Читать книгу Übertragung und Gegenübertragung im therapeutischen Prozess - Siegfried Bettighofer - Страница 14
2.5 Übertragung als einseitiger Vorgang – der Analytiker als passive Projektionsfläche?
ОглавлениеZu einer Beschreibung weiterer Kennzeichen der ursprünglichen Übertragungsarbeit soll im Folgenden ein sehr detaillierter Fallbericht von Wurmser (1988) herangezogen werden, wobei notgedrungen viele wichtige Details weggelassen werden müssen.
Eine zu Beginn der Analyse 45-jährige Patientin hatte auf ihren Analytiker u. a. eine negative Vaterübertragung entwickelt. Sie fühlte sich als Mädchen von ihrem Vater oft lächerlich gemacht und drehte nun in der Analyse den Spieß um, wurde vom passiven Opfer zum aktiven Täter, indem sie den Analytiker und die Analyse permanent entwertete und verspottete und auch nur ein 30 % geringeres Honorar zu zahlen fähig und bereit war. Der Analytiker war damit einverstanden und erkannte erst spät in der Analyse, dass er damit begonnen hatte, eine grundlegende Spaltung im Leben der Patientin mitzuagieren. Während lange Zeit nur der Ehemann der Patientin wusste, dass sie durchaus vermögend waren, waren andererseits nur dem Analytiker die häufigen außerehelichen sexuellen Affären der Patientin bekannt. Sie habe es immer so gehalten, dass niemand die ganze Wahrheit wisse, führte so ein unehrliches Leben und habe ihr wirkliches Selbst aus Angst, von den Eltern verstoßen zu werden, immer verleugnet.
Beispiel für Wurmsers Übertragungsarbeit (1988, S. 306): »Sie kam auf ihren jetzigen Geliebten zu sprechen und bemerkte beiläufig, dass er vier oder fünf Monate jünger sei als sie: Auf meine Frage kam es heraus, dass es sieben Monate waren. Ich wies auf ihr Spielen mit den Zahlen hin, gleich wie in Bezug auf die Finanzen. ›Ich lasse Sie unbestimmt‹, bestätigte sie, ›als ob dies etwas Liebenswertes und Charmantes wäre, nicht rechnen zu können. Meine Mutter tut dasselbe. […] Ich dachte immer, welche Lügnerin meine Mutter war. Ich hab’s so an ihr gehasst, und doch tu ich’s nun selber. Ich schäme mich über den Teil in mir.‹ ›Und Sie versuchten, auch mich zu Beginn heute nochmals dafür zugewinnen [sic], dieses Stück mitzuspielen, in der Frage nach einem Aufschub der Vollbezahlung; und wie Sie ja auch lange damit Erfolg gehabt haben, mich damit einzubeziehen, indem ich damit einig war. Als ich es jedoch erkannte, was vorging, habe ich es noch eine Weile weiter angenommen, damit wir Gelegenheit hatten, es herauszuarbeiten, was es bedeute.‹ ›Ich verstehe es ja auch jetzt noch nicht. Ich soll doch besser noch nicht den vollen Preis zahlen. Wir würden der Einsicht verlustig gehen, wenn ich jetzt einwilligte.‹ ›Es wäre eher darauf angelegt, dass Sie auch mich durch die Herausforderung als enttäuschenden und geldgierigen Vater überführen könnten.‹ ›Ich möchte eher die Meinung behalten, dass Sie darüberstehen.‹ ›Und doch mich zum Gegenteil provozieren.‹ ›Ich hatte einen Mann geheiratet, der das Gegenteil dieses Ideals war, jemand, der sehr am Geld interessiert war.‹ ›Wie er ja auch die Analyse nur bei stark reduziertem Preis zugelassen hat, obwohl er die richtige Finanzlage kannte.‹ ›Er hätte es gar nicht anders erlaubt, das ist wahr.‹ ›So wurde es von Anfang an so inszeniert, ohne dass Sie sich darüber ganz im klaren [sic] waren, dass ich übervorteilt wurde. Und die Fiktion, dass Sie unbemittelt waren und sich nichts leisten könnten, war nicht mehr aufrechtzuerhalten, als Sie selbst diesen Sommer die Finanzverwaltung übernahmen.‹ […] ›Es frappiert mich, welch Doppelspiel sich da ergeben hat. Auf der einen Seite wusste Ihr Mann die eine Hälfte der Geschichte nicht, die ich wusste – nämlich, Ihre außerehelichen Beziehungen – und darin wurde er zum Narren gehalten. Andererseits kannte er die korrekte Geldsituation, die mir unbekannt geblieben war und worin ich zum Narren gehalten wurde. Sie bemerken den Parallelismus.‹ ›Wie können Sie noch mit mir arbeiten? Sie müssen ein großes Ressentiment haben.‹ ›Als ob ein Chirurg nicht mehr operieren könnte, nachdem der Patient sich erbrochen hat. Gerade dies führt uns doch zum Kern der Neurose.‹«
