Читать книгу Blackout - Sharon Draper - Страница 13

›Trainer, haben Sie mal Zeit für mich?‹ Andys erster Schultag nach dem Unfall 19. November

Оглавление

– Hallo, Trainer!

– Hallo, Andy! Na, war der erste Tag in der Schule schlimm für dich?

– Ja, ziemlich. Ganz schön hart. Eigentlich geht’s mir ja ganz gut, ich hab ja auch kaum was abgekriegt. Bloß ein paar Prellungen und Brandwunden, das macht mir gar nichts aus. Aber innen drin, da hab ich Schmerzen. Verstehen Sie?

– Ja, das verstehe ich. Die Sache drückt dir aufs Gemüt. Was ist mit deinen Freunden, mit deinen Eltern? Die stehen doch hinter dir, oder?

– Ja, sicher. Ich und B. J. und Tyrone, mit uns dreien wird es zwar nie mehr so wie früher sein, aber diese Sache schweißt uns jetzt erst recht zusammen. Und die anderen geben sich auch viel Mühe, das zu verstehen. Meine Eltern – na ja, Sie kennen das ja. Mein Vater sagt dauernd, ich soll stark sein und das möglichst bald vergessen. Und meine Mutter traut sich kaum noch, mich anzusehen. Sie weint die ganze Zeit, aber von dem Unfall redet sie seit diesem Abend praktisch gar nicht mehr.

– Und was ist mit dir, Andy? Wie siehst du die Sache? Das ist doch sicher schwer, mit so was fertig zu werden.

– Ich komm schon damit klar.

– Erzähl mir doch nichts. Eben hast du noch gesagt, dass du innen drin Schmerzen hast.

– Na ja, wenn Sie’s wirklich wissen wollen ... Nach dem Unfall wär ich am liebsten gestorben. Ich wollte tot sein, und Rob sollte leben. Er hatte doch noch so viel vor sich. Er hätte bestimmt ein Stipendium gekriegt, Trainer. Ganz bestimmt. Und als Profi wär er ganz groß rausgekommen. Fast zwei Meter groß und immer noch am Wachsen. Und er war mein Freund.

– Du kannst dir nicht ewig Vorwürfe machen, Andy. Und wenn du an Stelle von Rob gestorben wärst, würdest du dann wollen, dass er jetzt so traurig wäre?

– Weiß ich nicht. Ist ja auch egal. Ich bin völlig durcheinander.

– Wie lange wart ihr zwei eigentlich befreundet?

– Ich weiß noch, wie ich ihn das erste Mal gesehen habe – der größte Junge in der siebten Klasse. Er und Tyrone waren schon dicke Freunde seit der Grundschule, und sie haben sich immer mit so verrückten Namen angeredet, »Tyronio« und »Roberto« und so. Später haben sie mich dann »Andini« genannt, aber das fand ich nicht so cool. Mir wär’s lieber gewesen, wenn man an Andrew auch ein »o« hätte anhängen können, aber das hört sich nicht gut an.

– Stimmt.

– Als wir drei uns dann öfter getroffen haben, fand ich, dass Andini sich doch gar nicht so schlecht anhört. Jedenfalls – an diesem ersten Tag sehe ich, wie er sich mit einem roten Zahnstocher, der mit so kleinen Glitzersteinchen besetzt war, in den Zähnen rumpult. Da bin ich zu ihm hin und sage: »Wird deine Mama nicht böse, wenn sie merkt, dass du ihren Zahnstocher geklaut hast?« Er sieht mich nur lange an, schiebt sich das Ding langsam in die Hosentasche und verpasst mir dann eine Abreibung, die sich aber wirklich gewaschen hat. Seitdem sind – waren wir die besten Freunde.

– Jede gute Freundschaft sollte mit einer ordentlichen Schlägerei anfangen.

– Ich und Rob und Tyrone haben fast immer dieselben Klassen besucht und uns auch gemeinsam für das Basketballteam beworben. B. J. wollte auch mitmachen, aber er hat es einfach nicht geschafft. Sie haben’s ja bestimmt mitbekommen, Trainer, dass B. J. sich sechs Jahre lang jedes Mal für Basketball beworben und es nicht ein einziges Mal geschafft hat. Er sagt immer, er wird noch mal ein zweiter Spud Webb.

– Ja, dieser B. J. – das ist schon eine komische Nummer.

– Auf jeden Fall hat er viel mehr Mut als ich. Es war B. J.s Idee, auf die Motorhaube zu steigen und zu versuchen, Rob von da aus dem Wagen zu holen. Mut hat er wirklich, das muss man ihm lassen.

– Nach dem, was ich gehört habe, bist du auch nicht gerade ein Hasenfuß. Wenn du nicht gewesen wärst, hätten die anderen viel schlimmere Verletzungen davontragen können. Hast du nicht Tyrone und B. J. aus dem Wagen geholfen?

– Glauben Sie nicht alles, was Sie hören. Ich glaube, es war genau umgekehrt. Ich kann mich nicht richtig erinnern ... aber an Robbie bin ich nicht rangekommen. Robbie hab ich nicht helfen können.

