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Zurück im Büro. Es ist ein Uhr nachmittags und ich brühe mir nach dem Stress einen Kaffee auf. Während das Wasser kocht, stehe ich am Fenster und blicke hinaus. Leider war Amina nicht in der GU, denn sicherlich hat sie gerade ihre beiden Kinder aus der Kita abgeholt. Meine Gedanken schweifen ab, zu ihm, zu M. Doch ich schiebe sie beiseite. Ich kann mir diese Gedanken jetzt nicht leisten, sie würden mir den Boden unter den Füßen wegziehen. Christian surft in den sozialen Medien und kommentiert schreibend irgendwelche Meldungen. Er fühlt sich als Aufklärer und wird bei sämtlichen Gelegenheiten nicht müde zu betonen, dass er kein Rassist sein kann, da seine Frau schließlich eine Philippinin sei. Ihr Name ist Nieva und sie ist zehn Jahre jünger als er. Mit ihr hat er zwei kleine Kinder. Jedes Jahr besuchen sie die Eltern von Nieva, in einem kleinen Dorf bei Bacoor, an der Südostküste der Manila Bay. Nieva ist strenggläubige Katholikin und dieser Umstand kommt Christian auf seinem Kreuzzug zugute. Seit ein paar Wochen trägt er sogar ein silbernes Kreuz um den Hals, obwohl er nicht konfessionell gebunden ist. Oft erzählt er vom Terror der Abu Sajaf, die in Deutschland durch die Entführung der Familie Wallert bekannt wurde. Einige würden Christian als islamophob beschreiben, obwohl ich nicht weiß, ob es diesen Zustand gibt. Christians Gesicht ist angespannt, seine Lippen sind als Strich zusammengepresst. Sein Tippen auf der Tastatur klingt wie Maschinengewehrfeuer, regelmäßig schnauft und seufzt er dazu. Rafik sitzt ebenfalls an seinem Laptop und surft im Netz. Jedoch ist er um einiges ruhiger, wie in Trance schaut er Videos von syrischen Bombardements und schüttelt dazu gelegentlich den Kopf.

Mit einem Klacken kündigt der Wasserkocher die Erfüllung seiner Aufgabe an. Ich drehe mich um und gehe vom Fenster zu der Spüle der kleinen Kochnische, die in unserem Büro eingelassen ist. Dort gieße ich das noch sprudelnde Wasser auf das Kaffeepulver, welches ich mir mit etwas Zucker in eine Tasse gegeben habe, rühre das Ganze um, gebe noch einen Schuss Milch aus dem Kühlschrank hinzu, dann balanciere ich die Tasse in der Hand zum Schreibtisch und setze mich. Vor mir liegen zwei Zahlungsaufforderungen, die ich zu bearbeiten habe. Sie gehören Najeh, einem zwanzigjährigen Tunesier, der offensichtlich in mich verknallt ist. In den Zahlungsaufforderungen werden ihm Erschleichung von Begünstigungen, also Schwarzfahren und Diebstahl in einem Supermarkt vorgeworfen.

Meine Arbeit besteht nun darin, Kontakt zu den Gläubigern aufzunehmen und, wenn möglich, Ratenzahlungen zu vereinbaren, worauf sich die meisten komischerweise immer wieder einlassen. Ist dies erledigt, werde ich beim zuständigen Bearbeiter des Ausländeramts im Sachgebiet Asylregelleistung anrufen, um eine Abtretungserklärung zu erwirken. Somit können die monatlichen Zahlungsbeiträge automatisch vom Sparkassenkonto Najehs abgebucht werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass dies der sicherste Weg ist, die Zahlungen einzuhalten, da die meisten unserer Schuldner es nicht schaffen, einmal im Monat einen Überweisungsträger auszufüllen. Möglicherweise ist dies der vorhandenen Sprachbarriere geschuldet, oder unsere Klienten nehmen einfach gern unseren Service in Anspruch. Najeh hat bereits sieben solcher Zahlungen laufen, mit dem Effekt, dass am Monatsende, wenn die Asylregelleistung ausgezahlt wird, zwei Tage später kein Penny mehr auf seinem Konto ist. So muss er zwangsläufig erneut klauen, um wenigstens etwas essen zu können.

