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Acht Jahre hatte König Friedrich sich in deutschen Landen aufgehalten, unentwegt auf Reisen, nur unterbrochen von der vorläufigen Krönung in Mainz – mit den falschen Insignien – und der endgültigen Krönung in Aachen ein Jahr später – mit den echten Kronjuwelen. König Otto, der Welf, hatte sie zurückgehalten, doch dann war er entmachtet worden und im Mai 1218 auf der Harzburg gestorben.

Auf den Hoftagen in Mainz, Augsburg, Nürnberg, Regensburg und Koblenz hatte Friedrich wieder und wieder betont, dass Gott ihn zum deutschen König bestimmt habe und dies durch deutliche Zeichen – Philipp von Schwaben ermordet, König Otto besiegt und gestorben – kundgetan hatte. Und alle glaubten ihm. Wenn er von der Höhe seines Thrones im Königsgewand Recht sprach, Privilegien erteilte, Streit schlichtete, Lehen bestätigte, dann wagte keiner einen Widerspruch. Hielt er es für nötig, wurde zuvor im kleinen Kreis beratschlagt, aber was er dann vom Thron herab verkündete, war unwiderruflich – die Königsworte machten es zum Gesetz.

Das war nun der König in seinem äußeren Glanz, wie ihn viele sahen, seine Stimme hörten, seine Verfügungen mit einem großen roten oder dem kleineren Goldsiegel entgegennahmen. An seiner Seite die etwas farblose Konstanze, aus königlichem Geschlecht, Witwe und nun wieder Gemahlin eines Königs, auf dem Weg zur Kaiserkrönung. Den neunjährigen Sohn hatten sie in deutschen Landen zurücklassen müssen – als gewählten deutschen König. Wie das? Was brachte die Reichsfürsten dazu, ein Kind zu ihrem König zu wählen?

Es war nicht einfach gewesen. Ein Jahr nach der Krönung in Aachen traf Konstanze mit dem fünfjährigen Heinrich ein und einige Monate später stellte Friedrich auf dem Hoftag zu Nürnberg seinen Sohn den deutschen Fürsten vor. Kurz darauf ernannte er das Kind zum Herzog von Schwaben und belehnte es mit Burgund. Auf den im deutschen Reich ausgestellten Urkunden erschien nun auch Heinrichs Name, doch die Fürsten zögerten. Sie wussten, was Friedrich anstrebte, mochten sich aber mit der Vorstellung eines „Erbkönigtums“ nicht abfinden. Sie hatten Friedrich zu ihrem König gewählt und nach seinem gewiss noch sehr fern liegenden Tod würden sie oder ihre Söhne einen anderen wählen, nach den künftigen Erfordernissen, die jetzt – außer Gott – niemand kannte. Wählten sie Heinrich, so wären sie auf Generationen hinaus an die Staufer gebunden.

Dennoch gelang es ihm. Mit jedem einzelnen Reichsfürsten setzte er sich persönlich auseinander, sprach unter vier Augen von Gleich zu Gleich, ohne Zeugen. Draußen warteten schon die Schreiber, um es zu beurkunden, und dann gab es kein Zürück mehr.

Auf dem Hoftag zu Frankfurt im April 1220 wählten die Reichsfürsten dann tatsächlich den kaum neunjährigen Heinrich zum deutschen König. Der Papst gab später seinen Segen dazu, denn Friedrich war so klug, den Erzbischof Engelbert von Köln zum Reichsverweser bis zur Mündigkeit seines Sohnes zu ernennen. Dass sie ihren Sohn in deutschen Landen zurücklassen musste, traf Konstanze schwer. Friedrich versuchte, sie zu trösten, aber seine Worte klangen hohl, denn er liebte weder sie noch diesen Sohn. Diese Menschen waren für ihn politische Instrumente, die er nach den jeweiligen Erfordernissen einsetzte. Sein Herz gehörte dem vierjährigen Enzio, der seit dem Tod seiner Mutter den Vater auf seinen Reisen durch das deutsche Reich begleitete. Kaum ein Tag verging, da Friedrich den Kleinen nicht sah, und wenn er ihm Gute Nacht sagte, mussten Amme und Kinderfrau verschwinden.

