Читать книгу Spuren im Sand - Sieglinde Breitschwerdt - Страница 8
J.B.
ОглавлениеJulia schlenderte durch die Fußgängerzone, blieb vor den teuren Modeboutiquen stehen und gönnte sich später ein Softeis. Der nächste Bus fuhr erst in einer Stunde. Sie hatte keine Lust, weiter durch die Stadt zu trödeln, nur um die Zeit totzuschlagen.
Aus ihrem Rucksack kramte sie ihr Smartphon und tippte auf die App. Dort hatte sie den Sound Track von ‚Spuren im Sand‘. Sie würde durch den Park gehen, keiner würde sie stören, wenn sie von Jessica träumte.
Verträumt summte sie die sanften Klänge der Musik mit. Um diese Zeit war kaum jemand im Park, weil die Kids schon beim Mittagessen waren.
Julia genoss diese Einsamkeit. Die Sonne glitt durch die Baumkronen und Lichter tanzten auf den Blättern. Es war fast so wie damals, als Jessica Blumenhagen vor vielen Folgen mit Tim Hand in Hand durch den Park spazieren ging und sie sich das erste Mal leidenschaftlich küssten.
Ob sie mit Lutz Berger auch dorthin ging? Vorerst wohl nicht, solange sie im Krankenhaus lag und ein Geheimnisvoller ihr weiße Lilien schickte.
Die Musik war zu Ende und Julia und nahm den Ohrstöpsel raus. Plötzlich hörte sie etwas! Rascheln und das Schwingen von Zweigen. Ihr Puls beschleunigte sich und das Blut rauschte in ihren Ohren. Voller Argwohn huschte ihr Blick hin und her, dabei beschlich sie das untrügliche Gefühl, dass jemand sie beobachtete. Vielleicht stand er dort hinten und beobachtete sie? Oder warf der Baum nur einen Schatten? Es kostete sie eine ungeheure Überwindung nicht nach hinten zu sehen. Angespannt lauschte sie nach einem verdächtigen Geräusch, aber sie vernahm nur das Zirpen der Grillen, Vogelgezwitscher, leises Rascheln von huschenden kleinen Tieren über Gras und Laub – oder waren es weglaufende Schritte? Doch wer lief vor ihr weg? Vielleicht der Geheimnisvolle, der...
„Bleib cool... ganz cool“, versuchte sie sich selbst die Angst zu nehmen. Unstet huschten ihre Augen nach rechts und links und suchten die Umgebung ab. Da war niemand. Gott sei dank, dachte sie erleichtert und bog bei der großen Eiche rechts ab. Wie angewurzelt blieb sie stehen und starrte auf einen schwarzen Karton mit einer roten Schleife, an der ein herzförmiger Geschenkanhänger hing. Eine Mischung zwischen Angst und Neugier ließ ihre Hand danach greifen. Als sie den Zettel umdrehte, stand darauf:
„Für J.B.“
Ihr Herzschlag hämmerte. Aufgeregt benetzte sie ihre trocken gewordenen Lippen.
War das für sie bestimmt, Julia Brandt? Oder für Jessica Blumenhagen? Nein, Jessica lebte in einer Soap! Also hatte jemand diesen Karton für sie hingestellt. Unsicher hob sie leicht den Kopf.
Erlaubte sich jemand einen Scherz mit ihr? Sollte das ein Seitenhieb sein, weil sie so süchtig nach einer Fernsehserie war? Das musste es sein... Wo war die versteckte Kamera, die jede Mimik von ihr einfing? Mit fahrigen Händen streifte sie das rote Band zur Seite und hob den Deckel...
Julia stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Ein kleiner zusammengequetschter Katzenkörper lag in dem Karton und zwischen den kleinen Pfoten klemmte eine weiße Lilie!
Das Blut rauschte in ihren Ohren und rote Pünktchen tanzten vor ihren Augen. Bewegungslos stand sie da, nicht fähig, sich auch nur einen Zentimeter zu rühren. Julias Atem ging stoßweise und es kostete sie ungeheuer viel Kraft einen klaren Gedanken zu fassen.
