Читать книгу Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels - Silvia Stolzenburg - Страница 8

Kapitel 3

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»Vater! Hilf mir!« Die Worte waren kaum zu verstehen, da die Zähne des Mädchens heftig aufeinanderschlugen. Es sah Martin Groß so flehend an, dass sich Oliveras Herz zusammenzog.

»Die Frau wird dir den Schmerz nehmen«, sagte er mit einem Blick auf Olivera, nachdem er sich auf die Bettkante gesetzt und die zur Faust geballte Hand seiner Tochter vorsichtig in die seine genommen hatte. Er schien das Kind von ganzem Herzen zu lieben. »Bitte!« Die geröteten Augen richteten sich auf Olivera.

Erst jetzt sah sie, dass sich das Mädchen die Haare büschelweise ausgerissen hatte. Blutige Löcher klafften in ihrer Kopfhaut und ihre Beine begannen wieder, unkontrolliert zu zucken.

Olivera stellte ihren Korb ab, zog sich einen Schemel ans Bett und legte eine Hand auf die Stirn des Kindes. »Sie hat Fieber.«

»Könnt Ihr es senken?«

Oliveras Antwort ging in einem weiteren Schrei unter. Ohne Vorwarnung entriss das Mädchen seinem Vater die Hand und fing an, wild um sich zu schlagen und zu treten. Dabei schien ihr jede Bewegung Höllenqualen zu bereiten, da sich ihre Augen verdrehten und Schaum aus ihrem Mund quoll.

»Helft ihr! Bitte!« Martin Groß wich von der Bettkante zurück, da die Krämpfe seine Tochter immer stärker schüttelten.

Olivera holte Mutterkraut, Kamille und Fenchel aus ihrem Korb, vermischte alles miteinander und gab es in einen Becher. »Bring mir Wein!«, trug sie der Magd auf und rührte die Arznei an, sobald die junge Frau mit dem Gewünschten zurückkehrte. Dann wartete sie, bis sich der Anfall etwas legte, und flößte dem Mädchen den Trank ein.

»Wird sie das gesund machen?«, fragte Groß.

»Es sollte ihre Krämpfe lösen«, erwiderte Olivera, die etwas Derartiges noch nie gesehen hatte. Sie betastete den Bauch des Mädchens, doch anders als erwartet war dieser weder hart noch aufgedunsen.

Eine Weile sah es so aus, als ob die Heilpflanzen Linderung bringen würden, aber schon bald fing das Mädchen aufs Neue an zu stöhnen.

»Herr?« Ein Bursche tauchte im Türrahmen auf. »Der Medicus.«

Martin Groß bedeutete ihm, den Arzt ins Zimmer zu führen, der so hager war, dass er fast ungesund aussah. Sein Gesicht war lang und schmal, die braunen Augen sanft. Er war jung, doch etwas in seinem Gesicht verriet, dass er schon zu viel Leid gesehen hatte. Er nickte Olivera zum Gruß zu und sah den Hausherrn mit hochgezogenen Brauen an. »Geht es ihr immer noch nicht besser?«

Groß verneinte. »Ihr Zustand verschlechtert sich stündlich. Eure Kur hat nichts bewirkt.«

Die Zuckungen fingen erneut an.

»Ich habe ihr einen Trank gegen die Krämpfe verabreicht«, erklärte Olivera, als Matthäus’ Blick auf ihren Korb fiel. »Mehr wollte ich nicht tun ohne deinen Rat.«

Der Medicus seufzte. »Ich fürchte, hier bin ich ratlos«, gestand er. »Solch ein Leiden ist mir noch nie begegnet.« Er rieb sich das Kinn. »Zwei weitere Kinder sind daran erkrankt.«

»Was?« Martin Groß sah ihn ungläubig an. »Wollt Ihr behaupten, es handle sich um eine Seuche?«

»So weit würde ich nicht gehen«, entgegnete der Medicus. »Allerdings scheint es, als ob sich die Krankheit in der Stadt ausbreiten würde.« Er ging zum Bett und nahm die Hand des Kindes, um den Aderschlag zu fühlen. »Ihr Herz rast.«

»Dann tut etwas dagegen!«

»Ich wünschte, das könnte ich«, seufzte Matthäus. »Aber ich fürchte, in diesem Fall seid Ihr mit einem Priester besser beraten als mit einem Arzt. Alles, was ich tun kann, ist, ihr das Leid erträglicher zu machen.« Er suchte Oliveras Blick. »Oder ist dir etwas Ähnliches bekannt?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Verabreicht ihr stündlich zehn Tropfen hiervon«, sagte er und holte eine Flasche aus seiner Tasche.

