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Was zuvor geschah

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Das letzte Mal, als ich einen Neuanfang geplant habe

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Der Tag, an dem ich meine Freunde traf (oder die, die ich dafür hielt)

Tag Nummer zwei am College, der zweite Tag meines neuen Lebens. Nicht gerade ausrufezeichenwürdiges Enthusiasmuslevel. Irgendwo zwischen dem vorigen Tag ohne vielversprechende Bekanntschaften und der Tatsache, dass in der ersten Stunde Mathe dran war – wovor es mir graute –, hatte sich mein Optimismus verflüchtigt. Warum hatte ich mich bloß von Dad überreden lassen, das Mathe-Vertiefungsmodul zu wählen? Warum? Ich redete mir ein, dass ich es eine Woche lang ausprobieren und Dad dann erzählen würde, dass ich es nicht schaffte. Vielleicht könnte ich danach wechseln.

Es gab keine vorgeschriebene Sitzordnung, aber alle, die sich schon kannten – vermutlich die Schülerinnen und Schüler der Eastridge High –, hatten sich wie von selbst zu Pärchen an Tischen zusammengefunden. Ich stand unschlüssig herum, schaute schüchtern zu den anderen Übriggebliebenen und überlegte, ob ich einfach jemanden anlächeln und mich mit ihm oder ihr an ein Pult setzen sollte.

Das wäre ziemlich sicher das Beste gewesen, doch ehe ich mich dazu durchringen konnte, stieß die Lehrerin, Mrs Landon, einen ungeduldigen Seufzer aus und wies uns verschiedene Plätze zu. »Du«, sie zeigte auf mich, »da hin.«

Der mir zugedachte Stuhl befand sich neben einem schlaksigen Jungen, der sich umgedreht hatte und mit einem anderen Jungen und einem Mädchen am Tisch hinter uns ins Gespräch vertieft war. Ich ließ mich unbeholfen nieder und wünschte, ich hätte nicht so lange gezögert. Jetzt saß ich hier fest. Ein paar Reihen weiter waren zwei der anderen Rumsteherinnen nebeneinandergesetzt worden. Nach einem nervösen Lächeln begannen sie, angeregt zu plaudern. Das hätte ich sein können, verdammte Kacke!

Doch dann: »Na, alles klar bei dir?«

Ich schielte zur Seite. Mein Sitznachbar lächelte mich lässig-freundlich an. Er hatte etwas zerzauste braune Haare – ein ungewollter Out-of-bed-Look – und Augen in fast der gleichen Farbe.

Eine Begrüßung! Eine normale, nette Begrüßung von einer normalen, netten Person. Als wäre ich auch normal. Wehe, du versaust das, Peyton. Lächeln! Ich lächelte. Sag Hallo. »Hey.« Ja!

»Sehen Sie das hier als sehr gnädige Einführungsstunde«, fing Mrs Landon an. »Wir gehen gemeinsam durch, was wir die nächsten Monate und im kompletten Schuljahr behandeln werden, wann Klausuren oder Langzeithausaufgaben geplant sind und dergleichen. Ich schlage vor, Sie schreiben mit. Sollte irgendetwas unklar sein, fragen Sie jetzt. Stellen Sie später im Jahr eine Frage, die Sie heute hätten stellen können, muss ich annehmen, dass Sie nicht zugehört haben.«

Heftig. Wehmütig dachte ich an das Atelier, in dem ich mich befinden würde, wenn ich in meinem eigenen Leben irgendetwas zu sagen hätte. Geräumig und lichtdurchflutet, erfüllt vom geschäftigen, aber friedlichen Treiben der Arbeitenden. Ich unterdrückte einen Seufzer und zog meinen Collegeblock und einen Stift aus der Tasche.

»Ich bin Travis«, flüsterte der Junge.

