Читать книгу Verlorene Liebe - Sassika Büthe - Страница 8

Kapitel 6

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Zum Frühstück war sie am nächsten Tag ebenfalls nicht erschienen. Sie war müde, hatte keinen Appetit und sah zudem auch noch fruchtbar aus. Ihre Augen waren vom vielen Weinen der vergangenen Nacht gerötet und völlig verquollen. Gegen Mittag verließ sie dann doch ihr Hotelzimmer und durchquerte das Hotelgelände. Sie begegnete seinen Eltern, die die Mülleimer auf dem Gelände leerten. Sie grüßten sie freundlich und lächelten ihr aufmunternd entgegen. Sie versuchte ebenfalls, sich ein Lächeln abzuringen, doch sie war sich ziemlich sicher, dass es sehr verkniffen aussehen musste. Auch Lucia begegnete ihr, und auch sie schien etwas zerknirscht auszusehen. Hatte sie wohlmöglich ein schlechtes Gewissen, dass sie Julia am vergangenen Tag so unschöne Sachen an den Kopf geworfen hatte? Eine Entschuldigung brachte Lucia dann aber doch nicht über die Lippen, nur ein kurzes, wenn auch freundliches Hallo. Marcos sah sie nicht, obwohl sie wusste, dass er heute hier irgendwo sein musste. Erst gegen Nachmittag sah sie ihn dann. Er war in seiner Arbeit vertieft. Eine Weile sah sie ihm aus sicherer Entfernung zu und musste feststellen, dass sie noch immer ziemlich sauer auf ihn war. Als sie ihn zum zweiten Mal an diesem Tag sah, war es bereits später Nachmittag. Sie beendete gerade ihr Sonnenbad am Strand und wäre ihm beinahe in die Arme gelaufen. Dieses Mal war er gerade in ein Gespräch mit einem Hotelgast verwickelt und so schlich sie sich an ihm vorbei und tat so, als hätte sie ihn nicht gesehen. Auch am Abend sah sie ihn noch einmal. Während des Abendessens blickte sie ein paar Mal in seine Richtung, doch er erwiderte ihren Blick nicht, was sie noch ein wenig zorniger machte, sofern das überhaupt noch möglich war. Ein paar Mal fragte sie sich, ob sie nicht einfach zu ihm hinüber gehen und mit ihm sprechen sollte. Aber sie war einfach zu wütend auf ihn. Sollte er doch gefälligst zu ihr kommen! Später am Abend war sie dann kurz davor, zu ihrem gemeinsamen Treffpunkt am Strand zu gehen, dann überlegte sie es sich jedoch anders. Sie hatten nichts verabredet, und da er sie den ganzen Tag nicht beachtet hatte, würde er wohl bestimmt auch nicht zum Strand kommen. Somit ging sie früh schlafen und nach der letzten durchwachten Nacht schlief sie schnell ein.

Was Julia nicht ahnen konnte, war, dass Marcos tatsächlich am Strand saß und vergebens auf sie wartete. Irgendwann gab er es dann auf und machte sich enttäuscht auf dem Heimweg. Sie hatte ihn schließlich den ganzen Tag schon ignoriert, und vielleicht hatte er es auch nicht anders verdient. Er hatte sie enttäuscht, das wusste er. Die Enttäuschung hatte er in ihren Augen gesehen. Vielleicht hatte seine Schwester aber auch recht und die Deutschen waren alle oberflächliche, verwöhnte Schnösel, doch das wollte er nicht recht glauben. Julia war nicht so. Sie hatte geweint, demnach musste es ihr doch etwas bedeuten, er musste ihr etwas bedeuten, oder?

Als Julia am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich einfach grauenhaft. Sie hatte geträumt, Marcos wäre zu ihr gekommen und hatte sie um Verzeihung gebeten. Sie hatten sich umarmt und geküsst, doch dann war sie aufgewacht. Die Erkenntnis, dass es nur ein schöner Traum gewesen war, frustrierte sie. Seufzend und mit zugeschnürter Kehle zog sie sich die Bettdecke wieder über den Kopf. Leider hatte ihre Schwester wenig Mitleid mit ihr und riss ihr bald die Decke fort, so dass sie wohl oder übel aufstehen musste und zum Frühstücksbüfett schlurfte.

