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Kapitel 6
ОглавлениеKonstantinopel, Juli 1408
Oliveras Herz hämmerte in ihrer Kehle. Der Schreck war ihr bis ins Mark gefahren und ihre Beine fühlten sich an wie Gummi. Fassungslos verfolgte sie, wie der Kerl auf dem Bock des Wagens diesen ungerührt weiter durch die Menschenmenge lenkte und sich nicht einmal nach ihnen umsah. Hatte er denn nicht bemerkt, dass eines seiner Fässer sie um ein Haar erschlagen hätte? Sie wischte sich mit zitternden Händen einen Tropfen Wein aus dem Gesicht.
»Bringt uns zurück!«, hörte sie ihre Yiayia schimpfen. »Was für ein Tölpel!« Trotz ihres Zorns war das Gesicht der alten Frau totenbleich und ihre Lippen bebten. »Bitte«, fügte sie leise hinzu, dann sackte sie in die Knie. Hätte Laurenz sie nicht gestützt, wäre sie im Staub gelandet.
»Meine Männer werden Euch nach Hause begleiten«, hörte Olivera ihn sagen. »Aber erlaubt mir, mit Eurer Enkelin die Einkäufe zu tätigen, die Ihr machen wolltet.«
Olivera sah, wie sich der Mund ihrer Großmutter zu einem Protest öffnete. Doch dann nickte sie und sagte resigniert: »Ihr habt recht. Ich brauche die Zutaten dringend.« Sie überlegte einige Augenblicke lang. Schließlich befreite sie sich von Laurenz’ Griff und rang darum, ihre Fassung wiederzuerlangen. »Du kommst mit mir«, sagte sie an einen der Knechte gewandt. »Und du wirst mit ihnen gehen.« Ihr Finger bohrte sich in die Brust des zweiten Mannes. Sie trat auf ihre Enkelin zu und kramte in der Tasche ihres Obergewandes, bis sie ein gefaltetes Blatt Papier zutage förderte. »Hier.« Sie drückte Olivera die Liste und eine Geldkatze in die Hand. »Du findest alles bei Muzaffer, dem Osmanen. Sag ihm, dass ich dich geschickt habe. Dann wird er nicht versuchen, den Preis in die Höhe zu treiben.« Ihre Augen bohrten sich in die des Mädchens. »Es sollte nicht länger als eine Stunde dauern, die Besorgungen zu machen«, fügte sie hinzu. Die Warnung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Olivera nahm ihr das Papier aus der Hand und versprach: »Wir sind zurück, ehe du den Wein aus deinem Haar gewaschen hast.« Sie beugte sich zu ihrer Yiayia hinab und küsste sie auf die Stirn. »Mach dir keine Sorgen.«
Als ihre Großmutter wenig später in der Menge verschwand, überkam Olivera ein seltsames Gefühl der Freiheit. Noch niemals zuvor war es ihr gestattet gewesen, alleine Einkäufe zu tätigen! Bevor sie richtig begreifen konnte, was sie empfand, fasste Laurenz sie am Arm und fragte mit einem Lachen in den Augen: »Wohin darf ich Euch zuerst geleiten?«
Olivera wusste genau, dass sie schon wieder die Farbe gewechselt hatte. Doch in diesem Augenblick schien das, was ihr sonst so viel Ärger bereitete, bedeutungslos. Alles, was zählte, war der Mann an ihrer Seite! Sie hob den Kopf und sah ihm das erste Mal direkt und ohne Scheu in die Augen.
»Der Basar ist dort hinten«, erwiderte sie. »Dort, wo die Fahnen zu sehen sind«, fügte sie hinzu.
