Читать книгу Die Bande vom Vorwald - Siegfried Böck - Страница 5

Brommelshausen, sein Stadtwald und seine Besonderheit

Оглавление

Wie schon angedeutet, gibt es über Brommelshausen nicht sehr vieles zu berichten. Es ist ein abgeschiedenes, verschlafenes Landstädtchen im ebenfalls abgeschiedenen und verschlafenen Grünwaldviertel, irgendwo in der tiefsten Provinz. Es spricht eigentlich nicht sehr viel dafür, einfach mal so seine Koffer zu packen und auf einen Sprung dorthin zu fahren. Ehrlich gesagt, spricht überhaupt nichts dafür.

Natürlich kann es ab und zu mal vorkommen, dass es den einen oder anderen durch einen seltsamen Zufall oder durch eine GPS-Fehlnavigation doch einmal nach Brommelshausen verschlägt. Falls jemandem so etwas passieren sollte, dann – ein Tipp unter Freunden – wäre ein Abstecher in den dortigen Stadtwald nicht der schlechteste Zeitvertreib. Wer jetzt meint, dass es bestimmt nicht sehr aufregend sein kann, in einem Wald neben einer verschlafenen Kleinstadt herumzulaufen, der hat nicht einmal ganz unrecht. An dem Wald selbst ist auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nichts, aber auch gar nichts zu bemerken, was einen vom Hocker reißen würde. Es ist ein ganz normaler Wald mit großen, alten Bäumen, lauschigen Waldwiesen, einem Wiesental mit einem kleinen Bach und einer Lichtung mit dem reizenden Namen „Tannengrün“, die genau in der Mitte des Waldes liegt.

Was ist nun das Besondere am Brommelshausener Stadtwald?

Die Bäume, das Wiesental und die Lichtung sind es bestimmt nicht. Es sind auch nicht die großen Tiere des Waldes, obwohl er von beeindruckenden Wildschweinrotten und Rehrudeln bevölkert wird.

Nein, das Besondere an diesem Wald hat Federn, und zwar schwarzweiße Federn und dazu noch einen langen Schwanz, der beim Fliegen aufgeregt auf und ab wippen kann. Diese schwarzweißen Federkleidträger sind eigentlich auch wieder nichts Besonderes, denn sie gehören zu einer überall bekannten Sippe von Gefiederten, von der jedes kleine Kind sagen kann: „Schau mal, Mama, da fliegen aber viele Elstern!“

Jawohl, ganz gewöhnliche Elstern. Die Elstern im Brommelshausener Stadtwald nehmen allerdings eine Art Sonderstellung ein, denn nur ihnen eilt der zweifelhafte Ruf voraus, einen, wie soll man sagen, etwas lockeren Lebenswandel zu führen. Vor allem bei ihren ungeliebten Verwandten, den etwas spießigen Schwarzbefrackten, gelten die verrückten Schwarzweißen als eine Sippschaft, die in der ehrwürdigen Rabenvogelfamilie nichts mehr zu suchen hat. In ihren strengen Krähenaugen ist die schwarzweiße Verwandtschaft einfach nur laut, streitsüchtig, neugierig, boshaft, frech und zu allem Überfluss auch noch diebisch. Wie sollen die Schwarzweißen, die alle so komische Namen wie Emil, Eddy oder Edgar tragen, auch sonst in den Besitz dieser vielen glänzenden und geheimnisvollen Gegenstände gekommen sein, welche die Nischen ihrer Nestburgen bis zum Rand ausfüllen?

„Geklaut haben sie diese wertvollen Sachen!“, so würden es auf jeden Fall die Schwarzbefrackten behaupten.

Übrigens: Im Wald heißen die Elstern nicht Elstern und die Krähen auch nicht Krähen, sondern Schwarzweiße und Schwarzbefrackte. In der Geschichte werden aber, aus verschiedenen Gründen, beide Namen verwendet. Bei anderen Waldbewohnern sind solche mehrfache Namensgebungen ebenfalls üblich.

