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Cremona brodelte wie ein Topf, der überzuquellen drohte. Da nützte es wenig, dass die Truppen des Kaisers im Süden vor der Stadt lagerten, auf einer weiten Fläche, die sich bis an die Ufer des Po erstreckte. Friedrich wohnte im Palazzo del Comune, dessen sämtliche Räume von seinem engeren Gefolge belegt waren.

Zog der Kaiser durchs Land, so verbreitete sich diese Nachricht in Windeseile und alles fahrende Volk war schon vor ihm da – die Feuerschlucker, Seiltänzer, Possenreißer und wer sonst noch mit allerlei Gaukeleien dem Volk das Geld aus der Tasche zieht – und brachte die Stadtväter schier zur Verzweiflung. Da half es wenig, dass man vor den Mauern der Stadt zusätzliche, mehrschläfrige Galgen aufbaute, da auf einen Gehängten zehn lebende Börsenschneider kamen, die es geschickter anstellten. Die Huren hatten sich in einem eigenen Zeltlager zu einer Zweckgemeinschaft verbunden, weil die Stadtväter ihre Gegenwart innerhalb der Mauern nicht duldeten. Nun, das Geschäft florierte auch so, denn die kaiserlichen Truppen nutzten die Anwesenheit von so viel Weiblichkeit recht wacker aus und vertaten ihren Sold nicht nur bei Spiel und Suff.

Für Bianca und Berta kam als Unterkunft nur eines der beiden Frauenklöster in Frage. Galvano hatte schon vorgesorgt und mit der Autorität eines kaiserlichen Vasallen den widerstrebenden Nonnen einen Raum abgemietet.

Vor wenigen Tagen waren die Abgeordneten der ghibellinischen Städte eingetroffen, ungeachtet der Tatsache, dass der Reichstag nicht zustande gekommen war und die abtrünnige Lombardische Liga sich als Sieger betrachtete. Auch in Parma oder Pavia, in Modena oder Lucca, ja sogar in Pisa hatte es Stimmen gegeben, die anrieten, besser abzuwarten und einem Verlierer nicht nachzulaufen. Natürlich hatte die Lombardische Liga überall ihre Spitzel eingeschleust, um die Stimmungslage in den kaisertreuen Städten zu erkunden und, wo es sich ergab, für den Bund zu werben. Viel hatten sie nicht erreicht, denn sämtliche Abgeordneten waren gekommen und erwarteten in der Sala Grande des Stadthauses die Rede des Kaisers.

Sein Auftritt war glanzvoll wie stets; vier Fanfarenbläser und zwei Trommler begleiteten mit schmetternder Triumphmusik seinen Einzug. Friedrich hatte das kaiserliche Ornat angelegt, auf seinem Haupt funkelte die Lilienkrone, die rechte Hand hielt das Szepter. Als die Versammlung bei seinem Erscheinen in die Knie sank, rief Friedrich mit seiner hellen, wohlklingenden Stimme:

„Nein, Freunde sollten nicht voreinander knien, aber Unsere Feinde werden es bald tun müssen und nicht nur das: Sie werden sich wegen Hochverrats zu verantworten haben. Die Gründung des sogenannten Lombardischen Bundes ist offene Rebellion gegen Unsere kaiserliche Majestät! Wir werden Seine Heiligkeit bitten, unverzüglich den Bann auszusprechen und Wir werden Uns mit der Verhängung der Reichsacht anschließen. Dieses schändliche Verhalten ist nicht nur Verrat an Unserer kaiserlichen Majestät, es bedeutet Verrat an Gott, kurz: Gotteslästerung. Warum, mag sich mancher von euch fragen, warum Verrat an Gott? Die Antwort ist einfach: Das Verhalten der sogenannten Lombardischen Liga beinhaltet unter anderem auch die Verweigerung von Steuern und behindert Unsere Vorbereitungen zum Kreuzzug, missachtet das heiße Verlangen aller christlichen Völker, das Heilige Land aus seinen heidnischen Fesseln zu befreien. Ihr aber, die ihr hier versammelt seid, sollt für eure Treue und Hingabe reich belohnt werden.“

Der Kaiser nannte nicht die Art der Belohnung, aber jeder der Gesandten wusste, um was es ging: Privilegien, Steuererlass, Markt-, Handels- und Zollrechte.

Das Bankett klang mit einem großen Festmahl aus. Danach wechselte der Kaiser mit jedem der Stadtvertreter einige Worte, während der Sekretär ihnen Zeit und Ort der in den nächsten Tagen stattfindenden Einzelgespräche nannte.

