Читать книгу Patrickson - Sandra M. Busch - Страница 12
19. März
ОглавлениеEs war kurz nach Mitternacht, als Sophie und Leo durch lautes Knallen geweckt wurden.
„Was war das?“, fragte sie ihren Ehemann.
„Gar nichts, schlaf weiter“, erwiderte dieser.
Keine zwei Minuten später ertönte der nächste Knall. Dieses Mal noch lauter. „Welcher Idiot spielt mitten in der Nacht mit Silvesterböllern?“, schoss es Sophie durch den Kopf.
Sie zog sich ihren blauen Morgenmantel über und ging auf die Straße, um nachzusehen. Seltsamerweise konnte sie dort jedoch niemanden entdecken. Leo war durch die Ruhestörung genervt und erschien mit schlechter Laune neben ihr. Er forderte sie auf, wieder ins Bett zu kommen, als Sophie die Rauchschwaden sah, die aus ihrem Carport kamen.
„Leo, unser Carport brennt!“
„Mist!“, rief dieser und eilte zurück ins Haus. Einige Sekunden später kam er mit einem Feuerlöscher zurück, den sie im Hauswirtschaftsraum gelagert hatten. Sophie hatte nicht damit gerechnet, dass dieser jemals zum Einsatz kommen würde. Leo riss die Tür des Carports auf und verschwand darin.
Sophie betrachtete fassungslos die ersten Flammen, die sich nun auch auf dem Dach des Holzunterstandes zeigten. Wenn die Flammen auf das Haus übergingen, waren die Kinder in Gefahr. Sie geriet in Panik und fragte sich, wie viel Zeit ihnen noch blieb. Sophie rannte die Treppe des Hauses hinauf und weckte zunächst Melanie und Micha und forderte sie auf, das Haus zu verlassen.
„Kinder, es brennt. Ihr müsst ganz schnell nach draußen.“
Melanie guckte sie ängstlich an. Doch dann sprang sie aus dem Bett und rief: „Ich komme gleich. Ich mach noch schnell die Fenster zu.“ Der Gedanke war Sophie nicht gekommen. Dankbar nickte sie Melanie zu.
Sie eilte weiter zu Mia und Marie, nahm die zwei schlafenden Kinder auf den Arm und rannte mit ihnen die Treppe herunter und raus auf die Straße.
In der Zwischenzeit hatte ein Nachbar bereits mehrfach an der Haustür geklingelt. Er hatte das Feuer ebenfalls gesehen und wusste nicht, ob die Familie das Feuer bereits entdeckt hatte oder noch schlafend im Bett lag.
Als Sophie auf die Straße trat, waren hier mittlerweile zahlreiche Nachbarn versammelt, die das Feuer und die lauten Geräusche mitbekommen hatten. Ein anderer Nachbar schrie Sophie an: „Fahr dein Auto aus dem Carport! Wenn das brennt, steht hier bald gar nichts mehr!“
Sophie drückte einer ihrer Nachbarinnen Marie und Mia in den Arm und begab sich zurück ins Haus, dessen Dachstuhl die ersten Flammen gefangen hatte, um den Autoschlüssel zu holen. „Das darf doch alles nicht wahr sein. Hoffentlich schaff ich das noch“, murmelte sie.
Das Feuer war bereits kochend heiß zu spüren, als Sophie die Fahrertür öffnete. Vor Hitze brannte ihre Haut und Tränen sammelten sich in ihren Augen, während sie den großen Bulli aus dem Carport fuhr. Sie parkte den Wagen bei einem der Nachbarn in der Auffahrt, sprang aus dem Wagen und eilte zurück.
„Andrea, wo sind die Kinder?“, fragte sie panisch.
„Deine Kinder sitzen in meinem Wohnzimmer. Ich habe einen Kinderfilm angestellt, damit sie nicht so viel mitbekommen.“ „Danke“, erwiderte Sophie erleichtert. Auf Andrea war Verlass. Sie war selbst Mutter von zwei Kindern und wusste instinktiv, was in einer solchen Situation das Richtige war.
Sie atmete tief durch. Als sie sich umdrehte, musste sie jedoch erkennen, dass nicht nur das Carport lichterloh brannte, sondern sich die Flammen bereits durch Fenster und Türen des Wohnhauses gefressen hatten.
Aber wo war Leo? Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er mit dem Feuerlöscher im Carport verschwunden.
Von dort kamen immer neue Explosionen, als ein gelagerter Sommerreifen nach dem anderen von der Hitze auseinandergerissen wurde. War Leo noch dort drin? Verzweiflung setzte ein. Ihre Ehe war sicherlich nicht einfach, doch das durfte nicht sein. Verbrannte er dort drinnen, während sie hier auf der Straße stand? Ratlos fragte sie sich, was sie nur tun sollte.
Während sie feststellte, wie immer mehr Schaulustige die Straße füllten, um den Brand mit ihrem Handy zu filmen, wurde ihr klar, dass sie nicht einmal wusste, ob jemand bereits die Feuerwehr gerufen hatte. Ebenso wenig hatte sie daran gedacht, ihren Aktenkoffer mit allen wichtigen Dokumenten mit aus dem Haus zu nehmen.