Der Tag verlief im Grunde nicht viel anders als der vorige. Sie sah seine Familie ein paar Mal, doch von Marcos war keine Spur. Ging er ihr wohlmöglich aus dem Weg? Sie wusste es nicht. Sie versuchte, sich stattdessen auf ein Buch zu konzentrieren, in dem sie schon den ganzen Urlaub über immer wieder blätterte, doch immer wieder schweiften ihre Gedanken ab. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren und musste jeden Satz beinahe dreimal lesen, um ihn zu verstehen.

Erst am Abend, als sie mit ihrer Familie an der Poolbar saß, sah sie ihn endlich. Er blickte ein paar Mal zu ihr herüber und ihre Blicke trafen sich ein ums andere Mal. Doch keiner von ihnen wagte den ersten Schritt. Keiner schien so recht zu wissen, was er tun sollte. Julia sah mitgenommen und vielleicht auch ein wenig traurig aus, fand er. Doch sie war bei ihrer Familie und da traute er sich nicht hin. Wer weiß, was sie ihren Eltern gesagt hatte. Außerdem hatte der Hotelmanager ein Auge auf ihn geworfen. Am Morgen schon hatte er ein ernstes Gespräch mit dem Manager gehabt, der ihn gewarnt hatte, mehr auf Abstand zu den Gästen zu gehen. Marcos hatte gedacht, vorsichtig gewesen zu sein, aber wer weiß. Er und Julia waren immer unvorsichtiger geworden, das wusste er. Er wusste nicht genau, wie viel der Manager, wusste und vielleicht war ihm auch nur Gerede zu Ohren gekommen, was sein plötzliches Interesse an Marcos wachgerufen hatte. Schließlich wussten mittlerweile zu viele über ihn und Julia bescheid. Wie dem auch sei, der Manager ließ ihn seitdem nicht mehr aus den Augen, und somit war es ihm auch völlig unmöglich, mit Julia an der Bar zu reden. Sie machte auch keine Anstalten, bald von ihrem Barhocker aufzustehen. Frustriert verließ er dann nach Feierabend das Hotel und machte sich auf den Weg nach Hause.

An diesem Abend saß Julia irgendwann am Strand und hoffte, Marcos zu treffen. Doch er kam nicht. Ihn heute Abend zu sehen, hatte sehr wehgetan und sie hatte gemerkt, dass sie nicht mehr allzu böse auf ihn war. Sie hätte ihm jetzt sofort verziehen, wenn er doch nur aufgetaucht wäre. Er fehlte ihr unheimlich, und dieses Gefühl war ihr zum einen sehr fremd und zum anderen tat es höllisch weh. In zwei Tagen würde sie abreisen und somit blieb ihnen nun auch kaum noch Zeit für ein Gespräch oder eine Versöhnung. So hatte sie sich nicht von ihm verabschieden wollen. Lange saß sie völlig allein am Stand und bemitleidete sich selbst.

Am letzten Tag ihrer Reise unternahm sie mit ihrer Familie einen Tagesausflug nach San Juan. Sie liefen durch die Straßen der Altstadt und besichtigten die bekannte Festung El Morro. Der Ausflug war sehr schön, doch Julia war nicht mit dem Herzen dabei. Gedankenverloren schlurfte sie ihrer Familie hinterher und nahm ihre Umwelt kaum wahr. Sie hatte eigentlich nicht mitkommen wollen, doch was sollte sie allein im Hotel, jetzt wo Marcos ihr aus dem Weg ging. Sie sehnte sich immer mehr nach seiner Nähe und wünschte, sie könnten sich wenigstens noch vernünftig voneinander verabschieden.