Ein besonderer Dorn in jedem ehrlichen Krähenauge ist auch die Unart der Schwarzweißen, sich in provozierenden, schwarzen und weißen Federkombinationen zu kleiden. Eine Beleidigung für jede alte Rabentradition.

Kurz gesagt, Elstern und Krähen können sich nicht besonders leiden, aber das soll ja selbst in den besten Verwandtschaften gar nicht so selten vorkommen.

Wenn auch die liebe Krähenverwandtschaft sich nach Kräften bemüht, keine gute Feder an der schwarzweißen Sippe zu lassen, alles darf man ihr doch nicht glauben. In Wirklichkeit besitzen die Schwarzweißen auch Eigenschaften, die sie ganz sympathisch erscheinen lassen. Sie sind nämlich auch fürsorglich, hilfsbereit, fröhlich und haben dazu noch einen ausgeprägten Familiensinn. Kurzum, bei den Elstern findet man alle nur denkbaren Charaktereigenschaften, nur sind einige dieser Eigenschaften bei ihnen vielleicht etwas stärker ausgeprägt als bei anderen Bewohnern des Stadtwaldes. Gerade dieses eigenwillige und manchmal wirklich chaotische Wesen macht die Elstern zu idealen Abenteurern und deshalb haben sie im Stadtwald auch schon mehr als einmal für anständigen Wirbel gesorgt.

Ach ja, wildes, chaotisches Elsterleben mit gefährlichen oder auch komischen Abenteuern oder auch nur der normale Elsternalltag. Wie faszinierend wäre eigentlich so ein kleines Abtauchen in die Welt der Eddys, Edgars, Ellys, Erichs, Emils, Ellas und wie sie sonst noch alle heißen mögen. Ganz bestimmt wäre es ein bezauberndes Erlebnis, aber dazu wird es wohl keine Gelegenheiten geben, denn die Sippe der Schwarzweißen lässt aus guten Gründen keine Menschen an ihrem Leben teilhaben.

Irgendjemand muss es aber doch geschafft haben, sich bei den Schwarzweißen und auch bei anderen Waldbewohnern einzuschleichen, denn wie in aller Welt sollten die Waldgeschichten sonst zustande gekommen sein? Mir ist das immer noch ein Rätsel.

In den Geschichten dreht es sich aber nicht ausschließlich um die Schwarzweißen, wenn diese auch fast überall die Hauptrollen einnehmen. Neben ihnen gibt es nämlich noch viele weitere Waldbewohner, unter anderem einen mürrischen Schwarzspecht, freche Kleiber mit einer starken Vorliebe für korrekte Umgangsformen und einen überängstlichen Waldkauz mit einer etwas dicklichen Figur. Dass es im Wald nicht zu lustig wird, dafür sorgen ein paar weniger sympathische Bewohner, vor denen sich die anderen sehr in Acht nehmen müssen. Hier seien nur der verschlagene Marbert Marder und die lautlose Strega, wie die riesige Uhufrau genannt wird, erwähnt. Auch dem Grauen, dem gefürchteten Wildkater, geht man besser aus dem Weg. Außerdem soll auch noch eine einbeinige Habichtsfrau mit dem ausgefallenen Namen Accellara Habicht irgendwo ihr Unwesen treiben. Aber es gibt auch noch einen netten, alten Forstmeister, der heißt Waldemar Sägebrecht und wer weiß, vielleicht stammen die Geschichten sogar von ihm, denn im Brommelshausener Stadtwald kennt sich niemand besser aus als er.

Wer mehr über den Wald, den Elsternschwarm und über die anderen Waldbewohner erfahren will, dem bleibt, wie schon gesagt, die Möglichkeit, selber einmal dorthin zu fahren. Mit viel Geduld und viel Glück kann er vielleicht den einen oder anderen Waldbewohner mal kurz zu Gesicht bekommen. Wem das aber zu anstrengend ist, der kann sich auch einfach bequem zurücklehnen, eine heiße Tasse Kakao bereitstellen und dieses Buch weiterlesen.

Die Bande vom Vorwald

Подняться наверх