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ОглавлениеDer von Kaiser Friedrich zu Ostern 1226 einberufene Reichstag kam nicht zustande – aus den schon genannten Gründen. Da er nun schon einmal in Cremona war, sollten wenigstens die ghibellinischen Lombardenstädte – Parma, Pavia, Modena, Pisa und Lucca wären als wichtigste zu nennen – Gelegenheit haben, ihm zu huldigen. Auch die Familie Lancia wurde dazu geladen und noch ehe Galvano ein Wort dazu äußern konnte, rief Giordano laut:
„Da komme ich natürlich mit! Wann geht es los?“
Seine Augen glühten vor Ungeduld und mit der Faust schlug er mehrmals auf den Tisch, dass die noch nicht abgeräumten Teller und Schüsseln zu klirren begannen.
Galvano, der sich von Giordanos Ungestüm niemals aus der Ruhe bringen ließ, sagte nur:
„Jetzt beruhige dich erst einmal – ja, warum sollst du nicht mitkommen, schließlich wirst du heuer achtzehn Jahre alt.“
Das war heute ihr gemeinsames Sonntagsmahl, an dem die ganze Familie teilnahm.
Wundersame Gedanken waren Bianca bei dieser Nachricht durch den Kopf gezogen. Der Ritter Lancelot, sonst fern im Süden, war in den Norden gekommen, um seine treuen Vasallen zu begrüßen. Eine und vielleicht sogar die letzte Möglichkeit, ihn persönlich zu sehen, anstatt sich sein Bild aus den gewiss fehlerhaften Berichten ihres Bruders zusammensetzen zu müssen. Natürlich wusste sie, dass es weder üblich noch angebracht war, die Frauen der Stadtvertreter oder sogar deren Schwestern mit auf die Reise zu nehmen. Es war allein Galvanos Aufgabe, vielleicht zusammen mit seinem Bruder, dem Kaiser in Cremona zu huldigen, während sie daheim auf die Berichte ihrer Brüder warten musste. Nein, nein, nein, diesmal würde sie sich nicht damit begnügen, diesmal nicht! Im Oktober würde sie dreizehn Jahre alt werden, sie war kein Kind mehr! Doch ihr nüchterner Verstand sagte ihr, dass ihre Lebensjahre nicht zählten – ob acht oder achtundzwanzig, eine Frau hatte bei einer Gesandtschaft nichts zu suchen. Schon formte sich in ihrem Kopf ein Plan. Zuerst kam es darauf an, nichts oder nur Unverbindliches zu äußern. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
„Das ist ja schön, den Kaiser so nahe zu wissen. Du, Galvano, könntest ihn vielleicht dazu anregen, auch unsere Stadt zu besuchen – immerhin findet er hier seine treuesten Anhänger.“
Wieder kam Giordano seinem Bruder zuvor.
„Was du dir in deinem kleinen Mädchenverstand so ausdenkst! Glaubst du, der Kaiser habe nichts anderes zu tun, als reihum seine Anhänger zu besuchen? Es ist unsere Pflicht, zu ihm zu gehen!“
Galvano versuchte die Wogen zu glätten.
„Natürlich wäre es schön, den Kaiser in unserer Stadt zu wissen, aber ich muss Giordano schon Recht geben – er ist auch König von Sizilien und seine Zeit ist knapp. Ich verspreche dir einen genauen Bericht, Bianca, ja, ich werde die Haare auf seinem Kopf zählen, um dich zufriedenzustellen.“
Alle lachten, denn es geschah höchst selten, dass der ernste und bedächtige Galvano einen Scherz machte. Bianca aber wartete ab, bis sie ihn alleine antraf. Das war sozusagen zwischen Tür und Angel, denn er kam aus den Ställen, wo er die Pferde auf ihre Reisetauglichkeit überprüft hatte. Sie fasste ihn am Arm.
„Ach, Galvano, hättest du etwas Zeit für mich? Du solltest dir meine Stute Brunella anschauen. Ich glaube, sie lahmt etwas.“
„Aber dafür ist doch der cavallerizzo zuständig, ich glaube nicht, dass ich …“
„Ich möchte es trotzdem.“
Sie zog ihn zum Stall und schickte den die Raufe füllenden Pferdeknecht hinaus. Dann schob sie den kaum widerstrebenden Galvano in eine Ecke und flüsterte:
„Ich habe etwas mit dir zu besprechen.“
„Aber warum gehen wir nicht ins Haus, da ist es …“
„Nein, es soll hier und unter vier Augen geschehen.“
Er fügte sich und Bianca kam gleich zur Sache.
