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Schlechter Deal

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Keine zwanzig Minuten später klopfte es zaghaft an der Tür. Keine Ahnung, wie es Tom so schnell hierher schaffen konnte. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich gar nicht wusste, wo die Jungs momentan wohnten. In einem Haus hatte Joshua gesagt. Nur wo?

Ich legte die Briefe fein säuberlich zurück in die Kiste, die ich wieder in ihr dunkles Verlies unter dem Bett verbannte. Ein weiteres Klopfen, diesmal lauter, drängender, und ich eilte zur Tür. Ich fuhr mir prüfend durch die zerzausten Haare. Sicher sah ich furchtbar aus. Die Augen verquollen, ungeschminkt und noch immer in meinen Wohlfühl-Schlabber-Klamotten, in denen ich auch in Ermangelung eines sauberen Schlafanzugs geschlafen hatte. Aber es war nur Tom, beruhigte ich mich. Ich atmete tief ein und drückte die Klinke. Da stand er. Mit einer Pizzaschachtel in der einen und einer riesengroßen Tafel Schokolade in der anderen Hand. Seine Haare waren klatschnass vom Regen, und er sah irgendwie zerrissen aus. Abgehetzt. Unentschlossen.

Ich verzog zerknirscht den Mund und hielt ihm die Tür auf. Fast schon hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn bei diesem Wetter hergebeten hatte. Aber zumindest würde er ein paar seiner Pillen loswerden, und meinetwegen konnte er auch einen Schlechtwetterzuschlag auf den Preis hauen.

„Hast du was mitgebracht?“, fragte ich, noch bevor die Tür ins Schloss fiel und spürte, wie mein Puls bei der Frage in die Höhe schnellte. Er schälte sich gerade aus seiner nassen Jacke und schüttelte die kurzen Haare. Ich erschauderte, als ich ein paar Wassertropfen abbekam und verzog mich wieder auf mein Bett.

„Nette Begrüßung“, maulte Tom und streifte die durchweichten Turnschuhe unsanft von den Füßen. Er nickte Richtung Pizzaschachtel, die er auf einem kleinen Sideboard in dem winzigen Flur abgestellt hatte. Mein Magen reagierte augenblicklich auf den herzhaften Geruch nach geschmolzenem Käse, Tomaten, Oliven und Kräutern. Ich verbot mir, allzu hungrig auszusehen und übte mich in Teilnahmslosigkeit.

„Ne, ich meine ...“ Ich verdrehte die Augen und verfolgte seine tapsigen Schritte. Die nassen Socken hinterließen kleine Wasserflecken auf den Fliesen. Er steuerte direkt auf mich zu und setzte sich auf die Bettkante. Ich drückte mich unter seinem mitleidigen Blick tiefer in die Kissen.

„Schlechten Tag?“, fragte er und trocknete sich die Hände an seiner Jeans.

„Schlechtes Jahr.“

„Hey, hör zu. Ich werde dir nichts geben.“ Ich hob zum Protest an, doch er unterbrach mich. Mein Herz raste unaufhaltsam auf die Autobahn eines Wutausbruchs zu. „Ich werde dir nichts geben, solange es dir so mies geht.“

„Aber ...“ Ich schluckte. „Joshua hast du sicher auch was besorgt.“

„Josh kennt sich aus, er weiß, worauf er sich einlässt.“

Ich spürte Wut in mir aufsteigen. „Ich weiß auch, worauf ich mich einlasse. Ich brauche keinen Babysitter, der mir die Hand hält.“

„Sicher?“ Er hob die Augenbrauen, und am liebsten wollte ich diesem arroganten Etwas eine reinhauen. Doch im nächsten Moment schon spürte ich die nasse Flut in mir aufsteigen. Schon wieder. Ich kämpfte dagegen an. Erfolglos. Tom breitete die Arme aus, und es verging keine Sekunde, bis ich mich an seiner Brust wiederfand.

„Hey, jetzt beruhige dich erst mal“, sagte er sanft und strich mir über die Haare. Ich atmete seinen Duft ein. Duschgel. Deo. Aftershave. Von allem ein bisschen zu viel. „Ich habe dir doch gesagt, es ist nicht gut, dass du so oft allein bist.“ Ich schluckte und wischte die Tränen mit dem Handrücken weg. Ich schloss die Augen. Noch ein kleines bisschen Wärme spüren. Nähe fühlen. Ein bisschen bei ihm sein. Joshua.

„Schlaf mit mir“, drängte ich und blickte flehend zu Tom auf. Ich musste diese Sehnsucht loswerden. Diese Gedanken. Gedanken an ihn.

„Oh, selten so liebevoll verführt worden.“ Tom wand sich aus meiner Umklammerung. Er stand auf und angelte die Pizzaschachtel. Ich starrte die Decke an und versuchte die Leere, die mich umgab, auszufüllen. Ein verführerisches Stück Pizza erschien vor meinen Augen, und plötzlich schien sich in meinem Magen ein hungriger Zoo versammelt zu haben. Ich gab meinem Hunger nach und griff missmutig nach dem Stück Pizza.