»Was ist das?«

»Ein Elixier aus Bilsenkraut. Falls sich ihr Zustand trotzdem weiter verschlechtert, schickt nach mir.«

»Ihr wollt schon gehen?«, fragte Groß empört. »Was ist mit der Salbenmacherin? Sie sagt, sie dürfe meiner Tochter keine Arznei ohne Eure Zustimmung verabreichen!«

»Ich vertraue auf Oliveras Kenntnisse«, entgegnete der Medicus. »Alles, was sie für richtig hält, hat meinen Segen.« Mit diesen Worten verschloss er seine Tasche wieder, nickte Groß zu und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

»Wartet!« Der Ratsherr fasste ihn beim Arm. »Was …? Wie soll ich wissen …?«

»Vertraut auf Gott«, riet Matthäus ihm. »Und betet für ihre Seele.«

»Was ist mit den anderen Kranken?«, fragte Olivera. »Sollten wir nicht den Rat und den Spitalpfleger davon in Kenntnis setzen, was vor sich geht?«

Matthäus nickte. »Das hatte ich gerade vor.«

»Was soll denn das bringen?«, erboste sich Martin Groß, sobald der Medicus gegangen war.

»Falls es sich um eine Seuche handelt, ist es wichtig, den Rat rechtzeitig zu informieren«, antwortete Olivera.

Groß brummte etwas Unverständliches, dann sagte er: »Seht Ihr? Ich hatte Euch gesagt, dass seine Behandlungen nutzlos sind. Alles, was ihm einfällt, sind Suppen und Aderlass!«

Olivera betrachtete das Mädchen, dessen Gesicht wächsern dalag. Nach kurzem Zögern griff sie eine kleine Flasche aus ihrem Korb und gab sie dem Vater. »Falls das Bilsenkraut nicht anschlägt, gebt ihr alle zwölf Stunden zwei Tropfen hiervon.« Sie hob warnend den Zeigefinger. »Nicht mehr. Ihr könntet sie sonst damit umbringen.«

Er betrachtete das Fläschchen mit gerunzelter Stirn.

»Es enthält Mohnsaft«, erklärte Olivera, griff nach ihrem Korb und atmete schwer. »Ich wünschte, ich könnte mehr für sie tun, aber solch ein Leiden ist auch mir noch nie begegnet.«

»Es ist das Feuer des Antonius«, sagte die Magd tonlos. Sie hatte sich wieder in die Ecke zurückgezogen und umklammerte das Kruzifix an ihrem Hals.

Olivera sah sie fragend an. »Das Feuer des Antonius? Wie kommst du darauf?« Bei dieser Krankheit handelte es sich um etwas, das Oliveras Yiayia in Konstantinopel mehrfach versucht hatte zu heilen. Allerdings färbten sich die Glieder der Befallenen bei dieser Krankheit schwarz wie Kohle, da sie von Fäulnis zerfressen wurden. Die meisten starben elendig, einige blieben einem noch elendigeren Leben erhalten, nachdem sie die verfaulten Hände und Füße verloren hatten. Die Krankheit war nach dem Feuer benannt worden, das in den Kranken loderte und viele von ihnen dazu brachte, sich ins Meer zu stürzen.

»Das Dorf, aus dem ich komme«, sagte die Magd. »Dort gab es so was vor ein paar Jahren. Alle haben es das Anto­niusfeuer genannt.«

Olivera schüttelte den Kopf. »Du musst dich irren. Das Antoniusfeuer äußert sich anders.«

»Was ist dieses Antoniusfeuer?«, wollte Martin Groß wissen. »Wie könnt Ihr sicher sein, dass meine Tochter nicht daran leidet? Mit welchen Arzneien wird es behandelt?«

Olivera nahm die Hände und Füße des kranken Mädchens genauer in Augenschein. »Die Leute in deinem Dorf müssen an einer anderen Krankheit gelitten haben«, beschied sie schließlich. »Dennoch solltet Ihr nach mir schicken, falls sich ihre Extremitäten verfärben«, sagte sie an den Vater gewandt. Dann, nach einem letzten Blick auf das leise stöhnende Mädchen, verließ sie die Kammer und trat wenig später auf die Straße. Wenn sie doch nur wüsste, wie sie dem Kind helfen konnte! Trotz aller Ratlosigkeit beschloss sie, zurück in die Offizin zu gehen und in den gelehrten Büchern nachzuschlagen, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte.

Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels

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