Читать книгу Geisterhäuser - Sanne Prag - Страница 10

NACHMITTAG

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Der Schreibtisch und der Brief mit den Salzkörnchen hatten ihn wieder. Er nahm die Dinge vorsichtig aus der Lade. Er las den Brief nochmals. Es war eher der Brief einer Frau. Einer Frau, die klar etwas wollte, nicht eines der passiven Wesen, die auf Eroberung wartend an Bars und Kaffeehaustischen saßen. Eris, die gute Köchin? Nein, das da war kein praktisches Wesen. Wer diesen Brief geschrieben hatte, war … eine Fee. Er setzte seine Suche fort. Er fand weitere Abrechnungen, einen Briefverkehr mit einem Notar über die Besitzverhältnisse der Kapelle.

Hier gab es einen Bertram und seine Gattin, Bertram war wohl ein Nachname für Raffael und Ziege. Sie besaß das Grundstück. Und nach den Rechnungen ein sehr teures Anwesen.

Er fand noch einige alte Kataloge und Garantien für Elektrogeräte – nichts was man einsperren musste. Und was jetzt? Er musste zu Haus 1 – Hunger. Auch das Koch-Tagebuch wollte er systematisch durchschauen.


Das Buch lag aufgeschlagen auf dem Tisch und vor ihm stand ein Teller mit Linsen und Wiesenzwiebeln, kalt. Er konnte kochen, aber nicht ohne Herd. In der Pubertät hatte er seine beiden Mütter damit aus dem Gleichgewicht gebracht, dass er kochen lernte. Heute tat es ihm leid, wenn er an die Szenen in der Küche dachte, wo beide mit ihren Gaben auf ihn gewartet hatten. Und er, nach einem müden Blick auf das Gebotene, nahm einen Topf aus dem Kasten, um selbst etwas bedeutend Schlechteres zu kochen. Selbstständigkeit ist eine harte Sache!

Er dachte an den Schinken, das Damaszenermesser und den Wein.

Vorsichtig schob er den Sessel zurück – er wollte kein scharfes Knirschen auf den Fliesen – und wanderte in die Speisekammer. Das Geschirrtuch hatte er wieder über den Arm gelegt, als ob das zum Verhalten in diesem Haus gehöre. Er versorgte sich schamlos und wanderte zum Tagebuch zurück. Als er sich dem Tisch näherte, sah er, wie einige Blätter des Buches sich umlegten. Nein, es war kein Luftzug, und kein Fenster offen! Aber alte Bücher hatten oft ihre eigene Vorstellung, auf welcher Seite sie sich aufschlagen wollten. Er stellte das Weinglas ab und las auf der neuen Seite:

Ein sehr gutes, einfaches Gericht: Linsen mit Wiesenzwiebel

Ein Stückchen weiter unten:

Die Ziege ist sehr bemüht, und sie mag Hela nicht. Kann ich mir vorstellen mit ihrem Postroßhintern! Raffa hat mich wegen der Kapelle gefragt. Sie wollen irgendwas reintun oder rausnehmen.

Ezra überflog die Kochrezepte jetzt nur mehr und suchte nach anderen Texten.

Gott, ist mir heute schlecht! Ich hab nach gestern ein Beruhigungsmittel genommen und ich vertrag das Zeug einfach nicht.

ICH HASSE DIESE SZENEN!

Die kleine Hela kann einfach nichts ändern. Sie steht da, in völliger Hilflosigkeit, und die Tränen kullern ihr runter. Es ist Raphaels Sache, das mit Hilde zu regeln.

Ich mag Eris. Sie kann kochen. Der Tod von Wolfram hat sie aus dem Gleis gebracht. Da hat sie eine Zeit lang lauter scheußliche Sachen am Herd gezaubert, aber prinzipiell ist sie eine ausgezeichnete Köchin. Ich versteh nicht, was sie von Wolfram wollte.

Ich habe ihn einmal im Ofen gesehen, da hat er wie wild auf Hela eingeredet und sie ist wie immer nur unsicher dort gestanden und hat gar nichts gesagt. Ich glaube, er wollte sie überzeugen, vielleicht mit ihm was anzufangen.

Vor Ezras Augen stieg eine Szene im Feuerofen auf – ein Blick in die Hölle? Der Ofen, auf dem Eris gute Sachen kocht, angeheizt durch Wolframs Gefühle.

Da gab es also Eris, die kochte und war in Wolfram verliebt, der Petersiel anbaute. Und die kleine, zarte Hela war einer Szene ausgesetzt – Streit mit der Hilde - „Ziege“ wegen Raffa.

Pilzragout von Eris…..

Sie sagt, wie ich ja auch, dass Perlpilze ausgezeichnet sind – schauen ein bisschen aus wie Fliegenpilze, sind wahrscheinlich auch ein bisschen giftig, nach dem Kochen vielleicht nicht mehr…

Für Ezras Gefühl war entschieden zu viel Gift im Umlauf. Die Wahrscheinlichkeit stieg, dass die Tote im ersten Stock auf Chemie zurückzuführen war. Oder einfach auf Pilze?