Es fiel Galvano nicht leicht, seine Bitte vorzubringen:

„Kaiserliche Majestät, ich möchte um Eure gnädige Erlaubnis bitten, meine Schwester Bianca mitbringen zu dürfen. Es ist ihr Herzenswunsch, einmal in ihrem Leben den Kaiser zu sehen.“

Es war, als fliege ein heller Schein über Friedrichs klare, ernste Züge.

„Wie alt ist Eure Schwester?“

„Dreizehn Jahre, Majestät.“

„Warum nicht? Ich werde sie gerne begrüßen, aber“, da glitt ein Lächeln über Friedrichs Gesicht, „bei Unserer Besprechung kann sie nicht zugegen sein.“

„Das weiß ich, das weiß ich …“

Später dann, auf dem Weg zum Kloster, klang Galvanos Freude schnell ab – er wusste selber nicht, warum. Dafür erfasste ihn ein seltsamer Groll auf Bianca, den er nicht zu deuten wusste. Hätte der Kaiser abgelehnt, so dachte er – so dachte etwas in ihm –, so wäre ich erleichtert gewesen und hätte ihr mitteilen können, die Majestät habe keine Zeit, sich mit kleinen Mädchen zu befassen. Wie hätte Giordano da reagiert? Wahrscheinlich anders, vermutlich so, wie es sich für einen Bruder gehört. Einen Freudentanz hätte er aufgeführt und Bianca auf beide Wangen geküsst. Mir aber ist nicht danach und ich weiß nicht, woran es liegt. Warum bin ich nur so? Das fragte er sich und empfand dabei tiefe Scham. Du bist so, antwortete das Etwas in ihm, weil es dich ärgert, dass Bianca immer und immer ihren Kopf durchsetzt. Was sie sich vornimmt, das gelingt ihr – immer und immer wieder. Wir alle müssen doch Rückschläge hinnehmen, dafür ist der Kaiser ein lebender Beweis. Es ist schon hart einen Reichstag anzusetzen und dann wird nichts daraus, weil ein Dutzend Kommunen vor Dünkel und Eigensucht den Sinn für Ordnung und Recht verloren hat. Ja, so ist es doch! Aber was hat das mit Bianca zu tun? Warum hätte der Kaiser ablehnen sollen? Jeder weiß, wie gern er junge Frauen sieht. Aber sie ist doch noch ein Kind und trotz Bertas Schweigen hat es sich im Haus herumgesprochen, dass sich in Biancas Wäsche niemals gebrauchte Monatsbinden fanden. Und wenn schon! Das ist bei einer Dreizehnjährigen doch nicht ungewöhnlich. Aber was weiß ich schon, so etwas ist für einen Mann kein Thema. Ich könnte Giulia fragen, wann es bei ihr angefangen hat …

„Nein!“, sagte er laut zu sich, „das werde ich nicht!“

„Habt Ihr etwas gesagt?“ Der hinter ihm reitende Bewaffnete drängte sein Pferd an Galvanos Seite. Den erfasste ein hilfloser Zorn.

„Nein, du Esel, ich habe nichts gesagt! Warte jetzt hier!“

Sie waren an der Klosterpforte angelangt und Galvano wurde von der Schwester Pförtnerin ins Besuchszimmer geführt. Als Bianca erschien, blickte sie ihn stumm und fragend an. Eine für ihn ungewöhnliche Spottlust trieb ihn zu der Bemerkung:

„Du kannst ihn also bestaunen, wie ein Kalb mit zwei Köpfen …“

Bianca schüttelte ärgerlich den Kopf.

„Wie redest du über unseren Kaiser? Nur gut, dass dich niemand gehört hat.“

Wieder schämte er sich.

„Verzeih, aber ich habe zurzeit so viel um die Ohren – also, Seine Majestät wird dich kurz begrüßen und dann mit mir zu einer Besprechung unter vier Augen gehen. Zufrieden?“

Sie nickte und schaute ihn dabei besorgt an.

