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Die dritte Regel von Sharon York

Während Maddox sich interessiert in der Wohnung umsah, zündete ich ein paar Kerzen an und öffnete eine Flasche Rotwein. Mein neuer Freund Lemi hatte sich in die Ecke des Stalls gekauert und knabberte genüsslich an einer Karotte, während Maddox ihn durch das Gitter streichelte. Er ließ sich sogar dazu herab, seine Schutzweste, den Mantel und die Waffen abzulegen, als er sich zu mir auf die Couch setzte. Absichtlich hielt ich Abstand zu ihm.

»Du hast eine schöne Wohnung. Wie sieht es mit Schutzzaubern aus?«

»Werden jedes Jahr erneuert und auch magische Runen sind an jeder Ecke angebracht.«

Er nickte zufrieden. »Gut, dass hilft bei Elementargeistern, wie einem Golem. Auch Vampire und Werwölfe kriegst du damit abgeschreckt, aber die höheren Dämonen, wie einen Zauberer oder gar Nikolai, lassen sich dadurch nicht stören.«

Ich goss die tiefrote Flüssigkeit in zwei Schwenker und reichte ihm einen. Dazu lächelte ich amüsiert. Beinahe süß, wie er sich Sorgen um mich machte.

»Die kommen tagsüber nicht raus«, versicherte ich ihm.

Klirrend stießen unsere Gläser aneinander.

»Ich hoffe, dass du recht hast«, flüsterte Maddox in den Schwenker blickend.

Ich hätte zu gern gewusst, an was er dachte, als er das tat.

»Ich sehe keine Bilder«, sagte er schließlich.

Amüsiert setzte ich mich auf meine Knie und kuschelte mich in die weichen Kissen. »Von wem auch?«

»Zum Beispiel von deinen Eltern?«

Für einen Moment hatte ich das Gefühl, als würde er zu mir herüberrutschen. Unsere Hände waren nur wenige Zentimeter entfernt, ich konnte beinahe spüren, wie er mit dem Gedanken spielte, sie zu ergreifen. Doch den Gefallen wollte ich ihm nicht tun.

»Ich kenne meine Eltern nicht. Der Zirkel ist mein Zuhause.« Mechanisch ratterte ich dieses Kapitel meines Lebens herunter. Nicht unbedingt meine Lieblingsgeschichte, aber auch keine, die schmerzte. Nicht mehr. Nicht mehr nach so langer Zeit.

»An das Waisenheim kann ich mich nicht mehr erinnern, irgendwann wurde ich von Madame de la Crox abgeholt, ab dann wohnte ich im Zirkel.« Ich zwinkerte ihm zu. »Wenn du lieb bist, zeige ich dir vielleicht mal mein altes Zimmer im Wolkenkratzer. Ich habe es immer noch. Wenn ich mal länger arbeiten muss und ich keine Lust habe, nach Hause zu fahren, lege ich mich dort hin.«

Er nickte mir zu, nahm einen Schluck Wein. Als wäre er schon leicht betrunken, ließ er Luft durch seine Lippen entweichen.

Ich bedachte ihn mit einem fragenden Blick. »Du trinkt nicht oft Alkohol, oder?«

»Eigentlich nie.«

Ich goss nach.

»Wie sieht es bei dir aus?«, fragte ich.

»Meine Mutter wohnt in Los Angeles.« Er hielt kurz inne und lächelte. Ein ehrliches, strahlendes Lächeln, das eigentlich alles sagte, was ich wissen musste. »Sie ist eine tolle Frau und mein Vater ... Sagen wir so, ich weiß, wer er ist, habe eine Zeit lang bei ihm gelebt, aber seine Einstellung zu manchen Dingen gefällt mir nicht.« Etwas verlegen setzte er seinen verträumten Blick auf.

»Wir wollten reden, mein Lieber«, erinnerte ich ihn.

Entschuldigend erhob er die Arme, nahm noch einen Schluck. »Natürlich, also was möchtest du wissen?«

Ich überlegte einen kurzen Moment. Es waren Dutzende Fragen, die mir unter den Nägeln brannten. Doch ich entschied, dass ein ruhiger Einstieg das Beste wäre.

