Читать книгу Der Riesen Arztroman Koffer Februar 2022: Arztroman Sammelband 12 Romane - Sandy Palmer - Страница 73
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ОглавлениеAm Morgen des nächsten Tages sahen sich Dr. Martin von Waldheim und Dr. Susanne Andergast erst bei der Visite, die auch der junge Oberarzt mitmachte. So war es den beiden Liebenden nicht möglich, ein privates Wort miteinander zu wechseln.
Schwester Maria, die unter dem Arm eine Mappe mit den verschiedenen Krankenblättern trug, ging dem kleinen Zug voraus in jedes der Krankenzimmer.
„Frau Zanden ist in dieser Nacht erst eingeliefert worden“, berichtete der Oberarzt, bevor sie in das Krankenzimmer Nr. 9 auf der inneren Station traten. „Der Hausarzt hatte eine schwere Gallenkolik festgestellt. Ich habe der Patientin sofort schmerzstillende Mittel gegeben. Ich glaube, dass wir um eine Operation nicht herumkommen.“
„Dann hätten Sie Frau Zanden direkt auf die Chirurgische verlegen sollen“, meinte Martin von Waldheim. „Hier ist sie ja dann falsch.“
„So einfach ist die Sache nicht, Herr Chefarzt“, mischte sich Schwester Maria ein, noch ehe der Oberarzt etwas antworten konnte. „Wenn Sie die Frau gleich selbst sprechen, werden Sie es schon merken.“
Sie zwinkerte Dr. Radloff nach diesen Worten munter zu, denn auch sie hatte heute früh schon einen Vorgeschmack von der Freundlichkeit dieser Patientin bekommen.
Der Leiter der Klinik sah seine Mitarbeiter fragend an und zuckte mit den Schultern. Er nahm sich vor, Frau Zanden näher anzusehen.
Nachdem er kurz angeklopft hatte, betrat er, gefolgt von seinem Stab, das freundlich eingerichtete Zweibettzimmer.
Im ersten Bett, gleich an der Tür, lag Frau Gründerberg, die wegen eines leichten Herzfehlers behandelt wurde. Sie war eine sehr nette, angenehme Patientin, die den Schwestern die Arbeit nicht unnötig erschwerte.
Im anderen Bett, direkt am Fenster, lag eine Frau mittleren Alters, die neue Patientin.
„Guten Tag, Frau Zanden“, begrüßte sie der Chefarzt freundlich und näherte sich dem Bett. „Ich bin Dr. Waldheim, der Leiter dieses Hauses.“
„Es wird auch Zeit, dass Sie kommen“, antwortete Frau Zanden. „Schließlich bezahle ich hier ein kleines Vermögen jeden Tag. Da kann man wohl erwarten, dass sich der Chef persönlich um einen kümmert und die Arbeit nicht seinen Angestellten überlässt.“
„Davon kann nicht die Rede sein“, meinte Martin von Waldheim höflich. obwohl er dieser arroganten Dame am liebsten eine andere Antwort gegeben hätte. Dachte sie vielleicht, sie sei die einzige Kranke, die dieses Haus beherberge?
„Also, was wollen Sie unternehmen, um mich endlich von diesen Schmerzen zu befreien?“, begehrte Frau Zanden auf und sah den Chefarzt herausfordernd an.
„Zunächst einmal müssen Sie sich ein paar Untersuchungen unterziehen“, erwiderte Martin ruhig. „Erst dann, wenn diese Ergebnisse ausgewertet worden sind, kann ich Ihnen mehr sagen.“
„Unsinn! Zeit wollen Sie schinden! Jeder Tag ist für Sie doch nur ein Geschäft! Aber mit mir nicht! Mit mir macht man nicht was man will.“
„Das hat auch niemand hier vor, Frau Zanden. Ich darf vielleicht in aller Bescheidenheit betonen, dass ich es nicht nötig habe, auf Patientenfang zu gehen. Mein Haus ist stets gut belegt, und es gibt viele Kranke, die warten tagelang darauf, dass ein Bett frei wird.“
Gut geantwortet, Martin, dachte Dr. Susanne Andergast. Vielleicht wird diese Frau jetzt ein wenig umgänglicher.
Tatsächlich hörte Frau Zanden mit ihrer Nörgelei auf. Sie ließ sich von Martin kurz untersuchen. Sie sprach auch nicht dazwischen, als der Chefarzt sich leise mit seinem Oberarzt und Dr. Andergast beriet, was weiterhin mit der Patientin zu geschehen habe.