Im Spätsommer überquerten sie den schneefreien Brenner, zogen dann langsam und im Triumph über Bozen, Trient, Verona, Modena und Bologna nach Rom. In Bologna erschienen die Abgeordneten der ghibellinischen lombardischen Städte, um dem künftigen Kaiser zu huldigen. Friedrich, bei der Ausübung seines Amts übergenau und immer bedacht, seine Anhänger nicht zu enttäuschen, ließ sich von seinen Sekretären vor jeder Audienz genau erläutern, mit wem er es zu tun hatte. So auch, als an einem Morgen Anfang Oktober eine Abordnung aus Pisa ihren Huldigungsbesuch ankündigte. Ihr Sprecher war der Graf Bartolomeo Lancia aus Pisa, begleitet von seinem achtzehnjährigen Enkel Galvano.

„Diese Familie zählt zu den Treuesten der Treuen, Majestät“, bemerkte der Sekretär und fügte hinzu: „Das war schon so zu Zeiten Eures Großvaters, des erhabenen Friedrich Barbarossa, und Eures Vaters, des Kaisers Heinrich.“

„Männer von solcher Art würden Wir Uns, was die Lombardei betrifft, noch viel mehr wünschen.“

Die beiden Lancia küssten dem König knieend die Hand.

„Erhebt Euch, Grafen Lancia. Vater und Sohn?“

„Nein, Majestät, Großvater und Enkel. Don Tommaso ist vor zehn Jahren bei der Jagd tödlich verunglückt. Er wollte einen Bären spießen und dann …“

„Damit muss jeder Jäger rechnen. Hat Don Tommaso weitere Kinder hinterlassen?“

„Ja, Majestät, es gibt noch einen zwölfjährigen Giordano und eine siebenjährige Bianca.“

Friedrich spürte verwundert eine seltsame Rührung beim Klang dieses Namens. Bianca … Keine seiner Frauen oder Geliebten hatte diesen Namen getragen. Bianca …

„Ein schöner Name – Bianca. Es hätte Uns betrübt, den Stamm einer so kaisertreuen Familie erlöschen zu sehen. Habt Ihr schon eine Frau erwählt, Don Galvano?“

Der junge Mann errötete.

„Nein, Majestät, aber mein Herr Großvater ist dabei …“

Don Bartolomeo unterbrach ihn.

„Ja, ich führe Verhandlungen mit ghibellinischen Familien. Vielleicht kommt es zur Weihnachtszeit schon zu einer Verlobung.“

„Das hören Wir gerne.“

Dann zog sich König Friedrich mit Don Bartolomeo zu einer Aussprache zurück.

Als ihn seine Enkelin Bianca einige Wochen später nach dem Aussehen des Königs fragte, sagte er nur: „Mittelgroß, von ebenmäßiger Gestalt, rotblondes Haar, ein Antlitz von Adel und Majestät mit leuchtend blauen Augen. Ein richiger Staufer …“

Seine eigenartigen Empfindungen aber verschwieg er. Nicht nur, weil er sie einem siebenjährigen Kind kaum hätte vermitteln können, sondern auch, weil er sich ihrer schämte. Sich schämen ist nicht das richtige Wort, besser wäre vielleicht, Don Bartolomeos Gefühl als ein Bedauern zu bezeichnen. Er als nüchterner, gelehrter und freisinniger Mann bedauerte, dass er sich zu solch unsinnigen Gefühlen hatte hinreißen lassen. Er glaubte nicht daran, dass Gott durch den Mund eines Menschen sprach, aber es hatte ihn beeindruckt, dass es diesem zum Herrscher geborenen Staufer gelang, in ihm ein solches Gefühl zu erwecken. Das Angebot des Königs, ihn zur Krönung nach Rom zu begleiten, musste er ablehnen. Das Reiten über längere Strecken fiel ihm zunehmend schwer, seine Magenschwäche hatte sich in den letzten Jahren verstärkt und er brauchte eine gewisse, auf Reisen kaum zu beschaffende Kost. So schlug er vor, sich durch seinen Enkel Galvano vertreten zu lassen, und der König war einverstanden.