Augenblicklich füllte Wärme meine Mitte aus, und ich spürte, wie langsam etwas Leben in mich zurückkehrte. Dabei hatte ich immer gedacht, Essen würde gnadenlos überschätzt. Gierig schlang ich noch drei weitere Stücke runter und nahm das Wasserglas, das mir Tom entgegenstreckte, dankbar an. Nachdem ich den letzten Käseklumpen runtergespült hatte, gönnte ich mir noch ein weiteres Stück, in vollem Bewusstsein, dass mir danach übel werden würde.

Ich schleckte meine Finger ab und linste unsicher zu Tom. Bisher hatte er kein Wort gesagt, mich essen lassen und dabei beobachtet, als wäre es das Sonderbarste auf der Welt, mich bei der Nahrungsaufnahme anzusehen. Ich klappte die Schachtel zu und reichte sie Tom, damit er sie neben das Bett stellen konnte.

„Und jetzt?“, fragte ich, da ich keine Ahnung hatte, wo uns der Abend hinführen sollte. Zwei meiner Wünsche hatte Tom bereits abgeschmettert. Nun war er am Zug.

„Jetzt gehst du erst mal unter die Dusche.“ Ich verdrehte die Augen. Wollte er mir damit zu verstehen geben, dass mein Deo versagt hatte? Ich versuchte unauffällig an mir zu schnuppern. Ohne Erfolg. „Hopp, hopp, das wird dir guttun.“

Ich ergab mich dem Vorschlag und schlurfte zum Badezimmer. Noch bevor ich mich ausgezogen und das Wasser aufgedreht hatte, hörte ich, wie Tom den Fernseher anstellte.

Ich ließ die heißen Strahlen über mich rieseln, ließ sie all die schlechten Gedanken, die Ängste und Sorgen den Ausguss hinunterspülen. Übrig blieb diese allumfassende Sehnsucht. Kein Wasser, keine Wärme konnte sie stillen, keine Pizza und auch keine Schokolade. Sie war in mir, machte sich breit, füllte mich aus.

Warum hatte ich Tom angerufen? Was hatte ich mir davon versprochen? Ich wusste, dass er das Loch nicht stopfen konnte, das Joshua in meinem Herz hinterlassen hatte. Wusste, dass er kein Ersatz war, kein Ersatz sein konnte. Und dennoch genoss ich seine Nähe. Seine Zuneigung.

Ich drehte das Wasser ab und trocknete notdürftig die Haare, bevor ich sie in einem provisorischen Pferdeschwanz zusammenband. Nachdem ich mir ein T-Shirt übergeworfen hatte und in eine Jogginghose geschlüpft war, öffnete ich mit klopfendem Herzen die Badezimmertür. Würde nun das Verhör kommen? Eine Standpauke, dass ich mich nicht so gehen lassen sollte?

Aber Tom beachtete mich nicht, sondern glotzte weiter in den schwarzen Kasten, auf dem eine schlechte Soap flimmerte, und rückte nur unter Protest ein Stück im Bett zur Seite. Er hatte es sich gemütlich gemacht und machte keine Anstalten, seine bequeme Position aufzugeben.

Ich angelte eine dünne Decke und kuschelte mich darin ein. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, hob Tom den Arm. Schweigend nahm ich sein Angebot an und schmiegte mich eng an seine Brust. Er fühlte sich anders an als Joshua, härter und mein Kopf wollte nicht so recht in die Kuhle unter dem Schlüsselbein passen. Die Stelle, wo mein Kopf wie selbstverständlich die bequemste Position gefunden hatte, wenn ich mich an Joshua gelehnt hatte. Ich seufzte und nestelte weitere Sekunden herum, bis ich eine halbwegs angenehme Position gefunden hatte.

Tom schmiegte seinen Arm eng um mich und hinderte mich daran, gleich wieder einen Rückzieher zu machen. Ich schloss die Augen. Wie anders es wäre, wenn Joshua statt Tom hier in meinem Bett liegen würde. Ich würde mich sicher fühlen. Würde all die Last fallen lassen können, die seit Monaten auf meine Schultern drückte. Er würde seine Nase tief in meine Haare drücken und schließlich meinen Kopf küssen. Zaghaft. Überlegt. Wie er es immer getan hatte. Joshua. Wie sehr ich seine Berührungen vermisste. Seine Zuneigung.

Unwillkürlich begannen meine Finger in Erinnerung an ihn, über seine unaufdringlichen Bauchmuskeln zu streichen, die sich unter dem grauen T-Shirt abzeichneten. Wo nahm er nur die Zeit her, um zu trainieren? Seinen Körper zu stählen, um mir diese perfekten Muskeln zu präsentieren? Ich drückte mich näher an ihn, suchte seine Nähe, wollte ihn spüren. Er reagierte mit einem leisen Stöhnen. Ich lächelte. Meine Finger wanderten weiter und suchten sich ihren Weg unter das T-Shirt. Wie warm seine Haut war. Wie weich. Meine Finger erinnerten sich, wussten, was sie zu tun hatten.

