Читать книгу Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels - Silvia Stolzenburg - Страница 14
Kapitel 9
Оглавление»Nicht! Paul, lass das!« Gerlin löste sich mit einem Lachen von dem jungen Mann, der sie hinter eines der Wirtschaftsgebäude im Spital gezogen hatte, um sie zu küssen. Er war schlank, quirlig und so blond, dass sein Haar fast weiß wirkte. Seit einem halben Jahr war er der Gehilfe des Medicus Matthäus, kümmerte sich um Harngläser, Ohrenschalen und die Instrumente des Arztes und sorgte dafür, dass die Kranken sich an die Vorschriften der Schonkost hielten, die Matthäus ihnen verordnete.
»Wieso?« Seine grauen Augen blitzten schelmisch. »Gefällt es dir nicht?«
Gerlin spürte, wie sie bis an den Haaransatz errötete. Nach ihrer Befreiung aus dem Hurenhaus hatte sie sich geschworen, nie wieder zuzulassen, dass die Hände eines Mannes sie berührten. Aber Paul schien nicht zu sein wie die anderen Männer. Er war sanft, zärtlich und immer heiter. Gerlin hatte längst ihr Herz an ihn verloren. Da sie sich ihre Kammer im Spital mit einer anderen Magd teilte, hatten sie nicht oft Gelegenheit, sich unbeobachtet zu treffen. So war jeder Moment mit Paul wertvoll.
Sie fühlte das Prickeln und Brodeln in ihrer Brust, als Paul erneut ihre Lippen mit den seinen verschloss. Vorsichtig tastete er sich weiter vor, bis sich ihre Zungen in einem wilden Tanz liebkosten. Seine Berührung war so berauschend, dass Gerlin das Gefühl hatte, die Welt würde sich immer schneller um sie drehen. Obwohl sie wusste, dass ihr Verhalten sündig war, konnte sie sich nicht gegen Pauls Anziehungskraft wehren.
Seine Hände wanderten an ihrem Rücken entlang zu ihrem Gesäß.
»Nicht!« Sie wich vor ihm zurück und schüttelte den Kopf. »Wenn uns jemand sieht!«
Paul grinste. »Wer soll uns hier schon sehen? Außer den Spatzen auf den Dächern ist doch niemand in der Nähe.« Er machte Anstalten, sie erneut an sich zu ziehen.
»Ich … ich kann nicht«, stammelte Gerlin. Er wusste nichts von ihrer Vergangenheit, von dem, wozu man sie monatelang gezwungen hatte. Wenn er es herausfand …
»Ich dachte, du magst mich«, sagte er mit einem verletzten Unterton.
»Ich mag dich sogar sehr«, gab Gerlin zurück. »Aber …«
»Ich bin nicht nur auf ein Abenteuer mit dir aus«, unterbrach Paul sie. »Ich verdiene gutes Geld bei Matthäus. Genug, um eine Familie zu unterhalten.«
Gerlin sah ihn ungläubig an.
»Könntest du dir vorstellen …« Er zögerte einen Augenblick. »Würdest du …«
Gerlin hob die Hand und legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Sag nichts, was du bereuen könntest.«
»Ich will, dass du meine Frau wirst«, platzte es aus ihm heraus.
Gerlin glaubte, nicht richtig zu hören. »Du willst, dass wir heiraten?«
Er nickte. »Ich will dich nicht zu einer unehrlichen Frau machen«, beeilte er sich zu sagen. »Das wäre nicht recht.«
In Gerlin breitete sich eine bleierne Schwere aus. Sie war es nicht wert, dass er seine Liebe an sie vergeudete. »Ich …«, hob sie an, doch die Worte wollten nicht kommen.
»Du musst dich nicht sofort entscheiden«, sagte Paul. »Aber denk darüber nach. Bitte.«
Gerlin senkte den Blick. Du musst es ihm sagen! Der Gedanke ließ sie einen Schritt zurückweichen.
»Gerlin?« Er sah sie mit einer Mischung aus Bangigkeit und Enttäuschung an. »Gibt es einen anderen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein!«
»Dann bin ich nicht gut genug?«
Tränen stiegen in ihr auf. »Du bist mehr als gut genug«, flüsterte sie. »Ich …« Die Worte wollten nicht über ihre Lippen.
»Gerlin?« Er griff nach ihrer Hand.
Sie wagte nicht, ihn anzusehen. Zu groß war die Scham, zu gewaltig die Angst, dass er die Schande in ihren Augen lesen könnte.
Ein Rascheln und das Geräusch von Schritten, die sich näherten, retteten sie. Wäre sie doch bloß nie auf Pauls Werben eingegangen! Wenn sie ihn von Anfang an zurückgewiesen hätte, müsste sie ihn jetzt nicht so verletzen.
Paul ließ ihre Hand los. Zwei Mägde näherten sich und rissen erstaunt die Augen auf, als sie die beiden sahen.
Hastig strich Gerlin sich die Röcke glatt, mied Pauls Blick und eilte an den Mägden vorbei zurück in Richtung Hanselhof. Wie hatte sie nur so töricht sein können? Wusste sie es nicht besser? Sie war eine Hure, und nichts, absolut nichts, konnte daran etwas ändern! Welcher anständige Mann würde eine wie sie zur Frau haben wollen? Sie musste ihr Herz verhärten. Paul hatte etwas Besseres verdient als sie. Mit einer heftigen Bewegung wischte sie sich über die Augen und floh in die Siechenstube.