Читать книгу Lese-Paket 1 für den Strand: Romane und Erzählungen zur Unterhaltung: 1000 Seiten Liebe, Schicksal, Humor, Spannung - Sandy Palmer - Страница 21
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ОглавлениеTilla war Sekretärin in einer kleinen Anwaltskanzlei. Da sie in ihrem Zustand nicht arbeiten konnte, sie hätte mehr Schaden als Nutzen angerichtet , rief sie an und bat um eine Woche unbezahlten Urlaub.
Dr. Lenz, ihr Arbeitgeber, wusste von dem Raubüberfall. Dass Tilla mit dem Supermarktleiter befreundet war, war ihm allerdings neu.
„Das tut mir leid für Sie, Frau Deltgen“, sagte er mit seiner nasalen Stimme. „Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist.“
Als kleines Trostpflaster wandelte er den unbezahlten Urlaub in einen bezahlten um.
„Vielen Dank“, sagte die junge Frau.
„Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen“, verlangte ihr Chef.
Tilla bedankte sich wieder und legte auf. Niemand konnte ihr helfen. Sie musste diese Last, die schmerzhaft drückte, allein tragen. Am liebsten hätte sie sich ins Bett gelegt und achtundvierzig Stunden geschlafen.
Aber ihr Geist kam nicht einmal für fünf Minuten zur Ruhe. Eine Vielzahl von Gedanken wirbelte durch ihren Kopf, und immer wieder plagten sie schreckliche Gewissensbisse, weil sie in Erwägung gezogen hatte, sich von Volker zu trennen.
Er rang in der Wiesen-Klinik immer noch mit dem Tod, und sie hatte ihn verlassen wollen. Ihn! Da sie ihn doch so sehr liebte. Es hatte erst zu dieser Katastrophe kommen müssen, damit ihr bewusst wurde, wie sehr sie Volker Ahlert liebte.
Es gab keine Zweifel mehr. Tilla wusste nun ganz genau, dass sie Volker mehr in ihr Herz geschlossen hatte als Elmar Spira. Es war nicht Mitleid, dass sie sich zu Volker mehr hingezogen fühlte.
Es war unverkennbar Liebe!
Ich muss reinen Tisch machen, sagte sich die blonde Frau. Ich muss Elmar die Wahrheit sagen. Er muss erfahren, dass ich Volker liebe. Diese Aufrichtigkeit bin ich ihm schuldig.
Mit schneller klopfendem Herzen sah sie das Telefon an. Ihr war klar, dass sie ihn nicht mit einer kurzen Erklärung am Telefon abspeisen durfte.
Er hatte ein Anrecht auf eine persönliche Aussprache. Das würde Tilla bestimmt nicht leichtfallen, aber sie war pflichtbewusst genug, um sich davor nicht zu drücken.
Er freute sich über ihren Anruf.
„Können wir uns heute sehen?“, fragte Tilla.
„Sehr gern“, antwortete Elmar. „Wann?“
„Jetzt gleich?“, fragte die Sekretärin. Sie wollte die Sache nicht auf die lange Bank schieben.
„Das geht leider nicht“, sagte der Mann bedauernd. „Ich muss noch mal in die Schule, kurze Besprechung mit dem Direktor. Vielleicht hat der Aushilfslehrer Elmar Spira die Chance, fest angestellt zu werden. Wäre nicht schlecht, was?“
„Oja, das wäre schön für dich“, sagte Tilla gedämpft. Sie spielte mit dem Telefonkabel.
„Wie wär’s, wenn du mich von der Schule abholen würdest?“
„In Ordnung. Wann soll ich da sein?“, fragte Tilla.
Elmar nannte die Uhrzeit. „Ich habe eine Überraschung für dich.“
Ich auch, dachte Tilla traurig. Aber meine Überraschung ist wenig erfreulich.
„Dann bis später“, sagte die blonde Frau.
„Sag mal, bedrückt dich irgendetwas?“, wollte Elmar wissen. „Deine Stimme hört sich so fremd an. Hast du was?“
„Ja“, gab Tilla zu. „Aber ich möchte nicht am Telefon darüber reden.“ Damit Elmar nicht in sie dringen konnte, legte sie schnell auf.
Zur vereinbarten Zeit wartete sie dann vor dem Schulgebäude auf den Lehrer. Er kam strahlend aus dem Haus. Der Wind zerzauste sein schwarzes Haar.
