Читать книгу Der Ruf der rosa Delfine - Сай Монтгомери - Страница 6

Wie ich mein Herz an den Amazonas verlor: Einführung in die Ausgabe von 2008

Оглавление

Obwohl meine Arbeit normalerweise als wissenschaftlich eingestuft wird, handelt es sich bei diesem Buch, so wie bei all meinen Büchern, um eine Liebesgeschichte. Wobei die folgende Geschichte wohl das Leidenschaftlichste ist, was ich je geschrieben habe.

Ich habe mich in den Amazonas verliebt, lange bevor ich auch nur einen Fuß nach Südamerika setzte. Als Kind träumte ich von den riesigen, unerforschten Wäldern und dem unbekannten Leben, das dort pulsiert. Mein Vater, ein Weltenbummler und Armeegeneral, erzählte mir damals Geschichten von listigen Jaguaren, Schwärmen lärmender Papageien, menschenfressenden Fischen und Schlangen, die einen mit Haut und Haar verschlingen. Als kleines Mädchen war ich fasziniert von den tierischen Kräften der Wildnis. Ich stellte mir elektrische Aale vor, so lang wie Limousinen, und leuchtend blaue Schmetterlinge mit Flügeln, größer als die der Vögel.

Weder mein Vater noch ich wussten damals von der Existenz der rosa Delfine, nur die wenigsten taten dies. Sicher, die Einheimischen kannten sie und auch die Wissenschaft hatte ihre Art erfasst, doch für die meisten Menschen schienen rosa Delfine genauso unmöglich wie rosafarbene Elefanten. Mal ehrlich: rosa Delfine? Wer glaubt denn so etwas? Wobei ich als Kind sicher keine allzu großen Schwierigkeiten gehabt hätte, mir einen rosa Delfin im Amazonas vorzustellen. Wenn es so etwas irgendwo auf der Welt geben könnte, dann im größten Dschungel der Welt. Meine junge Seele war wie besessen von seinen Wundern.

Ein Vierteljahrhundert später, acht Jahre nach dem Tod meines Vaters, unternahm ich schließlich meine erste Reise in den Regenwald. Ich konnte dem Anblick der schelmischen Flussbewohner einfach nicht widerstehen. Und so führte mein wissenschaftlicher Ansatz, die vielen ungeklärten Fragen um jene rosarote Walart zu beantworten, mich auf die Suche, von der diese Erzählung handeln soll.

Zunächst glaubte ich noch, ich könne ihnen im wörtlichen Sinne folgen, indem ich den Weg eines Tiers von Punkt A nach Punkt B zurückverfolgte. Doch die Delfine erwiesen sich als schwerer fassbar und zugleich aufschlussreicher, als ich vermutet hatte. Sie führten mich auf den Grund eines weit tieferen Geheimnisses: Sie führten mich ins nasse, pulsierende Zentrum der Welt meiner Träume.

Stück für Stück gewährten sie mir auf ihre aberwitzige Art Einblicke unter die Flussdecke. Rosa Delfine springen nicht wie Meeresdelfine aus dem Wasser empor; unter den dunklen Gewässern des Amazonas bleiben sie so gut wie unsichtbar. Doch selbst ungesehen lockten sie mich, neckten mich, verspotteten, frustrierten und verführten mich.

Ich konnte nicht anders, als mich Hals über Kopf in sie zu verlieben. Ich hatte dies kommen sehen; all die mir bekannten Legenden berichten von der transformativen Kraft und den Verführungskünsten des rosa Delfins. Was folgt, ist die Geschichte meiner Verführung. Und ich fürchte, auch Sie werden sich seinem Charme nicht entziehen können. Drum seien Sie auf eins gefasst: Die Zwillingsschwester der Liebe ist die Angst, der Geliebte könne verletzt oder einem für immer genommen werden. Auch darum geht es in diesem Buch. Der Amazonas und seine rosa Delfine sind heute noch größeren Bedrohungen ausgesetzt als jenen, denen ich damals begegnete, als ich Ende des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal den Weg auf mich nahm.

In den acht Jahren seit der ersten Veröffentlichung dieses Buches hat eine Reihe von weltweiten Ereignissen den Naturschutznotstand im Amazonasgebiet auf herzzerreißende Weise herbeigeführt. Ein Fünftel des gesamten Gebietes ist bereits zerstört.

In Brasilien, inmitten dessen Grenzen der größte Teil des Amazonas verläuft, wurde zwischen Mai 2000 und August 2005 eine Rekordfläche von 50.950 Quadratmeilen Wald gefällt – eine Fläche, die noch größer ist als Griechenland. Der schrumpfende Amazonas muss zunehmend auf die Anforderungen der Agrarindustrie umgestellt werden, was wiederum den drohenden globalen Klimawandel dramatisch beschleunigt.

Die Folgen des Klimawandels sind in Brasilien bereits erschreckend deutlich: Ein unerwarteter Hurrikan – der einzige, der jemals im Südatlantik gemeldet wurde – verwüstete im März 2004 die Ostküste. Eine beispiellose Dürre im Jahr 2005 ließ die Ernten schrumpfen, stoppte den Reiseverkehr und verbreitete Feuer und Krankheiten. Im Jahr 2007 folgte eine weitere Dürre. Sterbende Fische lagen keuchend in Trockenbecken, die einst Seen waren; Menschen erstickten am Rauch von Waldbränden; die Krankenhäuser waren voller Patienten, die an Cholera, Malaria und anderen Krankheiten litten, welche sich ausbreiten, wenn das Trinkwasser knapp, schmutzig und stagnierend wird.