Und auch wenn es mir schwerfällt, in eben diesen Momenten verstehe ich Christian. Seit einem Monat weigert er sich konsequent, derartige Forderungen zu bearbeiten. Nein, er werde sich nicht aktiv an der Zerschlagung des Systems beteiligen, so seine Worte. Oft frage ich mich, warum Christian diesen Job überhaupt macht, denn er tut ihm einfach nicht gut. Ständig ist er unter einer immensen Anspannung, stets auf dem Sprung, kurz davor, zu explodieren. Aber Christian ist ebenso ein trotziger Typ. Ich glaube, ich kenne ihn mittlerweile so gut, um behaupten zu können, dass er ein Mensch ist, der selten aufgibt. Wenn er etwas angefangen hat, so muss er es durchziehen. Fragt sich nur wie lange. Nach meiner Einschätzung steht Christian kurz vor der totalen Erschöpfung. Trotzdem wende ich mich jetzt zu ihm und frage über den Monitor meines Laptops: „Kannst du vielleicht die eine Zahlungsaufforderung von Najeh bearbeiten? Würde mir echt helfen.“ Eigentlich mache ich mir nur einen Spaß daraus, denn die von mir erwartete Antwort von Christian kommt prompt. „Vergiss es, Svea! Ich bin doch nicht bescheuert.“

„Aber auch das ist Teil unserer Arbeit“, belehre ich ihn.

„Sicher nicht! Ich bin doch kein Bewährungshelfer. Merkst du nicht, dass die über dich lachen und als ihre Erfüllungsgehilfin betrachten?“

„Es gibt nicht die, Christian. Eine ganze Gruppe von Menschen so zu beschuldigen, grenzt an Rassismus, mein Lieber!“

Mir macht es Spaß, Christian mit diesen Floskeln aufzuziehen, auch ist auf ihn stets Verlass, denn er schnellt aus seinem Stuhl hoch.

„Rassismus? Willst du mich verarschen? Du unterstützt Intensivtäter! Sie werden es nie lernen. Wollen sie auch gar nicht.“ Er kommt hinter seinem Schreibtisch hervor. „Unfassbar, dass du mir wieder Rassismus vorwirfst. Ich nenne das gesunden Menschenverstand, verdammt noch mal.“

Jetzt ist Christian bockig, das kenne ich aber schon. Er läuft in sich gekehrt und murmelnd durch das Büro, den Blick starr auf den Boden geheftet. Vor und zurück, hin und her. Ich versuche, ihn zu beruhigen: „Deponiere doch deine Sorge heute Nachmittag beim Migrationstisch. Mal sehen, was die dazu meinen.“ Ich lehne mich in meinem Sessel zurück, spiele mit den Fingern an einer Büroklammer, biege solange an ihr herum, bis sie zerbricht und ich die beiden Teile neben die Tastatur meines Computers auf den Schreibtisch zurücklege.

Christian sagt jetzt leiser: „Sicher nicht. Du weißt ganz genau, dass das keinen Sinn macht.“

„Sinn ergibt.“

„Was?“ Christian ist abrupt stehen geblieben und glotzt mich wie ein Schaf an.

„Es heißt: Sinn ergibt. Sinn machen ist falsch. Diese, soviel Zeit muss sein, falsche Redewendung ist direkt vom Englischen This makes sense abgeleitet.“

„Sag mal, machst du dich über mich lustig?“, Christian ist völlig perplex.

„Im Deutschen kann Sinn nichts machen, höchstens nur haben oder ergeben“, schiebe ich hinterher.

„Ach, vergiss es. Unfassbar.“

Christian dreht wieder seine Runden.

„Es war nur Spaß“, sage ich, wohl wissend, dass er auf mein lächerliches Angebot der Versöhnung anspringen wird. „War nicht so gemeint.“

„Lass mich in Ruhe“, sagt Christian und winkt ab, klingt aber schon sanfter, beendet sein Rundendrehen und setzt sich wieder an seinen Schreibtisch.