„Galvano, ich möchte dich nach Cremona begleiten und Giordano soll hierbleiben.“
Da blieb ihrem Bruder vor Staunen der Mund offen und es dauerte etwas, bis er wieder zur Sprache fand.
„Aber wie denkst du dir das? Ein zwölfjähriges Mädchen hat bei einer Gesandtschaft nichts zu suchen, ja nicht einmal den Ehefrauen würde man so etwas gestatten.“
Sie schaute ihn ruhig an.
„Wer ist ‚man‘? Du bist Galvano Graf Lancia und kannst mitnehmen, wen du willst.“
Er schüttelte störrisch den Kopf.
„Nein, das kann ich nicht! Und was würde Giordano dazu sagen?“
Auch dafür hatte sie längst einen Plan.
„Du sagst ihm, er werde hier gebraucht, denn in deiner Abwesenheit ist er das Haupt der Familie. Hast du je daran gedacht? Ihr seid vielleicht monatelang unterwegs und es müssen irgendwelche wichtigen Entscheidungen getroffen werden – wer soll das tun? Giulia? Ich? Wie stellst du dir das vor? Du kannst die Familie Lancia nicht ohne männlichen Schutz zurücklassen. Giordano wird das einsehen.“
Dieses Argument gab Galvano zu denken und etwas zögerlich musste er sich eingestehen, dass Bianca Recht hatte. Nach langem Schweigen brummte er:
„Da ist etwas dran, aber du kannst trotzdem nicht mitkommen. Die ganze Familie würde über mich herfallen und nicht nur das, auch den anderen Gesandten wäre das kaum begreiflich zu machen.“
Auch dafür hatte sie eine Lösung.
„Sprich von einem Gelübde, das ich getan habe. Du musst nicht erklären, um was es geht, sage nur, deine Schwester habe ein Gelübde für den Kaiser abgelegt, wozu gehört, dass sie ihm ins Auge blickt.“
„Das wird mir keiner abnehmen …“
„Ein Gelübde ist etwas Heiliges.“
„Ein erfundenes nicht.“
„Das lässt sich nachholen.“
Er brummte etwas Undeutliches und wandte sich ab. Im Hinausgehen sagte er:
„Du solltest erst einmal mit Giordano reden, denn ich weiß nicht, wie ich es ihm begreiflich machen soll.“
Damit hatte sie schon gerechnet. Galvano war kein Mann des Wortes und das wusste er recht gut.
Am nächsten Tag war es wieder vor dem Pferdestall, wo sie Giordano abfing. Der Knecht führte das gesattelte Pferd hinaus, denn Giordano wollte an einem Treffen der Bürgermiliz teilnehmen. Er hatte es dort schon zum portastendardo gebracht und hoffte, nach seinem achtzehnten Geburtstag zum Capitano ernannt zu werden.
„Auf ein Wort, Giordano.“
Er hatte schon einen Fuß im Steigbügel.
„Du siehst doch, ich habe es eilig! Heute Abend können wir reden, da habe ich Zeit.“
„Es ist aber wichtig …“
Was Bianca nicht wusste: Giordano musste jetzt die Entscheidung zwischen zwei Frauen treffen. Er war nämlich auf dem Weg zu einer Geliebten, denn das Treffen der Bürgermiliz fand erst am Nachmittag statt. Seufzend zog er seinen Fuß aus dem Steigbügel und sagte zum Pferdeknecht:
„Reite den Baleno ein wenig warm und komme dann hierher.“
„Danke, Giordano.“
Sie gingen in den Stall, just zu der Stelle, an der sie gestern mit Galvano gesprochen hatte.
„Also, was ist?“ Das klang recht ungeduldig.
„Ich habe gestern mit Galvano gesprochen und ihm zu bedenken gegeben, dass wir hier ohne männlichen Schutz bleiben, wenn ihr beide nach Cremona reitet.“
„Was? Was soll das? Es sind mindestens zehn waffenfähige Männer am Hof!“
„Aber wer soll ihnen befehlen? Zum Beispiel würde der Stadtrat von Pisa keine wichtige Entscheidung ohne Zustimmung des Adels treffen. Ihr seid über alle Berge und auf Giulia und mich wird kaum einer hören. Ich halte es für absolut notwendig, dass du während Galvanos Abwesenheit die Lancia vertrittst – als Haupt der Familie.“
Damit berührte Bianca Giordanos geheimste Wünsche, die er niemals laut geäußert hätte. Wochen- oder sogar monatelang würde er der Graf Lancia sein, der Wortführer einer der wichtigsten Pisaner Familien.