In seiner bedächtigen, manchmal sogar etwas zögerlichen Art war Galvano das genaue Gegenteil seines jüngeren Bruders Giordano. Dass sein Großvater sich den Anstrengungen einer solchen Reise nicht unterziehen wollte, wunderte ihn nicht, aber dass er nun dafür einspringen und mit einigen anderen die kaisertreue Stadt Pisa vertreten sollte, überraschte ihn doch. Eigentlich hätte sein Vater diese Rolle übernehmen müssen, aber nun war er es – Galvano sah es ein –, der die Zukunft des Hauses Lancia verkörperte. Sobald er diese Notwendigkeit erkannt hatte, setzte er alles daran, diesem ehrenvollen Auftrag gerecht zu werden.

Giorgio da Ponte, Bertas Ehemann, inzwischen zum Capitano der Söldner im Dienst der Grafen Lancia aufgestiegen, begleitete ihn dabei. Er machte sich keine Sorgen um den „ehrenvollen Auftrag“, er freute sich über das Abenteuer einer Romreise, insgeheim auch darüber, dass ihn jede Meile von seiner Gemahlin entfernte.

Als Galvano um die Weihnachtszeit zurückkam, schien es seinem Großvater, als sei der Enkel älter, erwachsener geworden. In dieser kurzen Zeit? Aber auch Bianca spürte es. Galvano, sonst eher zögerlich und wortkarg, erging sich in begeisterten Schilderungen des Krönungszugs, entwickelte eigene Ideen, drängte den Großvater, seinen Einfluss geltend zu machen, um bei der kleinen, aber sehr aktiven Gruppe von Guelfen in Pisa eine Wandlung zu bewirken. Dieser Parteiname war entstanden, weil die Staufergegner sich zu Zeiten König Ottos für die Welfen eingesetzt hatten. Nun, da die Welfen entmachtet waren, bedeutete es auch „Parteigänger des Papstes“.

Don Bartolomeo schüttelte bedächtig den Kopf.

„Wie stellst du dir das vor? Ein Parteiname soll nicht nur eine Sache des Gefühls sein, sondern ebenso des Verstandes. Diese Leute sehen sich als Lokalpatrioten, wollen ihre Städte selbst verwalten und vergessen dabei ganz, dass die Zeit nicht stillsteht. Das reiche und mächtige Florenz schielt auf unseren Seehafen, für Genua sind wir eine harte Konkurrenz und du wirst es noch erleben, dass es da zu einem Kampf kommt. Warum aber bisher nicht? Weil niemand eine ghibellinische Stadt anzugreifen wagt, denn er muss damit rechnen, dass der Kaiser bei seinem nächsten Italienzug die Dinge zurechtrückt.“

Galvano lächelte. „Mich braucht Ihr nicht zu überzeugen, caro nonno …“

Da tönte ein helles Stimmchen aus einer dunklen Ecke des Raumes:

„Mich auch nicht! Diese langweiligen Männergespräche sind ja zum Einschlafen!“

„Den Lauscher an der Wand trifft die eigene Schand“, sagte Galvano spöttisch.

„Ich bin schon eine ganze Weile da, ihr habt mich nur nicht bemerkt. Galvano, ich möchte jetzt endlich von dir hören, wie das war mit der Krönung. Wie sah der Papst aus? Trugen die Menschen im Petersdom goldene Kleider? Ist Rom eine schöne Stadt? Sieht man dort viele Frauen auf den Straßen?“

„Halt, halt! Im Gefolge eines Kaisers kriegst du nicht so viel zu sehen. Du stellst mit den anderen eine Art Dekoration dar, etwas, mit dem der Kaiser sich schmückt, seine Macht demonstriert. Aber du hast schon recht, Kleines, auf einer solchen Reise gibt es viel zu sehen …“

„Dann erzähle es uns!“, forderte Bianca und ihre Stimme klang recht energisch.

Galvano tat es und er ließ sich Zeit.