Am Abend wurde im Hotel eine Grillparty mit Tanz veranstaltet. Ihre Eltern bestanden darauf, dass Julia sie begleitete, also hatte sie sich noch einmal ihr Sommerkleid angezogen und war mitgegangen. Sie wurden mit einem Glas Sekt empfangen, doch sie lehnte ab. Sie mochte Sekt nicht besonders, und die ganze Sache war ihr ohnehin auf den Magen geschlagen. Sie betraten die schön geschmückte und von vielen Lampions erhellte Terrasse. Sie sah sich um und musste feststellen, dass es alles wirklich sehr schön aussah. Mit gesenktem Blick folgte sie ihren Eltern und ihrer Schwester, die an einen kleinen Tisch herantraten. An dem Tisch wartete Marcos Vater, der die Gäste empfing. Er sprach mit ihrem Vater und überreichte ihm dann einen Stift und bat ihn, etwas ins Gästebuch zu schreiben. Er lächelte Julia kurz zu, ehe er davonging, und dann begegnete sie endlich Marcos Blick, der neben seinem Vater gestanden hatte und ihnen nun das Gästebuch überreichte. Sie hielt seinem Blick stand, auch wenn sie ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre. Es war zum Heulen. Sie liebte diesen Kerl, und sie würde ihn heute zum letzen Mal sehen. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht in Tränen auszubrechen. Nachdem ihre Familie bereits etwas in das Buch geschrieben hatte, stupste ihre Mutter sie an und reichte ihr ebenfalls den Stift.

„Möchtest du nicht auch was hineinschreiben?“

Julia nickte bloß und nahm den Stift in die Hand. Sie beugte sich hinunter und hielt den Stift über das Papier. Was sollte sie schreiben? Ihr fiel einfach nichts Passendes ein. Dann sah sie noch einmal zu Marcos auf und sein Blick war so eindringlich, dass sie nur drei Worte schrieb und das Buch dann zu ihm hinüber schob, so dass er es lesen konnte. Dann ließ sie den Stift fallen und ging zu ihrer Schwester, die am Rande der Tanzfläche stand und ihren Eltern beim Tanzen zusah. Sie waren ein tolles Tanzpaar, man sah ihnen die jahrelange Übung des gemeinsamen Tanzens an.

Marcos ärgerte sich über sich selbst. Er hatte etwas zu ihr sagen wollen, doch ihm hatten die Worte gefehlt. Er sah ihr hinterher, wie sie davonging und ihren Eltern beim Tanzen zusah. Sie war wunderschön und vor allem dieses Kleid hatte es ihm angetan. Es betonte ihre schlanke Figur und die schönen Rundungen ihres Körpers. Das brünette Haar fiel ihr heute Abend lang über die Schultern. Sie lächelte, als sie ihren Eltern zusah, doch es lag auch ein Schatten auf ihr. Er ließ seinen Blick sinken und blickte auf ihren Einschrieb in das Gästebuch. Drei Worte: „Ich vermisse dich.“ Tränen schossen ihn in die Augen, doch er blinzelte sie schnell weg. Er sah noch einmal zu ihr und versuchte sie in der Menge ausfindig zu machen. Dann trafen sich ihre Blicke und er wusste augenblicklich, was er zu tun hatte. Von ihrem Blick angezogen, verließ er seinen Posten beim Gästebuch und ging in ihre Richtung. Lucia hatte die beiden beobachtet und nun ihren Bruder bestens im Blick, und ihre Alarmglocken schienen zu schrillen, als sie sah, was sein Ziel war. Sie stellte sich ihm in den Weg und hielt ihn am Arm fest.

„Nicht, mach keinen Mist.“

„Lass mich“, fauchte er und schüttelte unsanft ihren Arm fort. Er wusste, dass er großen Ärger bekommen würde, doch das war ihm im Augenblick herzlich egal. Er berührte Julias Schulter, und sie drehte sich zum ihm herum. Sie schien überrascht und zog zittrig nach Luft.

„Marcos, was tust du?“

Er brauchte eine Weile, ehe er seine Stimme wiederfand. „Es tut mir leid, ich wollte nicht… ich vermisse dich auch.“

In Julias Augen schimmerten Tränen, doch sie nickte und flüsterte.