»Mr Fuller«, fuhr Mrs Landon scharf dazwischen. »Verscherzen Sie es sich nicht direkt mit mir.«

Travis grinste ironisch und salutierte mit seinem Bleistift, was ihm ein Augenverdrehen der Lehrerin einbrachte. Während der nächsten halben Stunde sprach er mich nicht mehr an, aber ich sonnte mich förmlich im Glanz dieses beiläufig-kollegialen Austauschs. Ich hörte zu, wie er ab und an mit den beiden hinter uns tuschelte. Das Mädchen nannte er Flick, den Namen des Jungen bekam ich nicht mit. Ich merkte mir, wie sie miteinander redeten und wie oft sie sich gegenseitig beleidigten, auf eine Art, die sie zum Lachen brachte, weshalb das offenbar in Ordnung war.

»Alter«, raunte Travis mir zu, während Mrs Landon durch die Reihen schritt und Bücher austeilte, »deine Handschrift ist ja krass ordentlich.«

Instinktiv schämte ich mich und wappnete mich gegen das, was nun folgen würde. Aber dann bäumte sich der fest entschlossene Teil von mir auf und versuchte, dieses Gefühl abzuschütteln. Nein. Hier wird es völlig anders laufen.

»Ja, das ist ein alter Trick«, erklärte ich. Fast erkannte ich meine eigene Stimme nicht. »Oberflächlich ordentlich wirken, damit das Chaos darunter nicht so auffällt.«

Travis lachte. »Clever.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Hörst du, Flick? Man sollte wenigstens so tun, als wäre man ordentlich.«

»So tun, als wäre man ordentlich?«, fragte Flick und mir fiel auf, dass meine Stimme deshalb verändert geklungen hatte, weil ich sie unabsichtlich nachgeahmt hatte. »Wenn man so tut, als wäre man ordentlich, heißt das dann nicht, dass man es auch tatsächlich ist? Wie wenn man so tut, als wäre man selbstbewusst, und damit auf andere selbstbewusst wirkt, weshalb man letztlich mehr Selbstbewusstsein entwickelt?«

Sollte ich mich jetzt auch halb umdrehen, wie Travis, und mich am Gespräch beteiligen? Entstehen so Freundschaften? Aber was sollte ich sagen? Ich tue so, also bin ich. Ja! Stopp, nein. Was, wenn sie die Anspielung nicht verstanden? Oder was, wenn sie sie verstanden und mich für eine aufgeblasene Streberin hielten?

»Kein Selbstbewusstsein der Welt kann das Chaos in dir verstecken«, mischte sich der Junge neben Flick ein. Sie kreischte leise und verpasste ihm einen Klaps und er lachte glucksend.

Den Rest der Stunde sprachen weder Travis noch die beiden anderen mit mir. Als sie zu dritt in Richtung Mensa schlenderten, ärgerte ich mich, weil ich diese Chance vergeigt hatte. Aber ich war mir einfach nicht sicher, ob es überhaupt okay gewesen wäre, mich in ihren Schlagabtausch einzumischen.

Statt mich allein in den Aufenthaltsraum zu wagen, entschloss ich mich zu einem sehr langsamen Spaziergang ums Gebäude. Später, als ich zu meinem Schließfach ging, um etwas zu verstauen, sah ich sie alle wieder. Nun waren sie Teil einer größeren Gruppe, die es sich auf ein paar Sofas gemütlich gemacht hatte. Neben Travis, Flick und dem Namenlosen aus Mathe waren noch zwei weitere Jungs und ein Mädchen dabei. Alle redeten wild durcheinander, wahrscheinlich wurden mehrere Gespräche gleichzeitig geführt. Flick thronte auf dem Schoß des Jungen, neben dem sie eben im Unterricht gesessen hatte. Daraus, und aus der Art, wie seine Hand auf ihrem Oberschenkel lag, schloss ich, dass sie ein Paar sein mussten. Was mich etwas überraschte, denn sie schienen sich gar nicht so besonders zu mögen. Aber was wusste ich schon?

