Читать книгу Sarah (eBook) - Scott McClanahan - Страница 17
ОглавлениеSarah war 22, als ihr klar wurde, dass sie schwanger war. Sie ging mit diesem Gewichthebertypen aus, dann trennten sie sich und kamen wieder zusammen und sie wurde schwanger.
Und da trennten sie sich wieder.
Sarah entschied sich, das Problem zu lösen. So nannten sie es, wenn sie darüber sprachen. Das Problem lösen. Eines Abends traf sich Sarah mit ihrer besten Freundin, Hot Girl. Die wusste nichts von der Schwangerschaft. Also sprachen sie über eine ihrer Bekannten, die sich die Brust hatte verkleinern müssen, nachdem sie jahrelang an Rückenschmerzen gelitten hatte. Hot Girl berichtete Sarah den neuesten Klatsch: »Aber jetzt, wo sie die Verkleinerung gemacht hat, findet sie, die haben zu viel weggenommen, also lässt sie sie jetzt wieder vergrößern. Sie will wieder ihre Riesentitten.«
Sie lachten und aßen und sprachen über dies und das und Sarah sagte noch immer nichts über ihre Situation und Hot Girl verbarg auch ihr eigenes Herz vor Sarah. Als sie das Lokal verließen, blickte Hot Girl Sarah an, und Sarah blickte zurück. Es war, als wollte Hot Girl irgendetwas in Sarahs Innerem lokalisieren, aber Sarah sagte nichts. Am nächsten Tag wurde Sarah von dem Typen, der sie geschwängert hatte, nach Charleston gefahren. Sarah war still. Der Typ war ebenfalls still. Sie hörten schweigend den Liedern im Radio zu.
Sarah dachte daran, wie sie einmal mit fünfzehn einer Kirchengruppe dabei geholfen hatte, einen Protest vor einer Abtreibungsklinik zu organisieren. Sie war mit Hot Girl dort gewesen und Sarah hielt Schilder mit Abbildungen toter Babys in die Höhe, obwohl sie das gar nicht wollte.
Als Hot Girl sie einlud, dachte Sarah, es wäre für einen Campingausflug oder so, aber dann stand sie da und hielt Schilder mit toten Babys in die Höhe. Natürlich wollte Sarah Hot Girl nicht enttäuschen. In ihrer Erinnerung brüllte Sarah lauter und schwang ihr Schild wilder hin und her. Sie war gerade mal fünfzehn. Sie war eine verlässliche Freundin.
Daran musste Sarah denken, als sie auf dem Klinikparkplatz standen. Sie lachte. Sie stieg aus dem Wagen und betrat das Klinikgebäude. Sie stand im Wartebereich herum, bis eine Frau ans Anmeldefenster kam. Sarah meldete sich an, füllte die Formulare aus und überreichte der Frau einen Scheck.
Die Frau lächelte und sagte: »Okay, Sarah, dann folgen Sie mir bitte.«
Die Frau wirkte keck und munter und sagte lauter kecke und muntere Dinge. »Heute ist ja ganz schön prächtiges Wetter draußen, oder? Oh, ich hoffe, das hält ein wenig an.«
Die Frau ließ Sarah noch einige weitere Formulare unterschreiben und sagte dann: »Ihre Handtasche ist aber wirklich hübsch.«
Dann bekam Sarah ein Krankenhaushemd. Die Schwester untersuchte Sarah und machte ein Ultraschallbild. Der Glibber auf ihrem Bauch war eiskalt und Sarah fröstelte.
Natürlich hatte Sarah Angst, ihr Vater könnte auf dem Bankauszug sehen, dass Geld fehlte. Er würde sich wundern, wohin es gegangen war.
Die Schwester erklärte ihr zum wiederholten Mal die Prozedur. Also:
1) Leichte Narkose.
2) Ein Instrument würde eingeführt werden und die Prozedur beginnen.
Sarah lachte über das Wort »Instrument«. Es ließ sie an ihren Bruder denken, der in einer Band spielte. Sie dachte daran, wie ihre Mutter immer die Pickel auf dem Rücken ihres Bruders Jack ausgedrückt hatte. Sie selbst genoss es sehr, Pickel platzen zu lassen. Pop. Sie blickte weit in die Zukunft. Sie würde unter allen Schwestern des AHH Hospital als die beste Pickelausdrückerin bekannt sein.
»Was gefällt dir daran so?«, würde eine der Schwestern sie fragen.
Und Sarah würde antworten: »Es ist einfach angenehm für mich. Es ist enorm befriedigend. Jeder hat irgendeine Sache. Ich lass Pickel aufplatzen.«
Aber das alles lag noch viele Jahre in der Zukunft. Jetzt war Sarah in der Abtreibungsklinik und sie hörte der Schwester zu, wie die immer noch die Prozedur erklärte.
3) Nach der Behandlung würden Blutungen und Übelkeit auftreten, und falls die Blutung zu Hause stärker werden würde oder eine dunkelrote Farbe bekam, müsste sie sofort in die Notaufnahme fahren.
Sarah legte sich auf den Tisch und der Arzt kam herein. Er pfiff eine Melodie.
Welches Lied war es?
Sarah wusste es nicht.
Der Arzt fragte, ob sie bequem liege.