»Woher weißt du das mit dieser jungen Hexe Isabella?«

Er stellte das Glas ab und lehnte den Kopf an die Garnitur. Auch bei ihm forderte diese Nacht mehr und mehr ihren Tribut. »Es sind nicht viele Aufzeichnungen aus dieser Zeit vorhanden, aber die die übrig sind, verraten ihren Namen.«

Ich nippte an meinem Wein. »Wieso war sie imstande, ihn zu überwältigen?«

Es dauerte eine Zeit, bis er das einfache Wort fand. »Liebe.« Maddox lächelte. »Nikolai muss sich in sie verliebt haben. Nur so hätte sie in seinen Geist eindringen und ihn schließlich überwältigen können.« Er setzte sich kurz auf, und als er wieder Platz nahm, berührten sich unsere Ellenbogen. »Zwar ist sein Vater der Teufel selbst, aber seine Mutter ist ein Mensch. Du kennst die Geschichte?«, erkundigte er sich.

Bei so geschichtlichen Dingen, die mehr Fiktion waren, hatten Ira und ich früher im Unterricht lieber gequatscht.

»Oberflächlich«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

»Es ist ein Abkommen. Alle hundert Jahre darf der Teufel eine Nacht auf Erden verbringen und versuchen, eine Frau zu verführen. Dafür wird alle hundert Jahre eine Hexe sechsten Grades geboren.«

»Angeblich«, platzte es sarkastisch aus mir heraus.

Dieser Teil der Geschichte war mir bekannt. Es war ein Deal, der zwischen Gott und dem Teufel besiegelt war. Er bekam eine Nacht und dafür durfte eine absolute Hexe, eine vollendete Magierin, geboren werden.

Ich zischte abfällig. Alles Märchen.

Maddox breitete die Arme aus. Es schien ihm sichtlich Freude zu machen, über dieses Thema zu referieren. Ich mahnte mich zur Vorsicht, um nicht zusammenzuzucken, als er meinen Handrücken berührte. Seine Stimme war nun leise, ein Flüstern.

»Dies alles muss er ohne seine Macht, als ein einfacher Mensch schaffen. Keine Tricks, keine Magie, in einer einzigen Nacht.«

Seine Zärtlichkeiten zauberten mir eine Gänsehaut über den Arm. Ohne, dass ich es wollte, erwiderte ich die Berührungen.

»In einer Nacht? Hat das jemals funktioniert?«, fragte ich.

Mit den Fingernägeln strich er mir über den Unterarm, rückte dabei noch ein Stückchen an mich heran. Mit der Hand fasste er meinen Hinterkopf, er wisperte die Worte nun. »Kennst du das Kinderlied von den vier Brüdern?«

Ich nickte, er zog sich langsam an mich.

»Es hat geklappt. Genau vier Mal.«

»Was meinte er damit, als er sagte, dass du nun ein Juwel besitzt, welches er einmal sein Eigen nennen durfte?«

»Ich weiß es nicht ...«

Er hauchte die Worte und küsste mich schließlich. Kein fordernder Kuss, wie mich die Männer küssten, die ich mit einem Zauber belegt hatte, sondern schüchtern, leidenschaftlich – ein wahrer Kuss. Zuerst zögerte ich, dann öffnete ich meinen Mund. Meine Hände legten sich auf seine Haare, zerzausten sie und fanden sich schließlich auf seiner Brust wieder. Wir rückten noch näher zusammen. Mein Kopf schwirrte und daran war nicht der Wein schuld. Mit einem Mal stieg ein Hochgefühl in mir auf, als hätte er eine lange, bereits schwellende Sehnsucht befriedigt. Er umfasste meine Taille, von der ein Kribbeln ausging, das sich schon bald auf meinem gesamten Körper ausbreitete. Ruhig streichelte er meine Taille, seine Finger wanderten auf meinen Rücken, reizten ihn zärtlich. Ein stummer Anfall von Panik lähmte mich schließlich. Ich war einen gefährlichen Pfad entlanggeschritten, versuchte ich doch mit jedem neuen Zungenschlag die aufkommenden Gefühle herunterzukämpfen. Zwischen Gier und Verlangen, die ich im Untergeschoss des Zirkels bereits gespürt hatte, mischte sich nun der Wunsch, ihn immer so küssen zu können.

Und nur ihn.