Laurenz nickte. »Dann lasst uns keine Zeit verschwenden. Sonst wird Eure Großmutter böse.« Er grinste. »Und das wollen wir ganz gewiss vermeiden.«
Sein Grinsen steckte an. Olivera spürte Übermut in sich aufsteigen, fühlte, wie es in ihr brodelte und schäumte wie in einer Flasche mit Seifenlauge. Am liebsten wäre sie wie ein Kind davongestürmt und hätte ihn mit sich gezogen, so wie sie es früher oft mit ihren Brüdern getan hatte. Da sie sich jedoch vor ihm und seinem Knecht nicht völlig zum Narren machen wollte, rang sie die Ausgelassenheit nieder. »Der Eingang ist neben dem großen Kornspeicher«, sagte sie stattdessen gezwungen ruhig. Sie deutete auf ein Gebäude, dessen Dach alle anderen Gebäude überragte. »Muzaffers Laden muss ganz in der Nähe sein.« Jedenfalls hoffte sie, dass ihre Erinnerung sie nicht täuschte.
Da sie ihre Großmutter erst einige Male auf den Markt begleitet hatte, war sie sich nicht ganz sicher, ob sie den Drogisten auf Anhieb finden würde. Derweil Laurenz sie behutsam zurück auf die Straße dirigierte, schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, der den Übermut zurückbrachte. Wenn sie so tat, als ob sie nicht wüsste, wo Muzaffers Stand sich befand, konnte sie den Ausflug vielleicht ausdehnen. Nicht einmal ihre Yiayia würde die Lüge durchschauen, wenn sie nur überzeugend genug war.
»Wartet«, bat sie Laurenz deshalb nach einigen Schritten und gab vor zu überlegen. »Ich glaube, das ist der falsche Eingang.« Sie hob entschuldigend die Schultern. »Es sieht alles so ähnlich aus.« Sie reckte sich auf die Zehenspitzen und sah sich um. »Wir müssen dorthin«, rief sie schließlich aus und zeigte nach Westen. Auch dort flatterten die Marktfahnen im Wind und lockten scharenweise Käufer an. Neben den Reitern, die im Sattel von Pferden thronten, schaukelten auch einige herausgeputzte Männer und Frauen auf Kamelen auf den Basar zu. Turbane und anderer Kopfputz leuchteten im Licht der Sonne. Die vom Wind herbeigetragenen Duftschwaden ließen Oliveras Nasenflügel zucken. Als sie einer Gruppe reicher Damen in offenen Sänften begegneten, beäugte sie neidisch deren Kleider und schielte eifersüchtig nach Laurenz. Aber dieser würdigte die Paradiesvögel lediglich eines kurzen Blickes, dann kehrten seine Augen zu Olivera zurück.
Es dauerte nicht lange, bis sie die Pforte des teilweise überdachten Marktes erreichten. Das Gedränge war inzwischen so dicht, dass Olivera und Laurenz sich näher kamen, als es der Anstand erlaubte. Deutlich konnte sie die Wärme seiner Haut durch den dünnen Stoff seines Seidenärmels spüren. Seine Hand, die eigentlich ihren Oberarm umfasst hielt, streifte mehr als einmal ihre Brust – und sandte abwechselnd kalte und heiße Schauer über ihren Rücken. Wenngleich sie sich in einem Meer aus Menschen befanden, war es einen winzigen Augenblick lang, als ob sie mutterseelenallein wären. Dann allerdings zwängte sich ein schmutziger Knabe zwischen ihren Beinen hindurch und der Zauber zerplatzte wie eine Blase.
»Hierher, mein Herr«, rief ein Süßwarenhändler, dessen Auslage klebrig glänzte. »Ihr wollt Eurer Begleiterin doch sicher eine Freude machen«, lockte er. »Kauft ihr ein Kadi-Häppchen. Oder ein Liebesplätzchen.« Er zwinkerte Olivera anzüglich zu. »Einen Marzipanfladen oder einen Amberkamm«, warb er weiter.
Laurenz schenkte Olivera einen fragenden Blick. »Möchtet Ihr?«, erkundigte er sich, aber die junge Frau schüttelte den Kopf.
»Nein«, erwiderte sie. »Sein Honig ist verwässert und in seinen Dattelpasteten sind Steine.« Sie öffnete den Mund und zeigte auf einen ihrer Eckzähne, aus dem ein winziges Stück herausgebrochen war.