Vielleicht war das dieser Perverser, von dem Melli vorhin gesprochen hatte. Oder es war Melli, diese saublöde arrogante Ziege? Vielleicht beobachtete sie sie gerade in diesem Moment von seinem Versteck aus ? Aber die tote Katze? Nein, das passte trotz allem nicht zu Melli, die ihren Kater abgöttisch liebte und verhätschelte. Egal, wer immer das sein mochte, sie würde dieser Person nicht zeigen, dass sie Angst hatte. Sie versuchte gleichgültig zu wirken, obwohl ihr Herz wie wild klopfte. Julia drehte sich um und schlenderte, als wäre nichts passiert, weiter. Es kostete sie ungeheuere Überwindung nicht über ihre Schulter nach hinten zu sehen, ob ihr jemand folgte.
Wer wollte sie in Angst versetzen?
Sollte sie das eben Gesehene der Polizei melden?
Dann stand es morgen sicher in der Zeitung, womöglich noch mit Bild. Was wurde dann aus ihr, wenn der Typ sie auflauerte?
In diesem Augenblick hatte sie den Park verlassen. Ihr schauderte. Nie wieder würde sie diesen Weg wählen. Das vertraute Geräusch eines kaputten Auspuffs ließ sie aufatmen.
„He, Julia!“, rief Sven, hielt neben ihr und stieß die Beifahrertür auf. Sie klettere in sein verbeultes Auto, und er knatterte los.
„Mann! Du siehst vielleicht fertig aus!“,
„Bin nur müde“, log sie und bedauerte zugleich, dass sie zu ihm in den Wagen gestiegen war.
Ob Sven der Katzenmurkser war, schoss es ihr durch den Kopf. Sven hasste Katzen. Wenn sie nur an seine dummen Sprüche von Alf dachte. Aber Katzen töten? Nein, das würde er niemals.
„Haste Zoff mit Tanja?“
Es war keine Frage eher eine Feststellung, und er musterte sie abschätzend.
Ja“, erwiderte Julia gereizt.
Er gab keine Antwort.
„Ist es denn so schlimm, wenn ich ‚Spuren im Sand‘ einfach megacool finde?“
Geistesabwesend spielte sie mit einer Haarsträhne. „N... nein“, antwortete er gedehnt, „aber...“
„Aber was?“, fiel sie ihm ins Wort.
Stur hielt er den Blick auf die Straße gerichtet und murmelte: „Ach, vergiss es!“
Sie seufzte. „Wenn mein Scheiß-Reciever nicht Schrott wäre, dann würde kaum einer mitkriegen, dass ich ‚Spuren-im-Sand‘-Fan...“
„Wieso, was ist mit dem Kasten?“, unterbrach er sie interessiert.
„Keine Ahnung! Aber ich hab‘ keine Kohle, für die Rep...“
„Ich guck‘ mal rein.“, versprach Sven. „Vielleicht ist nur etwas locker!“
Überrascht sah sie zu ihm hinüber und schämte sich dafür, dass sie ihn vor wenigen Minuten für einen Katzenkiller gehalten hatten.Sollte sie ihm davon erzählen? Wenn es wirklich ein morbider Scherz war, dann war der Karton mit der Katze sowieso weg. Julia zwang sich zu einem Lächeln.
„Das wäre echt super, wenn du dir die Box mal anguckst!“
Sven schwieg und fuhr die Auffahrt hoch, die sich zwischen die beiden Grundstücke zog, wo rechts Sven mit seinen Eltern wohnte und sie mit ihrer Schwester Stefanie links. Mit einem lauten Knall warf er die Autotür zu und ging hinter ihr her.
Heute war Donnerstag. Steffi kam dann meist nie vor acht Uhr nach Hause. Leise lächelte Julia vor sich an, als sie sich an das gestrige Gespräch mit ihrer Schwester erinnerte. Stefanie war es endlich gelungen, ihren ersten großen potentiellen Kunden an Land zu ziehen. Das würde mehr Geld bedeuten, das sie ganz dringend brauchten. Julia schloss die Haustür auf und warf achtlos ihren Rucksack in die Ecke. Im Wohnzimmer zog sie den Reciever aus dem Regal.
