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An einem Novemberabend, als Kennicott über Land war, klingelte es; Carola öffnete und fand zu ihrer Verwirrung Erik an der Tür, gebeugt, ein Flehen in den Augen, die Hände in den Manteltaschen. Als hätte er es auswendig gelernt, beschwor er sie:

»Ich hab' Ihren Mann wegfahren sehen. Ich muß mit Ihnen sprechen. Ich kann es nicht aushalten. Gehen Sie mit mir spazieren. Ich weiß! Man wird uns vielleicht sehen. Aber vielleicht doch nicht, wenn wir weiter hinausgehen. Ich werde beim Speicher auf Sie warten. Und wenn's auch lange dauert – Oh, kommen Sie schnell!«

»In ein paar Minuten«, versprach sie.

Sie murmelte: »Ich werd' nur eine Viertelstunde mit ihm reden und wieder nach Haus gehen.«

Sie fand ihn im Schatten des Weizenspeichers, wie er verdrossen mit seiner Fußspitze das Gleis bearbeitete. Als sie sich ihm näherte, glaubte sie zu sehen, daß sein ganzer Körper sich dehnte. Aber sie sagten beide nichts; er streichelte ihren Ärmel, sie den seinen, sie überquerten den Eisenbahndamm, kamen auf eine Straße und gingen ins Land hinaus.

»Eine kalte Nacht, aber ich hab' dieses melancholische Grau gern«, sagte er.

»Ja.«

Sie kamen an einer traurigen Baumgruppe vorbei und stapften auf der nassen Straße weiter. Er nahm ihre Hand in die Seitentasche seines Mantels. Sie griff nach seinem Daumen und hielt ihn, seufzend, genau so, wie Hugh den ihren hielt, wenn sie spazierengingen. Sie dachte an Hugh. Das Mädchen, das sie gerade hatte, war wohl im Haus, aber war es ganz ungefährlich, ihr das Kind zu überlassen? Der Gedanke war ganz fern und flüchtig.

Erik begann langsam zu sprechen. Er entwarf ihr ein Bild von seiner Arbeit in einer großen Schneiderwerkstatt in Minneapolis: der Dampf, die Hitze, die Plackerei. »Aber ich bin immer in die Kunstsammlungen und in die Walker-Galerie gegangen, ich hab' Spaziergänge um den Harrietsee gemacht oder bin zu Gates hinaus und hab' mir vorgestellt, es wäre ein Schloß in Italien, in dem ich wohne. Ich war ein Marquis und sammelte Gobelins – das war, nachdem ich in Padua verwundet worden war. Nur einmal ist es wirklich schlimm geworden, das war, wie ein Schneider, Finkelfarb, ein Tagebuch, das ich geführt hab', gefunden und in der Werkstatt laut vorgelesen hat – das hat 'ne böse Keilerei gegeben.« Er lachte. »Fünf Dollar sind mir aufgebrummt worden. Aber das ist jetzt alles vorbei. Mir scheint, Sie stehen zwischen mir und den Gasöfen – den langen Flammen mit purpurroten Rändern, die um die Eisen lecken und den ganzen Tag dieses höhnende Geräusch machen – eeeeeeih! … Sagen Sie, äh – Carola, ich hab' ein Gedicht über Sie geschrieben.«

»Das ist nett. Lassen Sie mal hören.«

»Verdammt noch einmal, seien Sie nicht so gleichgültig! Können Sie mich denn nicht ernst nehmen?«

»Mein lieber Junge, wenn ich Sie ernst nähme –! Ich will nicht, daß wir uns noch mehr weh tun als – als wir ohnedies müssen. Sagen Sie mir das Gedicht. Es ist noch nie ein Gedicht über mich geschrieben worden!«

»Es ist eigentlich kein Gedicht. Es sind nur ein paar Worte, die ich liebe, weil ich glaube, daß sie erfassen, was Sie sind. Natürlich, auf andere Leute werden sie nicht so wirken, aber – Also –

›Klein und zärtlich und heiter und klug

Mit Augen, die in meine Augen sehen.‹

Verstehen Sie's so, wie ich?«

»Ja! Ich bin schrecklich dankbar!« Und sie war dankbar – während sie sachlich konstatierte, wie schlecht es war.

