Читать книгу Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg - Страница 13
Kapitel 7
ОглавлениеKonstantinopel, Juli 1408
Lange Zeit, nachdem die Tür der Arzneiküche hinter Olivera ins Schloss gefallen war, sah Laurenz sie in Gedanken immer noch vor sich stehen. Sah das Leuchten in ihren dunklen Augen, die Röte auf ihren Wangen und hörte ihre klingende Stimme. Wenn er einatmete, vermeinte er den Duft zu riechen, den sie verströmte. Die Wirkung, die sie auf ihn hatte, verunsicherte ihn. Das Verlangen, sie zu berühren und ihre köstlichen Lippen zu küssen, war so überwältigend, dass es wehtat. Sie brachte ganz eindeutig das Gleichgewicht seiner Körpersäfte durcheinander! Und sie war nicht nur schön, sondern auch klug. Ihr Latein war beinahe besser als seines – hatte er doch nur einige wenige Jahre auf der Tübinger Pfarrschule zugebracht. Was würde er dafür geben herauszufinden, ob sie auch in anderer Hinsicht eine so gute Schülerin war! Er stöhnte leise und rückte zum wiederholten Mal seine Männlichkeit zurecht. Als ob du noch nie eine Frau gesehen hättest!, schalt er sich. Er lenkte seine Gedanken auf etwas anderes und schnitt eine Grimasse, da der Versuch von keinem besonderen Erfolg gekrönt war. Warum hatte er ihr nur diesen Vogel kaufen müssen? Für einen halben Schilling hätte er sich besser die Dienste einer Dirne, eines Dutzend Dirnen, geleistet! Er biss die Zähne aufeinander und beschloss, sich mit einem erneuten Besuch des Marktes abzulenken. Einige der Dinge, die er dort gesehen hatte, ließen sich bestimmt in Tübingen für teures Geld weiterverkaufen. Schließlich wollten sich die Gemahlinnen der reichen Oberstädter genauso herausputzen wie die Damen aus Stuttgart – der Hauptstadt der Grafschaft Württemberg. Warum sollte er die Gelegenheit nicht beim Schopfe packen?
Er schob die Hände in die Taschen seiner Schecke und kehrte lustlos zurück in den Hof, den er beinahe fluchtartig verlassen hatte. Er würde im Stall nach dem Rechten sehen und einem der Burschen befehlen, seinen Rappen zu satteln. Seine Zehen schmerzten. Ganz offensichtlich war er es nicht mehr gewöhnt, zu Fuß zu gehen. Dieses Mal würde er hoch zu Ross durch die Menge traben, anstatt sich den Weg mit den Ellenbogen freizukämpfen. Vielleicht würde ihm dann auch die Hitze etwas weniger zusetzen. In Oliveras Begleitung war ihm die sengende Sonne nicht ganz so unangenehm erschienen. Aber jetzt, allein im Hof, kam es ihm vor, als briete er in einem Ofen. Er wollte gerade eines der Stalltore öffnen, als ihn ein Ruf innehalten ließ. »Laurenz!« Die Stimme seines Gastgebers klang aufgeregt.
»Laurenz!«, rief dieser erneut und fuchtelte wild in der Luft herum. »Kommt! Das müsst Ihr Euch ansehen!«
Selbst aus der Ferne konnte Laurenz den Eifer auf den Zügen des Mannes erkennen. Was war denn nun schon wieder? Hatte der Goldschmied endlich seine lang ersehnten Elefantenzähne erhalten? Befremdet registrierte er, dass diese Aussicht ihn nicht mit der Genugtuung erfüllte, die er erwartet hätte. Vielmehr schlich sich leises Bedauern ein, als er sich vorstellte, dass sein Aufenthalt in Konstantinopel früher als erwartet zu Ende gehen könnte. Es war wirklich wie verhext! Zuerst hatte er nicht schnell genug von hier fortkommen können. Und jetzt … Er brach den Gedankengang ab und folgte den Schatten der Gebäude, bis er Philippos erreichte.
»Was muss ich mir ansehen?«, fragte er. Sein Ton war schroffer, als er beabsichtigt hatte.