Erst als Dr. Radloff halblaut bemerkte: „Meiner Meinung nach werden wir um eine Operation nicht herumkommen“, empörte sich Frau Zanden.
„Dazu gebe ich nie im Leben meine Einwilligung! Ich lasse mir nicht den Bauch aufschneiden! Dazu bin ich nicht hergekommen! Wenn Sie nicht fähig sind, mir auf andere Art zu helfen, dann will ich sofort wieder hier raus!“
Nicht überraschend, dass diese Giftspritze es an der Galle hat, dachte Susanne Andergast, während sie die keifende Patientin beobachtete und gespannt auf die Reaktion Martin von Waldheims wartete.
Der Chef blieb nach wie vor ruhig und freundlich, als er erwiderte: „Wenn wir Ihnen wirklich und wirksam helfen sollen, Frau Zanden, dann werden Sie sich schon nach unseren Anordnungen richten müssen. Glauben Sie mir, hier meint man es nur gut mit Ihnen. Falls Sie sich jedoch gegen meine Anweisungen sperren, muss ich Sie leider bitten, sich in eine andere Klinik verlegen zu lassen.“
Die renitente Patientin war im ersten Augenblick so verwirrt, weil es jemand wagte, ihr energisch die Meinung zu sagen, dass sie keine Widerrede mehr wagte.
„Warten wir es ab“, lächelte Martin von Waldheim versöhnlich, dann nickte er der Patientin zu und verließ mit seinem Stab das Krankenzimmer.
Als er draußen auf dem Flur war. wandte er sich lächelnd an seine Mitarbeiter und meinte: „Soweit kommt es noch, dass wir uns von den Patienten Vorschriften machen lassen. Wenn sich Frau Zanden weiterhin gegen ärztliche Anordnungen zur Wehr setzen sollte, muss sie die Konsequenzen aus ihrem Verhalten ziehen.“
Im nächsten Zimmer lagen zwei Frauen, die am Vortag operiert worden waren.
Die eine, die im ersten Bett lag, hatte eine Magenoperation mitgemacht, die andere ein Zwölffingerdarmgeschwür entfernt bekommen. Beiden ging es den Umständen entsprechend gut. Die Ärzte waren zufrieden mit den Ergebnissen, die auf den Krankenkarteien eingetragen waren.
Erst am Ende der Visite kam Dr. von Waldheim dazu, privat mit Susanne Andergast zu sprechen.
Der Oberarzt und die Schwester hatten sich schon entfernt.
Leise fragte Martin von Waldheim: „Wenn du gleich Zeit hast, kommst du dann in mein Büro?“
Susanne blickte ihn forschend an: „Ist etwas passiert?“
„Nein, nein. Ich will dich nur ein paar Minuten für mich haben.“
Flüchtig, doch sehr zärtlich, drückte Martin von Waldheim die schmale Hand der Ärztin, dann gingen sie in verschiedenen Richtungen auseinander.
Sie hatten sich vorgenommen, darauf zu achten, dass in der Klinik niemand von ihrer privaten Beziehung zueinander erfuhr. Sie wollten Klatsch, Tratsch und Gerüchte vermeiden, deshalb achteten sie darauf, nie allzu lange beieinander zu sein und sich außerdienstlich zu unterhalten.
Nachdem Dr. Susanne Andergast ihre Station verlassen hatte, begab sie sich hinunter in den ersten Stock, wo sich das Büro des Klinikchefs befand.
Sie klopfte kurz an die palisandergetäfelte Tür, und schon ertönte von innen die Stimme Martin von Waldheims „Herein, bitte.“
Susanne, die eine Akte unter dem Arm trug, betrat das elegant eingerichtete Büro. Dicker, flauschiger beigefarbener Teppichboden lag auf dem Boden, darauf noch einige wertvolle Perserbrücken.
Martin von Waldheim saß hinter seinem großen Schreibtisch, der ebenfalls aus Palisanderholz war.
„Da bist du ja endlich, mein Schatz“, begrüßte er Susanne. Er stand auf und ging auf sie zu.
Als er sie in seine Arme nehmen wollte, bemerkte er die Akte, die Susanne unter dem Arm trug.
„Gibt es noch etwas Dienstliches zu besprechen?“, erkundigte er sich.
„Nein. nein“, lachte die junge Frau. Ihre Augen strahlten den geliebten Mann an. „Das ist mein Alibi, falls jemand unverhofft hereinkommt.“
„Mein übervorsichtiger Liebling!“
Martin von Waldheim küsste Susanne erst auf die Augen, dann auf die Lippen, die sie ihm willig bot.
