Читать книгу Sarah (eBook) - Scott McClanahan - Страница 10

Оглавление

Ein paar Wochen später verbrannte ich eine Bibel. Ich blickte zu meinem Freund Chris und sagte: »Weißt du was, wir sollten eine Bibel verbrennen.« Tatsächlich hatten wir schon eine Weile darüber gewitzelt. Ein Monat davor war die Rechnung beim Drive-in von Taco Bell genau 6.66 $ gewesen. Danach behauptete ich immer, wenn ich mit Freunden ausging, der Teufel sei hinter mir her. Ich sagte so was wie »Ich schwöre, der Teufel ist total hinter mir her.« Und dann bestellte ich bei Taco Bell das Gleiche wie damals, und es kam wieder auf 6.66 $ und alle so whoa oh mein Gott.

Vielleicht war es ein Zeichen. Vielleicht wollte der Teufel mir ja wirklich was mitteilen.

Also begann ich nach einer Bibel zu suchen. Chris fand die Idee nicht so gut und sagte, Sarah würde es sicher rauskriegen. »Wegen Sarah mach dir mal keine Sorgen«, sagte ich. Ich war erwachsen und wenn ich eine Bibel verbrennen wollte, konnte mir Sarah das auch nicht verbieten.

Ich durchsuchte die Bücherregale im Keller. Wir besaßen drei Bibeln. Es gab eine Gideons-Ausgabe und eine mit einem schwarzen Einband, die meine Kindheitsbibel gewesen war. Und dann noch eine im untersten Regal. Das war die neueste Bibel im Haus. Irgendwer hatte sie uns zu unserer Hochzeit geschenkt.

Ich nahm sie aus dem Regal. Es war eine dieser riesigen weißen ­Plüschbibeln und in der Ecke stand »Sarah und Scott McClanahan« in Gold. Diese Art von Bibel liegt bei Leuten sonst immer gut sichtbar auf dem Couchtischchen oder im Haus von Großeltern oder so. »Ich glaub, wir sollten lieber nicht«, sagte Chris, aber ich hörte nicht auf ihn. Also legte ich die Bibel auf den Tisch und schlug sie auf. Das Buch Daniel. Er ließ den Ofen siebenmal stärker heizen, als man ihn gewöhnlich heizte. Ich ging in einen anderen Teil des Kellers, wo Sarah die alten Werkzeuge ihres Vaters aufbewahrte. Ich kramte eine Zeit lang, dann fand ich endlich einen Behälter mit Feuerzeugbenzin und ein paar Streichhölzer.

Das Benzin tropfte tropftropf auf die Bibelseiten. Dann das Streichholz. Ich riss es an der Reibefläche an, die Flamme kam, aber dann blies ich es wieder aus. »Oh verdammt, lass mich vorher noch kurz …«, sagte ich. Ich schaltete das Licht aus.

Chris wiederholte: »Ich glaub, wir sollten lieber nicht. Wir sollten lieber nicht.«

Aber ich zündete schon das nächste Streichholz an und ließ es auf die Bibel fallen, und es hörte sich an, wie wenn etwas zerreißt, und ha, die Bibel brannte hell.

Mein Gesicht glühte im Licht. Ich sah mein Spiegelbild im Fenster, und da war ein Heiligenschein um meinen Kopf.

Die Flammen verteilten sich wellenartig über die Seiten, und ihre Farbe wechselte von rot zu braun zu schwarz. Ich löschte die paar noch glosenden dunklen Aschestücke, und das war alles. Nichts passierte. Es war genau dasselbe, wie wenn ich mich im Auto betrank und der Teufel nichts dazu beizutragen hatte. Chris und ich mussten lachen. Aber dann hörten wir Sarah oben herumgehen und wir gerieten in Panik. Ich klappte die Bibel zu. Das Papier knisterte und wellte sich. Dann legte ich die Bibel zurück ins unterste Regal, und da kam sie schon die Treppe herunter.

