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Einfach so

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/Nach knapp sechs Monaten Brainstorming, Networking und Meetings mit den Kollegen und begeisterten Praktikanten des Lyrik-Fördervereins bekomme ich einen Anruf von Frau Miniboss; meine Konzepte seien leider nicht zu realisieren. Schlagartig wird mir klar, dass ich von diesem Verein nie einen Scheck sehen werde, da wir einvernehmlich verabredet haben, dass ich erst bezahlt werde, wenn meine Projekte abgeschlossen sind. Wie konnte ich nur so naiv sein? Nachdem ich mich wieder erholt habe, beschließe ich, das Projekt ohne Mini- und Maxiboss auf eigene Faust weiterzuführen. Nach einiger Zeit und Mühe bekomme ich neue Unterstützung von anderen Lyrikvereinen, dem Goethe-Institut in Chicago und sogar von Jack Wild, dem Moderator eines großen internationalen Radiosenders in den USA. Zusätzlich schreibe ich einen persönlichen Brief an den Direktor für Performancekunst des Museums für zeitgenössische Kunst in Chicago.

Zwei Wochen nach der Miniboss-Absage treffe ich mich mit ihr, um meine Unterlagen abzuholen. Ich erkläre ihr stolz, dass ich nichts anfange, was ich nicht auch zu Ende führen würde. Ich sitze Mini gegenüber, während sie vor ihrem Monitor hängt und mir unverschämt offen vorschwärmt, wie genial sie die Webseite von Blixa Bargeld findet: »I love it!« Mein Blick gleitet über die Plakate und Auszeichnungen, mit denen das Büro geschmückt ist, und bleibt an einem pinkfarbenen Stoffeichhörnchen hängen, das auf ihrem Schreibtisch sitzt. Ob es einen Namen habe, frage ich sie.

Mini guckt irritiert und sagt: »Lyric, aber ich weiß auch nicht, warum.« Dann erzählt sie weiter, dass sie sogar mit Blixa gesprochen habe, als er noch in China war, und dass sie nun versuchen werde, ihn bei einer Spoken-Word-Reihe in Kalifornien zu sehen.

Ich koche innerlich. Niemand in diesem verdammten Miniboss-Universum hat vorher auch nur einen der Künstler gekannt, die ich vorgeschlagen habe. Ich warte, während sie in einer ihrer Schubladen nach den Aufnahmen der Band Tarwater kramt, um die ich sie gebeten habe. Dabei meint sie ganz beiläufig: »Und nächste Woche treffe ich mich mit dem Radiomoderator Jack Wild, einfach so.«

Ich sage nichts, verlasse Minis Büro ruhig und gelassen, als ob ich eins und eins nicht zusammenzählen könnte, und verabschiede mich auf dem Weg durchs Großraumbüro herzlich von allen Teamkollegen und Praktikanten.

Apropos »einfach so«: Im April 1989 zog ich von heute auf morgen nach Berlin. Ich kam gerade frisch von der Kunstakademie in Chicago und schenkte den Kunststudenten, die meine Wohnung übernahmen, fast meine gesamte Einrichtung, darunter auch die Bücher für die Uni-Grundkurse mit meinen Anmerkungen. Alles andere warf ich weg. Alle Platten, die ich nicht verkaufen konnte, platzierte ich wirkungsvoll vor den öffentlichen Müllcontainern, damit vorbeilaufende Musikliebhaber sich bedienen konnten. Aber als ich am nächsten Tag wieder vorbeikam, standen sie alle noch am gleichen Ort, von Roxy Music über Led Zeppelin bis Jimmy Cliff. Ich packte etwas Unterwäsche, eine Kassette (Seite A: The Modern Lovers, Seite B: Velvet Underground) und ein Buch (Dostoevskys The Idiot) in eine Handtasche und machte mich auf den Weg zum Flughafen. Zuerst flog ich nach Holland und besuchte einen ehemaligen Mitbewohner, dann fuhr ich mit dem Zug weiter nach Köln, um noch einige Künstlerfreunde zu treffen. Meine Kontakte in Berlin beschränkten sich auf die Telefonnummern von zwei Menschen; einen hatte ich vor zwei Jahren mal auf einer Grillparty getroffen, der andere war ein mir noch unbekannter Freund von einem Freund.

Ich stieg in Köln in den Zug nach Berlin ein und als ich die Grenze zur DDR passierte, wurde ich 24. Drei Jahre zuvor war ich schon einmal nach Berlin gereist und ich konnte mich daran erinnern, dass die Passkontrollen im Zug sehr streng gewesen waren. Als wir langsam weiter Richtung Berlin fuhren, kam die Sonne raus. Ich musste pinkeln, aber da ich wusste, dass der Passkontrolleur jeden Moment kommen würde, versuchte ich, den Druck bis zu seiner Ankunft auszuhalten. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, konnte ich nicht mehr länger warten und ging aufs Klo. Und genau wie erwartet hatte ich natürlich gerade die Hose runtergelassen, als auch schon der Grenzbeamte hart und deutlich an die Tür klopfte. Ich geriet in Panik, fummelte hektisch meine Klamotten zurecht und öffnete schnell mit dem Pass in der Hand die Tür. Der Grenzkontrolleur sah mich an, lächelte und schaute sich dann meine Dokumente genau an. Er gab mir ganz freundlich den Pass wieder zurück und sagte etwas auf Deutsch, das ich nicht verstand. Also antwortete ich nur »sorry« und zog die Schultern fragend hoch. Er wiederholte »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, nahm mir den Pass wieder aus der Hand und zeigte dazu mit dem Finger auf mein Geburtsdatum. Überrascht bedankte ich mich auf Englisch, er grinste und als er im nächsten Abteil verschwand, bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit mit offener Hose vor ihm gestanden hatte.

