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Elmer Gantry war betrunken. Es war ein Rausch voll Beredsamkeit, voll Zärtlichkeit und Rauflust. Er lehnte am Schanktisch der »Alten Heimat«, des goldglitzerndsten und großstädtischesten Saloons in Cato, Missouri, und forderte den Mixer auf, mit ihm in den neuesten Walzer, »Die schöne Sommerszeit«, einzustimmen.

Der Mixer hauchte ein Glas an, polierte es und bemerkte, Elmer durch das blitzende Rund einen Blick zuwerfend, er verstünde nicht viel von so 'nen Singereien. Aber er lächelte. Kein Mixer hätte beim Anblick Elmers ein Lächeln unterdrücken können, ein so begeisterter, wackerer Radaubruder war er, und so imponierend war sein albernes Grinsen.

»Von mir aus, alter Trottel«, gab Elmer nach. »Ich und mein Zimmerkam'rad wollen Ihnen mal zeigen, was Singen heißt! Das ist mein Zimmerkam'rad. Jim Lefferts. Der beste Zimmerkam'rad von der Welt. Wenn er's nicht war', würd' ich nicht mit ihm zusammen wohnen! Der beste Quarterback im Mid'lwesten. Das ist mein Zimmerkam'rad.«

Von neuem lernte der Mixer unter Beteuerungen ganz besonderen Vergnügens Mr. Lefferts kennen.

Elmer und Jim Lefferts zogen sich an einen Tisch zurück, um die langen, vollen, süßen Töne der alkoholseligen Melodie erklingen zu lassen. Sie sangen wirklich sehr gut. Jim hatte einen kräftigen Tenor, Elmer Gantrys voller Bariton aber war etwas, das man noch länger im Gedächtnis behielt als seine imposante Gestalt, sein dickes schwarzes Haar und seine unverschämten schwarzen Augen. Er war zum Senator geboren. Er sagte nie etwas Wichtiges, und sagte es immer mit sonorer Stimme. Er konnte »guten Morgen« profund klingen lassen, als wäre es von Kant, schmetternd wie ein ganzes Trompeterkorps und erhebend wie eine Domorgel. Ein Cello war seine Stimme, und von ihr bezaubert hörte man nichts von seinem Slang, seinen Aufschneidereien, seinen Zoten und nichts von der fürchterlichen Roheit, mit der er (um diese Zeit) grammatikalische Formen behandelte.

Voll Wonne, wie Wanderer, die sich an kühlem Bier laben, liebkosten sie die in vereinter Inbrunst gedehnten Noten:

Man geht einher auf Bluuuuumenpfaden mit seinem Herzchen-mein,

So Hand in Hand, die Seelen in traut-innigem Verein,

Man hat sein Katzi-Schatzi in der schönen Sommerszeit.

Elmer weinte ein wenig und schluchzte: »Gehen wir raus, 'ne Keilerei anfangen. Du bist 'ne kleine Dreckschleuder, Jim. Du langst dir einen, der auf dich losgeht, und dann komm' ich und hau' ihm den Schädel ein. Ich werd' ihnen schon zeigen!« Seine Stimme wurde heiß von Leidenschaft. Er wütete über das bald zu erduldende Unrecht. Er krümmte seine Tatzen vor Sehnsucht, den imaginären Schurken zu packen. »Bei Gott, ich werd' ihm das Hirnschmalz herausschlagen! Daß mir keiner meinen Zimmerkam'raden anrührt! Wißt ihr, wer ich bin? Elmer Gantry! Das bin ich! Ich werd' ihm zeigen!«

Der Mixer bewegte sich auf sie zu, voll liebenswürdiger Mordbereitschaft.

»Halt die Klappe, Höllenhund. Was du brauchst, ist noch 'n Schluck. Du kriegst noch 'n Schluck«, beruhigte Jim, und Elmer brach in Tränen aus, beweinte die alten tragischen Kümmernisse eines Menschen, dessen er sich als Jim Lefferts' entsann.

Plötzlich, infolge irgendeines Zaubertricks, standen zwei Gläser vor ihm. Er kostete aus dem einen und murmelte dämlich: »'Tschuldigen Sie«. Es war der Feind, das Wasser. Aber ihn konnten sie nicht drankriegen! Der Whisky mußte in dem anderen, in dem kleinen abgesägten Glas sein. Dort war er auch. Er hatte recht wie immer. Mit einem Schmunzeln der Selbstbewunderung schlürfte er den starken Bourbon ein. Das kitzelte ihn in der Kehle, flößte ihm Kraftbewußtsein ein und brachte ihn in friedliche Stimmung gegen jedermann, außer dem einen Kerl – er wußte nicht mehr genau, wer es war, auf jeden Fall einer, den er bald züchtigen würde, um dann in ein Elysium der Güte zu treiben.

Das Schankzimmer übte eine köstlich beruhigende Wirkung aus. Der säuerliche, kräftigende Bierdunst erzeugte ein Gefühl der Gesundheit in ihm. Der Schanktisch war ein langes Leuchten von Schönheit – schimmerndes Mahagoni, feiner Marmorbelag, blinkende Gläser und seltsam geformte Flaschen von unbekannten Schnäpsen, mit einer Geschicklichkeit zusammengestellt, die ihn sehr glücklich machte. Das Licht war trüb und besänftigend, es kam durch phantastische Fenster, wie sie nur in Kirchen, Saloons, Juwelenläden und anderen Refugien vor der Wirklichkeit zu finden sind. Auf den braungetünchten Wänden waren geschmeidige nackte Mädchen.

Er wandte sich von ihnen ab. Er hatte jetzt gar keine Lust auf Frauen.

»Die verdammte Juanita. Will nur rausholen aus einem, was sie kann. Weiter nichts«, brummte er.

Aber da ging etwas Interessantes neben ihm vor. Ein Zeitungsblatt sprang auf, anscheinend ganz von selber, und glitt den Fußboden entlang. Das war etwas sehr Komisches, er lachte aus vollem Herzen.

In sein Bewußtsein drang eine Stimme, die er schon seit Jahrhunderten hörte, die von einer fernen Stelle voll Licht und Funkeln durch immer weiter werdende Traumkorridore widerhallte.

»Wir werden hier rausgeschmissen, Höllenhund. Komm!«

Er trieb hoch. Das war glänzend. Seine Beine bewegten sich automatisch, ohne jede Anstrengung. Einmal machten sie etwas Spassiges – sie verwickelten sich ineinander, und das rechte Bein sprang vor das linke, als es, so viel er erkennen konnte, eigentlich hätte hinten sein sollen. Er lachte und stützte sich auf irgendjemandes Arm, zu dem kein Leib gehörte, auf einen Arm, der aus der Ewigkeit gekommen war, um ihn zu unterstützen.

Dann kamen unbekannte, unsichtbare Häuserblocks, viele Meilen weit, in seinem Kopf wurde es heller, und er machte einem Jim Lefferts, der plötzlich bei ihm zu sein schien, eine ernste Mitteilung:

»Ich muß den Kerl vertobacken.«

»Schon gut, schon gut. Von mir aus geh dir 'ne nette kleine Balgerei suchen und schau, daß du die Sache aus dir raus kriegst!«

Elmer war erstaunt; er war bekümmert. Sein Unterkiefer fiel hinunter, er floß vor Kummer über. Immerhin, eine reizende Rauferei sollte er ja haben dürfen, er lebte wieder auf, als er eifrig vorwärtstaumelte, um sich eine zu suchen.

Oh, er frohlockte, es war ein großartiger Ausflug. Das erstemal seit Wochen war er die Langeweile des Terwillinger-Colleges los.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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