Читать книгу Geisterhäuser - Sanne Prag - Страница 11

ABEND

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Ezra wanderte in Richtung „Kloster“. Er hatte beschlossen ES zu riskieren. Seine Hose war gottseidank von der lockeren Sorte. Als er den Kreuzgang sah, stand dort jemand. Das war ihm gar nicht recht. Seine Pläne kaputt!

Aber da war vielleicht ein Informant. Ezra bewegte sich leise. Er konnte das gut. Hatte er geübt, trug weiche Gummischuhe. Und er konnte beim leisen Auftreten ziemlich normale Schritte machen. Keiner merkte, dass er nicht gehört werden wollte. Vor ihm stand ein Mann um die fünfzig mit stark vorspringendem Adamsapfel. Der starrte völlig versunken eine „Kreuzwegstation“ an. Hinter dem Nebengebäude stand sein Traktor, still, ohne laufenden Motor. Er hatte scheint’s was Längeres vor, sonst hätte er ihn laufen lassen. Ezra blieb stehen. Der fremde Bauer machte zwei Schritte, um die nächste Station in gleicher Versunkenheit zu betrachten. Träumerisch stahl sich die Hand unter den Hosenbund und rieb langsam.

Jetzt machte Ezra absichtlich ein Geräusch. Der Mann zuckte zusammen, suchte hektisch nach dem Hosenschlitz und traf Vorbereitungen, als ob das immer so geplant gewesen wäre. „Schweinerei, das…“, presste er durch die Zähne in Richtung Ezra. Ezra machte, als ob er gerade erst gekommen wäre. Er fragte unschuldig: „Was ist eine Schweinerei?“

Na die Bilder.“ Ezras fragender Blick kam geradewegs aus dem Himmel. Er stellte sich neben den Bauern, der mit zitternden Händen seine Hose wieder zuknöpfte. Gemeinsam betrachteten sie das Bild. Eine Frau am Boden, kniend vorgebeugt. Zwei Männer hinter ihr, die ihr zwischen die Schenkel griffen. Alle drei waren nackt und rosig erregt.

Ich geh immer hierher Wasserlassen“, sprach der Mann in christlicher Keuschheit. Die richtige Antwort fehlte. Also fuhr der Bauer fort: „Schweinerei, das. Die Strafe ist gekommen. Leben wie die Schweine und glauben, das geht so.“ Hörte Ezra da nicht auch ein bisschen Sehnsucht?

Nicht nur, dass die so leben, sie malen das dann auch noch“; meinte der Kritiker grimmig, „Malen das, wie wenn’s gottgewollt wäre.“ Offensichtlich eine Assoziation mit Kreuzwegen. Ezra juckte es. Mit den unschuldigsten blauen Augen meinte er: „Ja, aber Gott hat‘s ja auch gemacht.“

Was hat er gemacht?“

Na, die Geschlechtsteile“, meinte Ezra mit nachdenklicher Stimme, träumerisch, überlegend.

Ja, aber Gott will nicht, dass man blöd damit spielt!“, fauchte der Bauer wütend. Ezra fand die Logik interessant. Vor allem schienen Geschlechtsteile etwas zu sein, das man wirklich ernst nehmen musste. Keine Leichtfertigkeiten bitte!

Die Bilder sind wahrhaftes Teufelswerk“, rief der Bauer in Richtung Gottes, damit es auch wirklich zu keinen Missverständnissen käme. Wallfahrt zum Teufelswerk und anschließend die Sonntagsmesse.

Ezra meinte sanft: „Ja, einige haben mir schon gesagt, dass der Teufel hier sein Unwesen treibt…?“ Ein klein wenig die Stimme hoch am Ende des Satzes, eine ganz sanfte Frage.

Alles ist inzwischen hier vom Teufel. Nicht nur diese, diese Drecksbilder!“, schrie der Bauer.

Ja, warum sollte der Teufel auch nur aus Sex bestehen…?“ – lange Pause ­– „Was ist da wirklich los?“

Die Hugelbäuerin ist am Abend da gegangen, vor dem Gewitter. Das Gewitter war schon nah. Der Himmel war ganz rot, und dann hat sie die Sau gesehen, eine riesige. Sie konnte nicht hin, hat sich gefürchtet.“

Warum hin?“ Ezra war verwirrt.

