Читать книгу Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels - Silvia Stolzenburg - Страница 19
Kapitel 14
Оглавление»Der Herr sagt, ich soll Euch fortschicken.« Die Magd, die Olivera und Matthäus die Tür geöffnet hatte, wich ihrem Blick aus und sah errötend zu Boden.
Die Kirchturmuhr hatte gerade die volle Stunde geschlagen und bis zur Dämmerung war es nicht mehr lange. Seit Olivera dem Waisenknaben die Arzneien verabreicht hatte, war genug Zeit verstrichen, um festzustellen, dass es dem Jungen besser ging. Die Krämpfe hatten sich gelegt und die Schmerzen schienen abzuklingen. Ermutigt von dieser Entwicklung, hatte Olivera ihn ein weiteres Mal mit Rosenöl eingerieben und ihm zusätzlich einen Umschlag mit gestampftem Schierling bereitet.
»Sag deinem Herrn, dass wir eine Arznei gefunden haben, die seiner Tochter das Leben retten kann«, trug Matthäus der Magd auf. »Wir müssen uns beeilen, sonst könnte es zu spät sein.«
Die junge Frau trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. »Aber er hat gesagt …«
»Geh schon!«, fiel Matthäus ihr ins Wort. »Wenn wir Clara nicht helfen, stirbt sie!«
Die Magd sah ihn erschrocken an. Dann nickte sie, lehnte die Tür an und verschwand.
Wenig später näherten sich schwere Schritte. Martin Groß erschien auf der Schwelle und blickte mit düsterer Miene auf sie hinab. »Was wollt Ihr?«, fragte er unwirsch.
»Es gibt vielleicht eine Arznei, die Eure Tochter retten kann«, erwiderte Matthäus.
»Dafür ist es zu spät. Gott hat entschieden, meine Tochter von ihrem Leid zu erlösen.«
»Ist sie …«
»Es kann nicht mehr lange dauern. Der Priester ist bei ihr. Er hat ihr die Beichte abgenommen.«
»Die Arznei wirkt. Ihr müsst uns zu ihr lassen!«, drängte Matthäus.
»So wie Eure anderen Tränke und Diäten?«, fragte Groß bitter.
»Einer der Insassen des Spitals zeigt deutliche Besserung.«
»Für Clara kommt jede Hilfe zu spät.«
»Wollt Ihr sie aufgeben?«, fragte Olivera fassungslos.
»Ich will ihre Qualen nicht unnötig verlängern«, war die Antwort.
»Aber sie kann womöglich gerettet werden!«, verlor Matthäus die Geduld. »Wenn Ihr uns nicht zu ihr lasst, seid Ihr für ihren Tod verantwortlich!«
Die Augen des Ratsherrn verengten sich. »Ich wäre an Eurer Stelle vorsichtig mit solchen Äußerungen«, knurrte er. »Wer hat denn all diese nutzlosen Salben und Tränke an meinem Kind erprobt? Woher soll ich wissen, dass nicht Ihr verantwortlich seid für ihren Zustand?«
Olivera traute ihren Ohren nicht. »Wollt Ihr dem Medicus die Schuld an der Seuche geben?«
»Das habe ich nicht gesagt. Aber warum, denkt Ihr, bin ich zu Euch gekommen? Weil seine Kur nicht anschlägt!« Er zeigte auf Matthäus. »Woher sollte ich wissen, dass Eure Mittel genauso wenig Wirkung zeigen?«
»Es ist eine kaum bekannte Krankheit«, entgegnete Olivera, um eine ruhige Stimme bemüht. »Ich habe in vielen Büchern nachschlagen müssen, um …«
»Eure Bücher interessieren mich nicht!«, unterbrach Groß sie barsch. »Meine Tochter hat nie an einer Krankheit gelitten. Ein Dämon hatte Besitz von ihr ergriffen! Hätte der Priester ihn nicht ausgetrieben, könnte sie nicht in Frieden gehen. Ich lasse nicht zu, dass Ihr sie weiter mit Euren wertlosen Arzneien quält!«
»Aber Ihr seid doch zu mir gekommen«, protestierte Olivera.