Die Lichter eines Automobils wuchsen zauberhaft schnell; waren über ihnen; blieben plötzlich stehen. Aus dem Dunkel hinter der Windschutzscheibe kam eine Stimme hervor, geärgert, scharf: »Heda, ihr!«

Sie merkte, daß es Kennicott war.

Der Ärger in seiner Stimme legte sich. »Spazieren gegangen?«

Sie gestanden es ein wie Schulkinder.

»Hübsch naß, was? Besser, ihr fahrt zurück. Kommen Sie da vorn rauf, Valborg.«

Wie er die Tür aufmachte, das war ein Befehl. Carola sah, daß Erik hineinstieg, daß sie wohl im Fond sitzen sollte, und daß man es ihr überlassen hatte, sich selbst den Schlag zu öffnen. Im Nu war das Wunder, das über den stürmischen Himmel geflammt hatte, erloschen, und sie war Frau W. P. Kennicott aus Gopher Prairie, fuhr in einem klappernden alten Automobil und hatte wahrscheinlich eine Predigt von ihrem Mann zu erwarten.

Sie hatte Angst davor, was Kennicott zu Erik sagen würde. Sie beugte sich vor. Kennicott bemerkte: »'s wird wohl regnen, bevor die Nacht vorüber ist.«

Als sie zu Hause waren, kam es:

»Also, Carrie, es wär' gescheiter« – er warf seinen Mantel auf einen Sessel, ging auf sie zu und sprach mit etwas lauterer, erregter Stimme weiter – »es wär' gescheiter für dich, jetzt Schluß zu machen. Ich will nicht den empörten Ehemann spielen. Ich hab' dich gern und achte dich, und wahrscheinlich würd' ich wie ein Trottel aussehen, wenn ich dramatisch werden wollte. Aber ich glaub', es ist Zeit, daß du und Valborg haltmacht, bevor ihr in den Dreck kommt wie Fern Mullins.«

»Bitte! Du mußt wissen, daß ich dir heute abend alles erzählen wollte.«

»Na, da wird wohl nicht so viel zu erzählen sein.«

»Doch. Ich hab' Erik lieb. Er beschwört etwas da drinnen.« Sie faßte sich an die Brust. »Und ich bewundere ihn. Er ist nicht bloß ein ›junger schwedischer Farmer‹. Er ist ein Künstler –«

»Warte! Er hat den ganzen Abend Gelegenheit gehabt, dir zu erzählen, was für ein mordsfeiner Kerl er ist. Jetzt bin ich dran. Ich kann nicht von Kunstsachen daherreden, aber – Carrie, verstehst du denn meine Arbeit?« Er beugte sich vor, dicke tüchtige Hände auf dicken, kräftigen Schenkeln, reif und langsam, doch beschwörend. »Und wenn du auch kalt bist, ich hab' dich lieber als sonst wen auf der ganzen Welt. Einmal hab' ich gesagt, du bist meine Seele. Und das gilt auch noch jetzt. Begreifst du, wie's mit meiner Arbeit ist? Vierundzwanzig Stunden am Tag lauf ich rum, in Dreck und Schnee, und tu', was ich kann, um alle Menschen gesund zu machen, reich und arm. Du – die du immer so viel von Wissenschaftlern redest, die die Welt regieren sollten – kannst du denn nicht sehen, daß ich die ganze Wissenschaft bin, die's hier gibt? Und ich kann die Kälte und die holprigen Straßen und die einsamen Fahrten in allen Nächten aushalten. Ich muß nur dich hier zu Hause haben, von dir begrüßt werden. Ich erwarte nicht, daß du leidenschaftlich bist – wenigstens jetzt nicht mehr – aber ich erwarte, daß du meine Arbeit anerkennst. Ich bring' Kinder in die Welt und rette Leben und schaff s, daß verdrehte Ehemänner aufhören, ihre Frauen schlecht zu behandeln. Und dann stellst du dich hin und himmelst über einen schwedischen Schneider, weil er davon reden kann, wie man Rüschen an einen Rock näht! Auch 'ne Sache, daß 'n Mann sich damit abgibt!«