„Hast du Galvano auf diesen Gedanken gebracht?“
„Wir sind beide darauf gekommen, aber ich möchte dir klar und deutlich sagen, dass Giulia mit ihrem unmündigen Kind und ich als Tochter des Hauses erwarten, ja einen Anspruch darauf haben, dass ein Mann von Gewicht im Haus bleibt. Ich mag gar nicht daran denken, was alles geschehen kann, wenn ihr beide unterwegs seid! Auf dem Weg nach Cremona kommt ihr in den Machtbereich von Piacenza und wer hat dort das Sagen?“
„Die Guelfen, ich weiß.“
„Wenn da irgend so ein Hitzkopf die Gelegenheit beim Schopf packen will, euch eines auszuwischen – was dann? Einer von euch fällt, der andere kommt in Gefangenschaft und wir müssen ein so hohes Lösegeld zahlen, dass wir am Ende dastehen wie Bettler. Willst du das?“
Diesen Argumenten war Giordano nicht gewachsen.
„Natürlich nicht, an eine solche Möglichkeit mag ich gar nicht denken.“
„Solltest du aber!“
„Dann werde ich wohl hierbleiben müssen …“
„Als Haupt der Familie, ja.“
Natürlich dachte er sofort auch daran, dass er auf der Reise nach Cremona immer der Zweite sein würde, hier aber war er in Galvanos Abwesenheit der Erste! In seiner spontanen Art übernahm Giordano sogleich diese Rolle. Seinem Liebchen teilte er stolz mit, sie habe es demnächst mit dem Grafen Lancia zu tun, und auf der Bürgerwehrversammlung ließ er durchblicken, dass man sich künftig an ihn wenden müsse, wenn von dem Grafen Lancia eine Entscheidung verlangt werde. Da alle seine aufbrausende Art kannten, wagte niemand einen Scherz, sondern sie nickten nur mit ernsten Gesichtern.
Nach dem Nachtmahl bat er Galvano auf ein Wort. Den Älteren beschlich ein unbehagliches Gefühl und er machte sich auf flammende Empörung gefasst. Doch er hatte sich getäuscht.
„Bianca hat mir ihre Befürchtungen mitgeteilt und ich muss schon sagen, das hätten wir beide auch erwägen sollen! Wir reisen zum Teil durch feindliches Gebiet – denke an Piacenza! Nur angenommen, einer von uns fällt und einer wird gefangen. Es geht um Giulia und um Bianca! Sie wären dann schutzlos allen Anforderungen ausgeliefert und nach der Zahlung des Lösegeldes …“
„… es gibt immer noch Giulias Eltern …“
„Die wird man auch nicht verschonen. Nein, nein, ich sehe meine Pflicht darin, hierzubleiben und das Haus Lancia zu führen.“
Galvano gefiel diese Wortwahl nicht.
„Zu führen? Sagen wir besser, mich zu vertreten.“
„Ja, ja, das kommt wohl auf eines hinaus.“
„Hat Bianca dir gesagt, dass sie nach Cremona mitkommen will?“
„Was? Aber das geht doch nicht! Wann ist jemals eine Frau, ein Mädchen mit einer Gesandtschaft … nein, nein, das musst du ihr ausreden!“
Galvano seufzte. „Ich werde es versuchen, aber du weißt ja, wie wenig wortgewandt ich bin, da übertrifft Bianca mich bei weitem.“
„Also gut“, Giordano rief es in seiner schnell entschlossenen Art, „dann werde ich es versuchen.“
Auf eine seltsame Weise war Bianca nämlich in die Rolle ihrer Mutter hineingewachsen. Ihr Verstand war scharf und schnell, ihre Wortwahl knapp, geschickt und logisch. Ihre Brüder fürchteten sie ein wenig und jeder vermied es, sich mit ihr anzulegen.
So verspürte Giordano ein sonst ungewohntes Flattern im Bauch, das er nicht unterdrücken konnte. Ehe er an ihre Tür klopfte, sagte er sich: Jetzt nimm dich aber zusammen!