– Richtig, du konntest nicht. Es gibt Dinge, gegen die wir einfach nichts machen können.

– Gegen das Trinken hätte ich was machen können. Ich wusste es doch. Wir alle wussten es. Wir haben bloß gedacht, uns kann so was nie passieren.

– Verstehe.

– Ich werde nie begreifen, warum ich nicht schlimmer verletzt war – am liebsten wäre ich so schwer verletzt worden, dass ich mindestens für ein paar Monate im Krankenhaus hätte bleiben müssen – aber nach zwei Tagen haben sie mich nach Hause geschickt. Die Brandwunden waren ziemlich harmlos.

– Ja, von den vielen Heftpflastern abgesehen, würde ich sagen, siehst du eigentlich ganz gut aus. Hast du dich von der Anstrengung vor Gericht schon wieder erholt?

– Als ich aus dem Krankenhaus raus war und die Polizei mich ein paar Mal vernommen hatte, habe ich richtig Angst bekommen, als ich auch noch zum Gericht sollte. Das war wirklich sehr nett von Ihnen, dass Sie mich da begleitet haben, Mr Ripley.

– War doch selbstverständlich, Andy. Ich wollte dir zeigen, dass wir alle hinter dir stehen.

– Ich war erstaunt, wie viele Mitschüler und Lehrer da gekommen sind. Und Robs Eltern waren da, und natürlich meine Eltern und Keisha. Das war fast so schlimm wie die Beerdigung. Als der Richter mit mir gesprochen hat und ich vor allen Leuten geweint habe, war mir das irgendwie peinlich, aber das war schon in Ordnung, glaube ich – die haben das bestimmt verstanden. Viele von denen haben ja selbst geweint.

– Ich auch, Andy. Ich denk mal, weinen ist doch keine Schande.

– Trainer, können Sie mir was erklären?

– Sicher, Andy, wenn ich kann.

– Die Anklage lautete ja erst auf Alkohol am Steuer und fahrlässige Tötung, aber dann hat man das mit der fahrlässigen Tötung fallen lassen, wegen meines Alters und weil ich bis dahin immer unfallfrei gefahren bin. Am Ende habe ich zwei Jahre auf Bewährung bekommen, und man hat mir den Führerschein entzogen, den krieg ich erst wieder, wenn ich einundzwanzig bin. Ich find die Strafe sehr mild, vielleicht zu mild. Glauben Sie, dass das richtig war? Müsste ich nicht eigentlich ins Gefängnis?

– Der Richter hat getan, was er in deinem Fall für das Beste hielt, Andy. Du solltest aufhören, dich selbst zu quälen.

– Ich glaube, ich würde mich besser fühlen, wenn man mich richtig bestraft hätte.

– Du bist schon bestraft genug, Andy. Der Richter weiß das. Wir alle wissen das. Und wir werden dir helfen, so gut wir können. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du mit jemandem reden willst.

– Danke. Aber wann darf ich denn eigentlich wieder spielen?

– Was sagt der Arzt?

– Ich hab mir nichts gebrochen – nur ein paar leichte Brandwunden, ein paar Schnittwunden, ein paar schlimme blaue Flecken. Im Krankenhaus haben sie alles Mögliche untersucht, aber es war alles in Ordnung. Sie haben gesagt, ich hätte Glück gehabt ... Na ja.

– Musst du nicht regelmäßig an Kursen teilnehmen, wo man dir beibringt, mit Alkohol umzugehen?

– Doch, da bin ich jeden Samstag von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends.

– Ganz schön lange.

– Allerdings. Die wollen, dass ich von morgens früh an bei der Sache bin. Und das bin ich. Da muss ich noch früher aufstehen als für die Schule. Letzte Woche war ich das erste Mal da. Eigentlich gar nicht so übel. Hab eine Menge gelernt.

– Hast du mit den Leuten dort darüber gesprochen, ob du in der Schule wieder alles mitmachen darfst, einschließlich Basketball? Du weißt ja, die Spiele beginnen um acht. Schaffst du das am Samstag?

– Klar, kein Problem. Ich soll in der Schule ganz normal mitmachen, haben sie gesagt. Das ist nicht so ein Kurs, bei dem einem einfach alles verboten wird. Ich habe auch gefragt, ob ich Sport machen darf, und sie haben gesagt, solange ich die Kurse nicht versäume und meine Noten nicht völlig in den Keller sinken, könnte ich auch wieder Basketball spielen. Ich würd’s gern versuchen, Trainer.

– Das hat uns alle sehr mitgenommen, Andy. Wir haben nicht mehr trainiert, und wir haben zwei Spiele verloren seit ... seit dem Unfall. Aber ich denke, wir sollten jetzt in die Zukunft blicken. Robbie hätte bestimmt gewollt, dass wir weitermachen. Oder was meinst du?

– Ja, das glaub ich auch.

– Morgen nehmen wir das Training wieder auf. Wir sehen uns dann. Okay?

– Okay! Und danke, Trainer ... für alles.

Blackout

Подняться наверх