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2.3 Übertragung als Verschiebung

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Der Hauptmechanismus, auf dem die Übertragung beruht, ist die Verschiebung. Dabei werden Erfahrungen vom ursprünglichen Objekt auf ein anderes, z. B. den Analytiker verschoben, d. h., es werden energetische Besetzungen von einer inneren Objektrepräsentanz auf eine andere verlagert. Die Verschiebung ist einer der zentralen Abwehrmechanismen und wurde schon von Freud (1900) als ein Hauptmechanismus der Traumarbeit beschrieben. Auch in der Fallgeschichte vom kleinen Hans diente ihm die Verschiebung dazu, dessen Angst vor Pferden zu erklären, die »ursprünglich gar nicht den Pferden galt, sondern sekundär auf sie transponiert wurde« (Freud 1909, S. 286) und sich unbewusst auf den Vater bezog. Damals gebrauchte Freud beide Begriffe, Projektion und Verschiebung, um ein und denselben Sachverhalt zu benennen.

Übertragung galt in diesem Konzept als Abwehr, als Schutz des Ichs vor dem Erinnern der pathogenen frühen Objektbeziehungen. Der Patient überträgt dabei seine frühen Objekterfahrungen auf den Analytiker und wiederholt sie in der Beziehung mit ihm, anstatt sie als Erinnerung zu reproduzieren. Dieses Agieren galt als Widerstand. Es hat sehr lange gedauert, bis der Begriff des Agierens etwas von seinem negativen Bedeutungsgehalt verloren hatte (Gill 1982). Erst seit wenigen Jahren wird das Agieren nicht mehr als Widerstand gegen den Fortschritt, sondern als ein natürlicher und konstruktiver Vorgang betrachtet (Bohleber et al. 2013, Streeck 2004).

Das behandlungstechnische Vorgehen bestand darin, dem Patienten die Unangemessenheit seiner Reaktion aufzuzeigen und sie über genetische Deutungen auf die ursprünglichen kindlichen Erfahrungen zurückzuführen, wie es Greenson (1975) im oben angeführten Beispiel illustriert. Die Übertragung diente dazu, Gefühlsreaktionen aus den Symptomen zu locken und sie auf die Person des Analytikers zu verschieben, um sie dann auf die »eigentlichen« Ursachen zurückführen zu können, deren Rekonstruktion lange Zeit als der wesentliche therapeutische Wirkfaktor angesehen wurde. Nach Freud (1912) sollte der analytische Sieg auf dem Felde der Übertragung (S. 374) gewonnen werden. Wie Freud wirklich gearbeitet hat, können wir heute trotz interessanter Arbeiten über Freuds Arbeitsweise (Cremerius 1981, May 2015, Roazen 1999) und trotz historischer Berichte von Analysanden (Blanton 1975, Pohlen 2006, Wortis 1994) nicht mehr definitiv wissen. Aus der Untersuchung von Zeugnissen über Freuds Behandlungstechnik schließt Cremerius (1981) jedoch, dass Freud in seinem praktischen Vorgehen der Übertragung vermutlich keinen sonderlich großen Stellenwert eingeräumt hat (s. a. Leitner 2001) und mit Übertragungsprozessen sehr unbefangen und eher unreflektiert oder aber rational erklärend (Koellreuter 2009) umgegangen ist.

Übertragung und Gegenübertragung im therapeutischen Prozess

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