„Ich liebe dich.“

Es war sehr laut um sie herum und ihr Flüstern war kaum zu verstehen, doch er hatte ihre Worte genau verstanden. Er zog sie in seine Arme und gab ihr einen langen innigen Kuss. Er hörte Lucias empörtes Meckern, doch es war ihm alles egal, nur Julia nicht. Er wollte sie nie wieder loslassen. Nur kurz löste er sich von ihr. Er sah ihr tief in die Augen und sagte:

„Ich liebe dich auch, Julia.“

Julias Herz spielte verrückt. Sie hatte das Gefühl zu platzen und als er ihr sagte, dass er sie auch liebte, zog sie ihn wieder an sich und küsste ihn erneut. Alles um sie beide herum schien zu verblassen. Julia wusste, dass ihre Eltern es mit Sicherheit sahen und viele andere auch, aber all das zählte jetzt nicht. Nur Marcos. Sie hätte ewig so ausharren können, doch was gerade erst begonnen hatte, wurde jäh unterbrochen von dem Hotelmanager, der Marcos grob an den Arm fasste und ihm etwas auf Spanisch ins Ohr fauchte. Erschrocken hielt sie die Hand vor den Mund. Scheiße, sie hatte ganz vergessen, dass Marcos nichts mit den Gästen anfangen durfte. Sie hatte es für einen Augenblick völlig vergessen. Marcos wurde von ihr fortgezogen, doch sie hielt seinen Arm fest.

„Ich muss gehen.“

„Nein, bitte nicht.“

„Ich muss. Tut mir so leid.“

„Aber wohin? Was…“ Sie fühlte sich völlig hilflos. Marcos riss sich noch einmal aus dem Griff des Managers los und drückte sie ganz fest an sich. Dabei flüstere er ihr ins Ohr: „Ich warte am Strand auf dich.“

Julia nickte und sah ihm nach. Sie sah seine Mutter, die vor Schreck die Arme über dem Kopf zusammengeschlagen hatte, und sie begegnete Lucias zornigen Blick, der eindeutig ihr galt. Blöde Kuh, dachte Julia. Wegen ihr war die ganze Sache doch bloß so eskaliert.

„Wow, Schwesterherz. Was für ein Kuss.“

„Hör auf, das ist nicht witzig“, fuhr Julia ihre Schwester an.

„Na na, Mädels, benehmt euch“, versuchte ihr Vater zu schlichten, der mit ihrer Mutter im Arm zu ihnen getreten war.

„Was ist denn passiert?“, fragte ihre Mutter stattdessen.

„Das habe ich euch doch schon erzählt. Er darf nichts mit den Hotelgästen haben, und jetzt bekommt er bestimmt mächtig Ärger, meinetwegen.“

„Ach komm, so schlimm wird es schon nicht sein“, sagte ihr Vater. Julia funkelte ihn böse an. Dann wandte sie sich an ihre Mutter.

„Mami, darf ich gehen. Ich möchte ihn noch einmal sehen. Bitte, wir haben nur noch diese eine Nacht.“

„Nein, du gehst nirgendwo hin, junge Dame“, schoss ihr Vater dazwischen, doch sie beachtete ihn gar nicht. Sie sah nur ihre Mutter flehend und mit Tränen in den Augen an.

„Bitte, ich werde ihn nie wieder sehen und ich… ich habe mich in ihn verliebt.“

„Ja, ich weiß. Hast du alles in deinen Koffer für die Abreise gepackt.“

„Susanne bitte, dass kannst du doch wohl jetzt nicht erlauben.“ Ihr Vater war völlig von den Socken, doch ihre Mutter ignorierte ihn einfach und tätschelte beruhigend seinen Arm.

„Gut, aber sei pünktlich zurück. Unser Bus kommt um sieben Uhr morgen früh.“

„Ja, ich weiß. Danke Mama.“

„Schon gut… und, Julia… versprich mir, dass du vorsichtig bist.“

Sie nickte und zog dann ihre Mutter ganz fest in die Arme.

„Danke“, flüsterte sie und rauschte davon.