Sie schleuderte ihm entgegen: »Du machst alles von deiner Seite klar. Jetzt hör' auch mich an. Ich geb' alles zu, was du sagst – nur nicht das von Erik. Aber seid denn nur ihr es, du und das Kind, die mich brauchen, die etwas von mir verlangen? Sie sind alle hinter mir her, die ganze Stadt! Ich kann ihren heißen Atem in meinem Hals spüren! Tante Bessie und dieser scheußliche, geifernde Onkel Whittier und Juanita und Frau Westlake und Frau Bogart und alle miteinander. Und dir sind sie recht, du unterstützt sie darin, daß sie mich in ihr Loch hineinziehen! Das will ich mir nicht gefallen lassen! Hörst du? Jetzt, gerade jetzt, hab' ich genug. Und Erik gibt mir den Mut dazu. Du sagst, er denkt nur an Rüschen (die übrigens gewöhnlich gar nichts an Röcken zu suchen haben!). Ich sage dir, er denkt an Gott, an den Gott, den Frau Bogart mit schmierigen Kattunlappen einwickelt! Erik wird einmal ein großer Mann sein, und wenn ich ein ganz klein wenig zu seinem Erfolg beitragen könnte –«

»Warte, warte, so warte doch! Halt! Du glaubst, daß es mit deinem Erik gut gehen wird. Du kannst dich drauf verlassen, wenn er so alt sein wird wie ich, wird er 'ne Schneiderwerkstatt ohne Gehilfen in irgendeinem Nest haben, das ungefähr so groß ist wie Schoenstrom.«

»Das wird er nicht!«

»Warte noch! Was hat er denn wirklich in der Kunst geleistet? Hat er 'n erstklassiges Bild gemalt oder – 'ne Skizze, wie du's nennst? Oder hat er 'n Gedicht geschrieben oder Klavier gespielt oder überhaupt irgendwas getan, außer viel dahergeredet, was er alles tun will? … Und kannst du denn nicht einsehen – du, die du so viel von Psychologie redest – kannst du denn nicht sehen, daß der Mensch nur künstlerisch wirkt, weil er so ein Kontrast zu Leuten wie Doktor McGanum oder Lym Cass ist? Nimm mal an, du würdest ihn in einem von den richtigen Ateliers in New York treffen! Er würde nicht mehr auffallen als 'n Kaninchen!«

Kennicott stand schnell auf, setzte sich auf den Diwan und nahm sie bei den Händen. »Nimm an, er versagt – was auch geschehen wird! Nimm an, er muß wieder zu schneidern anfangen, und du bist seine Frau. Wird das das künstlerische Leben sein, von dem du geträumt hast? Er ist in irgend'ner miserablen Bude und bügelt den ganzen Tag Hosen oder näht zusammengekrümmt. Ja, und jedes Jahr wirst du 'n schreiendes Balg bekommen, das an dir zupft, während du Kleider bügelst, und die Kinder wirst du nicht lieben wie Hugh da droben, der ganz flaumig ist und jetzt schläft –«

»Bitte! Red' nicht weiter!«

Ihr Gesicht lag auf seinem Knie.

Er beugte sich herab, um sie auf den Hals zu küssen. »Ich will nicht ungerecht sein. Ich glaube, Liebe ist was Großartiges, sicher. Ach, Kind, bin ich so schlecht? Kannst du mich gar nicht leiden? Ich hab' – ich hab' dich so lieb gehabt!«

Sie griff nach seiner Hand und küßte sie. Gleich darauf schluchzte sie: »Ich will ihn nie wiedersehen. Ich kann jetzt nicht. Das heiße Wohnzimmer hinter der Schneiderwerkstatt – ich lieb' ihn nicht genug, um das zu ertragen. Und du bist – Selbst wenn ich seiner sicher wäre, sicher, daß er das richtige ist – Ich glaube, ich könnte dich in Wirklichkeit doch nicht verlassen. Die Ehe bindet die Menschen aneinander, es ist nicht leicht, sie zu zerbrechen, selbst wenn sie zerbrochen werden muß.«

»Und du willst sie zerbrechen?«

»Nein!«

Er hob sie auf, trug sie die Treppen hinauf, legte sie auf ihr Bett und wandte sich zur Tür.

»Komm, gib mir einen Kuß«, schluchzte sie.

Er küßte sie flüchtig und ging davon. Eine Stunde lang hörte sie ihn in seinem Zimmer, er zündete sich eine Zigarre an, trommelte mit den Knöcheln auf einen Stuhl. Sie fühlte, daß er ein Bollwerk war zwischen ihr und der Finsternis, die dichter wurde, während der lang erwartete Schnee in dichten Flockenwirbeln herunterkam.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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