Читать книгу Der Riesen Arztroman Koffer Februar 2022: Arztroman Sammelband 12 Romane - Sandy Palmer - Страница 75

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Dr. Susanne Andergast sah alle paar Minuten zur Uhr. Sie konnte es nicht verstehen, wo Martin so lange blieb. Wenn in der Klinik etwas vorgefallen wäre, was ihn am Kommen gehindert hätte, hätte er gewiss angerufen.

Ob er es sich anders überlegt hatte? Ob er Angst hatte, zu ihr zu kommen und mit ihr über seine Situation zu sprechen? Ob er glaubte, dass sie ihn zur Scheidung zwingen wollte?

Susanne wischte sich mit einer müden Geste über die Augen. Nein, auf diese Art und Weise würde sie nie um den geliebten Mann kämpfen. Entweder kam Martin freiwillig zu ihr und bekannte sich zu seiner Liebe, oder er blieb bei seiner Frau, die er schon lange nicht mehr liebte.

Als sie mit ihren Gedanken an diesem Punkt angelangt war, musste Susanne mit aller Gewalt die Tränen bekämpfen, die ihr in die Augen getreten waren.

Sie dachte daran, dass sie Martins Kind unter dem Herzen trug, und sie stellte sich vor, wie ihr Leben aussehen würde, wenn sich der Geliebte nicht zu ihr und zu ihrem Kind bekennen würde.

„Nein!“ Susanne sagte es laut, wie um ihren Worten dadurch mehr Nachdruck zu verleihen. „Nein, soweit darf es nie und nimmer kommen!“

Aber welche Möglichkeit hatte sie, um Martin von Waldheim zu kämpfen?

Plötzlich schrillte das Telefon.

Susanne sprang auf und nahm den Hörer ab.

„Ja bitte, hier Dr. Andergast“, meldete sie sich. Sie konnte es nicht verhindern, dass ihre Stimme ein wenig aufgeregt klang.

„Hier ist Schwester Margret! Entschuldigen Sie bitte die Störung, Frau Doktor, aber Sie müssen sofort kommen. Ein Unfall. Der Chef ist mit zwei Verletzten in die Klinik gekommen. Er bittet Sie, sofort zu kommen, weil er und Dr. Radloff es nicht allein schaffen.“

Am liebsten hätte Susanne Gott sei Dank gesagt, als sie jetzt hörte, was Martins Ausbleiben erklärte.

„Selbstverständlich komme ich sofort, Schwester. Ich muss mich nur noch umziehen. Sie können dem Chef melden, dass ich in einer Viertelstunde in der Klinik bin.“

„Danke, Frau Doktor“, sagte Schwester Margret.

Fünf Minuten nach dem Anruf von Schwester Margret saß die junge Ärztin in ihrem kleinen Auto und fuhr zur Klinik Dr. von Waldheims.

Unterwegs kam sie auch an der Kreuzung vorbei, wo der schwere Unfall geschehen war. Noch immer stand der weiße Sportwagen am Straßenrand, beziehungsweise das, was von ihm übriggeblieben war.

Susanne Andergast wurde es abwechselnd heiß und kalt, als sie den Metallhaufen sah, von dem man nicht mehr sagen konnte, dass er ein Auto war.

Hoffentlich kann Martin die jungen Leute, die in diesem Wagen gesessen haben, noch retten, dachte die Ärztin, während sie weiterfuhr.

Auf dem Klinikparkplatz angekommen, nahm sie sich nicht mehr die Zeit, ihren Wagen abzuschließen.

„Sie werden schon sehnlichst erwartet, Frau Doktor“, empfing sie die Pfortenschwester. „Einer der Verletzten liegt noch im Ambulanzraum, die verunglückte junge Frau operiert der Chef.“

„Danke Ihnen, Schwester“, sagte Susanne und eilte in den Ambulanzraum, wo sich eine Schwester um den noch immer bewusstlosen Tim van Drosten kümmerte.

