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Kapitel 9
Оглавление»Es tut Ihnen leid? Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?« Er wanderte wutschnaubend vor ihrem Schreibtisch auf und ab.
»Bitte beruhigen Sie sich, Herr Spötter. Ich kann verstehen, dass Sie über den Ausgang des Verfahrens enttäuscht sind, aber am Ende entscheidet nun mal der Richter. Wir können selbstverständlich gegen das Urteil in Revision gehen, wenn das Ihr ausdrücklicher Wunsch ist«, schlug sie vor und hoffte, ihren Gegenüber mit dieser Aussicht zu besänftigen – jedenfalls für den Moment. Doch ihr Plan schien nicht aufzugehen. Auf ihren Vorschlag hin warf er ihr einen zornigen Blick zu.
»Wir gehen nirgendwo hin!«, schnaubte er, wobei er das erste Wort besonders betonte.
Die Anwältin konnte erkennen, wie er vor Wut die Zähne aufeinanderbiss und seine Kiefermuskeln dabei deutlich hervortraten. Kurzzeitig bekam sie Angst, und ihr Blick heftete sich an die oberste Schreibtischschublade, in der ein Pfefferspray für alle Fälle griffbereit deponiert war. In der Vergangenheit hatte sie aufgebrachte Mandanten stets mit Worten und gesundem Menschenverstand beruhigen können, sodass es bislang glücklicherweise nie zum Einsatz gekommen war.
»Sie haben mir zugesichert, dass ich schadlos aus der Sache herauskomme, Frau Seiler! Durch dieses Urteil bin ich finanziell endgültig ruiniert. Das habe ich allein Ihrer Unfähigkeit zu verdanken!«, schnaubte Martin Spötter und fuchtelte beim Sprechen wild mit den Armen.
»Sie wissen genauso gut wie ich, dass das nicht meine Schuld ist. Hätten Sie von Beginn an mit offenen Karten gespielt, hätte ich die Verteidigung vollkommen anders aufbauen können«, konterte sie verärgert. Einerseits war es unklug, sich mit ihrem Mandanten in seiner momentan hochemotionalen Lage auf ein Streitgespräch einzulassen, darüber war sie sich durchaus im Klaren, andererseits wollte sie diese Schuldzuweisung nicht ohne Weiteres auf sich sitzen lassen. Objektiv betrachtet, konnte Spötter sich glücklich schätzen, keine Freiheitsstrafe kassiert zu haben, doch diesen Gedanken behielt sie vorläufig lieber für sich.
»Das ist interessant. Versuchen Sie etwa, mir den schwarzen Peter zuzuschieben? Das wird ja immer besser! Ich bezahle Sie, damit Sie sich für meine Interessen einsetzen. Wissen Sie was?« Plötzlich kam er ihr bedrohlich nah und stützte sich mit beiden Händen direkt vor ihr auf der Schreibtischplatte ab. Der Geruch seines Aftershaves kitzelte ihr derart heftig in der Nase, dass sie nur mit Mühe ein Niesen unterdrücken konnte. Intuitiv lehnte sie sich in ihrem Stuhl ein Stück zurück. »Von Ihnen lasse ich mich nicht verarschen. Wir sind noch nicht fertig, Frau Seiler!«, zischte er. Sein Gesicht befand sich unmittelbar vor ihrem, sodass sie die kleinen bernsteinfarbenen Sprenkel in seinen Augen deutlich erkennen konnte.
»Herr Spötter …«, schlug sie einen versöhnlichen Ton an, doch er fiel ihr augenblicklich ins Wort.
»Die Sache wird Ihnen noch leidtun, sehr leid sogar.« Er richtete sich auf, holte tief Luft und schnappte sich seine Jacke, die er über der Sessellehne abgelegt hatte. Ohne sie eines letzten Blickes zu würdigen, riss er die Bürotür auf.
»Soll ich das als Drohung auffassen?«, rief sie ihm hinterher.
»Ist mir scheißegal, wie Sie das auffassen!«, blaffte er im Hinausgehen zurück und versetzte dem Garderobenständer neben der Tür zum Abschied einen wütenden Tritt.
Dann war er aus ihrem Blickfeld verschwunden. Sie konnte das lautstarke Zuschlagen der Tür zum Treppenhaus hören, bevor es für einen kurzen Moment mucksmäuschenstill wurde. Einzig das gleichmäßige Ticken des Sekundenzeigers der Wanduhr, der unbeeindruckt seine Runden drehte, durchbrach die Stille.