Ich erschauderte und machte trotzdem weiter. Mit einer kurzen Handbewegung ließ ich den Rock hochgleiten und setzte mich mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß. Dabei achtete ich genau darauf, dass er für den Bruchteil einer Sekunde den schwarzen Slip blitzen sah. Während Maddox meinen Hals mit Küssen bedeckte, fuhr er mit den Händen über meine Beine, bis er schließlich meinen Po erreicht hatte. Gierig kniff er in ihn hinein, was mir einen kaum merklichen Schrei der Lust entlockte. Ich konnte die Enge in seiner Hose spüren, rieb mich an ihm. Sein Gesicht ruhte im flackernden Kerzenschein, als er die Knöpfe meiner Bluse öffnete und sie herabzog. Er küsste die Haut meines Dekolletés, dann den Ansatz meiner Brüste. Ich konnte die Härte durch den BH spüren, drückte mein Kreuz durch, um ihm meinen Busen ins Gesicht zu pressen. Atemlos stöhnte er auf. Bald schon hatte die Hitze in mir überhandgenommen und ich riss ihm sein Oberteil vom Körper.

Es war ein quälend schöner Kampf, den wir beide ausfochten. Ein seltsames Band schien uns zu verbinden und es war nicht nur die aufkeimende Begierde, die durch unsere Leiber rauschte. Mit Gewalt presste ich mich auf seinen Unterleib. Bei jedem Mal wurde sein Penis größer, bis es ihm Schmerzen zu bereiten schien, dass er immer noch unter dem Stoff der Hose gefangen war. Ich wollte ihn von dieser Last erlösen. Ich konnte nicht sagen, wie lange wir uns küssten und unsere Körper mit den Händen erforschten. Gierig drückte ich meine Zunge in seinen Mund, saugte an seinen Lippen, um ihm einen kleinen Vorgeschmack auf das Kommende zu geben.

Doch als ich mich an seinem Gürtel zu schaffen machte, packte er unvermittelt meine Handgelenke. Sein Gesicht war gerötet, als er mit unsicherem Blick auf meine Hände starrte.

»Es ... Es tut mir leid«, stotterte er. »Ich würde gern mit dir ... Aber es geht nicht.«

Verführend wippte ich auf seinem Schoß, spürte seinen steifen Penis. »Oh doch, es geht, glaub mir«, hauchte ich.

Dann kam mir ein Gedanke und ich legte die Stirn in Falten. »Sag nicht, dass du noch nie ...«

Er wich meinem Blick aus. »Doch, natürlich. Ich habe schon mit einer Menge Frauen geschlafen.«

Erst jetzt fiel ihm wohl auf, was er gerade gesagt hatte. »Entschuldige, damit meine ich nicht ...«

»Du kannst also mit jeder Tussi schlafen, aber willst es nicht mit mir?« Mit einem abfälligen Seufzen schwang ich mich von ihm runter, zog mir meine Bluse an.

»Isabelle, bitte. Das war nicht so gemeint. Ich habe nur Angst, dass du mir zu nahe kommst.«

Ich trank einen großen Schluck Wein, mein Blick ging gekränkt aus dem Fenster. So etwas war mir noch nie bei einem anderen Mann passiert! Jetzt war es das zweite Mal, dass er mich ablehnte! Normalerweise war ich diejenige, die den Männern mein Spiel aufzwang. Schnaubend vor Wut beobachtete ich die Sonne, wie sie gehorsam den Tag ankündigte.

»Du hast doch deine Ritterlilie«, sagte ich eingeschnappt.

»Du weißt genau, dass sie einen nicht vor allem beschützen kann.«

Er klang traurig, stand auf, wollte meine Hand ergreifen. Sein nackter Oberkörper schimmerte im fahlen Schein der Kerzen, die Brustmuskeln waren wunderbar ausgeprägt und trotzdem wollte ich nichts anderes, als diese Schmach vergessen. Ich zog meine Hand weg, schenkte ihm dabei einen eiskalten Blick.

»Maddox, bitte geh.«

Er faltete die Hände, blickte sorgenvoll zu Boden.

Verwirrt sah ich zu ihm herauf. Sein Gesicht, sein Blick, seine Gesten, alles an ihm war mir ein Rätsel. Ein schönes, undurchdringliches, gefährliches Rätsel.

»Würdest du mir einen Gefallen tun?«, bat er.

Keine Ahnung, worauf er hinaus wollte. Etwas überheblich zuckte ich mit den Schultern.