Laurenz verzog schmerzhaft das Gesicht, zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. Wenig später kämpften sie sich wieder durch die Menschenmenge. Vorbei an Nussverkäufern, weiteren Süßwarenhändlern, Obst-, Fleisch- und Gemüseständen gelangten sie schließlich in einen Teil des Basars, in dem Händler aus aller Herren Länder ihre Spezialitäten anboten. Dort gab es osmanische Quitten, Challani-Pfirsiche, Lotusblumen aus Damaskus und eingesalzene Sperlinge. Außerdem lockten Ochsenaugen, Moschusäpfel und kunterbunt gefiederte Singvögel wahre Schwärme an Neugierigen an.
»Oh, seht nur!«, rief Olivera aus. Sie hatte einen großen grauen Vogel mit rotem Schwanz erspäht, der sie mit wachen Augen musterte. Sein gebogener Schnabel war weit geöffnet. Er gab einen Laut von sich, der klang, wie das Bellen eines Hundes. »Wie ist so etwas möglich?«, fragte sie.
»Möglich?«, wiederholte der Vogel und stieß einen Pfiff aus.
»Dieser Vogel ist etwas ganz Besonderes.« Ohne, dass sie es gemerkt hatten, war der Verkäufer zu ihnen getreten. In seinen Augen glomm Gier. »Könige verlangen nach dieser Art«, prahlte er und steckte den Finger durch die Stäbe des Käfigs.
Anstatt nach ihm zu hacken, wie Olivera vermutet hätte, knabberte der Vogel jedoch lediglich am Finger des Mannes und gackerte wie ein Huhn.
»Für einen halben Schilling gehört er euch.«
Olivera wich erschrocken zurück. »Ein halber Schilling!«, stieß sie hervor. »Das ist ja Wahnsinn!« Für einen Schilling konnte man sich eine ganze Kuh kaufen! Sie riss sich von dem wundersamen Tier los und sah zu Laurenz auf. »Ich glaube, Muzaffers Stand ist im nächsten Gang«, sagte sie mit einem letzten Blick auf den Vogel.
Ehe der Verkäufer das Tier dazu bringen konnte, weitere Kunststücke zum Besten zu geben, tauchten sie bereits erneut in den Strom der Kauflustigen ein. Etwa einen halben Steinwurf von dem Vogelhändler entfernt ragte ein rot-weiß gestreiftes Dach aus Zeltleinwand empor, das Olivera auf den ersten Blick erkannte.
»Wir haben es geschafft«, ließ sie Laurenz wissen. »Das ist Muzaffer.«
Der Mann, der mit Argusaugen über seine Auslage wachte, war klein und mager. Der Turban auf seinem Kopf schien viel zu groß, und sein runzeliges Gesicht wirkte abweisend. Als Olivera vor seinem Stand anhielt, musterte er sie und ihre beiden Begleiter misstrauisch.
»Wenn Ihr Schmuck und Tand sucht, seid Ihr hier falsch«, krächzte er auf Lateinisch. »Bei mir findet Ihr nichts.«
Olivera spürte, wie Laurenz sich versteifte. Daher zog sie eilig die Liste ihrer Großmutter hervor und sagte: »Meine Yiayia Loukia, die Salbenmacherin, schickt mich. Sie benötigt diese Dinge.« Sie reichte ihm das Blatt Papier und wartete, bis er es gelesen hatte.
Er murmelte einige unverständliche Worte. Dann – ohne Olivera weitere Aufmerksamkeit zu zollen – begann er, in aller Seelenruhe Töpfe und Körbe zu öffnen, abzuwiegen und Säckchen zu füllen. Das Ganze dauerte so lange, dass Olivera unruhig wurde. Sie hatten schon viel zu lange getrödelt! Ihre Großmutter wartete vermutlich bereits ungeduldig auf ihre Rückkehr. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, da das Gewimmel hinter ihnen wieder dafür sorgte, dass Laurenz sich dicht an sie drängen musste. Zum Teufel mit ihrem schlechten Gewissen! Auch wenn sie zu Hause der Unwille ihrer Yiayia erwartete, würde sie jede Sekunde dieses Ausfluges auskosten! Um die Folgen konnte sie sich später Gedanken machen. Ein Brummen des Drogisten lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf das, was er tat. Mit spitzen Fingern griff der Osmane soeben in ein Behältnis, das menschenförmige Wurzeln enthielt.