Ich stellte mir vor, dass ich hinübergehen würde. Ich würde lächeln, und … und was? Was würde Amber Monroe tun? Halt, ich wollte nicht wie Amber Monroe sein. Wenn das der Preis für Freundschaft war, war sie es nicht wert. Ich öffnete mein Fach und begann, die Bücher abzuladen, die sich im Laufe des Tages angesammelt hatten. Ich sollte mich darauf konzentrieren, zuerst eine Freundin zu finden und nicht direkt eine ganze Clique. In der nächsten Stunde würde ich sicher neben einem netten Mädchen landen. Ich würde ihr irgendein Kompliment machen – für ihre Handyhülle, Schuhe … meinetwegen sogar ihre Handschrift. Und dann würde ich irgendwann so tun, als hätte ich etwas nicht verstanden, und bei meiner potenziellen neuen Freundin nachfragen. Sie würde antworten, weil Menschen gern hilfsbereit sind. Jap, solider Plan. Kopf hoch, Peyton!

Ich schloss mein Fach – und plötzlich stand Flick neben mir. »Hi«, sagte sie und lächelte.

O mein Gott, es passiert! Und zack, vergessen war meine potenzielle neue Freundin mit der hübschen Handyhülle.

»Hi«, antwortete ich, betont locker. Ich hörte mich zu sehr an wie sie. Egal.

»Du hast doch heute Morgen mit uns in Mathe gesessen? Neben Travis?« Sie zeigte über ihre Schulter. »Dem da vorne?«

Ich nickte.

»Und du hast eine schöne Schrift.«

Komisch, dass sie sich daran erinnerte, aber okay. Ich nickte wieder.

»Cool! Hast du mitgeschrieben?«

»Ja, warum?« Mist, das klang zu misstrauisch. »Brauchst du meine Notizen?«

Ihre Augen leuchteten. »O Gott, ja! Also, nicht für mich selbst, sondern für meinen Freund, Eric. Er ist ein Idiot. Ich würde ihm ja meine geben, aber er findet meine Mitschriften scheiße.« Sie kicherte ein bisschen zu laut. »Aber deine Notizen sind bestimmt super, mit deiner ordentlichen Schrift und so.« Sie lächelte mich hoffnungsvoll an. Dieses Lächeln überzeugte mich irgendwie davon, dass sie mich nicht verarschen wollte, auch wenn diese Situation an der Claridge auf jeden Fall so ausgegangen wäre, dass jemand meine Unterlagen zusammengeknüllt und in der Toilette versenkt hätte. Aber Flicks Miene legte eine Spur Unsicherheit offen, eine Dringlichkeit, die ich nicht zuordnen konnte, aber dennoch erkannte.

»Wenn du magst, können wir unsere Notizen vergleichen und sie zusammen durchgehen«, schlug ich vor. »Und dann kannst du ihm deine geben.«

Oh, oh, das war ein Fehler. Sie runzelte die Stirn. »Meine sind gar nicht so schlecht. Das behauptet er nur.«

Über ihr Gesicht huschte ein neuer Ausdruck, der sagte: Warum machst du so ein großes Ding daraus?

»Schon klar«, lenkte ich ein und in dem Bemühen, diesen Fehler auszubügeln, ratterten die Rädchen in meinem Hirn so schnell, dass ich, ehe ich mich’s versah, etwas ausspuckte, was ich auf keinen Fall hatte sagen wollen: »Ich kenne hier bloß noch niemanden, also versuche ich, Anschluss zu finden.«

Wow. Die schwindelerregende Peinlichkeit dessen, was ich da gerade von mir gegeben hatte, ließ Scham in meiner Brust explodieren und sandte mir abwechselnd heiße und kalte Schauer durch die Adern. Mir wurde übel. Warum hast du das gesagt? Warum, warum, warum?