Im kaisertreuen Modena waren sie fast eine Woche geblieben und dann hatten sie sich nach Süden gewandt, in Richtung Florenz. Nun ging die große Frage im Gefolge um, ob Friedrich dieser Stadt einen Besuch abstatten würde. Florenz war weder guelfisch noch ghibellinisch, die Parteien hielten sich hier die Waage, wenn auch die Papsttreuen so taten, als seien sie in der Mehrheit.

Der König ließ in Prato anhalten, denn dort gab es einen kaiserlichen Praefectus, der sich vor Eifer überschlug und sich diebisch freute, dass der König die reiche und stolze Nachbarstadt nicht besuchen wollte. Das war Ende Oktober und von da an waren sie noch über drei Wochen unterwegs. Einen längeren Aufenthalt gab es in Siena, das sich an Glanz und Reichtum nicht ganz, aber doch fast mit Florenz messen konnte. Seit es vor vierzig Jahren in den Besitz der reichen Silberminen von Montieri gekommen war, hatte die Stadt einen ungeheueren Aufschwung genommen. Im Gegensatz zu Florenz, das sich selber genügte, aber doch guelfisch geprägt war, hatte Sienas Adel die andere Partei gewählt. So scharten sich hier die Kaisertreuen um König Friedrich, der hier, obwohl noch ungekrönt, bereits als Imperator gefeiert und angesprochen wurde.

Auf dem abendlichen Bankett im Palazzo della Città konnte Galvano Lancia eine seltsame Beobachtung machen. An der Stirnseite des Saales stand erhöht die kaiserliche Tafel, an der die Tischgäste im Laufe des Abends wechselten. Zuerst nahmen dort der podestà und seine Gemahlin Platz, danach der Bischof mit zwei hohen Prälaten, zuletzt einige Häupter des Stadtadels. Die Kaiserin sprach wie stets sehr wenig, lächelte maskenhaft starr und verabschiedete sich, als der Pflicht Genüge getan war. Danach lockerte sich die Festgesellschaft auf, der Kaiser erhob sich, machte da oder dort Halt, ließ sich die Hand küssen, verbot den Kniefall. Kurz vor Mitternacht tanzten junge Mädchen einen anmutigen Reigen, wobei sie ein lateinisches Loblied auf Imperator Fridericus sangen. Der Kaiser bedankte sich mit freundlichen Worten, trat dann auf eines der Mädchen zu, sagte etwas und küsste ihr die Hand. Sie senkte den Kopf und Galvano glaubte, sie erröten zu sehen, doch er saß zu weit entfernt und war sich nicht sicher.

Am übernächsten Tag zogen sie weiter und rasteten zur Mittagspause unterhalb des hoch gelegenen Städtchens Montalcino. Wie immer, wenn man unterwegs war, ging es etwas turbulent zu und im Gefolge wurde wenig auf Standesunterschiede geachtet. Wenn das Essen ausgeteilt wurde, setzte man sich auf einen freien Platz und bei Galvano war es zufällig die Leibwache des Kaisers, die, durch einiges Buschwerk getrennt, hinter ihm das ziemlich karge Mittagsmahl vertilgte. Da hörte er einen der Männer halblaut, doch durchaus verständlich, sagen:

„Gestern hat er’s wieder wie ein Wilder getrieben! Er brachte die kleine Tänzerin gleich mit und als der Kammerdiener zum Auskleiden kam, mussten wir ihn wegschicken. Was dann durch die Tür zu hören war – man hätte neidisch werden können!“

Und dies alles unter den Augen der Kaiserin, dachte Galvano ganz verdattert, aber da er im Laufe dieser Reise noch mehrmals Ähnliches erlebte, nahm er es später gelassener hin. Jörg bemerkte wenig davon und wenn, dann spielten sich diese Ereignisse in einer so hohen und aus seiner Sicht auch verbotenen Sphäre ab, die Neugier oder Anteilnahme ausschloss, sodass sich jeder Kommentar erübrigte. Er hatte genug damit zu tun, seine Leute zusammenzuhalten, damit sie dem Hause Lancia keine Unehre machten.