Also da gab es Hela, die immer weinte, und Wolfram diskutierte mit ihr über irgendetwas, vielleicht Sex, und Eris kochte, außer wenn Wolfram starb. War das oben im ersten Stock die Kontur von Wolfram? Oder war es Wolfram, der als Geisterfahrer vier Leute in den Tod mitgenommen hatte?

Ezra blätterte weiter.

Die Ziege ist unglaublich hektisch. Hat sie nicht genug mit ihrem ständigen Training? Dann kauft sie sich das dritte Pferd und geht nur jeweils eine halbe Stunde reiten? Muss auf Raffael aufpassen! Als ob das was helfen würde.

Sie stand gestern im Hof mit einem Brief in der Hand, oder einem Blatt Papier. Sie hat es gelesen und Wut war in ihr Gesicht geschrieben. Dann hat sie einen Stein aufgehoben und hat ihn mit aller Kraft auf den Boden geknallt. Alma ist über den Hof gekommen. Sie hat Hilde so suchend angeschaut. Alma ist eine Kluge. Hat alles Mögliche studiert. Aber leben kann sie nicht. „Ich kann’s zur Post bringen, wenn du willst, ich fahr gerade runter“, hat sie gesagt. Das war penetrant, sie musste den Wutanfall gesehen haben. Der Ziege standen die Tränen in den Augen.

Sie brüllte Alma an: „Du glaubst, du kannst ewig den Kopf in den Sand stecken!? Du glaubst, du musst nichts sehen? Dich blöd stellen? Blöd leben? Bis zum Tod. Dann gibt’s den großen Schock!

Ach, wie ich Euch Doktores liebe! Stehen rum und diskutieren über alles, was bedeutungslos ist. Sonnen sich in der Abstrahlung ihrer Bücher und aller Bücher, die sie je gelesen haben. Ein Zitat jagt das nächste, hochnasige Zitaten-Wettbewerbe von Leuten, die sich erhaben fühlen über andere Leute. Sie quasseln von alternativen Beziehungen, von Freiheit. Alles leere Pappe! Wenn zwei in einer Ecke neben dir wispern, bist du genauso betroffen wie ich. Du fühlst dich gemobbt. Wenn du übergangen und ausgespielt wirst, leidest du, und die große Fassade ist ein Schutzschild vor der kleinen menschlichen Jämmerlichkeit.“

Alma sagte kühl: „Da magst du teilweise recht haben, aber man kann nicht alles erzwingen. Eure konservative Welt verträgt keine Freiheit. Jede Veränderung ist bedrohlich. Das Unveränderliche ist bakterienfrei und tot. Alles bleibt so wie es ist, wenn man’s betoniert. Du glaubst, du kannst Raffa feste bewachen und dann verändert sich nichts. Du denkst, du kannst alles kaufen. Ich bin dir dankbar, dass du die Renovierung vom Hof gezahlt hast. Ich finde es eine gute Sache, aber Raffa ist Raffa, und Geld allein wird ihn zu gar nichts veranlassen.“

Die Ziege wurde weiß wie die Wand. „Oh, diese gotterbärmliche Präpotenz! Jetzt glaub ich, dass du tatsächlich keine Ahnung hast, was abgeht.“

Ich denke, sie ging zu ihren Pferden Trost suchen. Ich hätte jetzt Lust auf einen Apfelcider, leicht und frisch, statt Beruhigungstabletten.

Ezra fragte sich prompt, ob Apfelcider das Richtige für ihn wäre. Das Kochbuch war sein Freund, sein Ratgeber in Sachen Essen, sein Partner. Er nahm sein Kochbuch inzwischen sehr ernst. Der Schinken war vom Teller verschwunden. Das Damaszenermesser warf ihm auffordernde Blicke zu, aber Ezra fand, dass es Schwäche wäre, jeder Aufforderung nachzugeben.

Außerdem gab es da noch ein Anliegen, das durch seinen Hinterkopf schwebte. Es schwebte immer wieder, und sein Bauch überlegte, ob er sich das zutrauen konnte. War er in der Lage, diese Situation unbeschadet zu überstehen? Konnte er in diesem Falle eine Schwäche riskieren? Konnte er seinem Körper trotzen? Er hatte nämlich das Bedürfnis, die „Kreuzwegstationen“ genau zu betrachten. Keine einfache Sache, dem Körper hilflos ausgeliefert, vor Fantasiegebilden zu stehen, die eindrangen, durch alle Körpertüren, als ob sie offen wären, nicht verschließbar. Fantasiegebilde, die wie Aliens das Steuerruder übernahmen und das Körperschiff steuerten, als ob sie ein Recht dazu hätten.

Er wollte aber die Bilder noch einmal genau betrachten. Waren das nur Pornos? Waren sie Provokation für Katholiken? Waren sie alt oder neu? Wer hatte sie aus welchem Grund gemalt?


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