„Gut, dass Sie da sind, Frau Doktor“, wurde Susanne Andergast auch hier empfangen. „Ich bin schon seit einiger Zeit ganz allein mit dem Patienten, weil der Chef und Dr. Radloff eine schwierige Operation vornehmen. Alles ist im OP versammelt?“

„Na, viel können wir ja für den jungen Mann nicht tun“, meinte Susanne und griff nach einem weißen Kittel, der an einem Haken neben der Eingangstür hing. „Wenn der Mann tatsächlich eine schwere Gehirnerschütterung hat, dann muss die Zeit heilen.“

„Da haben Sie auch recht“, nickte die Schwester. „Aber trotzdem bin ich froh, dass Sie da sind und ich die Verantwortung los bin.“

Susanne verkniff sich ein Lächeln und beugte sich über Tim van Drosten. Sie untersuchte ihn rasch, aber sehr gründlich, und sie kam zu derselben Diagnose, die auch schon Martin von Waldheim an der Unfallstelle gestellt hatte: Der junge Mann war bis auf die Gehirnerschütterung unverletzt geblieben!

„Wir werden vorsichtshalber noch eine Röntgenaufnahme des Schädels machen“, wandte sich die Ärztin an die Schwester, nachdem sie mit ihrer Untersuchung fertig war. „Ich will nichts versäumen.“

„Wird sofort gemacht, Frau Doktor“, versprach die Schwester und schob das fahrbare Bett, auf dem Tim lag, hinüber in den angrenzen den Röntgenraum.

Dr. Susanne Andergast selbst nahm die Röntgenaufnahme vor. Es waren keine Verletzungen des Schädelknochens zu entdecken.

„Der Patient bekommt einen Eisbeutel, der alle drei Stunden gewechselt werden muss. Ansonsten strikte Bettruhe“, ordnete die Ärztin an. „Sonst braucht er gar nichts. Lassen Sie ihn von einer Schwester der Station hier abholen. Ich gehe in den Operationssaal. Vielleicht werde ich dort noch gebraucht.“

„In Ordnung, Frau Doktor“, sagte die Schwester, ging zum Telefon und bat darum, dass der Patient abgeholt werden sollte.

Susanne Andergast fuhr mit dem Lift hinauf. Schon von Weitem sah sie das rote Licht über der großen Glastür leuchten. Und obwohl sie noch nicht erkennen konnte, was dort stand, wusste sie es ganz genau: Eintritt verboten!

Sekundenlang ging ihr durch den Kopf, wie viele Menschen sie schon vor dieser Tür hatte stehen sehen, deprimiert, hoffnungsvoll, demütig wartend. Alle hatten sie immerzu wie gebannt auf diese beiden Worte gestarrt: Eintritt verboten!

Es musste furchtbar sein, hier draußen stehen zu müssen, wenn dort, hinter den hohen Milchglasscheiben, ein geliebter Mensch auf dem Operationstisch lag.

Während ihr diese Gedanken blitzartig durch den Kopf gingen, hatte Dr. Susanne Andergast den Vorraum zum Operationssaal erreicht. Ohne zu zögern ging sie bis zu der Glastür, die den Vorbereitungsraum vom eigentlichen Operationssaal trennte.

Nur einen kurzen Blick brauchte die Ärztin in das Gesicht Martin von Waldheims zu werfen, dann wusste sie, dass er einen verzweifelten Kampf gegen den Tod ausfocht.

Zwar war die untere Partie seines Gesichtes durch den sterilen Mundschutz verdeckt, doch seine Augen, die konzentriert auf das Operationsfeld blickten, und seine leicht gerunzelte Stirn verrieten Susanne genug.

Schnell ging sie hinüber zu einem der Waschbecken, griff nach der desinfizierten Seife und begann sich vorschriftsmäßig zu waschen.

Eine junge Hilfsschwester kam hinzu und nahm von den Haken, die an der gekachelten Wand angebracht waren, einen sterilen Kittel und eine grüne Kappe, die sie Susanne auf das dunkle Haar setzte.

Nach zehn Minuten war die junge Ärztin fertig mit ihrer Waschung. Nachdem sie ihre Hände noch einmal in eine blaue Desinfektionsflüssigkeit getaucht hatte, ließ sie sich von der Schwester in die Gummihandschuhe helfen.

Dann war sie bereit, in den Operationssaal zu gehen.

Als Martin von Waldheim bemerkte, dass jemand den OP betrat, schaute er kurz von seiner Arbeit auf. Er hasste es, wenn ihn jemand bei einer Operation störte, und er hatte schon ein zurechtweisendes Wort auf den Lippen. Als er jedoch Susanne erkannte, leuchteten seine Augen.