Doch Flicks Stirn glättete sich und ihr Strahlen kehrte zurück. »Oooh! Du bist ja süß!«

Ich blinzelte und versuchte, mit einem Lächeln die entsetzte Grimasse zu überdecken, in die sich mein Gesicht verwandelt hatte.

»Zwar solltest du lieber weglaufen, solange du noch kannst, aber okay.« Flick lachte. »Willst du mit rüberkommen und die Gang kennenlernen? Ich meine, wenn es dir echt nichts ausmacht, Eric deine Unterlagen zu leihen?«

In dem Moment, als ich den Mund öffnete, ertönte die Klingel. Unerträglich laut zerstörte sie meine erste Chance auf Freundschaft seit Jahren.

»Tja, dann halt morgen.« Flick zuckte mit den Schultern. »Was hast du als Nächstes?«

»Psychologie.«

»Ich auch!«

O mein Gott! Gott, der offenbar wirklich existierte. Er schien mir von oben zuzulächeln und mir endlich, nach so langer Zeit, eine Freundin geschickt zu haben. »Echt?«

»Ja, echt.« Sie lachte. Womöglich über mich, aber das war schwer zu sagen. »Komm mit, vielleicht finden wir noch zwei Plätze nebeneinander. Von meinen Freunden hat niemand Psycho gewählt, aber ich fand’s irgendwie cool. Ich mag übrigens deine Tasche.« Sie verabschiedete sich nicht von ihren Leuten, nicht mal von ihrem Freund, sondern winkte ihnen bloß zu, ehe wir zusammen den Aufenthaltsraum verließen. Seite an Seite, wie Freundinnen.

»Erzähl mal, wo kommst du eigentlich her? Von einer der Partnerschulen?«

»Nope, ich war vorher auf der Claridge Academy.«

»Cool!« Ich korrigierte sie nicht und sie fuhr fort: »Ich bin gar nicht erst auf die Idee gekommen, irgendwo anders hin zu wechseln. Findest du das komisch? Klar, das hier ist streng genommen nicht die Eastridge, aber irgendwie auch schon, weißt du, was ich meine?«

»Warst du denn auf der Eastridge?«

»Jap. Die meisten sind von da, glaube ich. Ein paar von uns kennen sich, seit sie buchstäblich Babys waren.«

Ich war nicht sicher, wie buchstäblich »buchstäblich« zu verstehen war. »Ist es seltsam, jetzt alles mit den Neuen teilen zu müssen?« Ich war stolz, dass ich eine so normale Frage stellte.

Sie grinste. »Quatsch. Wird Zeit, dass wir ein bisschen frisches Blut kriegen.«

In Psychologie setzte sie sich völlig selbstverständlich mit mir an einen Tisch und ich musste mich anstrengen, nicht zu grinsen wie ein debiles Honigkuchenpferd. Der Lehrer redete ohne Punkt und Komma vom Beginn der Stunde bis zum Ende – über den Aufbau des Unterrichts, den Stoff, den wir lernen würden –, sodass Flick und ich keine Chance hatten, ein Wort zu wechseln. Aber es genügte mir schon, einfach neben ihr zu sitzen.

Hinterher wartete Eric am Ausgang auf sie und sie zogen gemeinsam davon. Ich hatte ein bisschen gehofft, sie würden mich fragen, ob ich nicht Lust hätte, sie zu begleiten, aber es war okay, dass sie es nicht taten. Jedenfalls sagte ich mir das. Noch waren wir schließlich keine Freundinnen. Wichtig war nur, dass Flick sich umdrehte und mir zum Abschied über die Schulter zuwinkte, dass ich nichts furchtbar Dummes gesagt hatte und wir uns ganz normal unterhalten hatten.

Hoffnung flatterte in meiner Brust wie ein Vogel im Käfig. Und ich konnte nicht aufhören zu denken: Vielleicht, vielleicht, vielleicht.

Die beste Zeit ist am Ende der Welt

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