Sie musste stattdessen zusehen, wie sich das Feuer ausdehnte und immer größere Teile ihres Hauses in Besitz nahm. Und Leo war verschwunden. Das Gefühl der Machtlosigkeit und Verzweiflung machte sich in ihr breit. Das Feuer konnte ihr das alles nicht einfach nehmen.
Doch die Flammen schienen Spaß daran zu haben, einen wichtigen Teil ihres Lebens zu vernichten. Von unbarmherziger Gier getrieben nahmen sie immer größere Teile des Hauses in ihren Besitz. Sophie konnte nichts anderes tun, als ihnen dabei zuzusehen.
Nach Minuten, die ihr wie Stunden vorkamen, tauchten fast zeitgleich Leo und die Feuerwehr auf. Sophie schloss die Augen. „Gott sei Dank“, sagte sie leise.
Leo hatte sein Auto, welches er am Abend zuvor an der kleinen Straße hinter dem Haus abgestellt hatte, außerhalb der Siedlung geparkt und kam nun mit einer Zigarette im Mund zurück. Er ging zu einem der Feuerwehrmänner, der hilflos nach dem Wasserhydranten suchte, und bat ihn um Feuer. „Sie haben Nerven“, erwiderte der Mann.
Wortlos stellte sich Leo neben Sophie und zog an seiner Zigarette. Alles Weitere erschien Sophie wie ein schlechter Film, der vor ihren Augen ablief, den sie jedoch nicht ausstellen konnte. Schläuche wurden ausgerollt, die Polizei kam und sicherte den Brandort und schließlich kam die Presse und schoss Bilder vom noch brennenden Haus.
Leichter Ärger stieg in ihr auf. Woher wusste die Presse so schnell von dem Brand? Außerdem hatte sie niemand gefragt, ob sie mit den Fotos einverstanden war. Doch Sophie hatte keine Kraft, ihrem Ärger nachzugehen.
Nach endlosen dreißig Minuten war es der Feuerwehr gelungen, den Brand zu löschen, und Sophie blickte auf die Trümmer ihres Zuhauses. Die meisten Nachbarn machten sich wieder auf den Weg nach Hause. Es gab ja nichts mehr zu sehen. „Da bin ich ja froh, dass uns das nicht passiert ist“, hörte sie einen der Nachbarn sagen.
Sophie fiel es schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Alles schien an ihr vorbeizuziehen.
„Brauchen Sie heute Nacht eine Unterkunft?“, fragte eine dunkle Stimme.
Sophie drehte sich um und blickte in das Gesicht eines Feuerwehrmannes.
„Ich … ich weiß es nicht“, stammelte sie, unfähig angemessen zu reagieren. „Ich glaube, ich versuche gleich meine Eltern zu erreichen. Ich denke, wir können dort eine Zeitlang unterkommen. Kann ich vorher ins Haus, um nach Dingen zu suchen, die man noch gebrauchen kann?“
„Ausgeschlossen, da drinnen ist alles verrußt oder verbrannt“, erwiderte er.
„Ich bitte Sie“, flehte Sophie. „Ich brauche noch einige Dinge für mich und die Kinder.“
„Na gut“, antwortete er, „die statische Konstruktion des Hauses scheint nicht allzu sehr beschädigt. Aber allein darf ich Sie nicht gehen lassen.“
Sophie und der Feuerwehrmann betraten das Innere. Eine Tür brauchten sie nicht zu öffnen, die hatte das Feuer vollständig vernichtet. Ihr bot sich ein Anblick des Grauens. Alles, was einmal im Flur oder Hauswirtsschaftraum gelagert gewesen war, war verkohlt, zusammengeschmolzen oder unkenntlich geworden. Über allen Wänden und Decken erstreckte sich eine dicke Rußschicht. Hier war nichts mehr zu retten.
Das Wohnzimmer machte einen etwas besseren Eindruck. Hoffnungsvoll blickte sie auf die kleine Kommode in der Ecke, in der sie die Fotoalben aufbewahrte.
„Es ist nicht alles verloren“, lächelte sie der Feuerwehrmann an, „aber Sie können heute nur das mitnehmen, was für die nächsten Tage unersetzbar ist. Der Ruß ist gefährlich für die Gesundheit und muss professionell entfernt werden.“
Sophie ging die Treppe hinauf ins Kinderzimmer und nahm Mias Teddy aus ihrem Bett. Danach griff sie ihre Handtasche und den Ordner mit den Versicherungen aus dem Wohnzimmerregal, wischte mit einem Taschentuch die Rußschicht ab und folgte dem Feuerwehrmann aus dem Haus.
Es war eisigkalt draußen. Erst jetzt merkte Sophie, dass sie ihre Finger kaum noch spüren konnte. Sie trug immer noch den Morgenmantel und ihre Hausschuhe. Mit zitternden Fingern nahm sie ihr Mobiltelefon aus ihrer Handtasche und wählte die Nummer ihrer Eltern.
„Ja?“, kam es müde von der anderen Leitung.
Sophie wurde klar, dass sie ihre Mutter aus dem Schlaf gerissen hatte. „Mama, unser Haus hat gebrannt. Können wir bei euch unterkommen?“