Svenja war zusammengezuckt, als die Tür ins Schloss krachte. Irritiert steckte sie den Kopf aus der Tür und lugte in den Flur. Niemand war zu sehen. Schulterzuckend wandte sie sich ihrer Arbeit zu. Sie stand in der kleinen Teeküche und war dabei, Quark und Naturjoghurt in einer Schale zu vermischen. Dann nahm sie das Vorratsglas mit Nüssen und Haferflocken aus dem Regal und gab eine Handvoll über die Quarkmischung, wie sie es seit Wochen täglich tat. Anschließend öffnete sie die durchsichtige Plastikschale mit Blaubeeren, deren lange Reise von Chile bis nach Sylt exakt an dieser Stelle endete, und hielt sie unter fließendes Wasser, bevor sie sie mit einem Küchenkrepp behutsam abtupfte. Mittlerweile war diese Tätigkeit zu einem morgendlichen Ritual geworden und hatte beinahe meditative Züge angenommen. Als die kleinen blauen Kugeln in die Schale kullerten, fasste Svenja den Entschluss, ihrer Chefin den Vorschlag zu unterbreiten, künftig lieber auf heimisch produzierte Tiefkühlware zurückzugreifen, denn frische Blaubeeren im Februar gingen in Anbetracht der weltweiten Klimaerwärmung – vom horrenden Preis ganz zu schweigen – gar nicht, sagte sie sich. Plötzlich stach ihr eine Beere ins Auge, die noch ein Stück grünen Stängel besaß. Behutsam sortierte sie sie mit spitzen Fingern aus, trennte sie vom Stielansatz und ließ sie blitzschnell in ihrem Mund verschwinden.
»Hm, schmeckt nach nichts«, murmelte sie enttäuscht und fühlte sich gleichzeitig in ihrem Entschluss bestärkt. Mit der Schale und einem Kaffeebecher in der Hand marschierte die junge Frau zum Büro ihrer Chefin.
»Moin, Boss! Was sollte dieser Krach eben?«
»Guten Morgen, Svenja! Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass Sie mich nicht ›Boss‹ nennen sollen.«
»Verstanden. Warum eigentlich nicht?«
»Weil … ach, ich möchte es nicht. Sie sind früh dran heute, ich habe Sie gar nicht kommen hören«, stellte die Anwältin fest.
»Ich war mega leise, weil Sie Besuch hatten. Was wollte der Typ eigentlich um diese Zeit in der Kanzlei? Mann, war der sauer!« Sie schüttelte ihre Hand, als hätte sie sich verbrannt.
»Sagen wir mal, unser Mandant war mit dem Ausgang seines Verfahrens nicht in allen Punkten einverstanden.« Ellen Seiler war bemüht, in Gegenwart ihrer Auszubildenden entspannt zu wirken, obwohl sie der Auftritt Martin Spötters mehr aufgewühlt hatte, als sie bereit war zuzugeben.
»Nach dem Urteil geht ihm der Arsch richtig auf Grundeis. Würde mir auch, wenn meine Kohle weg wäre. Echt krasser Auftritt.« Sie grinste breit.
»Svenja, bitte arbeiten Sie an Ihrer Ausdrucksweise!«
»Sorry, ich geb’ mir Mühe«, entschuldigte sich die junge Frau und stellte die Tasse sowie die Schale auf dem Schreibtisch ihrer Chefin ab. »Bitte sehr, Ihr Kaffee und das Müsli, Frau Seiler. Oder hätten Sie lieber einen Beruhigungstee? Sie sehen aus, als könnten sie dringend einen vertragen. Ich mach einen, kein Ding«, bot sie an und spielte an ihrem langen Ohrring herum.
»Danke für das Angebot, aber den hätte Herr Spötter nötiger gebraucht«, erwiderte die Anwältin mit einem Lachen und griff nach der Tasse. »Hoppla, der ist aber stark!«, bemerkte sie, nachdem sie den ersten Schluck getrunken hatte.
»Ich dachte, nach dem gestrigen Abend brauchen Sie vielleicht einen starken Kaffee. Wie ist das Date mit Ihrem Doktor denn gelaufen?«, erkundigte sich die junge Frau neugierig und ließ sich in einen der beiden Ledersessel fallen.
»Erstens ist es nicht mein Doktor und zweitens war das kein Date«, stellte Ellen klar. Svenja zog eine Augenbraue, in der ein kleiner silberner Ring steckte, hoch. »Doktor Luhrmaier und ich interessieren uns beide leidenschaftlich für den Laufsport. Josef, ich meine Herr Doktor Luhrmaier, will dieses Jahr das erste Mal beim Syltlauf mitmachen, und ich habe ihm lediglich ein paar Tipps zu den örtlichen Besonderheiten gegeben. Mehr nicht«, betonte die Anwältin sachlich.
»Schon klar«, klang Svenja wenig überzeugt.
