Читать книгу Das Israfil-Komplott - Sean D. McCarthy - Страница 9
Kapitel 7 Dienstag, 25. Oktober 1977 Bonn, Kanzleramt
ОглавлениеEine Woche nach der erfolgreichen Befreiung saßen der Bundeskanzler sowie die Herren Wegener und Wischnewski in Bonn bei einem kleinen, innoffiziellen Abendessen im Kanzlerbungalow in Bonn zusammen um noch einmal die Ereignisse durchzusprechen, aber natürlich auch den gelungen Ausgang zu feiern.
Sie tranken einen sehr schönen Salwey Spätburgunder aus dem Glottertal, Jahrgang 1971, und unterhielten sich frei und ungezwungen, wobei der eine oder andere böse Witz über diese Terroristen immer wieder in die Gespräche einfloss. Denn, wie Wegener Anfang des Abendessens bereits erzählt hatte „als im Flugzeug dann Butter bei die Fische kam, da hatten diese Maulhelden nur Wimmern für sich selbst übrig.“
Prustend hatte er hinzu gesetzt „Captain Martyr Mahmud nässte sich klar ersichtlich in dem Moment ein, als er den ersten meiner Leute in der Kabine sah, und das war, bevor überhaupt der erste Schuss fiel!“
Tatsächlich hat sich dann, basierend auf dem Überfall während der Olympischen Spiele in München, dieser Flugzeugentführung in Mogadishu und zahlloser anderer Terrorakte in den darauf folgenden Jahren, in den westlichen Ländern das Gedankengut breit gemacht, dass diese islamistischen Terroristen Feigheit, Verschlagenheit und Grausamkeit bereits mit der Muttermilch einsaugen.
Aus diesem Denken resultierte leider, dass insbesondere die arabischen Moslems, aber auch alle anderen Moslems vom Westen mehr und mehr auf Grund ihres islamischen Glaubens unter Generalverdacht genommen wurden und somit hunderte von Millionen anständiger Menschen moslemischen Glaubens ungerechtfertigt als latente und potentielle Attentäter von der breiten Masse der Bürger anderer Religionen völlig zu Unrecht abgelehnt werden.
Nachdem der Tisch abgeräumt war und der Kanzler sich eine seiner zahllosen Menthol-Zigaretten, die er täglich rauchte, angezündet hatte, wurde er auf einmal sehr ernst:
„Meine Herren, ich habe eine Frage an Sie: Kann es denn sein, dass wir uns immer wieder von diesem menschlichen Abschaum terrorisieren lassen müssen, dass wir immer nur reagieren können, dass immer wieder Menschen gefährdet werden, leiden und sterben müssen, nur weil ein paar kranke Köpfe dies planen?
Ich will keine prophetischen Worte aussprechen, aber was wir bislang an terroristischen Anschlägen von diesen Fanatikern gesehen haben, halte ich nur für die Spitze des Eisberges von dem, was noch auf uns zukommen wird. Diese Burschen, die das Ganze anstiften, sitzen im Hintergrund und kommen mehr und mehr auf den Trichter, wie einfach es ist, mit ein paar wenigen, vom religiösen Wahn eines weltweiten Islam besessenen Fanatikern, uns alle zu erpressen.
Es wird nicht mehr lange dauern, dann setzen sie chemische oder biologische Massenvernichtungswaffen gegen uns ein. Von dort wird dann der Schritt zur Verwendung nuklearer Sprengköpfe wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Es, mein lieber Wegener, gibt zwar Ihrer Truppe für die nächsten Jahrzehnte unerschöpfliche Aufgaben und wird sie zu einer Armee außerhalb unseres eigenen Militärs anwachsen lassen. Dies kann aber, und nicht nur aus Kosten- und Effizienzgründen, niemals unser aller Ziel sein.
Mir geht ein Zitat des irischen Schriftsteller und Dichters Oscar Wilde seit letzter Woche nicht mehr aus dem Kopf, nämlich „Es gibt nur etwas, das schlimmer ist als Ungerechtigkeit, und das ist Gerechtigkeit ohne Schwert. Wenn Recht nicht Macht ist, ist es Übel“.
Wir sind ein Rechtsstaat, wir haben in unserem Lande Gerechtigkeit, wir haben diese Macht. Jedoch verweigern wir uns feige dem Schwert und akzeptieren hiermit das Übel.
Aber unsere Verweigerung und unser Leben mit dem Recht als Übel wird solange fortdauern, bis wir uns selbst in die Lage versetzen, die Wurzel des Bösen bereits auszureißen, bevor die Pflanzen sprießen können.“
„Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen im Moment nicht folgen. Wollen Sie denn eine Änderung meiner GSG 9 Abteilungen?“ fragte ein sichtlich verunsicherter Oberst Wegener.