„Ist dir etwas über die Leber gelaufen, Galvano? So schroff und spöttisch kenne ich dich gar nicht.“

„Nein, nein, außerdem habe ich mich ja entschuldigt.“

„Wann will mich der Kaiser empfangen?“

„Morgen, zur fünften Tagesstunde.“

„Ich werde bereit sein.“

Berta saß natürlich schon wie auf Kohlen. Obwohl sie nicht genau wusste, warum es für Bianca so wichtig war, so hatte sie doch – wie eine rechte Mutter – den Herzenswunsch ihrer Ziehtochter zu dem ihren gemacht. Bianca wiederum liebte es, manchmal aus der betulichen Fürsorge auszubrechen und Berta im Ungewissen zu lassen. So setzte sie eine nichtssagende Miene auf, als sie den Raum betrat. Berta erschrak. Sie wusste, dass Bianca sich Enttäuschungen ungern ansehen ließ, und glaubte nun, ihr Herzenswunsch sei abgelehnt worden.

„Mach dir nichts draus, mein Täubchen. Wenigstens haben wir eine schöne Reise gehabt. Eines Tages wird der Kaiser vielleicht Pisa besuchen und dann …“

Bianca runzelte unwillig die Stirn und sagte scharf:

„Und dann was?“

„Aber das weißt du doch, dann wird dein Herzenswunsch gewiss erfüllt.“

„Zweimal brauche ich den Kaiser nicht zu sehen …“

Lachend umarmte sie die rundliche Berta und küsste sie auf beide Wangen. Da gab es gleich einen derben Klaps aufs Hinterteil.

„Da hab ich mich von dir wieder einmal drankriegen lassen! Aber warte nur, mir fällt schon die geeignete Strafe ein.“

Bianca rieb sich mit schmerzlicher Miene ihr Hinterteil und rief:

„Was denn noch? Du hast mich ja gerade abgestraft!“

„Das war nur ein Vorgeschmack, meine Liebe.“

Ja, das war so der Umgangston zwischen den beiden und sie genossen solche Auftritte sehr.

„Ach, Berta, wenn ich dich nicht hätte! Was soll ich nur zu dieser Audienz anziehen?“

„Da gibt es keine große Auswahl, schließlich sind wir nicht mit deiner Kleidertruhe auf Reisen gegangen. Außerdem weiß ich nicht, was der Kaiser von seinen Besuchern erwartet: dass sie in einfacher und bescheidener Kleidung vor ihm erscheinen oder ihm zu Ehren in ihren besten Gewändern.“

„Ich werde Galvano fragen.“

„Was weiß denn ein Mann schon …“

„Immerhin ist er schon einmal beim Kaiser gewesen.“

„Ja, mag sein, aber ich glaube, dass für Frauen und Mädchen etwas anderes gilt als für Herren.“

Bertas runde graue Augen blickten verträumt.

„Der Kaiser ist ein Frauenfreund, das weiß doch alle Welt. Ich kann mir denken, dass er keine grauen Mäuse sehen will, sondern schmuck gekleidete Mädchen, also …“

„Ich weiß schon, was du meinst: reizend, aber nicht aufreizend gewandet.“

„Ja, so ungefähr.“

Berta hatte schon Recht, die Auswahl war nicht groß und so nahm sie ein goldbraunes ärmelloses Oberkleid mit Stickmuster, darunter ein bodenlanges lindgrünes Untergewand, oben züchtig geschlossen und mit langen Ärmeln. Als Jungfrau durfte sie ihr Haar offen tragen, ein schmaler goldener Reif hielt es über der Stirn zusammen. Schmuck legte sie keinen an, von zwei kleinen smaragdenen Ohrringen abgesehen.

Berta klatschte in die Hände.

„Du bist eine Augenweide, mein Täubchen.“

Dieses deutsche Wort hatte Bianca noch niemals gehört.

„Augenweide – was bedeutet das?“

Berta versuchte es auf Italienisch zu umschreiben.

„Vielleicht gioia dell occhi?“

„Wenn, dann degli occhi oder besser noch delizia degli occhi.“

„Ja, das wird es treffen. Darf ich mitkommen?“

„Natürlich nicht, du wartest hier.“

Galvano erschien überpünktlich bereits zur vierten Tagesstunde.

„Draußen wartet die Sänfte – ich möchte nicht, dass dich wer sieht.“

„Warum?“

Er zuckte verlegen mit den Achseln.

„Na ja, wenn der Kaiser eine Frau empfängt …“

„Sonst sagst du immer, ich sei noch ein Kind.“

„Jolanda war kaum älter, als der Kaiser sie heiratete.“

„Ja, aber man sagt, er habe mit – mit dem Vollzug der Ehe noch gewartet.“

Die Sänftenträger hatten es wohl eilig, denn sie liefen im Trab und Bianca konnte durch das schmale Fenster kaum etwas erkennen. Sie sausten am Dom vorbei, der nach seiner Zerstörung durch ein Erdbeben erst zur Hälfte wieder aufgebaut war. Gleich gegenüber erhob sich der Palazzo del Comune und die Sänfte wurde unsanft abgesetzt. Sogleich eilte Galvano mit zweien seiner Männer herbei, um gleichsam eine Deckung zu bilden, doch der Platz vor dem Stadthaus war so von Menschen überfüllt und durchbrandet, dass niemand auch nur den Kopf nach ihnen wandte.