Na, schaun wie die Grannen stehn. Das sieht man ja von der Entfernung nicht. Die Sau hatte aber einen Sattel, da war sie ganz sicher.“ Ezra war noch verwirrter, er war ratlos, hatte aber das schlimme Gefühl, dass er besser nicht fragte. Blöde Fragen, die jedes Kleinkind beantworten könnte, bedeuten Disqualifikation. Und Disqualifikation bedeutet Ende des Gespräches. Er wollte aber Fortsetzung. „Und was hat sie gemacht?“

Na, sie ist zum Marterl gelaufen und hat die Glocke aufgedreht. In der Panik macht man ja Unsinn.“

Die Glocke aufgedreht?“

War nicht so gut, weil die ja sonst nur auf Sonntag 10 Uhr eingestellt ist, und so haben alle gedacht, es ist ein Feueralarm, und sind ausgerückt. Aber was hätt sie denn machen sollen?“

Dazu gab es viele Fragen, sehr viele, aber Ezra musste Prioritäten setzen. „Und was denken Sie, warum ist die Sau gerade hier aufgetaucht?“

Der Bauer rollte die Augen: „Hier, genau hier ist der Teufel an die Oberfläche gekommen, schwarz wie Erdöl und voller Versprechen, Gier und Neid und böse Weiber. Sie haben einen Mann in den Tod gejagt, auf der Autobahn, und ein Kind und noch einen Mann ermordet. So ist die Herrschaft des Teufels.“ Er spuckte heftig in Richtung der Kreuzwegstationen aus, drehte sich um und stapfte zu seinem Traktor, der heilige Antonius.

Ezra hörte mit Entsetzen, dass es auch noch ein totes Kind gegeben hatte. Viele Fragen, keine Antworten. Er merkte aber, von diesem Informanten war nichts mehr zu holen, keine weiteren Puzzleteile der Tragödie. Der Bauer ließ den Motor an.

Aber was war tatsächlich hier abgegangen? Ezra kicherte: Wer hat die Sau ´rausgelassen?? Ein Kichern aus Nervosität, denn die Geschichte schien sich schrecklich zu entwickeln. Dann wurde er sehr ernst. Der gewaltsame Tod eines Kindes verwandelte das Abenteuer in eine kranke, gefährliche Sache. Es schien hier auf der Alm tatsächlich Mord gegeben zu haben, mehrfach. Klar zeichnete sich ab, dass ein Mann auf der Autobahn Selbstmord begangen hatte. Nur Schwerstdepressive kommen auf solche Ideen, können ihren Selbstmord nicht mit sich allein abmachen, in heftiger Verzweiflung, Wut, Hilflosigkeit. Wie immer seine Persönlichkeit geartet war, es schien etwas umgegangen zu sein, das ihn so weit getrieben hatte, denn jetzt wurde auch ein ermordetes Kind erwähnt. Und es gab noch einen Mord – wohl den in Haus 1. In seinem Haus waren also die Spuren einer Männerleiche.

Hier war die Hölle los, im wahrsten Sinn. Eine gesattelte Riesensau mit Grannen, die eine besondere Bedeutung hatten, war die ein Bote aus der Hölle?

Da war ein Mann ermordet worden, in seinem Holzschloss. Es hatte mit Sicherheit polizeiliche Untersuchung gegeben, die Spuren hatte er gefunden. Was kann in dieser stillen Landschaft, in diesen schönen Häusern so grauenhaft geworden sein?

Er wusste, es hatte schön begonnen. Wie einst Luzifer – der Lichtbringer –wunderschön, vielleicht zwischen den Schenkeln einer Frau? Ezra warf den „Kreuzwegstationen“ einen letzten Blick zu. Nein, heute nicht mehr. Er wanderte zum „Jagdschloss“. Ihm war plötzlich der Sekretär eingefallen, im großen Raum, neben dem Schreibtisch. Dort war wohl noch Papier zu finden, das ihm Geschichten erzählen konnte.

Die verschiedenen Nägel und Dosenöffner klimperten leise in seinen Taschen. Er hatte schon wieder einen neuen machen müssen. Der vom Schreibtisch passte nicht. Endlich hatte er das große Mittelfach offen. Es war gähnend leer. Ein Schälchen mit Heftklammern und ein Kerzenständer schliefen da im Dunkeln. Die unteren Türen waren offen, dort gab es Handtücher. Warum Handtücher in einem Büromöbel? Er schaute das ganze Ding noch einmal genau an. Vielleicht gab es versteckte Fächer? Er griff ins Fach hinein, und außen auf die Rückwand – nein, kein Abstand. Er tastete die Tapezierung ab. Da war nichts. Zugesperrt aus Gewohnheit. Ziemlich frustriert holte er die Handtücher aus ihrer Behausung. Weit hinten fand er zwischen den Stößen eine Geburtsurkunde. Vor fast zwei Jahren war ein männliches Kind geboren worden. Seine Mutter hieß Helene Bauer, sein Vater war unbekannt. Es wurde auf den Namen Robert getauft. Eine Geburtsurkunde zwischen den Handtüchern, ein Geheimnis. Ein Puzzleteil in der Welt des Teufels. Wohl, denn sonst hätte die Geburtsurkunde kaum hinter den Handtüchern gelegen.

Erklärungen gab es vielleicht in seinem Tagebuch in Haus 1. Er war müde. Er sperrte sorgfältig zu und machte sich auf, um am Wasser entlangzugehen.