Ohne ihnen einen Befehl erteilen zu müssen, wanderten sie weiter nach unten, öffneten geschickt die Knöpfe seiner Jeans. Er lehnte sich weiter zurück, sein Arm schlang sich enger um meine Schulter. Ich spürte, wie endlich die Geste kam, die ich so sehr vermisst hatte. Seine Lippen vergruben sich tief in meinen nassen Haaren. Ich spürte seinen Atem auf meiner Kopfhaut und erschauderte.

Seine Hände wanderten sanft an meinen Armen entlang, zogen mir mit einer geschickten Bewegung das T-Shirt über den Kopf und landeten schließlich auf meinem nackten Rücken. Mein Körper reagierte mit Gänsehaut. Und gleichzeitig füllte mich eine unbändige Leidenschaft aus. Ein Gefühl, das ich eine Ewigkeit nicht mehr gefühlt hatte. Ich rutschte tiefer ins Bett und zog ihn auf mich. Sein Atem war nur wenige Millimeter von meinem Gesicht entfernt. Kein Wimpernschlag, und seine Lippen trafen sanft auf meine, erfüllten meine Gedanken mit einer alles umfassenden Wärme.

Geschickt entledigte er sich seiner Jeans und streichelte sanft über meine Brust. Ich streckte mich ihm entgegen, wollte ihn spüren, wollte jede einzelne Berührung aufsaugen. Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet? Wie lange hatte ich von diesen Gefühlen geträumt? Eine einzelne Träne stahl sich aus meinen geschlossenen Augen, als ich ihn endlich in mir spürte. Sanfte rhythmische Bewegungen, leises Stöhnen nahe an meinem Ohr. All die Sehnsucht schien verschwunden. Endlich waren wir eins. Wieder.

Ich suchte nach seinem Mund und küsste ihn, wollte ihn schmecken und verdrängte den Gedanken, dass er nach kaltem Rauch und Pfefferminz schmeckte. Der Moment gehörte uns. Joshua und mir.

Wieder dieser Zigarettenqualm, den ich so wenig mochte. So wie ich mich selbst in diesem Moment nicht mochte. Ich schloss die Augen und schluckte schwer.

„Wir können uns nicht mehr sehen“, sagte ich schwach und öffnete die Augen. Ich blickte starr an die Zimmerdecke. Rauchkringel tauchten vor meinem Blickfeld auf und verschwanden wieder. „Ich habe mich mit Joshua getroffen.“

Tom verschluckte sich und setzte sich schlagartig auf. „Fuck. Du hast was?“, fragte er aufgebracht und blickte mich verständnislos an.

„Ich habe mich mit Joshua getroffen. Gestern“, wiederholte ich mechanisch und wich seinem Blick aus. Ich fühlte mich mies. Ich hatte Tom ausgenutzt, hatte an Joshua gedacht, während ich mit ihm geschlafen hatte. Zum zweiten Mal.

Tom schwieg.

„Hör zu, Tom. Er muss ja nichts von uns erfahren. Es ist … es ist eben passiert.“ Sicher hatte er Schiss vor den Konsequenzen. Würde Joshua überhaupt sauer sein, wenn er wüsste, dass Tom und ich …? Würde er ihn aus der Band werfen? Momentan hielt ich es für wahrscheinlicher, dass es ihn überhaupt nicht interessierte, mit wem ich mich abgab.

„Mann, Emma, Josh ist mir so was von scheißegal. Es ist nur … Verdammt. Ich mag dich. Und wenn du dich nun wieder mit ihm triffst, ist es nur eine Frage der Zeit, bis du … bis ihr ...“, stammelte er, stand auf und zog seine Boxershorts über. Ich verdrehte die Augen.

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass aus uns was geworden wäre?“ Ich kicherte hysterisch. „Du und ich … Das wäre wie Feuer und Wasser. Wie zwei Magnete, die sich abstoßen.“ Unsicher fingerte ich an den Haaren herum. Hatte ich die Situation falsch eingeschätzt? Ich war immer davon ausgegangen, dass wir das Gleiche wollten. Nun ja, vielleicht nicht genau das Gleiche. Aber zumindest hatte ich nicht erwartet, dass Tom irgendwelche Gefühle für mich hatte. „Jetzt sei nicht gleich angepisst. Du hast sicher einige Eisen im Feuer.“ Er drehte sich ruckartig um und funkelte mich an.

„Du raffst es einfach nicht, oder? Ich dachte, du magst mich.“ Er zog sich ein T-Shirt an. Ich streckte die Hand nach ihm aus. Er ignorierte es.

„Ja, das tu ich. Aber …“, murmelte ich und ließ den Arm sinken.

„Na ja, jetzt weiß ich wenigstens, an wen du gerade gedacht hast“, spuckte er aus.

Josh & Emma - Portrait einer Liebe

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