Im Laufe des November verschlechterte sich das Wetter, eisige Stürme trieben tagelang Regenschauer vor sich her und so befahl der Kaiser, nicht mehr an jedem borghetto Halt zu machen, sondern zog mit seinen Berittenen dem langsameren Tross voraus. Am Abend des zwanzigsten November standen sie vor den Toren Roms, wo sie eine päpstliche Abordnung empfing. Schnell sprach es sich herum, dass sie die Stadtgrenzen nicht überschreiten durften, ehe Friedrich die bereits mit dem Papst abgesprochenen Zugeständnisse aufs Neue besiegelt hatte. Galvano stand nahe genug, um zu sehen, wie jäh die Zornesröte auf Friedrichs sonst immer beherrschtem Gesicht aufflammte. Es schien, als wolle sich seine nächste Umgebung unter dem zu erwartenden kaiserlichen Donnerwetter ducken, doch Friedrich mochte das päpstliche Wohlwollen nicht verlieren, nickte leicht, stieg vom Pferd und verschwand mit der Abordnung in einem an die alte Stadtmauer angebauten Zollhaus. Ein päpstlicher Sekretär erläuterte ihm später mit einiger Herablassung die schon lange vorher gegebenen Zugeständnisse. Es waren dies die staatsrechtliche Trennung Siziliens vom Reich und Anerkennung als päpstliches Lehen, verbunden mit zahlreichen Einzelheiten.

Nach einer Stunde wandten sie sich nach Süden und lagerten auf dem etwa siebzig Ellen hohen Monte Mario, von wo man die ganze Stadt übersehen konnte. Hier hatte Kaiser Otto III. den Aufrührer Crescentius mit Dutzenden seiner Anhänger grausam hinrichten lassen, was die Römer bewog, dem Hügel einen zweiten Namen zu verleihen: Mons Malus.

Diesmal aber war alles anders. Als Galvano Lancia im Gefolge des Kaisers den Hügel hinabritt und durch die grasbewachsenen oder zu Festungen umgebauten Türme des alten Roms auf die Via Triumphalis einbog, herrschte unbeschreiblicher Jubel. Wer im Gefolge des Kaisers war, wurde mit Blumen bekränzt, mit Wein gelabt, ja von wildfremden Menschen umarmt und geküsst. Galvano zuckte vor solchen Freudenausbrüchen zurück, konnte sich ihnen aber letztlich nicht entziehen und zwang sich zu einer freudigen Miene.

Vor dem Einzug in den inneren Stadtbereich bestätigte Friedrich die alten Rechte der römischen Bürgerschaft. Vier Kammerherrn umgaben ihn auf dem Weg zur Peterskirche und warfen mit vollen Händen silberne grossi unter das Volk. Bei dem wütenden Kampf um diese begehrten Münzen kamen einige Schwächere – Kinder und ältere Menschen – zu Tode, aber wen kümmerten an einem so großen Tag solche kleinen Unfälle?

An der Porta Collina wartete die römische Geistlichkeit auf das Kaiserpaar. Inzwischen war es schon Mittag geworden, aber der Zug durch die Via Triumphalis war immer wieder aufgehalten worden und hatte Stunden gedauert. Der Praefectus von Rom – eine Art podestà – setzte sich mit erhobenem Schwert an die Spitze des Zuges, ihm folgten die Kardinäle und Bischöfe, danach das Kaiserpaar mit seinem Gefolge, während der römische Stadtadel den Abschluss bildete. Des beschränkten Platzes wegen mussten die Abgeordneten der ghibellinischen Städte den Kaiser ohne ihre Bewaffneten begleiten. Allen ausländischen Waffenträgern war das Betreten der Stadt ohnehin untersagt. Jörg hatte das verärgert, denn er wusste, dass er zeitlebens nie mehr nach Rom kommen würde, nun aber war er da und durfte die Stadt nicht besuchen! Das hatte er in respektvollen Worten seinem Herrn zu verstehen gegeben und Galvano, der ihm gegenüber, dem Ehemann der schwesterlichen Amme, doch so etwas wie ein Verwandtenverhältnis empfand, sah es ohne weiteres ein.