„Damit nehme ich immer ‘Spuren im Sand’ auf.“, erklärte sie und reichte den Kasten Sven.
Grinsend stand er da. Verlegen strich sie sich eine Strähne aus der Stirn. Sie wollte allein sein, ein bisschen träumen – von Jessica, Lutz und Oliver. Ja, von ihm ganz besonders. Sven sandte ihr einen beleidigten Blick zu und verließ grußlos das Haus.
In der Küche machte sie sich ein Nutellabrot, packte sich aufs Sofa und sah sich das Ende von The Big Bang Theory an, dazwischen wanderten ihre Gedanken in den Park zurück.
War das wirklich geschehen? Die Sache mit dem Karton und der toten Katze? Warum hatte sie Sven nichts davon erzählt? Vielleicht gab es keine tote Katze?
Melli mit ihren makarberen Bemerkungen hatte nur ihre Fantasie angestachelt!
Schließlich schlief sie ein und träumte, wie sie vor dem schwarzen Karton kniete und dann plötzlich kam eine schemenhafte Gestalt hinter einem Baum hervor, die ein glitzerndes Messer in der Hand hielt.
Auf einmal erkannte sie Sven mit verzerrtem Gesicht, dann verschwamm es. Oliver stand vor ihr. Um seinen Mund spielte ein diabolisches Lächeln. Beide Hände hatte er um den Hals einer toten Katze geklammert. Das Tier wehrte sich verzweifelt, dann zuckte es und hing leblos zwischen seinen Händen.
Schweißgebadet fuhr Julia aus ihrem Albtraum hoch.
Da, plötzlich ertönte ein Laut, ein Geräusch, das ihr den Atem in der Kehle stocken ließ. Woher kam es? Die Heizung war es gewiss nicht und das Klacken in den Wasserrohren hörte sich ganz anders an. Angespannt schweifte ihr Blick durch das Zimmer - und dann sah sie es.
Auf der Couchtisch lag eine weiße Lilie!
Julia stieß einen gellenden Schrei aus und sprang wie von Sinnen hoch. Jemand war im Haus gewesen, und sie hatte nicht das Geringste bemerkt. Sie spürte wie ein eisiger Schauer über ihren Rücken rann. Wie hypnotisiert heftete sie den Blick auf die weiße Lilie.
Julia rang nach Atem und verspürten den Wunsch nach frischer Luft. Sie lief sie zur Terrassentür, die nur angelehnt war. Jetzt war ihr alles klar! Unbändige Wut kroch in ihr hoch. Sven! Er war es! Einer seiner saublöden Scherze, die nur er cool fand, trotzdem verursachte es ihr eine Gänsehaut, wenn sie sich vorstellte, wie er vor der Couch stand und ihr beim Schlafen zugesehen hatte.
Aber die Sache mit dem Karton und der Katze? Nein, das passte überhaupt nicht zu ihm.
Sie nahm die Lilie und ging nach draußen. Mit dieser Blume wollte sie Sven konfrontieren und seine Reaktion genau beobachten.
„Sven“, schrie sie, und Sekunden später steckte er den Kopf aus seinem Fenster.
„Is was? Ich guck‘ Border Control!“
„Was macht mein Reciver?“
„Guck mir später die Box gleich an.“
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, und hauchte ihm ein Kusshändchen zu.
„Wollte nur danke sagen“, erklärte sie mit Worten, wie Jessica sie ausgesprochen hätte. Langsam ließ sie sich nach hinten sinken und lehnte sich an den Pfosten der Terrassentür.
„Wow!“ rief er. „Mach das noch mal!“
Verächtlich streckte sie ihm die Zunge raus .
„He“, schrie Sven. „Ich meinte das mit dem Küsschen!“
„Vergiss es“, erwiderte Julia, drehte sich um und ging wieder ins Haus zurück.
Nachdenklich setzte sie sich auf die Couch. Das mit der Lilie war er also nicht gewesen, da war sie sich ganz sicher. Lange saß sie so da und konnte sich nicht entschließen sich endlich ihren Hausaufgaben zu widmen. In ein paar Tage stand die Matheklausur an. Den Text der Viola musste sie auch noch lernen.