Marcos lief am Strand auf und ab und begann sich zu fragen, ob sie wirklich kommen durfte. Doch dann war sie plötzlich da, und er zog sie ganz fest in seine Arme.

„Es tut mir wirklich sehr leid, was an dem Nachmittag passiert ist. Ich hätte…“

Sie verschloss ihm den Mund „Tsch… nicht. Ich will nicht darüber reden. Wir haben nur noch diese eine Nacht und die sollten wir genießen und nicht mit Entschuldigungen vergeuden.“

„Gut. Wann musst du zurück sein?“

„Spätestens morgen früh um sieben Uhr. Wir haben also wirklich die ganze Nacht.“

Es war eine berauschende Nacht. Sie waren erst was trinken gegangen und später hatten sie in einer Bar zusammen getanzt. Völlig durchgeschwitzt hatten sie die Bar um Mitternacht verlassen und waren Arm in Arm am Strand weit entfernt von den Hotels entlanggelaufen. Dieser Strand war wenig besucht, auch wenn es hier genauso schön war, wie anderswo, doch er war zu weit von den nächsten Hotels entfernt, so dass sich nur selten Touristen hierhin verirrten, erzählte Marcos ihr. Jetzt zu dieser Tageszeit waren sie vollkommen allein hier. Nach einer Weile setzten sie sich in der Nähe einer Palme an den Strand.

„Wirst du großen Ärger bekommen wegen der ganzen Sache?“

„Ich weiß nicht, vielleicht. Ich muss morgen noch einmal zum Hoteldirektor, und dann werde ich sehen.“

„Deine Eltern werden mich jetzt hassen.“

„Ach Quatsch, warum denn?“

„Na, weil das alles meinetwegen passiert ist, und es tut mir leid.“

„Hey, hast du nicht vorhin gesagt, dass wir die Nacht nicht mit Entschuldigungen vergeuden wollen?“

„Ja, aber…“

„Nichts, ja aber. Du bist es wert, und ich habe es nicht nur für dich getan. Ich wollte dich nicht einfach so gehen lassen. Ich liebe dich, und ich würde mir wünschen, du könntest für immer hier bleiben.“

Sie lächelte. „Ja, das wäre schön, oder wenn du einfach mit mir mitkommen könntest.“

„Ja, vielleicht finden wir irgendwann einen Weg zueinander, aber eines kann ich dir versprechen. Ich werde dich niemals vergessen, Julia.

„Ich werde dich auch nie vergessen“, sagte sie und dann küsste sie ihn. Sie blieben die ganze Nacht an dem menschenleeren Strand und liebten sich unter dem Sternenhimmel. Es war das Schönste, was sie je erlebt hatte, und sie war sich sicher, dass sie Marcos und diese Nacht niemals vergessen würde.

Als die Sonne aufging, kam die böse Ernüchterung, denn in wenigen Stunden würde Julia bereits im Flieger sitzen, der sie zurück nach Hause brachte und sie würde wahrscheinlich nie mehr zurückkehren. Sie hätte heulen können, doch sie riss sich zusammen. Sie sprachen nicht viel auf dem Rückweg zum Hotel, sondern klammerten sich nur aneinander fest. Zwanzig Minuten vor sieben Uhr trafen sie am Hoteleingang ein. Ihre Familie wartete bereits zusammen mit ein paar anderen Gästen vor dem Hotel auf den Busshuttle. Ihr Vater hatte schon seit einer halben Stunde ständig nervös auf die Uhr geschaut, und man sah ihm die Erleichterung, als seine Tochter schließlich pünktlich auftauchte, förmlich an. Susanne nahm ihre Tochter kurz in den Arm. Auch sie war erleichtert, dass ihre Tochter pünktlich aufgetaucht war, aber sie hatte eigentlich auch nichts anderes erwartet. Doch ihre große Tochter sah sehr mitgenommen aus. Die Trennung würde ihr sehr schwer fallen, wie sie es schon vermutet hatte, und sie hoffe, dass Julia sehr stark sein würde. Julia setzte sich zusammen mit Marcos auf den Bordstein und kuschelte sich in seine Arme. Er gab ihr einen Kuss aufs Haar und sagte leise:

„Pass auf dich auf und versprich mir, dass du die Schule ernster nimmst und deinen Abschluss im nächsten Sommer schaffst.“

Sie nickte nur. Sie konnte nicht reden, weil es ihr die Kehle zuschnürte.

