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Mobbing-Mythos 2: Mobbing-Opfer sind anders als die anderen

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Menschen sind soziale Wesen. Schon die Höhlenmenschen lebten in Gruppen. Wer von der Gemeinschaft ausgestoßen wurde, hatte viel geringere Überlebenschancen; die Zugehörigkeit zu einer Gruppe gehört also zu den ältesten und natürlichsten Bedürfnissen. Deshalb ist es für einen Menschen ein großer psychischer Druck, wenn er ausgegrenzt wird: In seinem tiefsten Inneren lodert schon die Angst aus Urzeiten auf. Außenseiter haben es schwer.

Und wer lässt sich am einfachsten in die Rolle des Außenseiters drängen? Derjenige, der von der Gruppe als „anders“ empfunden wird.

Die Geschichte beweist: Es gibt unendlich viele Merkmale, die dazu benutzt werden können, die angebliche „Andersartigkeit“ eines Menschen zu begründen: Aussehen, Herkunft, Religion, Dialekt, Interessen, ... Indem betont wird, wie stark sich der „Andere“ in einem einzigen Merkmal von der Mehrheit unterscheidet, geraten all die Gemeinsamkeiten, die er mit der Gruppe teilt, in Vergessenheit. Der Unterschied wird zum Stigma, und nimmt dem „Anderen“ die Menschlichkeit. Der Andere wird nicht mehr als Individuum angesehen, sondern nur noch als Fremdkörper, der durch seine Fremdartigkeit automatisch aus der Gruppe fällt.

Anderssein ist also einer der schwerwiegendsten Vorwürfe, den man einem Menschen machen kann. Das Anderssein dient der Gruppe als Rechtfertigung für Diskriminierung und Mobbing.

(Eine Bemerkung am Rand: Während der Satz „Du bist anders“ meist negativ gemeint ist und so viel bedeutet wie „Du bist anders als die anderen, und deshalb bist du schlecht“, ist der Satz „Du bist besonders“ positiv gemeint und heißt so viel wie: „Du bist anders als die anderen, und deshalb gut“. Verrückte Welt!)

Zum Glück verbietet das Grundgesetz die gravierendsten Formen der Diskriminierung. „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Wenn trotzdem ein Mensch wegen eines dieser Merkmale diskriminiert wird, ist das unentschuldbar.

Die meisten Mobber wissen natürlich, dass sie ihre Mobbingattacken nicht mit hämischen Hinweisen auf die Hautfarbe, die Nationalität, die Religion usw. des Opfers führen dürfen, sonst könnte das Opfer ihnen Diskriminierung vorwerfen. Sie bauen ihre Argumentation anders auf, gehen subtiler vor. Also wählen sie Eigenschaften des Opfers aus, die nicht im Grundgesetz erwähnt werden: Figur, Dialekt, Interessen, Schulbildung – schon kleinste Besonderheiten, durch die sich das Opfer von der Gruppe unterscheidet, reichen aus, um zum Makel aufgebaut zu werden. Sogar geringste Abweichungen von dem in der Gruppe vorherrschenden Durchschnitt nach oben oder unten werden zur Kluft, die das Opfer von der Allgemeinheit trennt. Wer einen geringeren oder höheren Schulabschluss als die anderen hat, ist „anders“; wer den falschen Fußballverein mag, ist „anders“, wer aus einem anderen Bundesland stammt, ist „anders“. Auch das Privatleben wird durchleuchtet und etwaige Interessen, die nicht alle haben, werden ebenfalls als Beweis benutzt, wie „anders“ und „blöd“ das Opfer doch ist. Dass das Privatleben im Beruf nichts zu suchen hat, vergessen die Mobber selbstverständlich gerne. Sogar eindeutig wertvolle private Tätigkeiten wie Pflege von Angehörigen oder Engagement für soziale Projekte werden manchmal von den Mobbern geschmäht und verspottet.

Selbst winzige Eigenheiten des Opfers, die keinem wehtun und niemanden kränken, wie zum Beispiel typische Gesten, die Art, sich zu bewegen, oder die Stimme werden nach Lust und Laune der Mobber zu riesigen Charakterfehlern ernannt. Irgendwann sickern diese Bosheiten auch in den Kopf des Opfers, und es empfindet sich als absolut misslungene, furchtbar falsche Persönlichkeit, ein Leuchtturm der Blamage! Aber seine „Andersartigkeit“ kann es nicht ändern, viele Merkmale sind nicht so einfach abzulegen wie eine Brille oder ein Hobby. Schuldgefühle zernagen das Opfer von innen, Schuldgefühle, weil die Andersartigkeit in seiner Existenz begründet liegt, und weil es sein Umfeld mit dieser unerträglichen Existenz belästigt.