Anfangs, als ich im Westen ankam, hatte ich Schwierigkeiten mit der Sprache. Wenn ich am Kiosk auf Deutsch nach einer Tafel Ritter Sport fragte, antworteten sie: »What kind would you like?«

Ich zog im Frühjahr nach dem Mauerfall nach Ostberlin und nahm ein Zimmer als Untermieterin. In dieser Zeit lebte ich bei Maik, einem Künstler in Mitte. Mit ihm musste ich sofort Deutsch sprechen, was mir wichtig war. Eines Morgens, als ich noch verschlafen war, fragte er mich, ob ich »Knast« hätte. Ich überlegte gut und lange und entschied mich für »Nein«.

Durch Maik lernte ich Paul und seinen Hund kennen. Pauls Englisch ging gegen Null und mein Deutsch war trotz der täglichen Übung noch sehr begrenzt, aber weil wir sofort verknallt waren, akzeptierten wir unseren limitierten Wortschatz erst einmal so.

Maik war alles andere als begeistert vom Westen und ließ jedes Mal bei mir kathartisch Dampf ab, wenn er es nach einer Einkaufsrunde in der neuen Welt wieder nach Hause geschafft hatte. »Ich hasse den Westen!«, schrie er dann lauthals in endloser Wiederholung, während ich ihn stumm anstarrte. Zum Trost suchte er sich eine junge russische Frau und fing an, ihre Muttersprache zu lernen, die ihn zu Schulzeiten nie berührt hatte.

Maik hatte einen problematischen Hoden, der oft in seine Leiste hineinrutschte, deshalb musste er öfter zur Behandlung ins Krankenhaus. Als ich ihn während des Sommers einmal in der Charité besuchte, brachte ich ihm Joghurt mit, weil ich wusste, dass er Antibiotika nahm. Ich erklärte ihm, der Joghurt sei gut für die Darmbakterien und wichtig für seine Gesundheit. Daraufhin riss er mir den Becher mit einer Wut in den Augen aus der Hand, als ob ich Schuld an seinem Wanderei hätte, und schaufelte den Joghurt stumm in sich hinein.

Paul und ich sahen uns fast jeden Tag. An einem sonnigen Wochenende gingen wir mit seinem Hund spazieren. Ich erzählte ihm von meinen ersten Reisen nach Europa und wie ich überhaupt nach Berlin gekommen war. Da fiel mir die Geschichte mit dem Koffer ein. Einmal wurde ich im Flugzeug kurz vor dem Aussteigen von einem gepflegten, nicht besonders großen Herrn arabischer Herkunft angesprochen. Er fragte mich höflich, ob er mein Handgepäck für mich tragen dürfe. Das Handgepäck war mein gesamter Besitz und ich wollte es ungern in die Hände anderer wandern lassen. Ich antwortete genauso höflich: »Vielen Dank, aber das schaffe ich selbst.«

Wir warteten eine ganze Weile und der Mann fragte mich erneut, ob er mein Handgepäck für mich tragen dürfe, und ich lehnte erneut ab. Daraufhin erklärte er mir: »Entschuldigung, aber Sie sind eine Prinzessin und wenn ich eine Prinzessin sehe, muss ich ihr die Tasche tragen.«

Ich erzählte Paul in meinem schlechten Deutsch, dass ich den Araber in seinem kulturellen oder religiösen Ethos nicht beleidigen wollte und ihn schließlich meine Tasche tragen ließ: »Der Mann trägte mein Gepäck für mich und hat mich gevögelt.« Mit Händen und Füßen versuchte ich Paul zu erklären, wie komisch ich mich beim Aussteigen gefühlt hatte, weil ich von einem Kumpel abgeholt werden sollte und mich fragte: Was soll er denken, wenn er mich mit meinem kleinen, hinter mir herlaufenden Gepäckträger sieht?

Paul war völlig baff: »Einfach so?«

Ich nickte und meinte: »Ja, einfach so.«

Stunden gingen vorbei. Wir unterhielten uns den ganzen Tag und Abend und Paul fragte mich immer wieder: »Einfach so?« Ich glaube, es dauerte ungefähr sieben Stunden, und es brach immer noch aus ihm heraus: »Wie kann das denn einfach so passieren?«

Da er mich immer wieder mit derselben Frage nervte, stand ich schließlich auf und erzählte ihm die ganze Geschichte noch einmal, diesmal mit verstärktem Einsatz von Körpersprache, bis er endlich kapierte, dass mir der Mann mit den Taschen einfach gefolgt war. Als das Missverständnis geklärt war, war Paul sehr erleichtert. Wir lachten beide und freuten uns darauf, diese Anekdote mit Maik zu teilen. Doch als wir die Story am nächsten Tag vor ihm wiederholten, war der frisch Entlassene völlig entgeistert und fand sie überhaupt nicht witzig. Stattdessen starrte er Paul nur böse an und meinte schnippisch: »Seit du mit Sarah zusammen bist, kommst du nie mehr vorbei, um mich zu besuchen! Stell dir mal vor, ich komme immer wieder zu dir, nur um deinen Hund zu sehen!«

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