Er goss mir Wein nach und ich machte mich sofort daran, ihn zu leeren.

Er kramte in seiner Tasche. Zum Vorschein kam eine goldene Kette, an der eine kleine, verzierte Kugel hing. Er hielt sie hoch. Tatsächlich hatte dieses wunderschöne Schmuckstück meine Aufmerksamkeit geweckt. Ich versuchte, es allerdings nicht so aussehen zu lassen und schritt mit gespielter Gleichgültigkeit auf ihn zu. Es drehte sich vor meinen Augen. Die gläserne Kugel war nicht mehr als einen Zentimeter groß, eingebettet in filigranes Gold.

»Berühre sie«, forderte er mich auf.

Erst widerwillig, aber dann interessiert, rieb ich schließlich mit dem Finger über das Glas. Für einen Moment meinte ich, meinen Augen nicht zu trauen und ging noch ein wenig näher ran. Im Glas schien es zu brennen. Glühend fackelte dort ein Feuer, wie ich es noch nicht gesehen hatte. Ich konzentrierte mich und tastete das Objekt ab. Es war stark, unglaublich stark. Ich zog meinen Finger zurück. Dann erlosch die Flamme im Inneren des Glases. Selbst die Macht der mächtigsten Artefakte des Zirkels war nicht annähernd so gewaltig.

»Was soll das sein?«, flüsterte ich fasziniert. »Und wofür ist es gut?«

»Das ist Feuer. Eingefangen aus der Hölle selbst.«

»Höllenfeuer?«, wiederholte ich ungläubig, dabei zog ich die Augenbrauen nach oben.

Maddox nickte ruhig. Orange flimmernd legte sich das Licht auf sein Gesicht.

»Ich weiß nicht genau, wofür es gut ist. Aber die Söhne des Teufels haben Angst davor, wenn es hier auf der Erde ist, soviel kann ich dir sagen. Nikolai scheint in dir etwas zu sehen. Ich möchte, dass du es trägst. Es ist ein Geschenk.«

Ich war sprachlos, wollte protestieren. Doch schon ging Maddox um mich herum und strich meinen Zopf zur Seite. Mit geübten Fingern legte er mir das Amulett um den Hals. Zärtlich streichelte er meinen Nacken. Das Schmuckstück war ganz leicht, schon nach wenigen Sekunden spürte ich nicht mehr, dass um meinem Hals etwas lag. So ein unglaublich mächtiges Amulett gehörte in weisere Hände, in die Abteilung für magische Artefakte, aber nicht in meine. Ich wusste nicht, was ich nun fühlen sollte. Die Hände auf der Kette ruhend, hauchte ich: »Dankeschön.«

Kurz umspielte ein Lächeln sein Gesicht, dann drehte er sich überhastet um und suchte seine Sachen zusammen.

»Ich danke dir für den schönen Abend, Isabelle.« Seine dunklen Augen funkelten, als er mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen drückte. »Und entschuldige bitte.«

Mit diesen Worten ließ er mich schließlich stehen. Während die ersten Sonnenstrahlen den Weg in meine Wohnung fanden und sich glitzernd auf meine Haut schmiegten, fiel die Tür ins Schloss.

Einen Moment lang war ich wie gelähmt, befühlte das Geschenk. Zum zweiten Mal hatte er mich erst heiß gemacht, dann stehenlassen. Ich wurde aus diesem Mann einfach nicht schlau. Auch wenn das drohende Unheil sich mehr und mehr über der Stadt zusammenbraute, waren meine Gedanken doch nur bei ihm.

Kopfschüttelnd ging ich ins Bad und machte mich fürs Bett fertig. Ich fand bereits nicht mehr die Kraft, meine Kleidung ordentlich zu sortieren, also streifte ich mir Rock, Bluse und BH ab und ging ins Bett. Ein weiteres Mal befühlte ich das Amulett und betrachtete es im Schein der Sonne. Ein wunderschönes Stück. Ein traumhaftes Geschenk. Ich ertappte mich dabei, wie ich lächelte und die Kette schließlich in der ersten Schublade meines Nachttisches verschwinden ließ. Ich starrte an die Decke. Kurz bevor meine Gedanken verwischten und ich in den erholsamen Sog des Schlafes gezogen wurde, musste ich unweigerlich an meine dritte und wichtigste Regel denken:

Egal, was passiert: Never fall in fucking love ...

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