sich die Einkaufslage zumindest in ländlichen Regionen durch das langsame Fortschreiten der Krankheit etwas entspannt hatte.
Sophie hatte nach dem Einkauf zusammen mit ihren Kindern die Zeit genutzt, ihr Haus, so gut es ging, auf anderen Wegen mückensicher zu machen. Sie hatten zusätzliche Vorhänge genäht und dicht an den Wänden befestigt, um ein Öffnen der Fenster zu ermöglichen. An den Eingangstüren befanden sich nun Schleusen aus großen Plastiksäcken, um es eindringenden Mücken möglichst schwer zu machen.
Sophie wusste, sie müssten bei einem Lockdown einen Großteil des Sommers in den eigenen vier Wänden verbringen.
Aber sie mochte ihr Zuhause. Ihr Einfamilienhaus mit kleinem Garten in einer Wohnsiedlung war nichts Besonderes, aber wirkte durch die großen Räume und vielen Fenster selbst bei schlechtem Wetter freundlich. Sie hatte im Laufe der Jahre die Wände mit selbst gemalten Bildern verziert und ein großer Kamin spendete im Wohnzimmer wohlige Wärme. Die Kinderzimmer befanden sich im ersten Stockwerk. Das untere Stockwerk schmückten ein großer Wohn-Kochbereich, der Hauswirtschaftsraum und ein winziges Schlafzimmer, welches sich Leo und Sophie teilten. In einem abgetrennten Teil des Wohnzimmers hatte sich Sophie zudem ein kleines Büro eingerichtet.
Sophie hatte das Haus, als Micha noch klein war, selbst entworfen und war mit ihrer amateurhaft angefertigten Zeichnung zu einem Bauunternehmer gegangen. Dieser hatte es tatsächlich geschafft, das Haus nach ihren Vorstellungen zu bauen. Mehr als zehn Jahre hatte sie es seitdem Monat für Monat einen Teil des Kredits zurückgezahlt. Dafür hatte sie gern auf jeden Luxus verzichtet.
Wenn alles gut lief, wäre der Kredit in einigen Jahren getilgt und sie könnte ein wenig für die Ausbildung der Kinder oder die Rente zurücklegen. Ihr Traum war es, wieder zu reisen oder in einer kleinen Hütte in der Südsee ihren Lebensabend zu verbringen. Auch wenn Träume in der Regel nicht in Erfüllung gehen, hatten sich Leo und Sophie so die Zeit nach Rentenbeginn vorgestellt.
Am Abend saß die gesamte Familie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder zusammen am Esstisch im Wintergarten.
„Mama, müssen wir alle bald sterben?“, fragte Marie.
„Warum glaubst du das?“, wollte Sophie wissen.
„Das haben die anderen Kinder im Kindergarten gesagt.“
„Nein“, antwortete Sophie. „Mit den Mücken werden wir schon fertig. Wir sind doch schließlich viel stärker und klüger als die.“
Marie leuchtete die Antwort ein. Melanie und Micha schauten sie jedoch ungläubig an. Doch ihre Ältesten gaben kein Wort von sich. Sie wussten, wie wichtig es war, die Illusionen ihrer kleinen Schwester nicht zu zerstören. Sophie lächelte ihnen dankbar zu.
Leo saß wieder einmal schweigend am Tisch. „Was meinst du denn dazu?“, forderte sie ihn auf, sein Schweigen zu brechen.
„Was soll ich denn dazu sagen? Du hast doch schon geantwortet“, antwortete er schroff.
„Vielleicht etwas Aufmunterndes, was den Kindern die Angst nehmen könnte?“, schlug Sophie vor.
Doch Leo schaute auf sein Essen und schob sich ohne Worte den nächsten Löffel Lasagne in den Mund.
In Sophie machte sich wieder einmal Enttäuschung breit. Wie sehr wünschte sie sich seine Unterstützung. Warum nur war ihm seine Familie so egal?
Lediglich Mia schaffte es zwischendurch, ihren Vater dazu zu bringen, ihr etwas Aufmerksamkeit zu schenken, indem sie einfach auf seinen Schoß kletterte und sich an ihn kuschelte. Aber je älter und anspruchsvoller die Kinder wurden, desto mehr zog sich Leo in die Passivität zurück. Sophie vermutete, er war der Komplexität ihrer Lebenssituation nicht mehr gewachsen.
Als Sophie ihre Kinder abends in Bett brachte und die genähten Vorhänge betrachtete, glaubte sie fast selbst daran, die Sache mit den Mücken irgendwie im Griff zu haben.
Doch sie wusste nicht, welche Nacht auf sie wartete.