Die Wachen an der Tür kreuzten ihre Hellebarden und fragten nach dem Namen. Den riefen sie ins Innere des Hauses, bis von dort das „passare!“ ertönte. Den Weg zum Obergeschoss sperrten wieder zwei Wachen, daneben stand an einem Pult der Secretarius. Er blätterte und nickte:

„Stimmt, Graf Lancia und seine Schwester Bianca.“

Der Kaiser liebte Pünktlichkeit über alles und empfand Verspätungen als persönliche Beleidigung. Wer etwas früher kam, wurde mit Wohlwollen betrachtet.

Schon in der Sänfte hatte Bianca ein seltsames Erstarren ergriffen, das sich im ganzen Körper von oben nach unten ausbreitete. Zuerst lähmte es den Kopf, die Denkfähigkeit, dann Schultern, Brust, Bauch, Schenkel und zuletzt die Füße. Später verglich sie es mit der häufig beobachteten Tragestarre bei den Kätzchen. Sobald die Katze ein Junges am Nacken fasste, war das Tierchen wie gelähmt, hing wie tot in den Zähnen der Mutter.

Was aber hatte sie am Nacken gepackt und in eine Art Todesstarre versetzt? War es die außerordentliche Situation an diesem Tag? Im Stadthaus wartete Lancelot, wartete der Kaiser auf sie, auf Bianca Lancia. Ihr Denken setzte später wieder ein, doch als sie jetzt aus der Sänfte stieg und mit Galvano die Treppe hinaufging, war ihr Körper starr und kalt geblieben und später wunderte sie sich, dass sie überhaupt zu einer Bewegung fähig gewesen war.

An der Tür zur anticamera standen wieder zwei Wachen, baumlange Kerle, mit unbewegten Gesichtern. Sie traten ein und wenig später kam der Kaiser aus dem Besprechungsraum.

Galvano verneigte sich tief und Bianca versank im Hofknicks.

„Graf Galvano, Donzella Bianca, genug der Höflichkeit!“

Beide richteten sich auf und der Kaiser wandte sich Bianca zu. Seine strahlenden Augen hielten die ihren fest und sie fühlte, wie sein feuriger Blick in sie eindrang und die eisige Erstarrung sich löste, so wie sie entstanden war. Zuerst setzte die Denkfähigkeit wieder ein, ihre Brust hob und senkte sich, wie von einer Last befreit, eine wohlige Wärme durchströmte den Bauch, vermischt mit einem schmerzlichen Ziehen, und dann war es, als platze etwas in ihr. Sie spürte eine warme Feuchtigkeit zwischen den Schenkeln und ihre Knie gaben nach. Sie flüsterte:

„Bitte einen Stuhl …“

Der Kaiser reagierte schnell, stellte einen Hocker hin und schob sie sanft darauf.

Galvano blickte verwirrt drein, er wusste nichts, ahnte nichts, wunderte sich nur über den Schwächeanfall der sonst gar nicht zimperlichen Bianca.

Der Kaiser beugte sich herab.

„Soll ich meinen Medicus …?“

„Nein, nein, Majestät, es geht schon wieder.“

Sie ahnte, was geschehen war, dachte flüchtig: Da wird Berta sich freuen, und dann kam ein Diener mit einem Becher Würzwein.

Der Kaiser lächelte.

„Etwas zu Eurer Stärkung …“

Sie nahm zwei kleine Schlucke und erhob sich.

„Majestät, ich möchte mich für die Gnade bedanken, dass Ihr mich, ein unbedeutendes Mädchen, so freundlich empfangen habt.“

Der Kaiser war auf eine Weise angerührt, wie er sie – so erkannte er später – nur bei der ersten Begegnung mit Adelheid empfunden hatte. Hinter dem noch kindlichen Äußeren entdeckten seine geübten Augen die Frau. Das liebliche Oval ihres Gesichts, die großen bernsteinfarbenen Augen, die hohe Stirn, der leicht geöffnete, schön geschwungene Mund – ja, das gab es bei anderen auch, aber dahinter war etwas, das ihm tief in die Seele drang, als hätte das Mädchen ihn verzaubert. Fast gegen seinen Willen sagte er schnell:

„Ich hoffe, das ist nicht unsere letzte Begegnung, Gräfin Bianca.“

Gerade noch konnte er den anzüglichen Satz etwas mildern, indem er sie mit ihrem Rang ansprach. Bianca nickte.