Zwei Sitzungen später: »Die folgende Stunde […] begann sie mit Klagen über ihr gegenwärtiges Verhältnis. […] Letzte Nacht habe sie die ganze Gewalt ihres Hohnes auf ihn losgelassen, ihre ganze entfesselte sexuelle Eifersucht. Nachher fühlte sie sich dann schrecklich: ›Ich bohrte in ihm, wann und wie er Geschlechtsverkehr mit seiner Frau habe, vor mir oder nach mir.‹ Sie klagte über ihre hässliche Streitsucht und schämte sich darüber, wie sie sich benommen hatte. ›Soll ichs abbrechen? Soll ich weitermachen? All das Reden hier ist nutzlos; ich habe genug davon. Die Gefühle werden dadurch nicht aufgelöst. Es hilft mir nichts, dass ich so etwas wiederhole. Es ist alles ein Agieren.‹ ›Von einem Geheimnis.‹ […] ›Sogar gegenüber meinem Geliebten. Es ist nicht die gleiche Leidenschaft, wie mit dem vorherigen Geliebten.‹ ›Oder Ihre Absage der Stunde gestern, damit Sie die Zeit mit ihm verbringen können.‹ ›Oh, ich habe gedacht, Sie seien weg? Nicht? Wirklich nicht? Das hätte mir gepasst. Es ist typisch dafür, was ich tue.‹ ›Sie spielten es in der Wirklichkeit aus – als Schutz gegen die Erinnerung an etwas, das, wie ich vermute, sich ebenfalls in der Wirklichkeit abgespielt haben muss.‹ ›Als Spiegelbild oder in veränderter Form? Da geht wirklich etwas Seltsames mit Geheimnissen vor. Gestern abend [sic] war ich dabei, wie mein Freund mit seiner Frau daheim telefonierte. Wir hatten die zwei Tage miteinander verbracht. Nun schilderte er ihr, wie er in Philadelphia Unterredungen geführt habe. […] Ich hörte ihm zu, wie er log und log. Ich schaute vor mir selber schäbig aus – dass er so heucheln könne und ich selbst daran teilnahm!‹ […] ›Wenn ich höre, was Sie berichten, die wiederholte In-Szene-Setzung eines bestimmten Vorganges, frage ich mich, ob Sie nicht ein Geheimnis sexueller Art Ihres Vaters oder Ihrer Mutter entdeckt haben mögen, und zwar in Wirklichkeit. […] Und doch weist alles in diese Richtung, und zwar als Wiederholung in der Gegenwart. Das Doppelgeheimnis mit Ihrem Mann und mir, das Spiel mit Ihrer Chefin, und nun das Doppelspiel gestern abend [sic].‹ ›Das ist eine gute Theorie,‹ sagte sie gönnerisch. ›Ich muß sehr jung gewesen sein. Vielleicht las ich draußen im Auto.‹«(S. 309f.)
Wurmser unterscheidet hier zwischen dem Analytiker als Subjekt und der Patientin als Objekt der Behandlung. Die Patientin entfaltet quasi naturgemäß die in ihr angelegte innere Objektwelt in der therapeutischen Beziehung und es entsteht so die für sie typische Übertragung. Ein interaktioneller Vorgang im Sinne der gegenseitigen Beeinflussung und beidseitig bedingter Mitgestaltung der entstehenden Übertragung wird von Wurmser nicht berücksichtigt. Der Beitrag des Analytikers beschränkt sich in seiner Schilderung auf sein Einverständnis bezüglich des verringerten Honorars. Da Wurmser das ausschließlich als einen Faktor der realen Beziehung zwischen beiden ansieht und er weder seine eigene Motivation noch die der Patientin eingehender hinsichtlich ihrer psychodynamischen und ihrer aktuellen Bedeutung in der therapeutischen Beziehung reflektiert, bleibt die darauf aufgebaute Reinszenierung der Patientin lange unbekannt. So wird zwar berichtet, welche Rolle dieses Entgegenkommen in der Übertragung spielte, die aktuelle Reaktion der Patientin darauf wird jedoch offensichtlich nicht frühzeitig in den Prozess einbezogen. So hätte z. B. gefragt und bearbeitet werden können, wie die Patientin diese Freundlichkeit empfindet. Der ganze Komplex der bewussten und vorbewussten Wahrnehmung des Analytikers durch die Patientin bleibt somit ausgespart und wird nicht in den therapeutischen Prozess einbezogen.
