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Demut in anderen Weltreligionen

Meine Gedanken wanderten zu den anderen Weltreligionen. Immerhin gibt es neben dem Juden- und Christentum doch auch noch andere Glaubensrichtungen, die sich durch eine hohe Anzahl von Anhängern auszeichnen: den Islam, den Hinduismus und den Buddhismus. Ich fragte mich, welche Funktion und Definition die Demut bei ihnen einnimmt. Gibt es Gemeinsamkeiten? Gibt es Unterschiede?

Um Antworten zu finden, suchte ich Kontakt zu Menschen, die diesen Glaubensrichtungen angehören. Zusätzlich zog ich Literatur heran, um meine in den Interviews gewonnenen Einsichten zu prüfen und zu untermauern. Im Verlauf wurde mir klar, dass den Weltreligionen Islam, Hinduismus und Buddhismus das oben ausgeführte Demutsverständnis fremd ist. Sie kritisieren es z. T. sogar als Verantwortungslosigkeit (Ratschow, 1980). Der Mensch, der sich auf den Kreuzestod Jesu beruft, bzw. sich von etwas Externem retten lässt, ohne selbst aktiv zu werden, erliegt der Passivität und Bequemlichkeit heißt es. Islam, Hinduismus und Buddhismus ermutigen daher zur Eigeninitiative und Eigenleistung. Wie das im Einzelnen genau aussieht, werde ich nachfolgend kurz erläutern.

Islam

Der Islam knüpft im Gegensatz zur jüdisch-christlichen Ethik an die Definition der Antike [tapeinophrosỵnē] an und folgt dem agonistischen (kämpferischen) Prinzip, in welchem Gott mit seinen Eigenschaften und seiner Gestalt für den Menschen nicht wirklich fassbar ist. Es geht darum, möglichst viel Ruhm und Ehre zu erlangen und im Wettstreit als Sieger hervorzugehen. Ein Muslim bzw. eine Muslima ist daher bestrebt, den Sittenkodex zu erfüllen, indem er bzw. sie alle nötigen Rituale befolgt und bestimmte Verhaltensweisen praktiziert. Sowohl ihre Wertvorstellungen als auch das richtige Benehmen sind allerdings sehr stark kulturell geprägt.

Im Islam ist Gott (Allāh) souverän und agiert, wie er es für richtig hält. Was auch immer er befiehlt, tritt ein. Da Gottes Wille jedoch situationsabhängig ist und immer wieder neu erfragt werden muss, gibt es im Islam keine durchgängige Ethik, Moral, oder Philosophie des Guten. Das Konzept der Demut ist dem Muslim bzw. der Muslima daher unbekannt. Nichtsdestotrotz gibt es Charaktereigenschaften und Ordnungen, die das ideale Handeln eines Muslims und einer Muslima bestimmen (Antes, 1980). Gegen Ende der mekkanischen Periode hat der Prophet und Gottgesandte Muhammed zwölf Vorschriften niedergeschrieben, in denen der Gläubige u. a. dazu aufgefordert wird, den Eltern mit Ehrerbietung zu begegnen. In diesem Zusammenhang ist von Selbsterniedrigung die Rede. Diese Selbsterniedrigung wird als eine Form der Achtung vor dem Alter gesehen, die sich in respektvollen Äußerungen und angemessenen Hilfszuwendungen zeigt (Schall, 1975).

Da die Antike nachhaltigen Einfluss auf das islamische Denken ausübte, wird der Begriff der Demut, ebenso wie jener der Überheblichkeit, negativ gedeutet und abgelehnt (vgl. Koran 17, 22-38 und Antes, 1980, S. 195).

