Читать книгу Sarah (eBook) - Scott McClanahan - Страница 11
ОглавлениеAls ich Sarah Johnson zum ersten Mal begegnete, sagte sie mir, dass ich meinen Penis zum Schrumpfen bringen würde.
Sie trug einen schwarzen Rollkragenpullover und Strumpfhosen unter einem schwarzen Rock und schwarze Stiefel, die bis zu ihren Knien reichten. Sie sah wie eine Zeichentrickfigur aus und sie hatte diese riesigen, also riesig-riesigen, riesigen braunen Augen. Ihre Nase war klein und ihr Mund war winzig, im Grunde nur ein Punkt. Und der Punkt kräuselte sich seitlich in so ein stirnrunzeliges Etwas, aber scheiß auf Beschreibungen.
Ich trank mein Mountain Dew, und sie sagte: »Du weißt schon, dass da Tartrazin drin ist? Das bringt Penisse zum Schrumpfen.«
Ich nahm einen Schluck aus der großen Flasche und sagte: »Deshalb trink ich’s ja. Muss paar Zentimeter wegnehmen von dem Ding.«
Sie lachte folgendermaßen: Versuch, Oh Gott zu sagen. Oh Gott. Und jetzt sag es eine Million Mal.
Das erste Mal, dass ich Sarah Johnson eine Geschichte erzählen hörte, ereignete sich dann einige Minuten später. Sie erzählte von einer ihrer Mitbewohnerinnen, die sich heute Nacht ihre Feige polieren lassen wollte. Also würde Sarah ihr etwas Privatsphäre gönnen.
»Ihre Feige polieren? Was bedeutet das?«
Sarah lächelte, deutete zwischen ihre Beine und wedelte mit ihren Händen auf und ab, als wären sie Wild-West-Pistolen, und dann sagte sie: »Na ja, die Feige hier. Die Feige polieren. Beste Feige der Welt.«
Und sie zwinkerte mir zu.
Dann fragte sie, ob ich Feigen mochte.
Ich sagte: »Ja, ich mag Feigen.«
Sarah sagte: »Wer nicht? Gott segne unser Obst.«
Dann, einige Minuten später, kam das erste Mal, dass Sarah Johnson meine Hand berührte. Ich saß in einem Bürosessel mit Rädern und sie auch und sie rollte hin und her zwischen ihrem und einem anderen Schreibtisch. Sie nahm meine Hand und zog mich zu sich. Wir rollten im Raum herum.
Ich sagte: »Was machen wir hier eigentlich?«
Sarah lächelte und sagte: »Bürosesseltanzen, zu zweit.«
Sie erzählte mir von einem Theaterstück, dass sie sich gern ansehen würde. Ob ich sie begleiten wolle. Ich wollte es gern mit ihr anschauen und ich sagte: »Okay.«
Bei meinem ersten Date mit Sarah Johnson passierte Folgendes. Ich war neunzehn und sie war vierundzwanzig und mir wurde bewusst, dass ich nie zuvor ein Date gehabt hatte. Nie. Sie kam zu mir, und ich hatte dieses abgerissene T-Shirt an, und meine Zähne waren im Arsch, weil mir einer der Schneidezähne entzweigebrochen war. Ich hatte in derselben Woche meinen Kopf rasiert, überm Waschbecken.
Ich bot ihr ein Old Milwaukee an. Ich hinkte allem hinterher. Sie schaute mich an und sagte: »Na ja. Besser wird’s wohl nicht.« Dann betrachtete sie mein dreckiges Zimmer. Bücher überall, leere Dosen, verstreute Zettel. Sie fragte mich, warum ich nicht saubermachte. Ich erzählte ihr, dass ich manchmal depressive Phasen hatte, und dann redeten wir und scherzten über die Verwendung von Tampons als Weihnachtsschmuck. Sarah lachte und ich lachte auch. In dem Moment wusste ich, dass ich nichts auf der Welt so gern tat, wie sie zum Lachen zu bringen.
Ich zog ein Hemd an und eine Krawatte, und dann gingen wir das Theaterstück anschauen, eine Dramatisierung von Mark Twains Tagebücher von Eva. Im ersten Akt sahen wir, wie Adam und Eva aus dem Garten verbannt wurden. Im zweiten Akt dann wurden die beiden alt. Wir schauten Eva dabei zu, wie sie einen ihrer Söhne verlor. Das war der Alterungsprozess. Sie betrachtete ihr Gesicht im Wasser eines Flusses und dachte an früher. Sie hatte Angst vorm Älterwerden. Adam sagte ihr, das Fleisch sei eine Täuschung und wir seien jetzt einfach Menschen und am Ende narre uns das Fleisch. Als Eva starb, weinte der Schauspieler, der Adam spielte, und als Adam Eva ganz am Ende begrub, sagte er: »Ich hatte geglaubt, es wäre unser großes Unglück gewesen, den Garten verlassen zu müssen, aber nun sehe ich ein, dass ich mich geirrt habe. Denn man kann nur das lieben, was man verliert. Ich habe begriffen, dass ich den Garten, aus dem wir vertrieben wurden, niemals vermisst habe. Da, wo sie war, da war mein Eden.«
Sarah drehte sich zu mir und ich verdrehte die Augen. Ich steckte mir einen Finger in den Hals, als wollte ich mich übergeben, und Sarah schüttelte ihren Kopf und lächelte. Wir gingen vor Ende des Stücks raus und spazierten nebeneinander her und redeten.