»Ich habe nur männliche Alraunen, keine weiblichen«, informierte er sie. »Der Hund ist gestorben, bevor er die weiblichen ernten konnte.«
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Laurenz fragend die Brauen in die Höhe zog. »Jeder, der versucht, eine Alraune zu pflücken, stirbt«, erklärte sie. »Ihr Schrei ist tödlich. Nur ein Hund darf sie mithilfe einer Kette aus dem Boden ziehen. Und auch er stirbt oft, bevor genug geerntet ist.« An den Drogisten gewandt, sagte sie: »Dann gebt mir männliche.« Wenn sie sich recht erinnerte, war das Geschlecht der Pflanze unwichtig für die Herstellung von Tränken. Laurenz schüttelte verwundert den Kopf, verfolgte jedoch offensichtlich fasziniert, wie der Osmane die Wurzeln verpackte und Olivera schließlich alles über den Tisch reichte.
Nachdem sie ihn bezahlt hatte, stieg ein Seufzen in ihr auf. Jetzt, wo alles besorgt war, gab es keinen Grund mehr, länger auf dem Markt zu verweilen. Auch wenn sie am liebsten noch stundenlang mit Laurenz durch die engen Gassen zwischen den Läden geschlendert wäre, rief die Pflicht. Sie ließ sich von dem Knecht die Einkäufe abnehmen und sagte bedauernd: »Meine Großmutter wartet sicher schon auf uns.«
Laurenz’ Gesicht spiegelte ihre eigene Enttäuschung wider. »Dann sollten wir uns schleunigst auf den Heimweg machen«, sagte er mit wenig Begeisterung. Er bahnte ihnen einen Weg durch die Menge, aber als sie einen von Kastanien überschatteten Platz im Herzen des Basars erreichten, hielt er abrupt an. »Würdet Ihr hier auf mich warten?«, fragte er. »Ich habe etwas vergessen.« Er winkte seinen Begleiter herbei und wies auf ein Wasserspiel, in dessen Nähe sich einige Damen ausruhten. »Gib auf sie acht wie auf deinen eigenen Augapfel«, befahl er dem Mann mit einem drohenden Blick.
Und ehe Olivera begriffen hatte, was geschah, war er im Getümmel verschwunden. Was, um alles in der Welt, hatte er vor? Die Antwort auf diese Frage erhielt sie keine zehn Minuten später. Breit grinsend, mit einem abgedeckten Gegenstand in der Hand kehrte Laurenz zu ihnen zurück.
»Was ist das?«, platzte sie neugierig heraus.
»Ein Geschenk für Euch«, erwiderte Laurenz stolz und lachte, als ein Husten unter dem Tuch hervordrang. Olivera riss fassungslos die Augen auf.
»Ihr habt doch nicht etwa …?«, hub sie an.
»Ihr habt doch nicht etwa?«, krächzte es.
Sie schlug die Hand vor den Mund. Er hatte den Vogel für sie gekauft! Einen Augenblick lang war sie sprachlos, dann hauchte sie: »Wie kann ich Euch nur danken?«
Zu ihrem grenzenlosen Erstaunen sah sie, dass zwei rote Flecken auf den Wangen ihres Begleiters tanzten. Er beugte sich zu ihr hinab und flüsterte dicht an ihrem Ohr: »Ihr könntet mir irgendwann einen Kuss dafür schenken.«
Oliveras Herz machte einen Überschlag. Meinte er das ernst? Hatte er so viel Geld ausgegeben, nur um sich einen Kuss von ihr zu erkaufen? Sein Atem kitzelte sie, und eine Gänsehaut überzog ihre Arme.