Biancas behaglich eingerichteter Wohnraum unterschied sich doch in einigem von anderen Mädchenzimmern. Auf einem Wandbord stand eine Reihe von Büchern, ein kostbarer Schatz, vom Großvater ausdrücklich ihr vermacht. An der Wand hing eine sorgfältig gezeichnete Karte von Italien, daneben eine Marienikone, die – angeblich – ein kreuzfahrender Ahne vor über hundert Jahren aus Ostrom mitgebracht hatte. Der große Schreibtisch aus dunklem Olivenholz war mit Papierrollen und Schreibzeug übersät, während man im ganzen Raum vergeblich nach Spuren einer weiblichen Handarbeit suchte. Als der Vater ihr zum fünften Geburtstag ein kleines Spinnrad geschenkt hatte, musste es bald einem Astrolabium weichen, das aus einem abgewrackten Schiff stammte und das sie seit ihrem zehnten Lebensjahr in seinen wichtigsten Funktionen bedienen konnte.
„Setz dich, Giordano. Übrigens weiß ich, warum du kommst.“
Das nahm ihm gleich den Wind aus den Segeln und er stotterte: „Ja, dann – dann muss ich dir – möchte ich dir …“
Sie lächelte fein und sagte im schnoddrigen Jungmännerton: „Spuck’s trotzdem aus!“
Das nun verunsicherte ihn vollends.
„Was – wie – wie redest du denn?“
„Wie rede ich denn? Nicht verständlich? Nicht nach vornehmer Mädchenart?“
„Von dir bin ich das einfach nicht gewohnt.“
„Na gut, was führt dich zu mir?“
„Von Galvano habe ich gehört, dass du ihn nach Cremona zum Kaiser begleiten willst, aber dann musst du mir auch die Frage gestatten: Warum?“
„Spielst du dich jetzt schon als Herr des Hauses auf?“
„Nein, aber ich bin dein Bruder und möchte es wissen.“
„Weil du mein Bruder bist? Ich bin deine Schwester und möchte gern wissen, wie es bei dir mit den Mädchen steht? Galvano war so alt wie du, als er geheiratet hat.“
Giordano lachte laut auf.
„Verheiratet wurde, das kommt der Wahrheit näher. Ansonsten komme ich mit den Mädchen gut zurecht – eine freilich ausgenommen.“
„Das bin natürlich ich. Also gut, warum soll ich deine Frage nicht beantworten. Du weißt so gut wie ich, dass das Schicksal unseres Hauses mit dem Kaiser steht und fällt. Setzt der Lombardische Bund sich durch, dann können wir nur noch auswandern oder Verrat begehen.“
Giordano lief rot an.
„Niemals! Um keinen Preis der Welt! Was unsere Großväter dem Kaiser Friedrich Barbarossa geschworen haben, müssen die Enkel halten. Dafür stehe ich!“
Bianca nickte mehrmals.
„Gut, das ist nun die Sache der Männer. Wir Frauen beschwören nichts, stehen aber fest zu unseren Vätern, Gatten und Brüdern, versuchen sie nach Kräften zu unterstützen. Ich habe ein Gelübde getan, das aber erst wirksam wird, wenn ich dem Kaiser ins Gesicht schaue.“
War das nun ein spontaner Einfall, um den Bruder umzustimmen? Nein, denn Bianca hatte von einem Gott gegenüber abgelegten Gelübde eine zu hohe Meinung, um leichtfertig damit umzugehen. Nach stundenlangem Grübeln hatte sie ihre Hand auf das Kreuz vor ihrem Betschemel gelegt und Gott ihre Jungfräulichkeit dargebracht, wenn er die Sache des Kaisers und das Schicksal ihrer Familie zu einem guten Ende führe. Damit war kein Versprechen verbunden, ins Kloster zu gehen, auch wenn der Gedanke nahelag. Außerdem hatte Bianca die Kühnheit besessen, eine einzige Ausnahme zuzulassen. Für den Kaiser galt das Gelübde nicht. Wenn er sie zur Geliebten oder gar zur Frau begehrte, dann musste sie der von Gott eingesetzten höchsten Majestät gehorchen.
Woher nahm sie die Dreistigkeit, einen so abwegigen Gedanken auch nur ins Auge zu fassen? Damit ging sie ans Äußerste der Möglichkeiten, hielt die Tür zur Umgehung des Keuschheitsgelübdes einen winzigen Spalt offen, um sich nicht ganz als Gefangene ihres Versprechens zu fühlen. Weiter dachte sie nicht, doch sie musste ihn leibhaftig sehen, diesen Mann, der ihr Gelübde ausgelöst hatte. Für sie war er noch eins mit dem Ritter Lancelot aus der Artussage, von dem möglicherweise ihre Familie abstammte. Vielleicht würde der Augenschein dieses Traumgebilde auf den Boden der Wirklichkeit ziehen und den Lancelot vom Kaiser trennen.