„Heute ist ein Glückstag für mich!“, rief er schon von weitem. „Ich könnte vor Freude die ganze Welt umarmen.“
Deine Freude wird nicht lange vorhalten, dachte Tilla niedergeschlagen. Denn ich bin hier, um sie beträchtlich zu trüben.
„Der Aushilfslehrer ist gestorben“, sagte Elmar. Er war so übermütig, dass ihm nicht auffiel, wie traurig Tilla war, und das Wort „gestorben“ hörte sie überhaupt nicht gern, denn sie brachte es, ohne es zu wollen, sogleich mit Volker Ahlert in Zusammenhang, und ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.
„Ab kommendem Monat gehöre ich dem Lehrerkader dieser Schule an“, sagte Elmar glücklich.
„Ich gratuliere“, sagte Tilla.
„He, ein bisschen mehr darfst du dich schon freuen“, meinte der Mann lachend. „Und du darfst deine Gratulation auch mit einem Kuss besiegeln.“
Tilla küsste ihn ohne jedes Gefühl, doch auch das fiel Elmar Spira nicht auf. Er hielt sich nach wie vor für einen beneidenswerten Glückspilz.
„Und nun zu meiner Überraschung“, sagte er und schob seine Hand unter Tillas Arm. Er führte die Frau zum Parkplatz und blieb vor einem silbergrauen Audi Quattro stehen. „Wie gefällt er dir?“, wollte er wissen.
„Ein schönes Auto“, sagte Tilla. „Aber nicht billig.“
„Seit ich ihn zum ersten mal sah, träumte ich davon, ihn zu besitzen“, gestand Elmar. „Aber für die schmale Brieftasche eines Aushilfslehrers war er unerschwinglich.“
„Daran wird sich wohl auch weiter nichts ändern“, sagte Tilla. „Du wirst als angestellter Lehrer nicht das Gehalt eines Bankdirektors beziehen.“ Sie sah sich nach Elmars altem VW Käfer um, konnte ihn aber nicht entdecken. „Wo ist dein Wagen?“
„Du stehst davor“, sagte Elmar.
„Du machst Witze“, entschlüpfte es der Frau.
„Ganz und gar nicht. Seit heute Vormittag gehört dieser tolle Wagen mir“, gestand der Lehrer strahlend.
Tilla sah ihn entgeistert an. „Du musst den Verstand verloren haben.“
Elmar lachte herzlich. „Aber wieso denn?“
„Heute Vormittag warst du noch Aushilfslehrer. Vielleicht hast du geahnt, dass man dich anstellen wird. Vielleicht hast du es sogar gewusst. Aber das war kein Grund, sich Hals über Kopf in so hohe Schulden zu stürzen.“
„Ich habe meine Ersparnisse zusammengekratzt und eine ansehnliche Anzahlung geleistet.“
„Und nun wirst du für den Rest deines Lebens Raten zahlen?“
Elmar lachte. „Du übertreibst. Ich werde überhaupt keine Raten zahlen.“
„Dann wird man dir deinen silbernen Traum wieder wegnehmen. Vielleicht ist das nicht einmal so schlecht. Damit bringt man dich wenigstens zur Vernunft. Wie kann man nur so schrecklich unverantwortlich sein, Elmar? Du bist Lehrer. Du solltest für deine Schüler ein untadeliges Vorbild sein.“
„Das bin ich“, behauptete Elmar Spira. „Deshalb werde ich dieses Auto auch demnächst bezahlen.“
„Und womit, wenn ich fragen darf?“
„Du darfst. Natürlich darfst du. Ich habe keine Geheimnisse vor dir“, sagte der attraktive Mann.
„Hast du im Lotto gewonnen?“
„Nein“, entgegnete Elmar schmunzelnd. „Aber beinahe. Ich habe dir doch von der in Aussicht stehenden Erbschaft erzählt. Der Glücksfall ist eingetreten. Ein sehr entfernter Verwandter hat mir ein stattliches Sümmchen vermacht. Ich war inzwischen beim Notar. Es wird ein paar Tage dauern, bis ich über das Geld verfügen kann. Du siehst, ich habe dieses Auto nicht unüberlegt gekauft. Darf ich dich nun zu einer kleinen Probefahrt einladen? Ich möchte, dass du die erste Frau bist, die in diesem Wagen neben mir sitzt.“
Himmel, ich bin nicht hier, um mit ihm spazierenzufahren, dachte Tilla unruhig. Ich habe ihm etwas sehr Wichtiges zu sagen.