„Gut, dass Sie da sind, Kollegin“, begrüßte er sie. „Im Augenblick wird hier jede Hand gebraucht.“

„Was hat die Patientin sich bei dem Unfall denn zugezogen?“, fragte Susanne, da sie auf die Entfernung noch nicht erkennen konnte, was Martin von Waldheim tat.

„Bis jetzt wissen wir nur, dass die ganze Bauchhöhle voller Blut ist“, erklärte der Chirurg. „Seit zwanzig Minuten bemühen wir uns, die Patientin soweit herzustellen, dass wir überhaupt mit einer Operation beginnen können. Aber sie war schon so schlimm dran, dass wir erst einmal alles tun mussten, um den Kreislauf halbwegs wieder hinzukriegen. Sie hat schon die dritte Blutkonserve laufen. Schlimm, wie es in der Bauchhöhle aussieht.“

„Dann ist wohl irgendwo etwas gerissen“, vermutete Susanne.

„So ähnlich wird es sein“, antwortete der Operateur, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. Diese bestand im Moment noch darin, die Bauchhöhle halbwegs vom Blut zu reinigen. Immer neue sterile, in Kochsalzlösung getauchte Tücher ließ er sich von der OP-Schwester reichen. Schließlich gelang es ihm, das Operationsfeld übersichtlich zu machen.

„Endlich kann ich etwas sehen“, atmete er erleichtert auf. „So etwas wie dieser Fall ist mir auch noch nicht vorgekommen. Das Blut war schon richtig verklebt. Sie müssen bedenken, meine Herrschaften, dass die Verletzte schon über eine halbe Stunde in dem Unfallwagen steckte, bevor sie befreit werden konnte. Die Zeit ist von uns kaum noch aufzuholen.“

„Sie werden es schon schaffen, Chef“, sagte Andreas Radloff. Alle, die es hörten, blickten erstaunt auf den jungen Arzt.

So belegt, so heiser hatte die Stimme des jungen Oberarztes noch nie geklungen. Fast schien es so, als nähme er persönlichen Anteil an dem Schicksal des jungen Mädchens, das hier vor ihnen auf dem Tisch lag.

Dr. Radloff sprach weiter: „Sie müssen es schaffen, Herr Chefarzt! Sie müssen Verena Geldermann retten!“

„Sie kennen die Patientin?“ Überrascht blickte Martin von Waldheim hoch und sah seinen Oberarzt an.

„Sie wissen doch, dass es ein ungeschriebenes Gesetz bei uns gibt: Operiere nie einen Menschen, der dir nahesteht!“

„Sie haben ja recht, Herr Chefarzt“, nickte Andreas Radloff. „Aber was sollte ich tun? Sollte ich Sie allein lassen? Wer hätte Ihnen assistiert, solange unsere verehrte Frau Kollegin nicht da war? Jetzt ist die Situation anders, jetzt kann ich den Platz des Assistenten für Frau Dr. Andergast freimachen.“

„Kennen Sie die Verunglückte näher“, erkundigte sich Susanne teilnahmsvoll.

„Nicht allzu nahe“, gab Dr. Radloff zu, „aber ich gestehe, dass ich unsere Beziehungen gern vertieft hätte.“ Er holte tief Atem, dann fuhr er fort: „Dies wird jedoch ein Traum bleiben, denn eine Verena Geldermann gibt sich nicht mit einem kleinen Arzt ab. Sie verkehrt in anderen Kreisen als ich.“

„Aber trotzdem kennen Sie sie“, wandte Susanne ein.

„Das war ein Zufall“, erwiderte der junge Arzt. „Allerdings“, er stockte einen Augenblick. „Da fällt mir etwas ein. Wenn mich nicht alles täuscht, hat mir Fräulein Geldermann einmal beiläufig erzählt, dass sie als Kleinkind an den Nieren operiert worden ist. Komisch, dass ich da eben nicht dran gedacht habe!“

„Das könnte wichtig werden“, warf Dr. von Waldheim ein, der während der Unterhaltung weitergearbeitet hatte. „Hoffentlich hat sie noch ihre beiden Nieren. Und hoffentlich ist die Verletzung, die sie sich zugezogen hat, irgendwo anders. Sonst sehe ich schwarz ...“

Erschrocken blickte Dr. Radloff auf seinen Chef. Daran hatte er nicht gedacht! Wenn Verena tatsächlich nur noch mit einer Niere gelebt hatte, dann durfte sie jetzt nicht an dieser verletzt sein, denn das würde ihr Todesurteil bedeuten!

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