Dann sagte die Schwester: »Ich hab ihr gerade gesagt, was das für eine hübsche Handtasche ist.«
Der Arzt blickte sich um und entdeckte Sarahs Kleider, zusammengefaltet auf einem Tisch, darauf die Handtasche.
Er sagte: »Oh ja. Eine wirklich schöne Handtasche.«
Sarah dachte: Fuck yeah, Handtaschen!
Nachdem die Prozedur überstanden war, wurde Sarah mit einem Rollstuhl in einen Raum gebracht, wo sie sich hinlegen und ein wenig ausruhen sollte. In dem Raum gab es eine Menge Matratzen und Spitalsbetten und überall lagen Frauen drin. Die Betten waren durch Vorhänge getrennt. Da waren Frauen, die Orangensaft tranken, Frauen, die sich um andere Frauen kümmerten. Frauen, die darauf warteten, dass jemand kam und sie abholte. Und Sarah sah die Frauen und fand, dass es wie ein leichenübersätes Schlachtfeld aus dem Bürgerkrieg aussah. Sarah begriff, dass Kriege gegen uns alle geführt wurden. Sie setzte sich auf eines der vorhangumspannten Betten und legte sich auf die Seite. Sie versuchte zu schlafen, aber da war eine Frau im Bett gegenüber, die ebenfalls auf ihrer Seite lag. Die Frau hatte ihr den Rücken zugekehrt und weinte.
Sarah wünschte sich, die Frau möge die Klappe halten. Sie dachte: Es ist doch nur eine Abtreibung. Meine Güte. Fahr zur Erholung ans Meer. Aber die Frau hörte nicht auf zu weinen. Dann irgendwann rollte sich die Frau auf den Rücken und Sarah konnte sie durch den Vorhang sehen. Die Frau sah wie Hot Girl aus, aber Sarah war sich nicht sicher.
Das nächste Mal, als sie sich mit Hot Girl traf, sagte sie nichts darüber. Hot Girl schwieg ebenfalls. Sarah sagte nichts über die Sommertage, als sie noch klein gewesen und in die Wälder spielen gegangen waren, und Sarah sagte auch nichts darüber, dass sie immer hatte sehen können, wie Hot Girl über ihren Zaun kletterte, wenn sie zu Sarahs Haus herüberkam. Beim Spazierengehen im Wald wollte Sarah immer bestimmen, wo es hinging. Sie sagten nichts über die paar Male, als sie mit dem Ouija-Board gespielt hatten, nichts über ihre Boyfriends, die sie irgendwann einmal heiraten würden, nichts über Hot Girls rebellische Phase mit vierzehn, als sie sich den Kopf rasiert hatte, nichts über Horoskope oder Schuleschwänzen oder wie sie betrunken miteinander herumgemacht hatten, und auch nichts über das absichtliche Unversperrtlassen der eigenen Haustür. Sie hatten die Türen deshalb unversperrt gelassen, damit sie die Schule schwänzen und sich bei der anderen hineinschleichen konnten, während die Eltern bei der Arbeit waren. Dann schliefen sie ein paar Stunden nebeneinander.
Aber Sarah sagte nichts über all das, als sie Hot Girl traf. Sie waren beide voller Geheimnisse. Sie waren wie wir. Sie waren Erwachsene.
Der Typ, der sie geschwängert hatte, lächelte, als er sie von der Klinik abholen kam. Er hatte einen Kumpel mitgebracht und sie tranken gemeinsam aus einem riesigen Plastikbecher. Sie waren besoffen und wollten etwas essen gehen.
Sie wollten zu Burger King. Also verließen sie die Klinik und fuhren zu Burger King, und Sarah bestellte Chicken Filets und versuchte, ihre Übelkeit zu ignorieren. Sie tunkte die Chicken Filets in die Chicken-Filet-Sauce und sah, wie die Sauce sich an der Panier des Filets festsaugte, und sie fühlte sich wie ein Geist, der sie selbst beobachtete, und dann steckte sie sich das Stück in den Mund, schluckte und fühlte sich gut. Der Typ fuhr sie nach Beckley zurück und keiner sagte ein Wort. Er ließ sie aussteigen und keiner sagte Tschüß oder Ich liebe dich oder Es tut mir so leid oder Was zum Teufel ist grade passiert oder Warum ist das Leben so verdammt seltsam?
Sarah dachte an all die Dinge im Leben, die keinen Sinn ergaben.
Sie wandte sich an den Typen, der schon im Begriff war wegzufahren, und sagte: »Danke für Burger King.«
Der Typ sagte: »Hey, kein Problem. Burger King ist toll.«
Und dann fuhr er weg.
Und Sarah betrat das Haus, in dem sie aufgewachsen war.
Und ja.
Burger King ist toll.
Und manchmal überkam sie eine Erinnerung daran. Sie wusste, dass es albern war, aber manchmal hielt sie etwas Unsichtbares in Händen und stellte sich vor, dass jedem von uns Hunderte verschiedene Leben zugeteilt werden.
In einem Leben sind wir verheiratet.
In einem Leben sind wir tot.
In einem sind wir reich.
In einem sind wir arm. In einem sind wir Eltern. Aber jedes Mal gehören wir zu irgendwem.