Gerade solche Settingfaktoren enthalten jedoch oft eine wichtige, sich in der aktuellen Therapeut-Patient-Beziehung entfaltende psychodynamische Bedeutung, worauf Langs (1989) schon eindrücklich hingewiesen hat.
Wurmser lässt seine eigene Gegenübertragung weitgehend aus dem Spiel und erwähnt sie nur insofern, als er sich vom Spott der Patientin, den er nur selten »konfrontiert« (1988, S. 308) habe, gelegentlich »zu sarkastisch-ärgerlichen Bemerkungen« (a.a.O.) reizen ließ. Diese betrachtet er zwar als technische Fehler, er unterlässt es jedoch, diese durch sein gegenaggressives Mithandeln aktuell entstandene Situation als szenische Wiederholung zu sehen und aktiv in die Bearbeitung einzubeziehen. Er hätte z. B. der Patientin explizit erklären können, dass es ihr gelungen sei, ihn zu diesem Verhalten zu bewegen, und er könnte systematisch darauf eingehen, wie die Patientin diese Reaktion des Analytikers und die gesamte Situation jetzt wahrnahm.
Der hochinteressante Bericht von Wurmser konzentriert sich auf die Psychodynamik der Patientin, deren Entstehung in der Kindheit und die Übertragung auf den Analytiker. Möglicherweise liegt es auch an dieser Zielsetzung, dass er auf einige hier diskutierte Punkte nicht eigens eingeht. Zu seiner insgesamt linearen Betrachtung der Gegenübertragung als Reaktion auf die Übertragung der Patientin und zur fehlenden Reflexion der gegenseitigen interaktionellen Beeinflussung passt es jedoch, dass er zwar beschreibt, wie er den sehr verletzenden und schwer erträglichen Stolz der Patientin immer wieder in seine Deutungen einbezieht, dessen Widerstands- und Wiederholungsaspekt als Schutz des wahren Selbst auch erkennt, ihn aber in der Übertragung erst ganz am Schluss etwas aufweichen kann, worauf die Patientin allerdings bald die Behandlung abbricht. Er fragt sich nie, warum er diesen Stolz so selten konfrontiert hat, und erwähnt mit keiner Silbe, wie er die drastische Honorarminderung selbst erlebt hat, insbesondere als ihm nach einigen Jahren dieser (mit Unterbrechungen) neunjährigen Behandlung die recht gute Vermögenslage der Patientin bekannt wurde.
So entgeht der Wahrnehmung von Wurmser möglicherweise die genaue Kenntnis seines Involviertseins in den gegenseitigen Prozess, in dem er nicht nur Beobachter, Container und Deuter, sondern auch ein durch das interaktionelle Feld Beeinflusster ist.
Langs (1989) beschreibt in seiner Arbeit über die Angst des Therapeuten vor validen, d. h. sich direkt auf die Übertragung beziehenden Deutungen, eine Behandlung, in der die gut gemeinte Honorarverminderung zum unbewussten Bestandteil einer therapeutischen Szene wurde, in der der Patient neben der Erleichterung auch eine masochistische Demütigung erlebte. Es kam zu einer monatelangen Stagnation des therapeutischen Prozesses, weil die Therapeutin aus eigener Angst die Bearbeitung der konkreten Wahrnehmungen des Patienten in der analytischen Situation vernachlässigt hatte. Sie war zum unbewusst mithandelnden Teil der pathologischen Übertragungsszene geworden, nicht deshalb, weil sie entgegenkommend und eine gute Mutter sein oder eine korrigierende emotionale Erfahrung vermitteln wollte, sondern deswegen, weil die dadurch entstandene tatsächliche Beziehung zwischen beiden nicht konkret reflektiert und in den Deutungsprozess einbezogen wurde.
Der Begriff des Gegenübertragungswiderstandes kommt in der Beschreibung von Wurmser ebenso wenig vor wie in der langjährigen Theorie und Technik der psychoanalytischen Behandlung, ausgenommen einige Arbeiten aus den letzten Jahren (z. B. Blankenburg-Winterberg 1988, Ehrenberg 1985, Ermann 1984 und 1987, Storck 2020). Der langanhaltende Übertragungswiderstand der Patientin in Form einer Abwertung der analytischen Arbeit wird von Wurmser als Verkehrung der Beziehung zu ihrem Vater ins Aktive und als Abwehr von Scham gesehen. Er wird somit rein individualistisch konzipiert, seine Quelle ist also ausschließlich die Persönlichkeit der Patientin. Dass auch im Analytiker, insbesondere bei einer derart lang anhaltenden schwierigen Situation, Widerstände entstehen können bzw. müssen, und dass solche Gegenübertragungswiderstände den Widerstand aufseiten der Patientin aufrechterhalten können und es in besonderen Fällen sogar zu einer Übertragungs-Gegenübertragungs-Kollusion kommen kann, wurde in der traditionellen Literatur wie auch bei Wurmser noch nicht berücksichtigt.