Einen Monat später hatte ich alles vergessen. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte die verbrannte Bibel damals einfach zurück ins unterste Regal gelegt, anstatt sie wegzuwerfen. Sarah und ich und eine von Sarahs Freundinnen waren gemeinsam im Keller. Ich arbeitete an meinem Schreibtisch, und Sarah zeigte ihrer Freundin gerade den neuen Boden, den wir im Keller verlegt hatten.

»Oh, schaut super aus.«

»Ja, wirklich super.«

Solche Sachen sagten sie. Und Sarahs Freundin schaute sich den glänzenden neuen Boden an und dann all meine Bücher in den Regalen, und sie sagte: »So viele Bücher.« Sarah schüttelte den Kopf und sagte: »Ja, er mag Bücher.«

Dann entdeckte Sarahs Freundin etwas in einem Regal, das ihr Interesse weckte.

Ich hörte sie sagen: »Oh wow, wir hatten auch so eine Bibel, wie ich klein war. Diese riesigen Plüschbibeln hatte ich so gern!« Ich drehte mich um und sah, wie die Frau die verbrannte Bibel aus dem Regal nahm und in der Hand hielt. Sarah sagte, sie hätte die Bibel vor ein paar Jahren als Hochzeitsgeschenk bekommen. Sarahs Freundin machte die Bibel auf, und die verbrannten Seiten knisterten und krachten und stellten sich auf.

Sarahs Freundin sagte: »Oh Gott.«

Sarah: »Was zum …«

Erwischt. Sarah nahm ihrer Freundin die Bibel weg und wurde still. Ich sagte nichts.

Ich versuchte mir etwas auszudenken, was ich zur Erklärung vorbringen konnte. In der sechsten Klasse waren meine Freunde und ich einmal bis spät in die Nacht wach geblieben und hatten eine ganze Flasche billigen Wein ausgetrunken, die meine Eltern ganz hinten in einem Schrank aufbewahrt hatten. Hinterher hatten wir die leere Flasche einfach wieder zurückgestellt. Im Sommer danach entdeckte meine Mutter die Flasche.

»Was ist mit dieser Flasche passiert, Scott?«, sagte sie.

Ich sagte: »Muss verdampft sein.«

Und sie glaubte mir.

Aber als Sarah mich fragte, ob ich wisse, was mit der Bibel passiert war, wusste ich nicht, was ich erwidern sollte. Ich fragte mich, ob ich mich so wie damals in der sechsten Klasse verhalten sollte, also einfach sagen: Hä, was meinst du, keine Ahnung. Und sie dabei anschauen, als wäre sie irgendwie gestört. Aber dann sagte ich die Wahrheit. Ich erzählte ihr, Chris und ich hätten die Bibel verbrannt. Zuerst stand sie nur da und starrte mich an, als hätte ich sie verwirrt.

Dann sagte sie ganz ruhig: »Warum tust du so etwas?«

Sarahs Freundin stand auch nur da und grinste ein Grinsen, als wüsste sie nichts beizutragen.

Aber dann fing Sarah zu schreien an: »Warum tust du so etwas? Verdammt noch mal, warum tust du so was?« Und sie schrie: »Die Bibel hab ich von Mary Jo zur Hochzeit bekommen!«

Und Sarahs Freundin sagte: »Ich versteh nicht, wie du so was machen kannst, Scott.« Und Sarah brüllte noch irgendetwas, und dann rannte sie die Treppen hoch.

Am Abend war Sarah immer noch sauwütend und schrie mich an: »Warum hast du das getan?«

Ich versuchte wieder, mich zu verteidigen. Ich sagte, wo sei denn das große Problem. Es sei doch witzig. Ich glaubte nicht an das ganze Zeug, was spielte es also für eine Rolle. Ich sagte ihr, wir hätten uns halt gelangweilt.

Und Sarah sagte, es sei ihr direkt unheimlich. Sie frage sich, ob es noch mehr gab, was ich ihr verheimlichte, Dinge, Leute. Ein Doppelleben, das ich vielleicht führte. Sie sagte, so was mache man einfach nicht, auch nicht im Scherz.