An der Hausecke hätte er fast die kleine Frau mit der großen roten Tasche über den Haufen gerannt. Sie war runzelig und dünn, hatte einen schwarzen Rock und einen dunkelgrünen Pullover an und trug ein schwarzes Kopftuch. Beide waren sehr erschrocken. Ezra holte sein bestes Strahlelächeln aus jeder Falte des Gesichtes. „So ein Glück, dass ich endlich jemand treffe. Wer wohnt denn hier?“

Sie schaute ihn lange und ruhig an, prüfend. „Jetzt wohnt hier niemand.“

Sie war sich offensichtlich nicht sicher, ob er nicht die Reinkarnation des Teufels war. Der blonde Luzifer mit dem Strahlelächeln. Gleich würde sie laufen und die Glocke einschalten. Es fiel ihm nichts ein, den Verdacht zu entkräften. Also beschloss er, ihn einfach bestehen zu lassen. Mit ruhiger Stimme schlug er vor: „Alle tot.“

Ihr Ledergesicht zeigte keine Regung. „Nicht alle“, meinte sie mit gleicher Selbstverständlichkeit.

Was sagt man so im Ort über den Teufel hier?“

Dass die Sau umgeht.“ In ihren fast schwarzen Augen stand eine Spur von Heiterkeit. Beide standen nun nebeneinander und blickten einträchtig zum See. Schließlich meinte Ezra: „Die Riesensau, direkt aus der Hölle?“

Leises Kichern. „Die Hugelbäuerin ist nicht nur ein hysterisches Nockerl. Sie wird wohl tatsächlich eine Riesensau gesehen haben.“

Hat sie schon öfter den Teufel gesehen?“

Echte und falsche Teufel. Alles was Aufmerksamkeit garantiert.“

Wieso hat sie die Grannen nicht erkennen können?“ Er zeigte, dass er alle Geschichten kannte.

Na, weil sie nicht nah genug war.“ Eh klar!

Ezra suchte in der Kartei seines Gehirns wie wild die richtige Frage. „Und was glauben Sie?“

Dass die Sau vom Erlenbauer wiedermal ausgebrochen ist“, meinte sie trocken.

Na, die kennt doch die Sau vom Erlenbauer!“ Wichtig war, ein Fachwissen vorzutäuschen, eine tiefe Einsicht in die Situation. Dann war man der, der auch die weniger offensichtlichen Informationen verdiente.

Nein, kennt sie nicht. Oder ziemlich sicher nicht. Der will ja geheim halten, dass er drei Zuchtsäue hat und die Ferkel schwarz verkauft.“

Sie wissen es ja auch.“

Ich weiß eben Dinge.“ Die Dorfhexe?

Dann wissen Sie wohl auch, was die Hugelbäuerin hier oben wollte, mitten während dem Gewitter?“

Ziemlich lautes Kichern. „Natürlich Bilder schauen.“

Er hatte tatsächlich einen Wallfahrtsort gefunden. Die Dorfbevölkerung pilgerte hierher, einzeln und geheim. Man traf den Teufel zu einem kurzen Stelldichein. Erwischt, zeigte man sich voll Abscheu. So geht man mit dem Teufel um.

Aber Mord ist kein Spaß“, meinte Ezra ernst.

Nein, ist er nicht… Sieben gemordete Menschen, das ist der Teufel, wirklich.“

Ich weiß von zwei, und einem Selbstmord.“ Hexen wissen vielleicht mehr?

Sie veränderte ihre Haltung. „Ein Geisterfahrer ist ein Mörder. Er weiß, dass er morden wird, bevor er beginnt. Er will morden. Er fährt los und weiß, sein Auto ist eine Waffe. Wut und Verzweiflung lassen ihn zumindest verdrängen, dass die Menschen, die er mitnimmt, lieben, vielleicht glücklich sind, leben wollen. Das ist Mord.“ Sie machte kehrt, wendete sich der Türe zu, von der Ezra gerade gekommen war, und holte aus der großen roten Tasche ihre Schlüssel.

Geziemt es sich für Luzifer, nach einem erlaubten Nachtquartier zu fragen? Ist das die Aufregung wert? Er hätte ihr nachrennen müssen. Ein ordentlicher Höllenbote rennt nicht nach, er wartet. Er setzte sich zum See, ein neutraler Ort für Höllenboten und Touristen. Er musste sitzen bleiben, bis sie ihre Runde fertig hatte. Vorher konnte er nichts unternehmen. Es dauerte aber nicht allzu lange. Schließlich kam sie heraus. Er erwartete, dass sie zum „Kloster“ ging oder zu Haus 1, vielleicht zur „Fabrik“. Sie kam aber direkt zu ihm. Neben ihm tauchte sie in die Tasche und förderte den Strauß Petersilie zutage. Sie gab ihm den wortlos und ging an der Kapelle vorbei ins Tal. Sein Image als Höllenbote war somit absolut kaputt.


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