Wurmser verfolgt deutlich eine andere, sehr gebräuchliche Zielrichtung. Manchmal zu sehr theoriegeleitet, greift er Übertragungsgefühle und andere Assoziationen der Patientin auf und verknüpft sie etwas gewaltsam zu Deutungen und genetischen Rekonstruktionen, für die jedoch meines Erachtens das vorliegende Beweismaterial nicht ausreicht und die dem Erleben der Patientin so fern sind, dass sie darauf zunächst nur mit Widerstand reagiert, der aber nicht bearbeitet wird. Diesen Widerstand als Kriterium für die Richtigkeit der Rekonstruktionen anzusehen, entspräche zwar einer analytischen Tradition, wäre jedoch meines Erachtens ein Ausdruck eines analen, um Macht orientierten Agierens, bei dem die Reaktion der Patientin nicht ernstgenommen wird. Wurmser beginnt eher zurückhaltend: »Wenn ich höre, was Sie berichten […], frage ich mich, ob Sie nicht ein Geheimnis sexueller Art Ihres Vaters oder Ihrer Mutter entdeckt haben mögen, und zwar in Wirklichkeit« (1988, S. 309). Es bleibt letztlich unklar, wie er zu dieser schwerwiegenden Rekonstruktion kommt. Auch wenn die Patientin in ihrer Reaktion konzediert, es sei »durchaus möglich, dass ich meinen Vater mit jemandem gehört oder gesehen habe« (a. a. O., S. 310), geht sie doch sofort in den Widerstand, indem sie diese potenzielle Wahrnehmung verharmlost und als ihr eigenes Missverständnis abtut. In den darauf folgenden Interaktionen ist es beeindruckend, mit welch einer Entschiedenheit Wurmser der Patientin überaus gekonnt und nahtlos nachweist, dass sie ihren Vater »tatsächlich bei einem Akt der Untreue« (a. a. O., S. 310) entdeckt habe. Er gebraucht dabei ein übliches Vorgehen, indem er versucht, die unbewussten Hintergründe der Assoziationen zu verstehen und sie der Patientin zu deuten. Er verliert jedoch den Kontakt dazu, wie sie selbst diese Zusammenhänge erlebt.
Letztlich gibt sie angesichts der gewaltigen Deutungskompetenz des Analytikers nach, zunächst noch herablassend, indem sie zugesteht, das sei »eine gute Theorie« (a. a. O., S. 310), sich aber dann doch zunehmend damit identifizierend. Ihre Aussage in der nächsten Stunde: »Wir haben etwas sehr Plausibles konstruiert, aber es lässt mich noch baumeln« könnte darauf hinweisen, dass es bis dahin eher zu einem intellektualisierten Nachvollzug der Deutungen gekommen ist. Immerhin spüre sie aber eine instinktive zustimmende Resonanz (a. a. O., S. 311). Wir können nicht wissen, ob diese Deutung zu einer wirklichen emotionalen und mutativen Einsicht geführt hat. Es wäre auch denkbar, dass sich die Patientin wieder einmal einer übermächtigen Vaterfigur unterworfen und sich i. S. eines falschen Selbst verhalten hat, wofür sie sogar noch bewundert wurde. Denn »um von ihren Eltern geliebt zu werden, musste sie deren Mythen und deren Wahrnehmungen der Realität annehmen« (a.a.O.,, S. 313). In diesem Falle hätte Wurmser auf einer unbewussten und »latenten« Ebene (Bettighofer 1994, Katz 1998) ihre pathologische Beziehungsform mitgestaltet. Wurmser fügt noch hinzu, dass die Patientin zwar nun voll gezahlt habe, sie »verwirklichte aber ihren ursprünglichen Vorsatz recht unvermittelt, nämlich die Analyse im Sommer […] abzubrechen« (Wurmser 1988, S. 312).