Sein Gegenüber schien seine Unhöflichkeit jedoch nicht einmal zu bemerken. »Andreas hat die ersten Behältnisse geliefert«, sagte er heiser und bestätigte somit Laurenz’ Vermutung. Er zupfte den jungen Mann am Ärmel. »Ihr müsst sie Euch selbst ansehen.«
Mit diesen Worten zog er Laurenz auf das Gebäude zu, in dem sich Laden und Kontor befanden. Dort – in einer Kammer neben der Treppe – warteten drei große Holzkisten auf sie. Der Deckel der vordersten war geöffnet und auf einem Tisch stand eine Reihe von Gegenständen. Bei deren Anblick stockte Laurenz der Atem. Allerdings waren es nicht das vergoldete Türmchen, die aufwendig ziselierten Kästen oder die mit Juwelen besetzten Phiolen, die sein Herz einen Schlag aussetzen ließen; sondern die zwölf fein säuberlich aufgereihten goldenen Köpfe. Er schluckte vernehmlich.
»Sind sie nicht wundervoll?«, schwärmte Philippos. Offenbar deutete er die Erschütterung seines jungen Gastes falsch. »Andreas ist ein wahrer Meister!«
Eine eisige Hand schien nach Laurenz zu greifen. Plötzlich kam ihm der Raum furchtbar kalt vor und er fröstelte.
»Seht, hier«, sagte der Kaufmann. Er hob einen der Köpfe auf und zeigte auf ein großes Loch direkt unter dem Ansatz des goldenen Haares. »Hier wird das Glas eingesetzt.« Er drehte den Gegenstand um und redete weiter auf Laurenz ein.
Doch dieser hörte kaum mehr, was sein Gegenüber sagte. Ohne Vorwarnung sah er sich in Gedanken auf den Kirchplatz hinter der Tübinger Jakobuskirche versetzt. Als befände er sich tatsächlich dort – Tausende von Meilen entfernt – vernahm er das Geräusch von Hacken und Schaufeln. Vor seinem inneren Auge wurde er Zeuge, wie Männer ohne erkennbare Gesichter Tote aus ihren Gräbern zerrten und diese achtlos auf einen Karren warfen. Die Kälte breitete sich in ihm aus. Er hatte gewusst, was geschehen würde – wofür sein Auftraggeber die Behältnisse benötigte. Gleichwohl war es ihm gelungen, den wahren Grund für sein Hiersein zu verdrängen – selbst als er das Glas des Phiolarius in den Händen gehalten hatte. Immerhin würde er auch einen ganzen Wagen voller seltener Gewürze mit nach Hause bringen – nicht nur diese furchtbaren Dinge! Er trat, plötzlich angeekelt, einen Schritt zurück und schlug die Hände vors Gesicht. Ein Stöhnen fand den Weg über seine Lippen. Für diese grauenhafte Sünde würde er bis in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren. Seine Fantasie gaukelte ihm Bilder vor, die ihn noch mehr schaudern ließen: Nackte Leiber, in einem reißenden Blutstrom kochend, von Kentauren gepeinigt und immer wieder in die Fluten zurückgestoßen; Lästerer, gefangen im Sand, auf die beständig Feuerflocken niederprasselten; Verstümmelte, die kopfüber in Felslöchern steckten, während ihre Fußsohlen lichterloh brannten; und schließlich Schreiende, deren Münder sich mit Pech füllten, wenn sie in einem Graben versanken und für immer verschwanden.
Eine Hand legte sich auf seinen Arm.
»Was ist mit Euch?«, fragte Philippos.
Laurenz zuckte zusammen und versuchte, die grauenvollen Bilder mit einem Blinzeln zu vertreiben. »Nichts«, log er. Seine Stimme strafte ihn Lügen.