Das ist absolut falsch. Alle Menschen haben mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Das Wichtigste zuerst: Wir alle sind Menschen. Wir alle haben ein Gehirn, wir alle haben Emotionen, wir alle haben dieselben Grundbedürfnisse, und wir alle wünschen uns Wertschätzung, nicht Ablehnung.

Unsere unterschiedlichen Nationalitäten sind nur Konstrukte der Geschichte und der Bürokratie, und lassen keine Rückschlüsse auf unseren Charakter zu. Unsere Religion ist Privatsache, unsere Hautfarbe tut keinem weh, und ob wir Mann oder Frau sind, Männer oder Frauen lieben, ist egal, und ändert nichts an der Tatsache, dass wir einfach nur Menschen sind, genau wie die restlichen sieben Milliarden. Die „Andersartigkeit“ des Mobbing-Opfers besteht nur aus Eigenschaften, die ein Mobber willkürlich als Fehler ansieht. Eine natürliche Grenze zwischen „Anders“ und „Richtig“ gibt es nicht – sie wird nur gezogen von Menschen mit bösen Absichten. Folgendes Gedankenspiel zeigt, wie willkürlich Mobber ihre Auswahl treffen, was „normal“ ist und was „anders“: Anstatt den einzigen alleinerziehenden Kollegen zu mobben, könnten die Mobber doch auch alle braun-, blau- und grünäugigen Mitarbeiter gegen den grauäugigen Kollegen aufhetzen. Der hat graue Augen, keiner sonst, der ist „anders!“ Anstatt dass alle auf dem Sachsen herumhacken, weil der nicht so babbeln kann wie die anderen, könnte man doch auch die Frau mit dem Halbtagsjob ausgrenzen, die arbeitet als einzige halbtags, die ist „anders!“. Oder die Linkshänderin! Alle schreiben mit rechts, nur die ist „anders!“ Den Möglichkeiten zur Diskriminierung sind keine Grenzen gesetzt. Wir sind eben keine Klone, jeder Mensch ist ein Individuum, jeder ist ein bisschen „anders“. Diskriminierung wegen Andersartigkeit ist also künstlich geschaffen und kann auch wieder verschwinden.

Und warum kommen die Mobber eigentlich auf den Gedanken, dass „Andersartigkeit“ automatisch etwas Schlimmes sein soll und mit dem Ausschluss aus der Gruppe bestraft werden muss? Weil Mobber engstirnig und intolerant sind und andere abwerten müssen, um sich selber gut zu fühlen. Und weil sie ein Argument suchen, um ihr Mobbing zu rechtfertigen.

Wer andersartig ist, ist großartig. Jeder Mensch ist zwar ein Individuum, aber viele verschmelzen gerne mit der Masse. Im Schwarm muss man nicht denken, man schwimmt den anderen hinterher, oder plappert alles nach. Doch wen bewundert die breite Masse? Den da nebenan, der genauso unauffällig und langweilig ist wie alle anderen, und weder ein Rückgrat hat noch Charakter, sondern nur eine Fahnenstange, um sein Fähnchen wie alle nach dem Wind zu hängen? Nein, man bewundert keine gesichtslosen Klone aus Einheitsbrei.

Man bewundert die, die „anders“ sind. Stars, Sportler, Künstler, Unikate – alle die, die für die graue Masse zu bunt waren. Die breite Masse hätte gerne den Erfolg der anderen, und ihren Mut, aus der Masse herauszuragen. Aber die breite Masse hat Angst, etwas Besonderes zu sein.

Halten wir fest: Wir sind alle Menschen, und doch alle unterschiedlich. Was als „anders“ gilt, entscheiden die Mobber, wann „Andersartigkeit“ gut ist, entscheiden die Mobber, wer „anders“ sein soll, entscheiden die Mobber. Das Argument „Der oder die ist anders“ ist das Argument derer, die nur sich selber für das Maß aller Dinge halten, und weder Toleranz noch Respekt kennen.

Mobbing-Opfer sind nicht schuld

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