„Das hoffe ich auch, Majestät.“

Als Bianca hinausging und der Diener den Hocker wegtrug, sah der Kaiser den dunkel glänzenden Blutfleck auf dem polierten Holz. Hatte der Diener es auch bemerkt – oder gar Graf Lancia? Der Diener vielleicht, aber der blieb stumm, während Galvano aus Höflichkeit immer den Kaiser im Auge behielt. Nun ja, dachte Friedrich, das Mädchen war aufgeregt und hat ihre Tage früher bekommen, unerwartet und plötzlich.

Sie gingen ins Besprechungszimmer und als sie Platz genommen hatten, fragte der Kaiser:

„Habt Ihr für Eure Schwester schon einen Ehemann ins Auge gefasst?“

„Nein, Majestät, Bianca ist ja noch ein Kind.“

Diesen Eindruck hatte ich nicht, dachte der Kaiser und dann begannen sie die politische Lage zu erörtern.

Berta konnte nur schlecht ihre Neugierde verbergen. Für Bianca aber ging es zunächst um etwas anderes.

„Ich blute“, sagte sie leise und ihre frühere Amme wusste sofort, was gemeint war.

„Allen Heiligen sei Dank!“ Sie rief es mit nach oben gerichteten Augen und es klang fast wie ein Jubel.

„Er hat es ausgelöst, für ihn habe ich es aufgehoben …“, murmelte Bianca kaum hörbar.

„Aufgehoben? Was meinst du damit?“

Einige Dinge aber gab es, die konnte sie nicht mit Berta, auch mit sonst niemandem besprechen.

„Ist nicht so wichtig …“

Berta scheuchte eine mürrische conversa ins Waschhaus und als der Zuber endlich kam, prüfte sie die Wärme und Bianca musste sich nackt hineinsetzen.

„Mach dich unten sauber“, sagte sie und kramte unterdessen frische Wäsche aus einem geschnürten Sack. Dabei redete sie unentwegt.

„Viel ist da nicht zu machen, weißt du. Später spürst du genau, wann es kommt und dann müssen halt die Binden zur Hand sein. Jedenfalls beginnt für dich ein neuer Lebensabschnitt, bist jetzt kein Kind mehr.“ Sie lachte leise.

„Für mich schon, für mich bist du immer mein Küken, mein Kleines. Dein Bruder muss es natürlich wissen …“

Ärgerlich unterbrach Bianca sie.

„Was geht das Galvano an? Mich betrifft es, und nur mich!“

„Da hast du freilich Recht, aber Kinder in einer Adelsfamilie bedeuten zunächst nicht viel – wichtig ist, dass man sie hat. Werden aber aus den Buben Männer und aus den Mädchen Frauen, dann gewinnen sie an Bedeutung und gleich erwartet man, das beide für die eigene Familie etwas tun. Die Männer müssen handeln, kämpfen, die Familie führen und die Frauen sollen Männer heiraten, die zur Familie passen, die igendwelche Vorteile bringen. So ist es halt, mein Täubchen, und so ist es immer gewesen. Glaube nur ja nicht, dass ich dich los sein will, denn jeder Tag, den ich dich habe, ist für mich wie ein Geschenk. Aber ich muss mich darauf gefasst machen, dass du eines – eines Tages …“ Sie brach in Tränen aus und redete schluchzend und stockend weiter: „… eines schlimmen Tages fortgehst – für immer. Vielleicht sogar in eine andere Stadt …“

„Nein, das werde ich nicht! Und wenn, dann gehst du einfach mit.“ Den Kaiser aber hielt es nicht mehr in Cremona, einer Stadt, die für ihn zum Symbol des politischen Scheiterns geworden war. Freilich ließ er das hier niemand spüren, sondern versicherte den Honoratioren, dass er ihnen die Bereitschaft, ihn und sein Gefolge aufzunehmen, hoch anrechne, und er lobte ausdrücklich die unwandelbare Treue der Stadt Cremona. Das Osterfest stand vor der Tür und auf diese Zeit wäre der Reichstag angesetzt gewesen.