Dann sagte sie mir, sie wolle das Ding nicht mehr im Haus haben. Sie sagte, sie wollte diese verbrannte Bibel nicht eine einzige Minute länger im Haus haben. Also versprach ich, ich würde sie morgen in den Müll werfen, aber das genügte ihr nicht. Sie verlangte, dass sie sofort entsorgt werden würde. Also holte ich einen Müllsack aus der Küche, schüttelte ihn aus, sodass er sich ffflup mit Luft füllte. Damit ging ich nach unten und legte die Bibel in den Sack. Kleine Stücke rieselten von ihr ab, langsam, wie Schneeflocken. Dann zog ich die Schnur zu und band sie fest. »Ich werfe sie in den Müll«, sagte ich, aber das genügte Sarah auch nicht. Sie sagte mir, sie wolle nicht, dass die Müllmänner sie sehen. Da brüllte ich sie an, es sei absolut lächerlich, sich darum zu kümmern, was die scheiß Müllmänner über uns denken.

Aber dann sagte ich: »Okay, okay.« Und ich zog meine Kleider an und nahm meine Schlüssel und sagte, dass ich sie irgendwie verschwinden lasse. Ich ging nach draußen in die Dunkelheit und suchte nach einem geeigneten Ort. Ich schaute hoch zum Vollmond und fuhr die Straße entlang.

Ich kam zur Tankstelle und stieg aus, um die Bibel hier irgendwo wegzuwerfen, aber da war ein Typ, der mir den Rücken zukehrte, an der Zapfsäule neben mir. Ich versuchte, die Bibel in den Müllbehälter neben den Zapfsäulen zu drücken, aber der Müllbehälter war bereits randvoll mit Müll, und die riesige Bibel passte nicht rein. Ich versuchte es seitwärts, aber nein. Der Typ schien nichts zu bemerken. Ich hörte Gelächter und es kam von ihm. Er drehte sich zu mir, und ich sah sein Gesicht und ich sah seine Haut. Er sah verbrannt aus. Das Gesicht war knotig vor Narbengewebe, und der Mund sah geschmolzen aus, geknetet zu einer Maske reiner Schmerzen. Also ließ ich die verbrannte Bibel auf den Boden fallen, und der verbrannte Mensch starrte mich einfach an.

Ich floh. Ich stieg ins Auto und fuhr so schnell weg, wie ich konnte. Ich schaute hoch zum Vollmond und ich sah Wolken, die sich über und unter ihm bewegten, wie Messer. Ich sah, wie die Wolken Geisterformen im Himmel bildeten, und ich sah, wie lächerlich das alles war. Und nichts geschah.

Es war erledigt, und ich befand mich nicht an einer Kreuzung, umzingelt von Heerscharen von Engeln aus der Hölle. Und ich sah keine Zukunft vor mir. Ich sah nicht, wie mein Leben zerfallen und wie bald ich mich mit der Schweinegrippe anstecken würde. Ich sah nicht, dass Chris’ Onkel zwei Monate später Selbstmord begehen würde, und ich sah auch nicht, dass sich Chris noch vor Ende des Jahres würde scheiden lassen. Ich sah nicht, dass meine Tochter so krank und klein geboren werden würde. Und ich sah nicht, dass Sarah bald sagen würde, es sei vorbei. Kein Gespenst knisterte mir hinterher. Niemand zeigte mir meine Zukunft, in der alles, was ich kannte und liebte, verschwinden würde. Niemand folgte mir mit der Heugabel, und es roch auch nicht nach Schwefel. Nirgends die Gewissheit einer Apokalypse mit gewaltigem Geschrei allerorts und Geheul und Zähneknirschen. Keine Wegkreuzung, keine Seelen zum Verkauf. Nichts, was irgendwie dem Teufel glich. Nur ich. Die ganze Hölle.

Sarah (eBook)

Подняться наверх