„Nein, nein, das will unser Kanzler nicht“, mischte sich jetzt Wischnewski ein, welcher die Zielrichtung der Worte des Kanzlers sehr wohl verstanden hatte.
Er nahm hierbei seine Brille vom Kopf, wischte seine dicken Brillengläser und der Schalk sprang ihm direkt aus den Augen.
„Helmut, Du hast doch gerade einen Gedanken im Kopf, den es nicht gibt in unserer Rechtsordnung, der nicht geht, der …?“
„Hans-Jürgen, wir kennen uns zu lange und zu gut: Ja, Du hast Recht, auch ein deutscher Bundeskanzler denkt manchmal Dinge, die nicht gedacht werden dürfen.
Aber, wenn Recht und Gerechtigkeit eines Tages unzweifelhaft an ihre endgültigen Grenzen kommen werden, müssen wir auch solche Gedanken uns nicht verbieten dürfen.
Unser Land weiß aus eigener, grauenhafter Geschichte, was geisteskranke Verbrecher an unvorstellbarem Leid über die Menschheit bringen können!
Wir müssen uns dagegen wappnen, auch wenn wir hier Wege gehen müssten, die, sagen wir einmal, unsere Rechtsordnung in eine Grauzone führen würden.“
„Ja, es war immer der Menschen Traum, das Böse bereits im Entstehen zu erkennen und, wenn notwendig, es bereits in diesem Stadium vernichten zu können“ murmelte ein auf einmal sehr nachdenklicher Wischnewski, aber, lauter werdend „in einem Rechtsstaat wird und muss es leider immer ein Traum bleiben.
Aber, weil irgendwann dieses heimtückische Morden ein Ende haben muss und ich den Wein wunderbar finde, Helmut, will ich heute Abend einmal mitträumen.“
„Nun“ klar denkend und pragmatisch wie immer, sagte Oberst Wegener “Ja, meine Herren, der Wein ist hervorragend, Herr Bundeskanzler, ich würde zu einer weiteren Flasche nicht Nein sagen.“
Dann, ganz ruhig setzte er hinzu „und auch ein alter Soldat kann einmal träumen.“
Jetzt wurde Oberst Wegener auf einmal sehr ernst und förmlich: „Herr Bundeskanzler, Herr Staatsminister, ich bitte Sie beide, den Rat eines erfahrenen Soldaten anzunehmen:
Meine Leute sind anständige Soldaten, sie sind Menschen! Was wir hier für unseren Traum bräuchten, sind jedoch skrupellose Mörder, denen bestehendes Recht, Menschen, aber auch deren Leben nichts bedeutet.
Die Personen müssten Zivilpersonen sein, eine kleine, wenn auch mörderische Truppe, die nur im Untergrund arbeitet; sie dürfen niemals weder wie Soldaten aussehen noch als solche zu erkennen sein, so wie dies bei den Leuten meiner GSG 9 niemals zu Verleugnen wäre.
Meine Leute sind gut, sie sind einmalig! Aber jeder, der sie sieht, weiß, was und wer sie sind! Die hier skizzierte Truppe darf weder so von soldatischer Ausbildung geprägt sein wie meine Leute, noch darf sie so gehorsam sein.
Sie müsste zwar von geeigneter, deutscher Stelle ihren Auftrag erhalten und sie dürfte niemals ohne einen solchen Auftrag handeln.
Aber sie müsste eigene Entscheidungen treffen können, wann und wie sie tötet; und nicht auf Befehle dazu warten müssen wie meine Leute; und es darf sie niemals, sei es offiziell oder inoffiziell geben.
Auch müssen ihre Mitglieder anständige Bürger Deutschlands sein. Denn sie würden irgendwann, auch wenn Deutschland sie niemals als eigene Bürger zu erkennen geben kann, den Schutz unseres Landes in Ausübung ihrer Tätigkeit benötigen. Wir hätten dann die moralische Verpflichtung, nein sogar den Zwang, ihnen zu helfen.
Aber meine Leute dürfen und würden nur anständige Bürger Deutschlands aus jeder Scheisse heraushauen, auch wenn diese Bürger die Scheisse selbst angerührt haben.“
Oberst Wegener hatte mit so manchem in seiner Ansprache recht; er konnte sich nur als Ehrenmann nicht vorstellen, dass Politiker niemals einer Rettungsaktion für eine solche Truppe zustimmen würden.
