Читать книгу Der die Träume hört - Selim Özdogan - Страница 8

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Mitte vierzig, Carhartt-Jeans, teures Hemd, Veja-Turnschuhe, leicht angegrautes, schütter werdendes Haar, gepflegter 14-Tage-Bart. Die Augenringe und die eingefallenen Schultern verbargen nicht, dass er es gewohnt war, sich mit jedem Mann im Raum zu messen und sich für den Gewinner zu halten.

Solche Männer hatte ich als Personal Trainer nicht motivieren müssen, die brauchten mich nur, damit da jemand war, dem sie sich überlegen fühlen konnten. Den sie nicht im Zweifel darüber ließen, wer hier das Sagen hatte und dass sie weit Wichtigeres leisteten, als zehn Kilo mehr aufzulegen oder beim Sparring die Deckung nicht sinken zu lassen.

In der Regel waren meine Klienten als Detektiv älter, unbeholfen in einer Welt, die sich Internet nannte, während Armbruster so aussah, als würde er vor dem Morgenkaffee durch seine Pushnachrichten scrollen und in Start-ups investieren.

– Herr Balcı hat Sie mir empfohlen, fing er an.

Er sprach es Baltschi aus und ich fragte mich, ob so ein Name Misstrauen in ihm auslöste und ob die Uniform half, es zu überwinden.

Ich nickte. Den Termin hatte seine Sekretärin vereinbart, ich wusste nicht, worum es ging.

– Mein Sohn …

Er sah aus dem Fenster.

– Mein Sohn ist vor zehn Tagen gestorben. An einer Droge, die er im Darknet gekauft hat. Mephedron. Es ist unwahrscheinlich, dass der Dealer gefasst wird, sagt die Polizei. Sie tun alles, was in ihrer Macht steht, wollen mir aber keine Hoffnungen machen. Mein Anwalt sagt, es ist nahezu aussichtslos, dafür braucht man mehrköpfige Sonderkommissionen. Er war achtzehn, sagte er mit erstickter Stimme.

Irgendetwas in meiner Magengegend schien sich zu verschieben. Ich versuchte sein Leid zu fühlen. Es gelang mir nicht. Aber irgendetwas berührten seine Worte dennoch.

– Mein Beileid, sagte ich.

Wenn die Leute Darknet sagen, heißt das meist, dass sie keine Ahnung haben, wovon sie sprechen. Sie stellen sich das Darknet als einen Bereich vor, der vom übrigen Internet abgeschnitten ist. Wie eine Anliegerwohnung, die eine eigene Haustür hat. Dabei ist das Darknet mehr so eine Art Zwischenboden, den man eingezogen hat. Es ist mitten im Haus. Man braucht nur eine Leiter, um hinzukommen.

– Können Sie den Dealer finden?, fragte er.

– Kommt darauf an. Sind Sie sicher, dass die Drogen aus dem Internet sind?

– Ja. Sein Freund hat überlebt. Er hat es erzählt. Fynn … mein Sohn war derjenige, der die Drogen besorgt hat.

– Wissen Sie, wo genau?

– Eine Plattform im Darknet, die Dream Market heißt.

– Also nur über Tor erreichbar, stellte ich fest.

Er nickte etwas unsicher. Ich brauchte sein Vertrauen.

– Tor ist eine Technologie, die vom amerikanischen Militär entwickelt wurde, um eine Kommunikation zu ermöglichen, bei der der Absender nicht ermittelbar ist. Heute wird diese Verschlüsselung nicht nur dazu benutzt, um Zensur in diktatorischen Regimen zu umgehen und Surfverhalten zu verschleiern, sondern auch, um kriminelle Foren und Marktplätze zu hosten.

– Ich möchte, dass der Mörder zur Verantwortung gezogen wird, sagte er.

– Der Betreiber von Dream Market oder der Händler, der Ihrem Sohn die Drogen verkauft hat?

Ich sah das kurze Zögern und fügte hinzu:

– Das ist jemand, der die Plattform betreibt, auf der wiederum einzelne Händler ihre Drogen anbieten.