Aber sie konnte damit nicht einfach herausplatzen. Der Abschied hätte einer gewissen Vorbereitung bedurft. Doch die Ereignisse überrollten sie und ließen sie nicht auf den eigentlichen Grund ihres Hierseins kommen.
Na schön, ich mache die Probefahrt mit ihm, überlegte die Sekretärin. Aber danach muss ich unbedingt mit ihm reden.
Mit wichtiger Miene holte Elmar die Fahrzeugschlüssel aus der Hosentasche und ließ sie um den Zeigefinger kreisen.
„Du wirst begeistert sein“, versprach er und öffnete die Tür der Beifahrerseite. „Wenn Gräfin die Güte hätten, einsteigen zu wollen“, sagte Elmar und verneigte sich tief.
„Du bist ein Clown“, bemerkte Tilla.
„Ich hab’s gern, wenn du lachst“, sagte der Lehrer. „Wenn du lächelst, geht in meinem Herzen die Sonne auf.“
Der Druck auf Tillas Herz verstärkte sich unwillkürlich. Meine Güte, wie soll ich es ihm nur beibringen?, fragte sie sich. Ich möchte es so schonend wie möglich tun. Ich will ihm nicht weh tun.
Sie stieg ein, und Elmar schloss die Tür. Während sie den Gurt anlegte, eilte der Mann um das Fahrzeug herum. Augenblicke später saß er neben ihr und schloss genießend und besitzergreifend die Hände um das Lenkrad.
„Nach und nach werden all meine Träume in Erfüllung gehen“, sagte er.
Einer nicht, schränkte Tilla in Gedanken ein.
Elmar Spira startete den Motor. „Hör dir das an. Ist das nicht ein faszinierendes Geräusch? Man kann förmlich die Kraft hören, die dahintersteckt.“
Schnelle, starke Autos beeindruckten Tilla nicht. Für sie war ein Wagen lediglich ein Transportmittel, das jemanden rasch und bequem zum Ziel brachte.
Elmar fuhr los. Während der Fahrt erklärte er ihr die Funktionen der Knöpfe und Hebel am Armaturenbrett.
„Kaum ein anderes Fahrzeug hat mit einem solchen Finish aufzuwarten“, behauptete er. „Tja, das ist eben deutsche Qualitätsarbeit. Da kommen die Franzosen, Italiener oder Japaner nicht mit.“
Es gab Augenblicke, da hörte ihm Tilla überhaupt nicht zu. Der neue Wagen war zwar bestechend schön, aber sie hatte etwas auf dem Herzen, das sie endlich loswerden musste.
Doch Elmar bot ihr nicht die Gelegenheit, das Gespräch in die entsprechende Bahn zu lenken. Er redete ununterbrochen von sich, von seiner beruflichen Karriere, von der Erbschaft und natürlich von seinem Wagen.
Er war so heiter und überschwänglich, dass Tilla nirgendwo einhaken konnte, ohne dass es für ihn schmerzlich gewesen wäre.
Es wird noch soweit kommen, dass er mich zu Hause absetzt, und ich hatte keine Möglichkeit, ihm zu sagen, weshalb ich ihn treffen wollte, dachte sie.
Sie merkte kaum, wo Elmar lang fuhr, so sehr war sie mit ihren Gedanken beschäftigt.
Elmar fuhr kreuz und quer durch Bergesfelden, und irgendwann hielt er den Audi an. Als Tilla die Handbremse einrasten hörte, kam sie zu sich und stellte fest, dass es angefangen hatte zu dämmern.
Vor ihnen glänzte die silberne Fläche des Mondsees, und die Lichter der Uferpromenade blinkten zu ihnen herüber. Es gab wohl rings um den See kein einsameres, stilleres und idyllischeres Plätzchen als dieses.
Unwillkürlich fielen Tilla die „Lippenbekenntnisse“ ein.
Er wird das doch hoffentlich nicht noch mal versuchen!, dachte sie nervös.
Elmar Spira wandte sich ihr zu. Seine dunklen Augen glänzten. Er schien ihre Gedanken zu erraten, denn er sagte lächelnd: „Du brauchst keine Angst zu haben, Tilla. Ich habe dir mein Wort gegeben, und das pflege ich zu halten.“
Leise Musik kam aus den Stereolautsprechern. Sie passte zu Elmars Stimmung, aber nicht zu der von Tilla.
