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25. Januar
ОглавлениеBünde, Westfalen
Sophie hatte es geschafft. Erschöpft ließ sie sich auf ihr durchgesessenes Sofa inmitten des Wohnzimmers fallen.
Es war kurz vor 20 Uhr. Draußen schneite es und sie war seit mehr als 14 Stunden auf den Beinen. Ein anstrengender Tag lag mal wieder hinter ihr.
Nachdem sie morgens die Kinder versorgt hatte, war sie zum dritten Mal in dieser Woche zu spät in die Kanzlei gekommen und musste sich die strafenden Blicke ihrer Chefin gefallen lassen. Dabei hatte sie sich fest vorgenommen, das Haus pünktlich zu verlassen. Aus irgendeinem Grund kam leider viel zu häufig etwas dazwischen.
An diesem Morgen war es ihr ältester Sohn Micha, der seine Projektarbeit nicht finden konnte. Kurz bevor sie ins Auto steigen wollten, fiel ihm ein, dass er seine Deadline zur Abgabe bereits überschritten hatte und sein Lehrer keinen weiteren Aufschub duldete.
Nach Feierabend hatte sie ihre beiden Jüngsten vom Kindergarten abgeholt und den Nachmittag mit Hausarbeit, dem Chauffieren der zwei älteren Kinder zu diversen Freizeitaktivitäten und dem Kontrollieren ihrer Hausaufgaben verbracht.
Danach hatte sie mehr als eine halbe Stunde gebraucht, den letzten Streit zu schlichten und dafür zu sorgen, dass ihre jüngste Tochter Mia ihr Abendbrot aß. Mia wusste, sie konnte die Aufmerksamkeit ihrer Mutter erzwingen, indem sie möglichst langsam aß und dabei unaufhörlich von allem erzählte, was ihr in den kleinen Kopf kam.
Gleich würde ihr Mann Leo nach Hause kommen. Die beiden waren seit vielen Jahren verheiratet. Doch jedes Gespräch, das sie mit ihm führte, um sich nach der Gestaltung seines Tages zu erkundigen, endete damit, dass er ihr nicht mehr erzählte als von seinen angeblich so vielen Aufgaben, die er in seinem mäßig bezahlten Job in der Werbeagentur zu erledigen hatte. Sophie wusste, er brauchte die Anerkennung, im Job erfolgreich zu sein.
Die Tatsache, dass sie als Anwältin den Familienunterhalt verdiente und dabei täglich den Spagat zwischen Klienten, Gerichten, Haushalt und Kindererziehung zu erledigen hatte, war ein Thema, das sie daher besser nicht ansprach.
Im Kinderzimmer knallte wieder die Tür. „Geh hier raus, du blöde Kuh“, schrie eines der Mädchen. Die Kinder gaben sich wieder einmal große Mühe, die Zeit des Einschlafens möglichst lange hinauszuzögern.
„Könnt ihr nicht endlich mal Ruhe geben?“, rief Sophie zurück in Richtung der Kinderzimmer.
Es war mal wieder einer der Tage, an denen sie feststellte, wie schwierig es war, vier Kinder zu bändigen. Sie liebte ihre Rasselbande über alles, doch das, was sie jetzt brauchte, war Ruhe.
Da fiel ihr Blick auf ihre Pinnwand. Vor einiger Zeit hatte ihr eine Kollegin eine Postkarte mit einem Zitat von Winston Churchill mitgebracht.
„Es ist einfacher eine Nation zu regieren, als vier Kinder zu erziehen.“
Sie lächelte und lehnte den Kopf zurück. Der Mann hatte vier Kinder großgezogen, bevor er sein Land erfolgreich durch die Schrecken des Zweiten Weltkrieges geführt hatte. Er musste ja wissen, wovon er sprach.
Manchmal fragte sie sich, wie ihr Leben wohl ohne Kinder ausgesehen hätte. Vielleicht hätte sie jetzt, mit ihren 36 Jahren, ihre eigene Kanzlei oder den Weg zur Richterin eingeschlagen. Vielleicht wäre sie auch ihrer damaligen Leidenschaft als Dressurreiterin nachgegangen und würde erfolgreich von Turnier zu Turnier fahren.
Doch wären Erfolg und Freiheit es wert gewesen, auf ihre Kinder zu verzichten? Sie wusste, all dies hätte sie dauerhaft nicht glücklich gemacht. Sie würde sich wieder für ihr Leben als Mutter entscheiden.
Doch zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nicht, dass der Alltag, wie sie ihn kannte, nicht von Dauer sein würde.
Wie üblich war die Fernbedienung verschwunden. Sie fand sie schließlich unter einem der Kissen, stellte den Fernseher an und verfolgte die Tagesschau.
Nachdem einige Politiker eine kontroverse Debatte bezüglich der rasanten Klimaerwärmung geführt hatten, zeigte ein Bericht Bilder von ermordeten Frauen und Kindern in Südafrika. Die Bewohner ganzer Dörfer waren unergründbaren Gewaltausbrüchen, die sich wellenartig über das gesamte Land verbreiteten, zum Opfer gefallen. Als Ursprung der Exzesse wurde die Umgebung von Johannesburg genannt.
Sophie schüttelte den Kopf. Sie fragte sich, warum in den Nachrichten so selten positive Entwicklungen gezeigt wurden. Seit dem Ende der Apartheid hatte es in Südafrika doch so viele Veränderungen gegeben, über die berichtet werden könnte.
In ihrer Jugend hatte ihre Familie für einige Zeit eine Austauschschülerin aus Südafrika. Sophie erinnerte sich zurück an die unbeschwerten Momente, die sie miteinander verbracht hatten. Sie hatten stundenlange Gespräche über Unterschiede ihrer Herkunftsländer geführt, zusammen gelacht und den Moment genossen, an dem Aileen zum ersten Mal Schnee gesehen hatte.
Als sie etwas älter war, hatte sie durch zahlreiche Aushilfsjob genügend Geld gespart, um die Gelegenheit zu einem Gegenbesuch zu ergreifen. Es war ihre erste große Reise.
Ihr fiel schmunzelnd ein, dass das schwarze Hausmädchen schreckliche Angst vor kleinen, nächtlichen Geistern hatte und ihr Bett erhöht werden musste, damit diese darunter herlaufen konnten, und dass die Arbeiter auf den Weinfeldern sich die Schneidezähne entfernt hatten, nur um besser küssen zu können. Aber auch wie ein alter schwarzer Mann, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, ihr im Bus seinen Platz angeboten hatte.
Daher hatte sie sich mit großem Interesse mit den politischen Gegebenheiten dieses Landes und den Spätfolgen der Apartheid auseinandergesetzt. Sie hatte die ungleiche Behandlung weißer und schwarzer Menschen kennengelernt und war mit ihren langen blonden Haaren stets unfreiwillig in den Mittelpunkt gerückt.
Damals war es ihr wichtig gewesen zu reisen, die Welt zu entdecken und neue Erfahrungen zu machen. Doch auch diesen Teil ihres Lebens hatte sie gern eingetauscht gegen ihre jetzige Rolle als berufstätige Mutter.
Sophie stellte den Fernseher aus, um sich erneut an den PC zu setzen. In den Kinderzimmern war es ruhig geworden und sie wollte noch unbedingt die Akte einer Klientin bearbeiten, die schon lange hätte fertiggestellt werden müssen.