„Gut gebrüllt, Löwe, aber auch zur Kenntnis genommen“ sagte ein lächelnder Wischnewski, während er sich wieder emsig seine dicken Brillengläser putzte „Aber wie, lieber Wegener, wollen Sie in unserem Traum vermeiden, dass diese Truppe sich nicht selbständig macht und auch einmal ohne Auftrag arbeitet oder gar unser Land mit ihrem Wissen erpresst?“
„Ganz einfach, sie kommen dann auf die offizielle Fahndungslister der Bundesrepublik Deutschland als gesuchte, höchst gefährliche deutsche Terroristen, deren Festnahme durch die GSG 9 möglicherweise den Einsatz von Schusswaffen erfordern würde.“
Jetzt mischte sich der Bundeskanzler ein „Dies, lieber Wegener, sind leider nur hypothetische Gedankenspiele: Ihre Leute werden ohnehin niemals für einen solchen Einsatz angefordert werden.
Denn Deutschland hat keine solche Mördertruppe und wird nie eine haben. Und was es nicht gibt, dem kann auch nicht geholfen werden! Aber jetzt, meine Herren, lassen Sie uns noch ein bisschen weiterträumen.“
In den darauf folgenden Stunden wurde, während von den drei Beteiligten die Lächerlichkeit und Unmöglichkeit der Erfüllung eines solchen Traumes immer wieder betont wurde, eine winzige, schlagkräftige Untergrund-Einheit in der Theorie aufgebaut. Sie waren sich einig, so wie sie jetzt nur zu Dritt waren, durfte auch dieser Traum-Einheit nur maximal drei Mann betragen.
Es müssten auch diesem Traum alle nur erdenklichen Hilfestellungen, zu denen Deutschland fähig war, zur Verfügung gestellt werden und es dürfte keinesfalls jemals bekannt werden, dass es eine solche Einheit gab.
Sie kamen überein, dass die beste Tarnung wäre, wenn die drei Mitglieder der Gruppe deutsche Geschäftsleute wären, die auf Grund ihrer Tätigkeiten, ihres Berufsbildes, ihrer Produkte, den Wunsch der islamistischen Terroristen beförderten, von sich aus mit der Gruppe in Verbindung zu kommen.
Alle Drei hatten voller fast kindlichem Vergnügen immer wieder neue Ideen, und als es dann sogar schon um die Namensfindung für diesen Traum, bestehend aus einer 3-Mann-Einheit ging, wusste keiner, warum auf einmal der Name „Odin mit seinen Raben Hugin und Munin“ im Raume stand.
„Ausgerechnet „Odin“ der Göttervater, der Kriegs- und Totengott, Gott der Dichtung und Runen, Magie und Ekstase! Und seine beiden Raben Hugin und Munin! Ach ist es schön, auch einmal albern sein zu können, auch mit so lächerlichen Pathos herum wedeln zu dürfen“, und wieder wurden die Drei von Gelächter geschüttelt.
Die Diskussion war weiterhin von Heiterkeit geprägt und es wurde sogar erörtert, ob Odin mit seinen beiden Raben wohl besser bei dem Verteidigungsministerium auf der Hardthöhe in Bonn oder dem Bundesnachrichtendienst in Pullach bei München angesiedelt sein sollte.
Hier stimmten die drei Herren allerdings sofort überein, dass sowohl Georg Leber, der damalige Verteidigungsminister, als auch der BND-Chef, Generalleutnant Gerhard Wessel, sie alle amtsärztlich auf ihren Geisteszustand untersuchen lassen würden, wenn ihnen diese lächerliche Idee jemals zu Ohren käme. Dann erhoben sie erneut die Weingläser.
Spät in der Nacht fuhren die Dienstwagen der Herren Wischnewski und Wegener vor; ein teils mehr als vergnüglicher, teils sehr ernster Abend war zu Ende gegangen und die drei Herren sprachen nie wieder über das Thema.
Es konnte im Nachhinein niemals geklärt werden, wie dieses, wirklich nur komisch und albern gemeinte Gespräch binnen zwei Tagen seinen Weg in das Deutsche Verteidigungsministerium fand, hier in der geheimen Stabsabteilung C12-12 landete und dem diese Abteilung leitenden Regierungsdirektor Dr. Wolfgang Billardier ein höchst nachdenkliches Wochenende bescherte.
Am darauf folgenden Montag wurde von ihm die Akte „Odin“ angelegt und als höchste Priorität eingestuft.
25 Jahre später, nach dem sang-und klanglosen Verschwinden von „Odin und seinen Raben“, wurde immer noch gemutmaßt, dass der Kanzlerbungalow damals abgehört worden war; dass man diesem untadeligen, integeren Kanzler bewusst Böses anhängen wollte, indem die Gruppe „Odin“ erst geschaffen wurde und dann als Verfassungsbruch des Kanzlers medial ausgeschlachtet werden sollte.
Aber, wie die deutsche Gründlichkeit nun mal ist, die normative Kraft des Faktischen hatte das Zepter übernommen.
„Odin“ war ins Leben gerufen worden und wurde, als nunmehr nicht mehr nur fiktives Lebewesen, umfassend durchgeplant, rekrutiert und anschließend auf seine Einsätze vorbereitet.