Das Signal einer Verkehrsdurchsage war aber dann so störend laut, dass Elmar das Radio abdrehte. Die Stille war angenehm. Tilla hoffte, nun endlich, endlich loswerden zu können, was sie so sehr bedrückte.
„Tilla, ich ..begann der Mann, während er verlegen mit den Knöpfen am Armaturenbrett spielte. „Wir kennen einander nun schon eine Weile, und ich bin immer wieder gern mit dir zusammen. Was ich sagen möchte, ist...“ Er lachte. „Ich benehme mich wie ein verliebter Primaner ... Krampfhaft suche ich nach Worten, und das Herz schlägt hoch oben in meinem Hals. Ich glaube, ich war noch nie so aufgeregt wie jetzt, weil nämlich sehr viel von deiner Antwort abhängt. Was ich neulich im Kino getan habe, tut mir leid, und ich bin sehr froh, dass du es mir nicht nachträgst. Ich sagte dir, dass ich dich liebe, und ich wiederholte es am Telefon, und ich möchte es dir heute wieder gestehen. Ja, ich liebe dich, Tilla Deltgen, liebe dich so sehr, wie ich es mir früher nicht vorstellen konnte. Es gibt nichts, absolut nichts, was ich nicht für dich tun würde, du hast mir den Kopf so sehr verdreht, dass er sich nie mehr geraderichten lässt, aber das macht mir nichts aus. Du kannst mit mir anstellen, was du willst. Nie werde ich dir böse sein.“
Auch das noch, dachte Tilla verzweifelt. Nun macht er es mir mit diesem Liebesgeständnis noch schwerer. Mein Gott, Elmar, kannst du nicht den Mund halten?
„Ich habe jetzt eine gute Stellung, ein schönes Auto, keine Schulden und bald ein beruhigendes Bankkonto“, fuhr Elmar Spira fort. „Kurzum, ich wäre . . . Also ich meine, ich wäre keine so schlechte Partie.“ Lächelnd fuhr er sich mit der Hand über die glänzende Stirn. „Puh ... Ist gar nicht mal so einfach, einen Heiratsantrag zu machen.“
Einen Heiratsantrag!, dachte Tilla bestürzt. Um Himmels willen, es ist nicht bloß ein Liebesgeständnis! Es ist mehr! Elmar will mich heiraten!
Er sah sie feierlich an, um dem Augenblick den würdigen Rahmen zu verleihen.
„Tilla, ich bitte dich höflich und in aller Form um deine Hand“, sagte er leise.
Die junge Frau wäre am liebsten aus dem Wagen gesprungen und fortgelaufen. Aber sie durfte nicht fliehen, durfte sich nicht vor der Verantwortung drücken.
Ich bin schuld daran, dass es soweit kommen konnte, dachte sie aufgewühlt. Ich habe Elmar erkennen lassen, dass ich ihn mag. Bis vor kurzem wäre ich sogar bereit gewesen, mich für ihn zu entscheiden, doch nun ist das nicht mehr möglich. Heute weiß ich, zu wem ich gehöre. Wenn die Ärzte ihn mir am Leben erhalten, möchte ich Volkers Frau werden.
Elmar lachte gekünstelt. „Jetzt bist du platt, was? Damit hast du nicht gerechnet. Ehrlich gesagt, ich bin selbst ein wenig über meine Courage überrascht. Vermutlich wagte ich deshalb auszusprechen, was ich dir schon lange sagen wollte, weil heute mein Glückstag ist.“
„Elmar ...“, begann Tilla schleppend. „Dein Antrag macht mir wirklich große Freude, weil er mir beweist, wie sehr du mich liebst. Es ist schön, geliebt zu werden, und dein Entschluss, mich zur Frau nehmen zu wollen, ehrt dich, aber...“
„Du fühlst dich von mir überrumpelt?“
„Ja, das auch“, antwortete Tilla hilflos.
„Wir müssen nichts überstürzen“, entgegnete Elmar Spira. „Es war mir nur wichtig, dir zu sagen, wie ich zu dir stehe. Ich möchte mein Leben mit dir verbringen, Tilla, möchte Kinder mit dir haben und mit dir alt werden. Ich stelle mir das alles so wundervoll vor. Mit dir eine Familie zu gründen ... Du bist so sauber, so ehrlich, so schön ...“
Bin ich das wirklich?, fragte sich Tilla verzweifelt. Sie fühlte sich in die Enge getrieben. Bin ich sauber und ehrlich?, überlegte sie. Du weißt nichts von Volker Ahlert, und er hat keine Ahnung von dir. War ich jemals sauber und ehrlich zu euch? Habe ich euch nicht eher hintergangen?“
Mittlerweile war es dunkel geworden, und die junge Frau empfand die Finsternis als gnädig, denn nun konnte Elmar nicht mehr die Verzweiflung und Ratlosigkeit in ihrem Gesicht sehen.