Hinduismus

Im Hinduismus gibt es eine Vielzahl von Lehren, die sich z. T. sehr unterscheiden. Nicht zuletzt durch den westlichen und wirtschaftlichen Einfluss der letzten hundert Jahre ist ein Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis bzw. zwischen den Regeln des Alltags und des Handelns in der Welt entstanden. Sie zwingen den Hindu dazu, neue Maßstäbe zu suchen, die für ihn selbst und zugleich für sein gesellschaftliches Umfeld akzeptabel sind. So wird z. B. dharma – der Begriff, der Religion, Moral und die damit zusammenhängenden Pflichten beinhaltet – zunehmend von der Kastenordnung gelöst, so dass neuerdings Charakter und Begabung eines Menschen ausschlaggebend für seine Berufswahl sind und nicht mehr die Geburt.

Trotz des stattfindenden Wandels bemüht sich der Hindu auch heute noch um gutes karma, welches er durch rechtes Verhalten und den Besitz der Tugenden Geduld, Zufriedenheit, Reinheit, Bemühung, reine Gedanken, Freiheit von Kleinlichkeit und Geiz und durch Neidlosigkeit sammeln kann und welches ihm die Wiedergeburt in ein besseres und glücklicheres Leben sichert. Sein Ziel ist letzten Endes die vollständige Freiheit von menschlicher Begierde und die Einswerdung seiner Seele ātman mit dem Göttlichen brahman.

Hindus wollen über die Welt hinauswachsen, um die innere Weisheit zu gewinnen, die das Handeln wie von selbst lenkt. Die Haltung der Demut inklusive Selbsterkenntnis, Selbstbeherrschung, Gleichmut, bescheidener Beschränkung, Ehrfurcht vor allem Lebenden, Mitleid und Wohltätigkeit und Uneigennützigkeit dient genau diesem Zweck (vgl. Sontheimer, 1980). Dieses Motiv unterscheidet das hinduistische Verständnis der Demut vom jüdisch-christlichen Ansatz.

Buddhismus

Der Buddhismus versteht die Wirklichkeit und den Menschen als Dinge, die sich in einem fortwährenden Kreislauf befinden. Beides ist einem ständigen Wandel und der Vergänglichkeit ausgesetzt, welches wiederum Leid produziert. Es gibt nichts von Beständigkeit, weshalb auch die Existenz Gottes ausgeschlossen wird. Alles befindet sich im Fluss. Das eine bedingt das andere und so entsteht eine endlose Kette, ohne Anfang und Ende (Gerlitz, 1980). Nur durch Beschreiten des achtfachen Pfades – mit rechter Erkenntnis, Gesinnung, Rede, Tun, Lebensunterhalt, Anstrengung, Achtsamkeit und Sammlung – kann man Erlösung finden (Gerlitz, 1980, S. 275).

Im Buddhismus gibt es kein Selbst als selbstständiges und ewiges Wesen. Es geht auch nicht um die Bewusstwerdung und Entfaltung des Ichs im Zusammenspiel und im Kontakt mit Anderen, sondern um das Vermeiden von Gier, Hass und Verblendung (Gerlitz, 1980, S. 256). Durch das Überwinden dieser drei Entstehungsgründe des Handelns kann der Leid produzierende Kreislauf von Geburt zu Wiedergeburt beendet und das Nirvāna, welches die völlige Aufhebung, Aufgabe, Verleugnung der Begierden und Täuschungen bedeutet, erreicht werden. Erst aus dieser erreichten Ichlosigkeit heraus, aus der Erfahrung der Ganzheit – dem Sein selbst – kann das selbstlose Leben entstehen, welches sich durch Güte und Demut auszeichnet (Gerlitz, 1980, S. 282f; Nydahl, 2004).

Der Mensch braucht im Buddhismus kein Gegenüber, um Demut zu erlernen, sondern ist fähig, es mit Hilfe der verkündeten Lehre und durch sein eigenes, selbstständiges Handeln zu erreichen (Gerlitz, 1980, S. 285). Hierin liegt der Unterschied zur jüdisch-christlichen Demut. Im jüdisch-christlichen Verständnis geht es um das Erkennen, Annehmen und Entwickeln des Ichs durch die Begegnung mit einem Gegenüber, einer Person, einem Du.

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