Er schien verstanden zu haben, reagierte aber nicht sofort und ich erklärte es ausführlicher:

– Silk Road war die erste Plattform, auf der Drogen angeboten wurden. Es war ein historischer Moment, in dem Bitcoins, Tor und Drogen zum ersten Mal zusammengebracht wurden. Es ist bekanntgeworden als Amazon des Drogenhandels, doch es war mehr eine Art eBay, wo Anbieter und Käufer zusammenfanden. Wie bei eBay stellte jemand die Plattform zu Verfügung, aber die Verkäufer sind letztlich andere. Der Betreiber von Silk Road ist 2013 verhaftet worden, aber viele Händler sind dann auf die Nachfolgeplattformen ausgewichen. Von denen Dream Market eine ist. Es gibt einen oder mehrere Betreiber. Doch die sind nicht die, die Ihrem Sohn die Drogen verkauft haben, sondern ein Händler, der dort seine Waren anbietet. Also, wollen Sie den Händler oder wollen Sie den Menschen, der die Plattform betreibt?

– Beide.

– Ich kann nur versuchen, den Händler ausfindig zu machen. Für den Betreiber reichen meine Ressourcen nicht. Da ist es auch nicht mit einer Sonderkommission getan, dafür braucht es internationale Zusammenarbeit.

– Dann nur den Händler.

– Ich kann es versuchen. Lassen Sie mich das Vorgehen skizzieren. Schritt eins: Ich müsste Fynns Computer sehen, sein Smartphone, sein Tablet, alles, womit er ins Internet konnte. Ich würde mit seinem Freund sprechen, um Informationen zu sammeln. Schritt zwei: Ich müsste versuchen, die Identität des Händlers herauszufinden. Wahrscheinlich sitzt er nicht in Deutschland, sondern in Holland oder Großbritannien, das würde die Spesen möglicherweise erhöhen. Schritt drei: Wir übergeben den Strafverfolgungsbehörden die ermittelten Beweise und die nehmen den Händler fest.

Er nickte.

– Hansa Market und AlphaBay sind kürzlich hochgenommen worden, vielleicht haben Sie es mitbekommen. Mit Valhalla, Dream Market, Majestic Garden, Zion Market bleiben noch reichlich Plattformen, auf denen Drogen gehandelt werden, online. Auf jeder Plattform sind schätzungsweise zwei- bis dreitausend Händler aktiv. Die wenigsten von denen werden erwischt, selbst wenn die Plattform beschlagnahmt wird und die Betreiber festgenommen werden. Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen: Schritt drei, den Händler zu enttarnen, ist unwahrscheinlich, aber ich kann es versuchen.

Er nickte erneut.

– Schauen wir erst mal bei Dream Market nach Mephedronhändlern. Moment.

Ich öffnete den Tor-Browser, loggte mich bei Dream Market ein und gab Mephedron in das Suchfeld ein. Dann drehte ich den Monitor so, dass er ihn sehen konnte.

– Vierzehn Händler insgesamt, sagte ich, einer aus Südafrika, vier aus Holland, neun aus Großbritannien, einer aus Deutschland. Das schränkt die Suche zwar ein, doch es bleibt unwahrscheinlich, dass ich herausfinde, wer von diesen vierzehn es war.

Er sah auf den Bildschirm und ich legte mir die Antwort auf die Frage zurecht, warum ich bei dieser Plattform einen Account hatte. Aus beruflichen Gründen. Die Frage kam nicht.

– Das Honorar, sagte ich. Für Schritt eins, Auswertung der Festplatten: 1.000 Euro. Für Schritt zwei, Suche nach dem Dealer: 6.000 Euro, Spesen wie Flüge und Hotel extra, für den Fall, dass Schritt drei eintritt: 10.000 Euro Provision.

– 17.000, sagte er in einem Tonfall, der mir zu verstehen gab, dass er in der Regel derjenige war, der die Ansagen machte. Ich nickte. Er sah wieder aus dem Fenster, zögerte. Überlegte vielleicht, ob er versuchen sollte mich runterzuhandeln.

Das ist dein Sohn. Ist er dir dieses Geld nicht wert? Musst du es dir vom Munde absparen? Was kostet Gerechtigkeit in dieser Welt? Was für Preise rufst du denn für deine Arbeit auf?