Er richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. »Euer Lächeln ist mir Dank genug«, sagte er, als wären die Worte gerade eben nichts weiter als ein Scherz gewesen. Olivera fasste sich an den Kopf – als könne sie dadurch das Schwirren darin unterbinden. Ihre Fingerkuppen wanderten weiter zu der Stelle, an der sein Mund ihr Ohr fast berührt hätte. Sie brannte wie Feuer. Verwirrt und aufgewühlt stand sie einige Momente lang sprachlos da und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Es war eine ungeheuerliche Bitte! Und doch beinhaltete diese Bitte alles, wovon sie in den vergangenen Tagen jede Nacht geträumt hatte. War es nicht ihr Ziel gewesen, ihn zu betören? Wie im Traum registrierte sie, dass er sie wieder beim Arm fasste und auf den Ausgang zuführte. Was auf dem Weg zurück zum Haus ihres Vaters geschah, wusste sie später nicht mehr. Alles, woran sie sich erinnerte, war, dass sie sich plötzlich im Hof wiederfand – umgeben von wohlbekannten Gesichtern.
»Eure Großmutter ist noch in der Badestube«, drang die Stimme einer Magd wie durch dichten Nebel zu ihr vor. »Ihr sollt die Einkäufe aufräumen und dann zu ihr kommen«, fügte das Mädchen hinzu. Dann war es verschwunden.
Genau wie Laurenz, der sich mit einer kleinen Verbeugung von ihr verabschiedete, bevor sie ihm ein weiteres Mal für das Geschenk danken konnte. Obgleich ihr Verstand ihr sagte, dass er nicht an ihrer Seite blieb, um Gerede zu vermeiden, fühlte ihr Herz sich an, als habe jemand ein Stück herausgeschnitten. Die Glückseligkeit, die noch vor Kurzem bewirkt hatte, dass sie sich leicht fühlte wie ein Schmetterling, löste sich ohne Vorwarnung in Luft auf. Sie presste die Hand auf ihre Brust. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie fürchtete, es könne zerbersten.
Eine Zeit lang starrte sie auf die Stelle, an der Laurenz bis vor wenigen Augenblicken gestanden hatte, dann fasste sie einen Entschluss. Es würde heute geschehen! Sie musste die Gunst der Stunde nutzen! Wenn sie jetzt nicht tat, was sie sich vorgenommen hatte, würde ihr der Mann, den sie mit jeder Faser ihres Körpers begehrte, durchs Netz schlüpfen. Und das durfte sie nicht zulassen! Nicht jetzt, wo er deutlich gemacht hatte, dass er das Gleiche für sie empfand wie sie für ihn. Mit unsicheren Händen nahm sie den Käfig vom Boden auf und griff nach dem Korb. In der Arzneiküche angekommen, stellte sie alles achtlos auf einen der Tische und kramte in ihrer Tasche. Wenn sie nicht in der Badestube erschien, würde ihre Yiayia nach ihr suchen. Sie musste also nur den richtigen Zeitpunkt abpassen, damit alles so vor sich ging, wie sie es sich ausgemalt hatte. Sie steckte sich einige Fingerspitzen geraspeltes Süßholz in den Mund und kaute darauf herum. Dann kletterte sie auf einen Schemel und lugte durch das winzige Fenster, von dem aus man den Hof überblicken konnte. Sie musste nicht lange warten. Das Süßholz war kaum zu Brei zerkaut, da erschien die alte Frau auf der Schwelle der Badestube. Hastig spuckte Olivera den Brei aus und schürzte die Lippen, damit der durch das Kauen schaumig gewordene Speichel vor ihren Mund trat. Im Anschluss daran sprang sie zu Boden, schlang die Arme um ihren Oberkörper und atmete so schnell sie konnte ein und aus. Immer wieder und immer wieder, bis ihr schließlich schwarz vor Augen wurde. In dem Moment, in dem sie sich behutsam zu Boden sinken lassen wollte, schwanden ihr jedoch die Sinne. Die Beine knickten wie Strohhalme unter ihr weg und sie fiel nach hinten. Ihr Kopf schlug mit einem dumpfen Geräusch auf der Tischkante auf. Benommen registrierte sie einen stechenden Schmerz und ein klebriges Gefühl an ihrem Hinterkopf. Dann verlor sie das Bewusstsein.