Vielleicht hatte sie diesen Entschluss gefasst, weil sie ihren tiefen Gefühlen von Schmerz, Scham und Verlassenheit bedrohlich nahegekommen war. Vielleicht aber auch, weil sie sich von ihm nicht verstanden gefühlt hatte oder vor dem übermächtigen Vater-Analytiker fliehen musste.
Für den Stil, mit dem Wurmser die Übertragungsanalyse durchführt, ist der anfangs oben zitierte Ausschnitt möglicherweise nicht typisch. In dieser Sequenz verweilt er im Vergleich zu anderen Sequenzen relativ lange in der gegenwärtigen Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Häufig macht er von einer Übertragungsreaktion einen eher instrumentellen Gebrauch, z. B. um daran eine genetische Deutung anschließen zu können. Es ist erkennbar, dass die Suche nach Einsichten in psychodynamische und genetische Zusammenhänge im Dort und Damals einen deutlichen Vorrang vor der Bearbeitung von Vorgängen im Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung hat.
Fallschilderungen wie diese suggerieren den Eindruck einer objektiven Klarheit und Eindeutigkeit, die bei genauerem Hinsehen in keiner Hinsicht gegeben ist und die schon von Argelander (1979) in seiner Arbeit über die kognitive Verarbeitung und Organisation des therapeutischen Geschehens im Analytiker kritisch reflektiert worden ist. Unter Bezugnahme auf die folgende kurze Fallvignette von Moeller (1976) nennt er einige in dieser Darstellung implizierten und damals nie reflektierten Gesichtspunkte:
Der Patient beginnt die Stunde und redet und redet. Lebhafte und farbige Szenen. Trotz der scheinbaren Lebendigkeit und Affektivität kann ich mich nicht richtig konzentrieren, auch nicht richtig auf ihn einstellen. Ich schweife selbst ab. Mir wird dann klar, dass ich hier keine Beziehung herstellen kann. Ich verstehe jetzt, dass sich der Patient vor der Aufnahme einer Beziehung zu mir scheuen muss. Unter dem quasi korrekten analytischen Verhalten, nämlich seinen freien Assoziationen folgend, wehrt der Patient die (homosexuell getönte) Bindung zu mir ab. Ich meine, dass es sich hier um eine Gegenübertragungsreaktion handelt. Der Patient induziert sie in mir. Ich nehme damit Aspekte seines Selbst wahr. (Moeller 1976, S. 148)
Das Beispiel ist paradigmatisch, weil jeder Analytiker diese Sprache versteht und sie auch gebraucht, ohne sich darüber klar zu werden, wieviele Stufen der Erkenntnis er zusammenfassend überspringt. […] Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die implizit dargestellten Formen von Interaktion, Kommunikation, Übertragungsvorgänge, Folgerungen und begriffliche Erläuterungen, in einen kognitiv organisierten Zusammenhang gehören, dessen funktionelle Bezüge, die sich in Erlebnissen, Handeln, Nachdenken, Erkennen usw. äußern, in einer selbstverständlichen Aussage zusammengefasst werden, ohne sich über diese Prozesse Rechenschaft abzulegen. Sie sind in die Professionalisierung so selbstverständlich eingegangen, dass ein Problembewusstsein für sie kaum noch existiert. (Argelander 1979, S. 12/13)
Moeller arbeitet hier noch mit einem spezifischen Gegenübertragungsbegriff, der »Lackmustheorie« der Gegenübertragung (König 1993), indem er von seiner Gegenübertragung einen direkten instrumentellen diagnostischen Gebrauch macht. So nimmt er an, dass sich der Patient aus Angst vor Homoerotik vor einer Beziehungsaufnahme scheut und die Bindung zu ihm abwehrt. Diese diagnostische Folgerung muss nicht unbedingt falsch sein, sie übersieht jedoch die Seite des Analytikers und die Möglichkeit, dass die Übertragung des Patienten auch eine Reaktion auf die Person und das Verhalten des Analytikers sein könnte. So bleibt er letztlich dem damals vorherrschenden instrumentellen Gegenübertragungsbegriff verhaftet, der auf Paula Heimann (1996/1950) zurückgeht, wonach der Analytiker die intrapsychischen Vorgänge des Patienten in sich aufnimmt und sich in seiner Gegenübertragung ausschließlich die Übertragung des Patienten widerspiegelt. Die Gegenübertragung war für Heimann (1996/1950) eine reine »Schöpfung« des Patienten. Eine irgendwie geartete Eigenbeteiligung des Analytikers wie auch ein interaktives Zusammenwirken zwischen beiden wurde hier noch nicht konzeptualisiert. Von dieser einseitigen Sichtweise hat sich Heimann selbst erst 1978 distanziert (zit. n. Stirn 2002, S. 50).