Friedrich konnte und wollte nicht an einem Ort bleiben, der ihn an sein Versagen erinnerte. So wenigstens empfand er es damals, aber bei der Ostermesse in Ravenna ordneten sich seine Gedanken neu. Der Bischof hatte San Vitale für diese festliche Gelegenheit auserwählt und nutzte die Anwesenheit des Kaisers zu einer langen, ermüdenden Predigt, die im Grunde nur ein süßliches Loblied auf den Imperator war.

Friedrichs Blick wanderte zur Apsis, wo in kunstvollen Mosaikbildern das Kaiserpaar Justinianus und Theodora in all seiner Pracht dargestellt war. Als profunder Geschichtskenner wusste er natürlich, dass der Thron dieses Kaisers bei einem blutigen Volksaufstand arg zu wackeln begonnen hatte und Justinianus schon dabei gewesen war, aufzugeben. Doch Theodora, aus niederstem Stand aufgestiegen, hatte sich damit nicht abfinden wollen und sinngemäß gesagt, sie ziehe es vor, als Kaiserin zu sterben und nicht als Bettlerin am Leben zu bleiben. Der Aufstand war niedergeschlagen worden und Justinianus hatte unangefochten noch weitere zwei Jahrzehnte regiert.

Darum aber geht es, dachte Friedrich, Kaiser sein heißt immer der Stärkere zu sein. So reduzierte er sein Versagen darauf, den Gegner falsch eingeschätzt zu haben. Mit dreifacher Truppenstärke hätte er die Pässe freihalten können und Heinrich wäre nach Cremona gekommen.

So ist das nun und kein Gott kann es ändern. Sein Blick wanderte zu der zweiten Gruppe von Menschen, die aus dem leuchtenden Mosaik der Apsis auf die Gläubigen herabschauten. Da stand Theodora – ehemals Tänzerin – in ihrem kaiserlichen Ornat, das Haupt von einem goldenen Nimbus umgeben, begleitet von ihren Hofdamen, ein Gefäß mit Opfergaben in beiden Händen haltend. Das Oval ihres Gesichtes, die großen dunklen Augen, der kleine wohlgeformte Mund – es könnte, so dachte Friedrich, ein Bildnis der Bianca sein. Warum kam ihm gerade jetzt dieser Name in den Sinn, jetzt, da ein Priester aus dem Evangelium zur Dominica Resurrectionis, zum Hohen Ostersonntag vorlas: „Surrexit Christus, spes mea: Praecedet vos in Galilaeam …“

Dein Sinn, christlicher Imperator, sollte an diesem hohen Festtag auf die Frohe Botschaft und nicht auf ein kleines Mädchen gerichtet sein. Er hörte seine eigene Stimme dies sagen, aber es war die Stimme des Kaisers und wozu sie mahnte, war richtig. Aber da gab es noch den Mann Friedrich, der bei allem, was mit Frauen zu tun hatte, das kaiserliche Gewand abstreifte – frohgemut und ohne zu zögern.

Frauen? Sprach der Kaiser nicht eben noch von einem kleinen Mädchen? Friedrich senkte den Kopf und lächelte: Da war doch der Blutfleck auf dem Hocker, sodass es eher angebracht war, in Bianca eine junge Frau zu sehen. Mit dem Manne Friedrich, der sein Lächeln zu verbergen suchte, neigte zugleich der Kaiser sein Haupt – es traf sich gut, dass der Priester bei der Wandlung gerade die Hostie emporstreckte.

Accipite et manducate ex hoc omnes: Hoc est enim corpus meum …

Der Kaiser verfolgte jeden, der nicht an diesen Kanon glaubte. Dies ist mein Leib – so steht es geschrieben, so muss es geglaubt werden! Die Einheit der christlichen Völker wäre dahin, würde jeder nach seinem Belieben glauben und, schlimmer noch, es verkünden!

Friedrich aber glaubte nicht daran. Dies Stück Weizenbrot bleibt auch nach den Wandlungsworten, was es ist – Brot. Jeder darf das denken, keiner in meinem Reich darf es sagen. Seine Gedanken machten einen großen Sprung. Würde sich doch einmal die Gelegenheit ergeben, Pisa einen Besuch abzustatten? Wenn nicht, so wird Pisa mich aufsuchen – wo immer ich mich aufhalten mag. Weiter dachte der Kaiser nicht, denn alle erhoben sich, um den Worten des Schlussevangeliums zu lauschen: „… et vidimus gloriam ejus, gloriam quasi unigeniti a Patre, plenum gratiae et veritatis. Deo gratias.“

Bianca Lancia

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