»Macht Euch nur nicht allzu viele Gedanken«, versuchte der Grieche ihn zu beruhigen. Scheinbar wusste er genau, was Laurenz auf der Seele brannte. »Es ist ja nicht so, als ob wir die Ersten wären, die so etwas tun«, setzte er wegwerfend hinzu. »Wer weiß, wie viele Reliquien überhaupt echt sind.« Sein Mund verzog sich zu einem verschlagenen Lächeln. »Gott hätte gewiss nichts dagegen, dass noch mehr Menschen die Gebeine der Heiligen verehren können. Auch wenn diese vielleicht nicht ganz so heilig sind, wie die Pilger denken.« Er lachte meckernd. »Und die Toten schert es sicher auch nicht mehr.«
Laurenz starrte ihn mit leerem Blick an. Hatte der Kerl denn überhaupt keine Angst vor dem Jüngsten Gericht? War ihm nicht klar, dass sie durch diesen Betrug ihre Seelen an den Leibhaftigen verpfändeten? Er zog die Schultern hoch und schloss einen Moment lang die Augen. Hätte er sich doch nur niemals auf diesen Handel eingelassen! Damals war ihm alles so einfach erschienen – so lächerlich einfach! Er schlug die Augen wieder auf und starrte die Köpfe an. Warum hatte er nur nicht auf die Stimme in seinem Inneren gehört, die ihn gewarnt hatte, dass alles viel zu gut klang, um wahr zu sein? Warum war er nur so unglaublich dumm gewesen? Hätte er seinem Freund Bertram doch nur den Gefallen abgeschlagen und wäre nicht an dessen Stelle in das Haus in der Münzgasse gegangen! Er verkniff sich ein Schnauben. Vermutlich hatte Bertram ganz genau gewusst, was ihn dort erwartete, und die Unpässlichkeit nur vorgetäuscht.
Plötzlich befand er sich in Gedanken wieder in Tübingen; sah sich dem Schwager des Schultheißen gegenüber und hörte ihn kurz und hart lachen.
»Wenn Ihr nicht wollt, frage ich eben einen anderen«, hatte dieser kühl gesagt und sich zum Gehen gewandt. Allerdings war sein Angebot zu gut, als dass Laurenz es hatte ausschlagen können. Immerhin hatte sich dadurch vollkommen unerwartet eine Möglichkeit eröffnet, in die Oberschicht aufzusteigen. Und den Kramladen seines Vaters endgültig hinter sich zu lassen. Gier vernebelt das Gehirn, dachte er, als Philippos die Waren sorgfältig wieder verpackte. »Alles, was Ihr tun müsst, ist, die Behältnisse zu beschaffen«, hatte sein Auftraggeber gesagt. »Um den Rest braucht Ihr Euch nicht zu kümmern.«
Laurenz wich einen Schritt zurück, um Philippos Platz zu machen. Dass es sich bei dem »Rest« um das Schänden von Leichen und das Fälschen von Reliquien handelte, hatte er nicht gewusst. Allerdings war es zu spät gewesen, einen Rückzieher zu machen, als er davon erfahren hatte. Er hätte sich niemals die erste Reise nach Konstantinopel bezahlen lassen dürfen! Ärger über seine Einfältigkeit stieg in ihm auf. Es hätte ihm klar sein müssen, dass die ganze Angelegenheit einen Haken hatte. Andererseits war die Verlockung einfach zu groß gewesen, um ihr zu widerstehen. Nicht jeden Tag erhielt ein einfacher Krämersohn die Gelegenheit, in die Kreise der Fernhändler aufzusteigen – und somit vielleicht irgendwann im Rat der Stadt zu sitzen. Ein Köder, den vermutlich selbst sein ehrbarer Bruder Götz geschluckt hätte! Er presste die Kiefer aufeinander und straffte die Schultern. Es nützte nichts, sich zu grämen. Er war einen Handel mit dem Teufel eingegangen, also musste er zusehen, wie er das Beste daraus machte. Immerhin war ihm versprochen worden, dass dies seine letzte Reise sein würde. Also würde er zusehen, dass er sein Schäflein ins Trockene brachte. Vielleicht konnte er ja in der Zwischenzeit die verlockende Frucht pflücken, die ihm mehr und mehr den Kopf verdrehte. Wenn ihm gelang, was ihm vorschwebte, dann konnte er sich damit an seinem Gastgeber und dessen Spießgesellen rächen!