Sarah erzählte mir, dass die letzten Jahre für sie schwierig gewesen waren. Vor zwei Jahren war sie auf der Interstate auf dem Heimweg gewesen, und sie musste plötzlich rechts ranfahren, weil sie glaubte, sterben zu müssen. Sie dachte, sie hätte einen Herzinfarkt, und die Sanitäter dachten das auch, aber es war nur eine Panikattacke. Sie brachten sie schnell ins Krankenhaus und ließen ihr Auto, wo es war, und nach dem Krankenhausaufenthalt hatte sie Angst vor allem und konnte gar nichts mehr tun, weil sie immer glaubte, sterben zu müssen. Deshalb tue sie jetzt so, als wäre sie tapfer. Sie sagte, das sei die Geschichte der ganzen Welt – so tun als ob. Dann fragte sie mich, ob ich das Theaterstück dämlich fand. Sie sagte, dass wir, wenn wir von bloß einem Mann und einer Frau abstammten, eigentlich alle dauernd Inzest machten. Die erste Kindergeneration müsste sich ja miteinander paaren oder mit den eigenen Eltern. Wir lachten, und sie fragte mich, ob mir das Stück gefallen habe. Ich sagte, es sei kitschig und voller Klischees. Dann lachte sie und sagte: »Klischees. So wie unser Leben.«
Als ich Sarah Johnson zum ersten Mal küsste, war es drei Tage vor Thanksgiving. Wir trafen uns bei ihr und schauten einen Film über einen Schulbus voller Kinder, die alle sterben, und dann noch eine Wiederholung von Jeopardy. Ich dachte: Filme über tote Kinder sind immer gut für die Romantik.
Ich dachte: Komm, trau dich.
Ich dachte das die ganze Zeit.
Ich lehnte mich zu ihr und küsste sie auf die Wange. Sie lehnte sich zu mir und ich küsste sie auf den Mund. Es fühlte sich so an: zzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzip.
Wir küssten uns und küssten uns, und dann sagte Sarah: »Warum lässt du die Augen dabei offen? Das ist seltsam.«
Ich sagte, tut mir leid. Dann küssten wir uns weiter, aber ich machte wieder die Augen auf. Da fühlte ich mich auf einmal, als würde ich fallen. Und ich fühlte all die Klischees. Ich fühlte mich in all die Klischees fallen. Ich fühlte mich, als könnte ich nicht mehr atmen, Finger eng um meinen Hals. Fallen, ersticken. Alles war schön, so schön, aber dann kam Sarahs Stiefbruder in den Raum.
Sarah sagte: »Ich hab gedacht, er ist weg.«
Ihrem Stiefbruder war es ebenfalls peinlich: »Oh, tut mir leid, Sarah.«
Er lief die Treppen hoch, und Sarah und ich setzten uns aufrecht hin und Sarah sagte, es tue ihr leid.
Ich sagte ihr: »Bloß gut, dass er nicht ein paar Minuten später reingekommen ist, sonst hätte er meinen weißen Hintern rauf und runter –«
Sarah sagte, halt die Klappe. Sie sagte, ich sei ein Idiot. Sie hatte recht. Also hielt ich die Klappe, idiot-style.
Aber was Sarah natürlich nicht wusste: Ich war neunzehn. Ich hatte noch nie wen geküsst. An jenem Abend fuhr ich nach Hause und dachte: Jetzt, wo ich wen geküsst habe, muss ich vielleicht nicht sterben.
Ich frage mich, ob ich damals, als ich durch die Berge fuhr, schon ahnte, dass ich Sarah zehn Jahre später heiraten und Kinder mit ihr haben würde. Dass wir in dem Haus leben würden, das ich gerade eben verlassen hatte. Ich frage mich, ob ich ahnte, dass ich eines Tages darüber schreiben würde, wie wir uns begegnet waren und wie uns das, was wir lieben, abhanden kommt. Und wie dieses Kapitel endet: mit einer Zeile aus einem Theaterstück, das sich zwei Leute vor langer Zeit angeschaut hatten. Es würde so enden. Was alles passiert ist, tut mir nicht leid. Denn da, wo sie war – da war mein Eden. In meiner Erinnerung lachen wir und verdrehen die Augen und tun so, als würden wir würgen, weil alles so kitschig und dumm ist. Es war alles ein Klischee. So wie unser Leben.