„Gott, wie ich diese Aktivisten hasse. Entschuldigung, AktivistInnen – Sternchen, Unterstrich, und was weiß ich noch alles. Ich will mir ja wieder nicht vorwerfen lassen, die LGBT Community auszuschließen.“

„Du nimmst das alles viel zu ernst“, seufze ich.

„Das solltest du auch“, entgegnet Christian. „Es ist schließlich auch dein Land. Na, du hast keine Kinder. Vielleicht ist dir deshalb alles scheißegal.“

„Asyl ist ein Menschenrecht!“, posaune ich heraus. „Außerdem empfinde ich es als diskriminierend, mir in diesem Kontext Kinderlosigkeit vorzuwerfen.“

„Okay, du hast Recht, sorry“, wendet er ein. „Aber komm, sag doch mal, was wir tun müssten. Was muss getan werden?“

Ich denke kurz nach, dann hole ich genüsslich aus: „Zuallererst müssen wir die Menschen, die zu uns kommen, integrieren. Dort gibt es sicherlich Versäumnisse, die aber behoben werden können.“

„Du verwechselst Asyl und Migration“, mischt sich Christian sofort ein, doch ich ignoriere ihn und fahre fort.

„Des Weiteren dürfen wir nicht, das gebe ich zu, den Blick für die innere Sicherheit und die dazugehörigen Sorgen der Bevölkerung verlieren. Es muss entschieden gegen radikale Strömungen jeglicher Couleur vorgegangen werden. Seien sie religiöser, politischer, oder ganz einfach ideologischer Natur. Die Anstrengung muss darin bestehen, ein Maß zu finden, welches, trotz möglicher Repressalien und institutioneller Durchgriffe, die Wahrung der Menschenrechte einhält. Dies benötigt die transparente und effiziente Arbeit eines gut funktionierenden Rechtssystems. Hier fehlt es an Personal. Es sollten dringend mehr Polizisten, Staatsanwälte und Richter eingestellt werden.“

Hier verweile ich, warte auf Christians Reaktion, doch der starrt mich bloß mit aufgerissenen Augen an. Ich fahre fort.

„Mindestens genauso wichtig sind der Ausbau und die Weiterentwicklung unseres Bildungssektors, das heißt, dringende Sanierungsmaßnahmen an unseren Schulen und den Ausbau und die Angleichung der Digitalisierung an globale Standards. Auch muss sich Arbeit wieder lohnen. Der Lebensabend darf nicht in Armut enden. Soll heißen, wir müssen die Ausbreitung des Niedriglohnsektors verhindern und die Lebensleistung jedes Einzelnen fair und gerecht honorieren. Bei all dem darf es aber keine nationale Abschottung geben. Die Welt ist im Wandel, die Welt ist globalisiert. Auch wir tragen unseren Teil dazu bei, dass das Klima sich ändert und sich aus diesem Grund Hunderttausende auf den Weg nach Europa machen – einfach, weil sie sonst ersaufen oder verhungern. Schlussendlich muss es ein Rückbesinnen auf die europäischen Werte ganz im Sinne der französischen Revolution geben – Liberté, Égalité, Fraternité! Wir dürfen uns nicht von Neiddebatten und Populisten spalten lassen, sondern sollten die Hand dem Gegenüber entgegenstrecken. Sei er weißer, brauner, gelber oder schwarzer Hautfarbe. Vive la révolution!

Ich habe mich richtig heiß geredet, stehe jetzt mit ausgestreckten Armen im Büro und blicke triumphierend zu Christian hinüber. Doch der hört mir gar nicht mehr zu, sondern ist wieder in Facebook vertieft. Sein Gesicht ist erneut zu einer angewiderten Fratze verzerrt. Aber ich frage nicht, was er dort sieht oder was ihn wieder aufregt, sondern setze mich wieder an den Schreibtisch und arbeite die beiden Zahlungsaufforderungen von Najeh ab.

Clausnitz

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