Weder Galvano noch Giordano hätten das verstanden, auch Giulia nicht, die von den Rechten und Pflichten einer Frau genaue Vorstellungen besaß. Sie beließ es dabei, Galvano abzuraten, ohne dabei viel Worte zu machen.
„Das ist nur mein Rat, aber letztlich ist es allein deine Verantwortung.“
Wie aber war es mit Berta? Zuerst stemmte sie sich mit aller Kraft dagegen, mochte ihr Küken nicht aus dem Nest lassen. Dann aber war sie dafür, sogar mit Hingabe und Begeisterung. Beides geschah nicht ohne gewichtige Gründe. Der erste wurde schon genannt, es war der Beschützerinstinkt der Amme und liebevollen Ziehmutter, die sich ohne ihr Kind verwaist vorgekommen wäre. Als aber Bianca darauf bestand, Berta auf die Reise mitzunehmen, war sie Feuer und Flamme. Dass auch ihr Ehemann Jörg seinen Herrn begleitete, störte sie nicht weiter.
Galvano hatte seiner Schwester diesen Wunsch gerne erfüllt, denn die zarte, noch kindliche Bianca unter all diesen Männern – nein, das wäre ihm nicht recht gewesen. Als Bianca ihrer Ziehmuter erzählte, wie schwierig es gewesen war, Galvano und dann Giordano von der Notwendigkeit dieser Reise zu überzeugen, zeigte Berta sich empört.
„Ja, so sind sie, die Männer, messen je nach Bedarf mit zweierlei Maß. Dir wollen sie es verbieten, sie auf einer harmlosen Reise zu begleiten, die nicht mal eine Woche dauert. Aber auf Kriegszügen, wenn große Heere wochenlang in den Kampf ziehen, da sind Weiber haufenweise dabei, das kann ich dir flüstern!“
Bianca staunte.
„Bist du da sicher?“
„Jeder weiß doch, dass im Tross der Armee hunderte von Marketenderinnen und Huren, aber auch Ehefrauen oder Soldatenliebchen mitziehen.“
„Auf mich trifft aber nichts von alledem zu.“
„Umso schlimmer, dass man es einem Mädchen verwehren wollte, sein Gelübde zu erfüllen.“
Berta wusste davon, doch nichts Genaueres – das ging sie nichts an. Ihr Ehemann aber war alles andere als begeistert. Giorgio, der bärtige Capitano, hatte sich schon auf lustige Tage in Cremona gefreut, in der richtigen Annahme, dass der Kaiser und sein Gefolge auch Scharen leichter Mädchen herbeilocken würden, die man hier bagasce oder baldracche nannte und im Deutschen als „Hübschlerinnen“ bezeichnete. Sein Verhältnis in Pisa – die Witwe mit den drei Kindern – war inzwischen so eheähnlich geworden, dass er dort die vorzügliche Küche bald höher schätzte als die Freuden des Bettes, die schon ein wenig schal geworden waren. Als Berta kurz vor der Abreise noch mit spöttischem Grinsen bemerkte, das träfe sich sehr gut, denn Jörg könne unter ihrer Aufsicht keinen Unsinn anstellen, da löste sich, als er allein war, ein ellenlanger lästerlicher Fluch aus seinem bärtigen Mund.
Während der Reise ergab es sich dann, dass die beiden Frauen langsamer waren als die Männer auf ihren schnellen und ausdauernden Rössern. Bianca ritt auf ihrer Stute Brunella und Berta auf einem kräftigen Maultier, doch immer wieder blieben sie zurück, sodass Galvano sie mit einer kleinen Begleittruppe versah, mit der sie dann um Stunden später beim jeweiligen Nachtquartier eintrafen.
Zuerst ritten sie durch das Hügelland der Ausläufer des Apennin, dann aber gelangten sie in die flache Po-Ebene und blieben noch weiter hinter den schnellen Pferden der Männer zurück.
Bianca störte das nicht.
„Wie auch immer, wir werden sie einholen und was macht es schon, wenn wir einen Tag später in Cremona eintreffen? Sie werden uns nicht los, liebe Berta, mögen sie auch ihren Entschluss verfluchen, sich mit uns eine solche Last ans Bein gebunden zu haben.“
Sie näherten sich dem feindlichen Piacenza bis auf etwa zehn Meilen, aber nicht ein einziger Bewaffneter ließ sich blicken. Der Respekt vor den kaiserlichen Truppen war wohl zu groß.