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Warum Demut?
ОглавлениеDemut ist ein sehr umstrittener Begriff, der über die Jahrhunderte hinweg oft missverstanden wurde. Nicht selten wurde er mit Einflusslosigkeit und Schwäche assoziiert. Umso mehr überrascht es, dass in der letzten Zeit wieder verstärkt positiv über die Eigenschaft berichtet wird. So kam z. B. durch eine Studie, die Ende des letzten Jahrhunderts durchgeführt wurde, heraus, dass Demut auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten von großem Nutzen ist.
Dank einer Datenbank der University of Chicago Center for Research nahm der Management-Experte Collins (2005) weit über tausend Unternehmen unter die Lupe und analysierte sie bezüglich ihrer erbrachten Leistung. Er konnte insgesamt elf Betriebe ausfindig machen, die zwischen 1965 und 1995 ihr Kapital auffällig steigern und den Erfolg für mindestens 15 Jahre halten konnten. Das Interessante dabei war, dass sich diese Betriebe in Sachen Branche, Betriebsgröße, Alter und Zielgruppe nicht von ihrer Konkurrenz unterschieden. Als Collins und sein Team genauer hinschauten, stellten sie fest, dass der Erfolg von der Haltung der Führungskraft abhing. Sie fanden heraus, dass die Erfolgreichen – im Gegensatz zu den Durchschnittlichen – demütig waren. Für die Forscher zeigte sich die Demut der untersuchten Personen in ihrer Echtheit, Bescheidenheit, Lernbereitschaft, Zurückhaltung, Zuvorkommenheit, Höflichkeit, Dankbarkeit, Ruhe, Selbstreflektiertheit und Anderszentriertheit.
Professor Michael W. Austin (2014) berichtet Ähnliches. Er ist davon überzeugt, dass die Haltung der Demut beste Voraussetzung für Höchstleistungen im Sport liefert. Man hat z. B. herausgefunden, dass demütige Spitzensportler in der Lage sind, sich besser einzuschätzen. Sie wissen, in welchen Bereichen sie noch trainieren müssen und wie sie ihre Kräfte und ihr Können am besten einsetzen, um am Ende auf dem Gewinnerpodest zu stehen. Sie gehen durchaus Risiken ein, aber ohne anderen dabei zu schaden. Sie begegnen ihren Konkurrenten auf Augenhöhe und mit Selbstsicherheit. Außerdem lassen sie sich durch Beleidigungen nicht zur Unsportlichkeit provozieren. Im Mannschaftssport konnte man ähnliche, positive Effekte nachweisen. Ein demütiger Spieler war im entscheidenden Moment in der Lage, sich zurückzunehmen und zum besser positionierten Mitspieler, bzw. zur besser positionierten Mitspielerin abzuspielen. Demut, im Sinne von angemessener Selbsteinschätzung und Selbstlosigkeit, führt laut Austin zur Entmachtung des Egoismus, zu besserem Teamgeist, Fairness und zu athletischer Bestleistung.
Im medizinischen Bereich, wo es oft um Leben und Tod geht, gilt die Eigenschaft der Demut ebenso als unverzichtbar. Wenn z. B. ein Chirurg sich selbst oder die Möglichkeiten seiner Klinik überschätzt, kann dadurch viel Schaden am Patienten, aber auch an den verfügbaren Ressourcen entstehen. Der Pathologe Wittekind (2011) sieht die Demut als innere Stärke, die das Kennen der eigenen Grenzen voraussetzt und die Grundlage für eine Persönlichkeit bietet, die auch als Vorbild dienen kann. Er (2011, S. 158) schreibt:
Vorbilder sollen definiert werden als Persönlichkeiten, deren Handeln, deren Ziele und deren Erfolge nachahmenswert erscheinen und die diese Haltung in Form eines fairen Gebens und Nehmens vermitteln, also eine integre Persönlichkeit darstellen, mit der eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vorstellbar ist.
Für ihn beginnt Demut mit einer in sich ruhenden Person, die es nicht nötig hat, mit dem was sie hat oder vorgibt zu haben, anzugeben.
Demut scheint den Weg für Erfolg und Gewinnmaximierung zu ebnen. Nichtsdestotrotz sollte sie aber nicht nur als Mittel zum Zweck für Bestleistungen in einer Höher-Schneller-Weiter-Gesellschaft gesehen werden. Demut ist weitaus mehr. Sie ist anders und konträr zu dem, was man landläufig kennt. Und vielleicht ist es gerade diese Andersartigkeit, die so faszinierend und anziehend wirkt. Die unerwartete und überraschende Kraft und Wirksamkeit der Demut macht die Haltung attraktiv und erstrebenswert.