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An einem Sonnabendvormittag im Anfang des Septembers kam Fern Mullins ins Haus gelaufen und rief Carola aufgeregt zu: »Am nächsten Dienstag fängt die Schule an. Bevor ich wieder eingesperrt bin, muß ich noch was Lustiges machen. Wir wollen doch sehen, daß wir für heute nachmittag ein Picknick am See zustande bringen. Wollen Sie nicht mit dem Doktor kommen, Frau Kennicott?«

Das Picknick kam zustande, die Teilnehmer waren Carola, Fern, Erik, Cy Bogart und die Dyers.

Als sie sich zum Abendessen ins Gras setzten, stieg Cy auf einen Baum und warf Eicheln hinunter.

Allein Carola konnte nicht lustig werden.

Sie hatte sich jung gemacht, mit gescheiteltem Haar, mit Matrosenbluse und großer blauer Schleife, mit weißen Leinenschuhen und kurzem Waschkleid. Aber sie war gehemmt. Sie wartete darauf, daß Erik zu ihr käme. Er kam nicht. Anscheinend hatten ihn die Dyers seiner Fröhlichkeit wegen liebgewonnen.

Carola versicherte sich: »Was für Fehler ich auch habe, eifersüchtig könnte ich bestimmt nie sein. Ich habe Maud gern; sie ist immer so nett. Aber ich weiß nicht, ob sie nicht doch ganz gern nach Männern angelt? Sie spielt mit Erik, und dabei ist sie verheiratet – Na – Ekelhaft!«

Carola blieb Dave überlassen, der sie mit humoristischen Berichten über Ella Stowbodys Vorliebe für Pfefferminzpralinés zu unterhalten suchte. Sie sah, wie Maud Dyer die Hand auf Eriks Schulter lehnte, um sich zu stützen.

»Ekelhaft!« dachte sie.

Cy Bogart nahm Ferns sehnige Hand in seine rote Tatze, und als sie halb geärgert aufsprang und rief: »Lassen Sie los, sag' ich Ihnen!« grinste er und fuchtelte mit seiner Pfeife herum – ein tölpischer zwanzigjähriger Satyr.

»Ekelhaft!«

Dann ruderte sie mit Erik über den See. Sie gingen an Land und setzten sich auf einen Baumstumpf. Ringsum raschelten Lindenblätter. Er flüsterte:

»Ich wollte – Ist Ihnen kalt?«

»Ein bißchen.« Sie zitterte. Aber es war nicht vor Kälte.

»Ich wollte, wir könnten uns dort in das Laub legen, uns ganz zudecken und ins Dunkel hinaussehen.«

»Ich wollte, wir könnten.« Als ob es in selbstverständlicher Tröstlichkeit klar wäre, daß sie nicht ernst genommen zu werden wünschte.

»So wie alle Dichter sagen – braune Nymphe und Faun.«

»Nein. Ich könnte keine Nymphe mehr sein. Zu alt – Erik, bin ich alt? Bin ich verblüht und kleinstädtisch?«

»Aber, Sie sind die jüngste – Ihre Augen sind wie Mädchenaugen. Sie sind so – also, ich meine, als ob Sie alles glauben würden. Sogar wenn Sie mich belehren, komm' ich mir tausend Jahre älter vor als Sie, und nicht ein Jahr jünger.«

»Vier oder fünf Jahre jünger!«

»Auf jeden Fall sind Ihre Augen so unschuldig und Ihre Wangen so zart – verdammt noch einmal, am liebsten möcht' ich weinen, Sie sind irgendwie so schutzlos; und ich möchte Sie beschützen und – Es ist nichts da, wogegen man Sie schützen könnte!«

»Bin ich jung? Ja? Ehrlich. Wirklich?«

»Ja. Sie sind jung!«

»Es ist so lieb von Ihnen, daß Sie das glauben, Will – Erik

Sie stand auf.

Er umfaßte ihre Taille mit festem Arm. Sie sträubte sich nicht. Es machte ihr nichts. Er war weder Landschneider noch großmächtiger Künstler. Er war er selbst, und sie war besinnungslos zufrieden. In dieser Nähe sah sie seinen Kopf neu; das letzte Licht hob die Konturen seines Halses hervor, die schmalen, geröteten Wangen, die Vertiefungen an seinen Schläfen. Nicht wie scheue oder verlegene Liebende, wie Gefährten gingen sie zum Boot zurück, und er hob sie hinein.

Während er ruderte, begann sie eifrig zu reden: »Erik, Sie müssen an die Arbeit gehen! Sie müssen eine Persönlichkeit werden. Man hat Ihnen Ihr Königreich geraubt. Kämpfen Sie darum! Lassen Sie sich Unterrichtsbriefe kommen und lernen Sie zeichnen – es taugt ja an sich vielleicht nichts, aber Sie werden dadurch Lust zum Zeichnen bekommen und –«

Als sie wieder zur Gesellschaft zurückkamen, merkte sie, daß es dunkel war, daß sie lange ausgeblieben waren.

Die anderen begrüßten sie mit dem unvermeidlichen Sturm von Witzeleien und kleinen Bosheiten: »Wo habt ihr euch denn rumgetrieben?« – »Ihr seid ja 'n feines Paar, ihr zwei!« Erik und Carola sahen verlegen aus; ihre Bemühungen, witzig zu sein, scheiterten. Auf dem Heimweg fühlte Carola sich nicht recht behaglich. Einmal blinzelte Cy ihr zu. Daß Cy, dieses Küken, sie für seinesgleichen, für eine Sünderin, halten sollte – Sie war abwechselnd wütend und erschrocken und übermütig, und in allen diesen Stimmungen war sie gewiß, daß Kennicott ihr ihr Erlebnis vom Gesicht ablesen würde.

In schüchtern trotziger Stimmung kam sie ins Haus. Ihr Mann, unter der Lampe halb eingeschlafen, begrüßte sie: »Also, also, gut unterhalten?«

Sie konnte nicht antworten. Er sah sie an. Aber sein Blick wurde nicht schärfer. Er begann seine Uhr aufzuziehen und gähnte das alte: »Naaaaaah, wird wohl Zeit zum Schlafengehen sein.«

Das war alles. Doch sie war nicht froh. Sie war fast enttäuscht.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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