„Sauber und ehrlich“, flüsterte sie.
„Rein wie ein Engel“, sagte Elmar. „So sollen auch unsere Kinder sein. Wir werden die schönsten Kinder weit und breit haben.“
„Bitte, Elmar, sei still“, bat Tilla, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Ich weiß, dass wir zusammen gehören, Tilla.“
„Bitte, Elmar ...“
„Vom ersten Tag an wusste ich es“, sagte der Lehrer leidenschaftlich. „Oh, Tilla, wenn du meine Frau wirst, werden wir das glücklichste Ehepaar von der Welt sein.“
„So höre doch endlich auf damit, Elmar“, rief Tilla gequält. Sie konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten, weinte.
Er erschrak. „Tilla! Was hast du? Habe ich etwas Falsches gesagt? Warum weinst du?“
„Ich kann nicht deine Frau werden, Elmar.“
Ihre Worte machten ihn konfus. „Aber ... wieso denn nicht?“, fragte er spröde.
„Weil... weil... Ich liebe dich nicht.“
„Das ist nicht wahr. Ich weiß, dass du mich liebst. So etwas fühlt man doch.“
„Aber ich liebe dich nicht genug“, sagte Tilla.
„Deine Liebe wird wachsen.“
„Nein!“, erklärte die Sekretärin heftig. „Verstehst du denn nicht? Ist es denn so schwer zu begreifen?“
„Was?“, fragte Elmar Spira heiser. „Was denn?“
„Ich bin nicht so sauber und ehrlich, wie du denkst“, sagte Tilla mit tränenerstickter Stimme.
„Ich kenne dich gut genug, um zu wissen ...“
„Ich war nicht immer aufrichtig zu dir, Elmar!“, fiel ihm Tilla ins Wort. „Oh, Elmar, ich wollte, ich könnte uns beiden diese schreckliche Situation ersparen, aber es geht nicht. Ich muss endlich klare Verhältnisse schaffen.“
„Ich verstehe dich immer weniger“, sagte der junge Lehrer nun schon völlig verwirrt.
„Jeder Mensch hat Freunde“, holte Tilla weit aus. „Sehr gute, gute, weniger gute. Ich schätzte mich glücklich, dass ich sogar zwei sehr, sehr gute Freunde hatte, doch nun stellt sich heraus, dass das kein Glück war.“
„Zwei Freunde?“
„Ja“, sagte Tilla mit belegter Stimme. „Dich und ... Volker Ahlert. Du kennst ihn nicht. Ich ... ich mochte ihn genauso gern wie dich. Mir war von Anfang an klar, dass ich mich irgendwann für einen von euch beiden entscheiden müsse, aber ich hatte es damit nicht eilig. Vielleicht hoffte ich, dass ihr die Entscheidung herbeiführen würdet. Du hättest einer anderen Frau begegnen können. Oder Volker...“
„Du... bist mit ihm ... ausgegangen und mit mir?“, fragte Elmar Spira heiser.
„Ja. Ich lernte ihn eine Woche vor dir kennen. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, mich mal mit ihm und mal mit dir zu treffen, aber später sagte ich mir dann, dass dies kein Dauerzustand sein könne.“
„Durfte er sich mehr herausnehmen als ich?“, fragte Elmar schwer angeschlagen.
„Wofür hältst du mich?“, fragte Tilla empört zurück. „Natürlich nicht. Für ihn galten die gleichen Gesetze wie für dich.“
„Es muss sehr abwechslungsreich für dich gewesen sein“, sagte Elmar bitter. „Und sehr amüsant.“
„Bitte sei jetzt nicht sarkastisch“, entgegnete Tilla. „Lass uns vernünftig und sachlich miteinander reden.“
„Tilla, ich bin nicht in der Lage, mit dir hier ein völlig nüchternes, emotionsloses Gespräch zu führen. Ich habe mit der schwersten Enttäuschung meines Lebens zu kämpfen. Ich laufe Gefahr, meine Liebe zu verlieren. Um mich herum dreht sich alles. Ich bin ratlos. Ich weiß nur eines : dass ich dich nicht verlieren will! Du hast dich also heimlich mit diesem Volker Ahlert getroffen.“
„Nicht heimlich.“
„Hinter meinem Rücken“, sagte Elmar.