„Versprochen?“

„Ja, versprochen“, murmelte sie leise.

Als der Bus kam, wäre sie am liebsten mit Marcos davongelaufen. Doch es nützte nichts, sie würde in diesen Bus steigen müssen, also standen sie auf und Marcos verstaute ihr Gepäck in den Bus. Dann nahm er sie fest in seine Arme, und sie klammerte sich an ihn.

„Ich werde dich vermissen“, sagte er und damit war es mit ihrer Fassung vorbei. Sie schluchzte laut an seiner Schulter auf und fing an zu weinen. Marcos versuchte sie zu trösten, doch auch er hatte mit den Tränen zu kämpfen. Sie würden sich nie wieder sehen und das war so schmerzhaft.

Ihr Vater fasste ihr sanft an der Schulter.

„Julia, wir müssen einsteigen.“

Sie nickte und löste sich ein wenig von Marcos.

Er sah sie aus diesen wundervollen Augen an, und sie wusste, dass sie diese Augen niemals vergessen würde und immer aus der Menge herausfiltern könnte.

„Ich liebe dich, Julia.“

„Ich dich auch“, flüsterte sie und dann küssten sie sich noch ein letztes Mal, bis der Busfahrer anfing zu hupen und ihre Mutter sie behutsam von Marcos löste.

„Leb wohl“, sagte er noch bevor sich die Türen des Busses schlossen und sie davonfuhren.

Julia weinte die ganze Zeit während der Busfahrt, und auch während des Fluges konnte sie nicht damit aufhören. Irgendwann tauschte Claudia die Plätze mit ihrer Mutter, weil sie das ewige Geheule ihrer Schwester nicht mehr ertragen konnte, oder weil es ihr einfach schlicht und ergreifend peinlich war, neben ihr zu sitzen. Ihre Mutter strich ihr sanft das Haar aus dem Gesicht und sah sie besorgt an.

„Der gutaussehende Puerto Ricaner hat es dir angetan, hm?“

Sie sah ihre Mutter nicht an, aber sie nickte.

„Ich weiß, dass du dich verliebt hast, und ich weiß, wie weh das tun kann.“

Julia sah ihre Mutter erstaunt an.

„Ja, ob du es glaubst oder nicht, aber auch ich habe meine Erfahrungen gemacht, ehe ich deinen Vater kennenlernte. Ich weiß auch, wie sich Liebeskummer anfühlt und glaube mir, es wird irgendwann besser. Du wirst dich irgendwann wieder verlieben und vielleicht ist es dann einfacher.“

Na toll, so was wollte in so einer Situation hören. Sie wollte sich nie wieder verlieben, und an einen anderen als Marcos wollte sie schon gar nicht denken.

„Du siehst müde aus. Habt ihr überhaupt geschlafen?

„Nein.“

Eine Zeitlang schwieg ihre Mutter, und Julia hoffte, dass sie das Thema jetzt endlich fallen ließ. Sie wollte nicht reden. Sie wollte eigentlich nur allein sein. Doch das war in einem Flugzeug nicht ganz so einfach und nach einer Weile fragte Susanne:

„War es heute Nacht dein erstes Mal?“

Julia sah überrascht auf. Konnte man es ihr ansehen, dass sie Sex gehabt hatte oder ging ihre Mutter einfach davon aus, dass sie in dieser Hinsicht noch keine Erfahrung gemacht hatte? Sie wollte es erst abstreiten, doch dann entschied sie sich dagegen.

„Ja.“

„War es schön für dich.“

Julia nickte. „Ja, war es. Es war etwas ganz besonderes.“

Irgendwann während des Fluges holte sie die Müdigkeit schließlich doch noch ein, und sie verschlief die restlichen Stunden, zum Segen aller.

Verlorene Liebe

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