»Ein Fehler, den ich ganz sicher nie wieder machen werde!« Mit diesen Worten ließ Groß sie stehen und schlug ihnen die Tür vor der Nase zu.
»Ein Dämon?«, empörte sich Olivera. »Meint er das ernst?«
Matthäus seufzte. »Das war zu erwarten«, sagte er. »Immer wenn sich eine Krankheit nicht erklären lässt, entstehen früher oder später solche Gerüchte.«
»Aber das ist vollkommener Unsinn!«
»Ich stimme dir zu. Clara wird das allerdings nicht das Leben retten.«
»Wir können sie doch nicht einfach sterben lassen!« Olivera sah an der Front des Gebäudes empor.
»Wir können nichts ausrichten.«
»Aber …«
»Geh nach Hause«, riet Matthäus. »Wenn der Junge im Spital sich weiterhin gut erholt, können wir wenigstens die anderen Kranken heilen.«
Olivera spürte Wut in sich aufsteigen. Wieso ließ dieser verbohrte Patrizier sie nicht zu seiner Tochter? Wie konnte man nur so dumm sein? Selbst wenn die Krankheit schon zu weit fortgeschritten war, würde ihr die Medizin Linderung verschaffen. Die Ohnmacht machte sie noch wütender. Einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, sich durch das Hoftor aufs Grundstück zu schleichen und abzuwarten, bis der Hausherr beim Essen war. Allerdings vermutete sie, dass der Priester nicht von der Seite des kranken Mädchens weichen würde. Alles, was sie sich mit einer solchen Aktion einhandeln würde, war gewaltiger Ärger.
Mit einer Verwünschung auf den Lippen tat sie es Matthäus gleich, machte kehrt und beschloss, nach Hause zu gehen.
»Was ist passiert?«, fragte Götz sie, als sie das Haus betrat. Er stand im Verkaufsraum hinter dem Tresen und räumte einen großen Topf zurück ins Regal.
Sie sagte es ihm.
»Diese Seuche beschäftigt inzwischen fast jeden in der Stadt«, stellte Götz fest. »Ich war im Rathaus. Die anderen wollen eine Sitzung einberufen, um über die Maßnahmen zu entscheiden, die getroffen werden müssen. Anscheinend reden die Leute von einem Fluch des Teufels.« Er kam hinter dem Tresen hervor. »Ich war außerdem beim Fluss.«
Olivera runzelte die Stirn, dann begriff sie. »Der Ring?«
Er nickte.
»Gott sei Dank!« Die Furcht vor Entdeckung vertrieb die Gedanken an Clara und die anderen Kranken. »Was ist mit der Straße?«
Götz schüttelte den Kopf. »Die führt meilenweit am Hof des Alten Endris vorbei. Was auch immer Jona aufgeschnappt hat, war nichts als dummes Gerede.«
Olivera atmete durch. »Dann hat Mathes vermutlich recht. Wir sollten alles so lassen, wie es ist. Alles andere wäre zu gefährlich. Wir müssen uns vom Hof des Alten Endris fernhalten.«
»Ich bin mir nicht sicher.« Götz lehnte sich an den Tresen. »Was, wenn noch mal jemand über das Grab stolpert?«
»Ohne den Ring wird niemand wissen, um wen es sich bei den Toten handelt.«
»Und wenn doch?«
»Sollten wir Nürnberg endlich verlassen«, sprach Olivera aus, was sie beschäftigt hatte. »Wie oft werden wir uns noch auf unseren Schutzengel verlassen können? Diese Seuche …« Sie hob die Hände. »Was, wenn man wieder uns die Schuld geben will?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte Götz. »Die Leute glauben, der Teufel hätte seine Hände im Spiel.«
»Und wenn sich das ändert? Wenn wir jetzt unsere Sachen packen und fortgehen, wird uns niemand aufhalten.«
»Es ist Herbst. Der Winter steht vor der Tür«, gab Götz zu bedenken. »Wir sollten in aller Ruhe darüber nachdenken. Falls du im Frühjahr immer noch fort willst, suchen wir uns eine neue Bleibe. Einverstanden?«
Olivera nickte. Hoffentlich war es bis dahin nicht zu spät.