„Du weißt doch, dass niemand überraschend mein Büro betrifft“, sagte er, nachdem er sie wieder freigegeben hatte.
„Du kannst es nicht wissen“, meinte Susanne. „Besser ist besser.“
„Du hast ja recht“, stimmte ihr Martin von Waldheim zu. „Aber jetzt leg die Akte endlich beiseite. Ich will dich wenigstens heute für ein paar Minuten für mich allein haben.“
Susanne dachte ebenfalls daran, dass sie morgen allein in den Schwarzwald zum Ärztekongress fahren würde. Traurigkeit beschlich sie, denn sie hatte sich sehr auf die gemeinsamen Tage mit Martin gefreut.
Heimlich hatte sie gehofft, dass sie während dieser Zeit auch eine Gelegenheit finden würde, Martin von ihrem süßen Geheimnis zu unterrichten.
Wie würde er die Nachricht wohl aufnehmen, dass sie ein Kind erwartete? Wie darauf reagieren, dass er Vater wurde?
Würde er sich dann endlich von seiner ungeliebten Frau trennen? Oder musste sie das Kind ihrer Liebe allein aufziehen, allein alle Verantwortung für das kleine Wesen tragen?
„Worüber denkst du nach, Liebes?“, fragte Martin von Waldheim lächelnd. „Du siehst so nachdenklich aus.“
„Es ist nichts“, meinte Susanne. „Mach dir keine Gedanken.“
Martin von Waldheim führte sie zu der ledernen Sitzgruppe.
Dort saßen sie sich dann gegenüber, sahen sich in die Augen und fühlten sich auch ohne Worte innig miteinander verbunden.
„Morgen fährst du also“, begann Martin endlich die Unterhaltung. „Ach, Liebling, wie gern würde ich mit dir fahren.“
„Ich glaube es dir.“ Susanne beugte sich vor und strich ihm zärtlich über den Arm. „Aber was nicht geht, geht eben nicht. Sei nicht allzu traurig.“
„Bist du es denn nicht auch?“, fragte Martin und sah der geliebten Frau in die Augen.
Er ängstigte sich. Liebte Susanne ihn nicht mehr? Machte es ihr nicht mehr viel aus, ohne ihn fahren zu müssen? War sie das Warten auf ihn leid? Hatte er sie zu lange im Ungewissen gelassen?
Jetzt, da er Angst hatte, die geliebte Frau zu verlieren, nahm sich Martin von Waldheim fest vor, bald mit Elvira zu sprechen.
Ihr Eheleben war doch keines mehr. Von Liebe war schon seit Jahren nicht mehr die Rede. Auch die Zuneigung hatte sich durch Elviras ewige Zankereien mit der Zeit abgenutzt. Was Martin für seine Frau empfand, war Gleichgültigkeit und etwas Mitleid, weil er als empfindsamer Mensch und Arzt spürte, dass sie selbst mit ihrem unausgefüllten Dasein unzufrieden war.
„Ich wollte dir noch einmal versichern, wie gern ich dich habe, Susanne“, erklärte Martin aus diesen Gedanken heraus. „Du bist die einzige Frau, die ich liebe. Das musst du mir glauben!“
„Aber das weiß ich doch auch, Martin“, versicherte Susanne Andergast ein wenig verwundert. „Nie habe ich daran gezweifelt, dass deine Gefühle für mich aufrichtig und ehrlich sind.“
Dr. von Waldheim seufzte heimlich auf. Er fühlte sich regelrecht erleichtert.
„Dann bin ich beruhigt, Liebes“, freute er sich.
„Ich hatte schon Angst, du wärest es leid, auf mich zu warten.“
Bei diesen Worten sah er Susanne erwartungsvoll an. Er hoffte, die junge Ärztin würde ihm widersprechen.
Doch Susanne schwieg.
Deshalb fuhr Martin von Waldheim nach einem tiefen Atemzug fort: „Ich habe mir vorgenommen, an diesem Wochenende mit Elvira zu reden. Sie muss einer Scheidung zustimmen! Und ich bin sicher, sie wird einsehen, dass es so nicht weitergehen kann mit uns. Von Gemeinsamkeit kann keine Rede mehr sein. Wir sind uns fremd geworden in den letzten Jahren.“
Susanne Andergast schwieg noch immer. Was sollte sie auch zu diesen Worten sagen? Sie wusste, dass Martins Ehe zerstört war. Schon seit Jahren. Wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte sie ihm nie ihre Gefühle offenbart, wäre es nie zu einer Beziehung zwischen ihnen gekommen.
„Du sagst ja gar nichts?“, fragte Martin von Waldheim enttäuscht.