Brasilien ist heute weltweit der viertgrößte Produzent der vornehmlichen Treibhausgase, die für den globalen Klimawandel verantwortlich sind. Drei Viertel davon entstehen durch das Verbrennen und Fällen von Bäumen. Ironischerweise wird heute ein Großteil des Amazonasgebietes abgeholzt, um Pflanzen für die Produktion von Biokraftstoffen anzubauen – ein Mittel zur Bekämpfung der globalen Erwärmung. Kein Wunder, dass die heilenden, treibhausgasabsorbierenden Kräfte des Amazonas immer schwächer werden, je mehr Bäume getötet werden.

Auch Peru leidet unter diesen Auswirkungen. Wie in Brasilien verteilt nun auch die peruanische Regierung Holz- und Ölkonzessionen wie Pfefferminzbonbons. Und die globale Gaskrise treibt die Ölgier nur noch weiter an; so sehr, dass sie mit der Gier nach Gold vergleichbar ist. Das Öl erzielt einen so enormen Preis, dass inzwischen kein Gebiet mehr vor der Exploration und Entnahme gefeit ist.

Obwohl die Menschen vor Ort teils jene neu geschaffenen Arbeitsplätze begrüßen, die das Öl mit sich bringt, könnten ihre Sorgen nicht größer sein: Umweltverschmutzung, übermäßiges Jagdverhalten, kultureller Verlust, sexuell übertragbare Krankheiten. Viele Naturschutzorganisationen arbeiteten hart daran, peruanischen Beamten bei der Ausarbeitung von Beschränkungen für Holz- und Ölgenehmigungen zu unterstützen. Doch diese Beschränkungen existieren nur auf dem Papier. Öl- und Holzfirmen verweigern die Verwaltung der Konzessionsgebiete und beschränken ihre Aktivitäten in keiner Weise auf die ihnen zugewiesenen Gebiete. Und auch von der peruanischen Regierung ist keine Durchsetzung ihrer Vorschriften zu erwarten.

Trotz alledem besteht Hoffnung: Brasilianische Politiker*innen, die lange Zeit davon ausgingen, dass Naturschutzprojekte in Wahrheit schlecht getarnte Verschwörungen des Westens seien, um in den Amazonas einzudringen, ihn zu erobern und seinen Reichtum zu stehlen, erwägen endlich die Möglichkeit, das Tempo, mit dem sie den Regenwald abtöten, zu reduzieren. Die Beweise für den vom Menschen verursachten Klimawandel sind nicht länger zu übersehen. Selbst der brasilianische Präsident ist mittlerweile alarmiert: Wenn „die Regenmaschine des Amazonas“ gestört wird, ist Brasiliens südlicher Brotkorb dem Untergang geweiht. Umweltschützer hierzulande und in Brasilien hoffen, dass sich die Naturschutzpolitik als Folge dieser Bedrohung ändern wird.

Die Politik Perus steht zwar nicht unter Überwachung, handelt jedoch um einiges vernünftiger. Hier gibt es zumindest Schutzgebiete – und ein Schutz auf dem Papier ist immer noch besser als gar kein Schutz. Laut einer 2007 veröffentlichten Studie der Abteilung für globale Ökologie der Carnegie-Institution sind Perus Schutzgebiete 18-mal wirksamer, wenn es um die Reduzierung der Entwaldung geht, als ungeschützte Gebiete. Im Bericht heißt es, dass die Entwaldungsrate in Peru dank der Schutzgebiete zu den niedrigsten aller tropischen Länder zählt. (Dennoch stellt jene Studie, die auf Satellitenerhebungen basiert, ebenfalls fest, dass zwischen 1999 und 2005 jährlich 249 Quadratmeilen Wald zerstört wurden, wobei jedes Jahr weitere 244 Quadratmeilen Wald beschädigt, aber nicht zerstört wurden.)

Im Jahr 2007 wurde das Gemeinschaftsreservat Tamshiyacu-Tahuayo in Peru, in dem ein Großteil der Erzählung in diesem Buch spielt, erheblich vergrößert, was zum Großteil auf die langjährige Arbeit des Regenwaldschutzfonds mit den örtlichen Gemeinden zurückzuführen ist. Ich unterstütze diese Arbeit, indem ich dem Vorstand des RCF beigetreten bin. Als meine Mutter starb, habe ich den Erlös aus dem Verkauf ihrer häuslichen Habseligkeiten der Organisation gespendet. Die Adresse von RCF sowie weiterer wichtiger Akteure im Amazonas-Schutzgebiet finden Sie auf der Rückseite dieses Buches.

Nicht alles ist verloren. Noch nicht. Ich liebe die Delfine und den Amazonas zu sehr, um aufzugeben. Die rosa Delfine geben mir eine besondere Hoffnung. Schließlich waren diese geschmeidigen Wale, wie alle Wale, einst schwerfällige Landtiere. Wie die Einheimischen des Amazonas berichten, kehren sie noch immer ab und an zurück an Land. Legenden besagen, dass sie dabei sogar manchmal die Gestalt von Menschen annehmen. Rosa Delfine sind der Beweis dafür, dass eine wundersame Wandlung möglich ist – vielleicht sogar für uns.

Sy Montgomery

26. April 2008

Hancock, NH

Der Ruf der rosa Delfine

Подняться наверх