Glaubst du etwa, ich weiß nicht, dass du eine Agentur für Kommunikationsdesign hast und glaubst du, ich habe nicht die Namen deiner Kunden gesehen? Willst du einen Trauerbonus? Was hat denn allein der Sarg gekostet, den du deinem verwöhnten Sohn gekauft hast?

Sobald die Trauer aus deiner Fresse verschwunden ist, wird nur noch Selbstgefälligkeit bleiben.

Sagte ich natürlich nicht.

– Sehen Sie, Herr Armbruster, ich bin Dienstleister, einer der besten auf diesem Gebiet, das hat Herr Balcı Ihnen sicher gesagt. Ich verkaufe keine Gebrauchtwagen oder Smartphones, ich verkaufe Fachkenntnis. Kennen Sie die Geschichte von dem Trecker, der stehen bleibt und ein Mechaniker kommt vorbei? Klopft einmal leicht mit dem Hammer gegen den Motor und der Trecker läuft wieder. Er berechnet dem Bauern 100 Euro. 100 Euro, nur dafür, mit dem Hammer gegen den Motor zu hauen?, fragt der Bauer. Nein, sagt der Mechaniker, 1 Euro, um mit dem Hammer gegen den Motor zu hauen. Und 99 dafür, dass man auf die richtige Stelle haut.

Er zeigte keine Reaktion.

Ich bin kein Teppichhändler, aber wenn du dunkel bist, ist es klüger, sich ein wenig wie einer zu verhalten, einen Teil ihrer Vorurteile zu bestärken, damit sie sich sicher fühlen. Orientale, erzählt gerne Geschichten, scheint aber kompetent, möglicherweise sogar gerissen. Vielleicht der richtige Mann für den Job.

Bei den meisten Klienten gab ich eher den netten Ausländer: charmant, geizt nicht mit Komplimenten, ich schmierte ihnen Honig ums Maul, zeigte Verständnis dafür, dass sie sich im Neuland nicht auskannten. Sagte ihnen, dass es mir mit einem anderen Beruf wahrscheinlich genauso ginge.

Bei denen rief ich aber auch nicht solche Honorare auf.

Ich sah ihn an. Ich fragte mich, ob ich zu hoch gepokert hatte.

– Es steht Ihnen natürlich frei, sich woanders noch ein zweites Angebot einzuholen, sagte ich.

– 17.000, sagte er und stand auf. Wir gaben uns die Hand.

Nachdem ich ihn verabschiedet hatte, konnte ich mich nicht freuen. Erstens war nicht gesagt, dass ich den Dealer finden konnte. Zweitens war sein Sohn gerade gestorben. Ein Jahr älter als Lesane. Drittens mochte ich Herrn Armbruster nicht und wollte eigentlich gar nicht für ihn arbeiten.

Drittens war egal. Ich mochte die meisten Menschen nicht.

Es war alles beim alten, nur dass ich Gelegenheit hatte, ordentlich Asche zu verdienen.

Ich war noch eingeloggt bei Dream Market und klickte auf die Angebote von Tr4der Joe, legte fünf Gramm Critical Mass in meinen Einkaufswagen, bezahlte mit meinem Bitcoinguthaben.

Diese Plattformen hatten alle ein Treuhandsystem, das sich Escrow nannte. Die Bitcoins, mit denen man bezahlt hatte, blieben auf der Plattform, bis man den Erhalt der Ware bestätigt hatte oder bis eine bestimmte Frist abgelaufen war, dann erst wurden sie dem Händler gutgeschrieben. So versuchte man sicherzustellen, dass Käufer nicht betrogen wurden.

Die Kursschwankungen des Bitcoin, die Gefahr, dass die Plattform von den Behörden jederzeit geschlossen werden konnte, und die Möglichkeit, dass der Käufer der unehrliche war, der zwar die Ware bekam, aber behauptete, nichts erhalten zu haben, all diese Gefahren führten dazu, dass manche Händler ihre Ware erst losschickten, nachdem man verfrüht den Erhalt bestätigt hatte. Tr4der Joe war einer von ihnen. Ich bestätigte den Erhalt des Grases und vergab bei der Bewertung 5 Sterne. Dazu schrieb ich: FE, finalized early, will update.

Das war nicht meine erste Bestellung bei Tr4der Joe, ich wusste, dass sie ankommen würde.

Der die Träume hört

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