Susanne lächelte ein wenig. Es war ein etwas trauriges, nachsichtiges Lächeln. Dann strich sie sich mit einer anmutigen Bewegung, die typisch für sie war, eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht und meinte: „Was soll ich denn dazu sagen. Martin? Du weißt, dass ich dich sehr liebe und gern mit dir für immer zusammen wäre. Du weißt aber auch, dass ich dich nie zu etwas drängen oder zwingen würde.“
„Sicher weiß ich das“, nickte der Mann. „Aber es ist mein freier Entschluss, mich von Elvira zu trennen. Im Grunde hast du damit nicht einmal etwas zu tun. Ich könnte mit meiner Frau auch nicht mehr zusammenleben, wenn es dich nicht in meinem Leben gäbe.“
„Und du glaubst, sie wird zustimmen?“, wollte Susanne wissen. Obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte, klang ihre Frage sehr skeptisch.
So, wie die junge Ärztin Martin von Waldheims Frau bisher kennengelernt hatte, würde Gräfin Elvira nie im Leben etwas hergeben, auf das sie einen Besitzanspruch zu haben glaubte.
Hatte sich Martin nicht in die Hand seiner Frau gegeben, als er von ihrem Geld diese hervorragend eingerichtete Klinik baute?
Susanne konnte ihre Bedenken nicht für sich behalten. Sie teilte sie Martin von Waldheim mit.
Der Arzt winkte jedoch ab. „Deswegen mach dir keine Sorgen. Die Klinik hat in den letzten Jahren so viel abgeworfen, dass ich Elvira alles Geld, das sie mir damals gegeben hat, zurückzahlen kann.“
Er lächelte und haschte nach Susannes Hand, die sie ihm überließ.
„Wir wollen heute aber nicht mehr von diesen Dingen reden“, wechselte der Mann das Thema. „Ich möchte dich damit nicht belasten, Liebling. Das ist eine Sache, die ich ganz allein durchstehen und mit Elvira ausfechten muss.“
„Du hast recht“, nickte Susanne. „Den letzten Abend vor meiner Reise wollen wir nicht mit dem Wälzen von Problemen zerstören. Trotzdem können wir uns hier nicht ungezwungen unterhalten. Kannst du nicht gleich noch für eine Weile zu mir kommen? Ich bin heute dienstfrei und kann jetzt nach Hause fahren.“
„Einverstanden. Bei dir ist es wesentlich gemütlicher als hier im Büro. Dann bis nachher, mein Schatz. Ich bin, wenn mir nichts mehr dazwischen kommt, in einer halben Stunde bei dir.“
Zum Abschied gab er Susanne noch einen innigen Kuss, dann verließ die junge Ärztin das Büro des Klinikchefs.
Im Ärztezimmer der chirurgischen Station wechselte sie den weißen Ärztemantel gegen eine schicke Wildlederjacke aus, und fünf Minuten später bestieg sie auf dem Parkplatz, der hinter dem Klinikgebäude angelegt war, ihren kleinen zitronengelben Wagen.
In wenigen Minuten hatte Susanne Andergast ihr Zuhause erreicht. Sie bewohnte ein kleines, aber sehr geschmackvoll eingerichtetes Apartment in einem Hochhaus.
Eifrig bereitete sie alles für Martins Besuch vor. Sie wollte die kurze Zeit, die sie mit dem geliebten Mann zusammen sein konnte, so gemütlich und harmonisch wie nur möglich gestalten.
In ihrer kleinen Küche bereitete sie einen delikaten Toast vor, von dem sie wusste, dass Martin von Waldheim ihn besonders gern aß.
Eine gute Flasche Wein wurde bereitgestellt.
Dann räumte die junge Ärztin das Wohnzimmer auf.
Als dies getan war, dachte Susanne an sich. Schnell machte sie sich frisch, zog sich ein bequemes, elegantes Hauskleid an, vertauschte die sportlichen Schuhe, die sie den Tag über in der Klinik getragen hatte, mit weichen Wildledersandalen, legte ein dezentes Make-up auf und erwartete den geliebten Mann.
Eine Stunde saß Susanne Andergast in ihrem Sessel.
Inzwischen war der Toast kalt geworden. der Wein schon lange aus dem Eisschrank geholt, die vierte Langspielplatte aufgelegt.
Und Martin von Waldheim war immer noch nicht da ...
Was war geschehen?
Wodurch war er abgehalten worden, zu ihr zu kommen?
Waren neue Patienten eingeliefert worden? Oder hatte Martin es sich anders überlegt?