»Glauben Sie, was Sie wollen. Im Übrigen bin ich niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig, mit wem ich mich treffe.« Noch im selben Moment taten ihr ihre schroffen Worte leid, schließlich konnte Svenja nichts für ihren Unmut. Doch die junge Frau ließ sich nicht von ihrer schlechten Laune abschrecken.
»Meinetwegen müssen Sie nicht die toughe Anwältin raushängen lassen. Kommen Sie schon! Ein klitzekleines Bisschen können Sie mir doch verraten. Wie ist er denn so, Ihr neuer Freund?«, ließ sich Svenja nicht abwimmeln und ignorierte den fassungslosen Blick ihrer Vorgesetzten, der in Anbetracht dieser Hartnäckigkeit die Worte fehlten.
»Sie geben vermutlich nie auf?«
»Richtig erkannt.« Die junge Frau verschränkte siegesbewusst die Arme vor der Brust und legte grinsend den Kopf schief.
»Josef, also Herr Doktor Luhrmaier, ist ein äußerst kultivierter Mann, und uns verbinden viele gemeinsame Interessen«, begann Ellen Seiler und ärgerte sich im selben Moment, dass sie sich letztendlich hatte weichkochen lassen. Ihr Privatleben ging niemanden etwas an, an vorderster Stelle ihre Auszubildende. Trotz allem ließ sie die Beharrlichkeit, die die junge Frau an den Tag legte, insgeheim schmunzeln. Menschen, die unbeirrt ihr Ziel verfolgten, konnte sie an ihrer Seite durchaus gebrauchen.
»Josef?« Svenja rollte mit den Augen und zog skeptisch den rechten Mundwinkel nach oben. »Was ist das denn für ein spießiger Name! Wenn der Typ so verstaubt ist, wie sein Name klingt, dann gute Nacht!«
»Ich darf doch sehr bitten«, konterte Ellen Seiler entrüstet.
»Sorry, Boss, war nicht persönlich gemeint«, gab die Auszubildende daraufhin kleinlaut zurück.
»Das hoffe ich. Damit ist unser Gespräch zu dem Thema ohnehin beendet.«
»Och nö, das ist total unfair! Sie haben gar nichts richtig erzählt«, protestierte Svenja und setzte einen beleidigten Schmollmund auf.
»Ich bin überzeugt, auf Ihrem Schreibtisch wartet genügend Arbeit, die dringend erledigt werden muss. Schließlich bezahle ich Sie nicht für Plauderstündchen. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt?«, erklärte Ellen Seiler mit strenger Miene. Normalerweise missfiel ihr diese Art, mit Angestellten umzugehen, doch im Fall ihrer Auszubildenden blieb ihr nichts anderes übrig, als sie auf diese Weise in die Schranken zu weisen. In den allermeisten Fällen hielt der Erfolg nicht lange an.
»Sie sind aber echt empfindlich heute Morgen«, bemerkte Svenja, erhob sich von ihrer Sitzgelegenheit und rückte ihren äußerst kurzen Rock in die richtige Position.
»Gestern beim Biikebrennen hat es einen Todesfall gegeben«, berichtete Ellen Seiler unerwartet und nestelte an dem Kragen ihrer Bluse.
»Echt jetzt?«
»Würde ich über solch ernste Angelegenheit Scherze machen?«
»Nee, das ist ja krass.«
»Svenja, können Sie sich bitte dieses blöde ›krass‹ abgewöhnen? Wenigstens während der Zeit in der Kanzlei«, forderte Ellen Seiler die junge Frau auf, auch wenn es vermutlich vergeblich war.
»Verstanden, ich passe in Zukunft auf. Was ist denn nun gestern passiert?«
»Eine Frau ist ums Leben gekommen, mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Herr Doktor Luhrmaier ist Rechtsmediziner und offiziell mit dem Fall betraut. So, und jetzt machen Sie sich bitte an Ihre Arbeit, der Terminkalender platzt aus allen Nähten. Gleich kommt das Ehepaar Gronert, da benötige ich vorher einige Kopien«, stellte Ellen Seiler mit Blick in ihren Terminplaner fest.
»Ein Mordfall? Hier auf Sylt?« Svenjas Augen leuchteten vor Aufregung.
»Von Mord hat niemand gesprochen«, wiegelte die Anwältin ab und bereute, das Thema überhaupt erwähnt zu haben.
»Das ist echt krass! Dann schnippelt Ihr Freund also an Toten rum? Für mich wäre das nichts.« Sie verzog angewidert das Gesicht.
»Haben Sie mich verstanden? Ich benötige die Kopien, gleich!«
»Geht klar, Boss!« Svenja tippte sich an die Stirn, als wolle sie salutieren, drehte sich auf dem Absatz um und verließ im Stechschritt das Zimmer. Ellen konnte ihr bloß mit einem Kopfschütteln nachsehen.