„Ohne dein Wissen, das trifft es besser“, korrigierte ihn Tilla.
„Er durfte dir nicht nähertreten als ich. Somit kann ich davon ausgehen, dass zwischen euch nichts gewesen ist.“
„Ich habe nie mit ihm geschlafen“, sagte Tilla, um das völlig klarzustellen.
„Folglich habe ich keinen Grund, mich betrogen zu fühlen“, sagte Elmar.
„Darum geht es auch gar nicht.“
„Mir schon“, widersprach Elmar. „Wenn du Volker Ahlert den Laufpass gibst, steht unserer Ehe nichts weiter im Wege.“
„Das kann ich nicht“, entgegnete die Sekretärin.
„Ich wäre damit einverstanden, dass du ihn als guten Freund behältst“, meinte Elmar konzessionsbereit. „Ich hoffe, ihn bald kennenzulernen. Vielleicht freunde ich mich auch mit ihm an.“
„Elmar, der Grund, weshalb ich mich heute mit dir treffen wollte, ist...“
Sie brach ab und blickte auf das glitzernde Wasser des Mondsees hinaus. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Kehle. Ach, es war so schwierig, Klarheit zu schaffen.
„Ich fürchte, ich verstehe“, sagte Elmar. „Volker Ahlert und ich haben einen Wettlauf ausgetragen, ohne dass wir es wussten, und mein Rivale kam als erster ins Ziel.“
Tilla senkte traurig den Blick. „Ja, wenn du es so ausdrücken willst.“
„Der Verlierer heißt demnach Elmar Spira“, sagte der junge Lehrer düster. „Warum durften wir nichts voneinander wissen?“
„Es hat sich so ergeben“, antwortete sie.
„Wir hätten uns völlig anders verhalten, wenn wir gewusst hätten, was für uns auf dem Spiel steht.“
„Vielleicht wollte ich gerade das vermeiden“, sagte Tilla ernst. „Würdest du ... mich jetzt bitte nach Hause bringen?“
„Liebst du ihn?“, fragte Elmar.
„Ja“, sagte Tilla ehrlich.
„Seit wann weißt du es?“, wollte er wissen.
„Seit heute“, antwortete die blonde Frau.
„Womit hat er mich ausgestochen?“, wollte Elmar Spira wissen.
„Er ringt mit dem Tod ... Vielleicht wird er sterben ...“
„Ach, dieser Volker Ahlert ist das“, sagte Elmar begreifend. „Der Leiter des Supermarkts ... Ein Gangster hat ihn niedergeschossen... Mir kam der Name gleich irgendwie bekannt vor, aber ich wäre nicht darauf gekommen, dass du mit ihm befreundet bist.“
„Als ich erfuhr, dass man auf ihn geschossen hat und dass er in Lebensgefahr schwebt, wurde mir bewusst, dass ich ihn mehr liebe als irgend jemand anderen“, erklärte Tilla Deltgen.
„Kann es nicht sein, dass du Mitleid mit Liebe verwechselst?“
„Diese Frage habe ich mir auch gestellt“, antwortete Tilla und schüttelte den Kopf. „Nein, ich irre mich nicht. Es ist Liebe.“
Elmar zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch gegen die Frontscheibe.
„Ich habe mir unsere gemeinsame Zukunft so wunderbar vorgestellt“, sagte er.
„Es ... es tut mir leid, Elmar.“
Er sah sie an. „Habe ich dich wirklich verloren, Tilla?“
„Nicht als Freund, wenn dir das genügt.“
Er lachte gallig. „Und ich dachte, heute wäre mein absoluter Glückstag.“
„Bringst du mich jetzt nach Hause?“, fragte sie leise.
„Es wird mir nicht leichtfallen, Volker Ahlert zu mögen“, gestand Elmar Spira. „Für mich ist noch nichts entschieden. Ich werde weiter hoffen.“
„Das hat keinen Zweck, Elmar“, sagte Tilla. „Ich habe mich entschieden, und meine Entscheidung ist unumstößlich.“
„Nichts kann mich daran hindern, zu hoffen, dass sich für mich doch noch alles zum Guten wendet, Tilla“, sagte Elmar Spira so grimmig, dass es der Frau unwillkürlich kalt über den Rücken lief.