„Wenn dies alles vorbei ist, zieht der Kaiser nach Süden weiter und wir machen uns auf den Heimweg. Zuvor aber legen wir unsere Waffen ab und treten als Rompilger auf, um die heiligen Stätten zu besuchen. Da wird es keinerlei Schwierigkeiten geben.“

Jörg bedankte sich geziemend und sah seinem Herrn nach, der den Monte Mario hinunterritt.

Jetzt aber steckte Galvano im kaiserlichen Gefolge und kam sich trotz des furchtbaren Gedränges einsam und verlassen vor. Von den anderen städtischen Abordnungen war ihm niemand bekannt, auch gab es wenig Gelegenheit, in diesem Trubel jemand kennenzulernen.

Die Peterskirche, Grabstätte des ersten Papstes und nach Jerusalem heiligster Ort der Christenheit, enttäuschte Galvano zutiefst. Er hatte sich etwas Gewaltiges, Mächtiges, alles Menschenmaß Übersteigendes vorgestellt und fand ein paar Torbögen, einen Kreuzgang mit einem an der Ostseite angefügten schmalen, achtstöckigen Campanile, der eher zu einer Kleinstadtkirche gepasst hätte. Da musste er gleich an den gut dreimal so breiten Glockenturm in Pisa denken. Zwar hatte man schon vor Jahrzehnten den Bau nach dem dritten Stockwerk eingestellt, weil der Turm sich wegen des sumpfigen Untergrunds zu neigen begann, aber es war geplant, noch drei weitere Stockwerke anzufügen.

Es herrschte ein unglaubliches Gedränge, weil der Stadtadel glaubte, in Rom bei allen wichtigen Ereignissen ganz vorne stehen zu müssen. Galvano ärgerte sich, weil diensteifrige sbirri ihn und die anderen Stadtvertreter immer weiter abdrängten. Fast wären sie im Säulenhof geblieben, aber irgendwie war ein Befehl des Kaisers durchgedrungen, er wolle die Vertreter der lombardischen Städte als Zeugen seiner Krönung um sich haben. Ganz kurz nur sah Galvano den Papst, eine graubärtige, gebeugte Gestalt, sorgsam von zwei Kardinälen gestützt. Das genaue Alter des Heiligen Vaters wusste niemand, doch wurde gemunkelt, er sei bei seiner Wahl schon weit über achtzig gewesen. Die Kaiserkrönung zog sich in mehreren Stufen lange hin und Galvano, eingezwängt wie ein Pökelhering, sah nur Teile davon. Als der Papst und das Kaiserpaar eine Seitenkapelle betraten, verlor er sie aus den Augen, doch dann schritten sie zum Hochaltar, um am Grab Petri niederzuknien. Da sanken auch alle anderen in die Knie und Galvano, der es einen Augenblick später tat, sah staunend den prachtvollen Krönungsmantel – er stammte von Friedrichs Großvater Roger –, an dem so gar nichts Christliches war. Die Goldstickerei zeigte eine Dattelpalme, je zur Seite ein Kamel, die sich unter den Pranken zweier Tiger duckten. Die Umschrift am Saum war in arabischen Lettern. Bis das Kaiserpaar endlich am Altar gekrönt wurde und das festliche Hochamt begann, waren viele Stunden vergangen. Am Ende wurde das kaiserliche Gefolge beurlaubt, bis weitere Befehle eintrafen.

Am nächsten Tag war Galvano mit seinen Männern aus den kaiserlichen Diensten entlassen worden und sie hatten sich auf den Heimweg gemacht. So wenigstens hatte er es seiner Familie dargestellt, doch das stimmte nicht ganz, denn da gab es Dinge, die weder für Biancas Ohren noch für die seines jüngeren Bruders Giordano geeignet waren. Er musste sich eingestehen, dass er es dem Großvater, auch unter vier Augen, genauso verschwiegen hätte. Dabei hatte er nichts Unrechtes getan …

Bianca Lancia

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