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Der Erste Weltkrieg

1914–1918

Das unbeschwerte Leben war zu Ende, als Hermann Bode bei Kriegsausbruch 1914 im Zuge der Mobilmachung zum Landwehr-Infanterieregiment Nr. 73 eingezogen wurde. Vor seiner Abreise wurden drei Fotos gemacht. Auf dem ersten sieht man ihn in einer grauen Uniform mit Pickelhaube und Säbel hinter seiner Frau Julia stehen. Auf dem zweiten sitzen die Mädchen in weißen Kleidern um den Vater herum und das dritte vereint ihn mit seinen Eltern und dem Hund Fels, der der Gruppe zu Füßen liegt. Diese Bilder sollten Hermann im Krieg beschützen und wenn er fiele, eine bleibende Erinnerung sein. In einem langen grauen Mantel, bewaffnet mit Mauser-Gewehr und Pistole, verließ der Mann das Haus.

Seit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870 / 71 und den antinapoleonischen Befreiungskriegen galt der Nachbar Frankreich als Erbfeind. Als preußischer Staatsbürger war Bode ein Untertan von Kaiser Wilhelm II., der ihn in der Person von Oberstleutnant von Stein-Liebenstein zu Barchfeld an die belgische Grenze befehligte, welche die Kompanie am 5. August 1914 überschritt. Die Stadt Lüttich war von Festungen umgeben und wurde nach schwersten Kämpfen erobert, um den Weg nach Frankreich zu öffnen. Bode erlebte, wie seine Kameraden von Kugeln und Granatsplittern getroffen wurden und starben. Die Frontkämpfer verbrachten die Nächte im Schützengraben und Hermann notierte in sein Tagebuch:

Es pfeift und kreischt und zischt ins Grabund flammt und qualmt und splittert.Mein kleines Erdloch bröckelt abund bebt und schwankt und zittert.Zu meinen Füßen hockt der Todmit schläfrig trägem Nicken.Er wirft nach meinem Angesichtund ich lass es geschehen:Ich ruf ihn nicht und bettle nicht,er möge wieder gehen.«

Auf dem Schlachtfeld häuften sich die Toten, die deutschen Truppen brannten die Dörfer nieder und erschossen jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Das Regiment durchquerte Belgien in Richtung der Kanalküste, wo es bei Ypern zur Schlacht mit den alliierten Truppen kam. Bode kämpfte in der zweiten Linie, als er am 27. Oktober 1914 bei einem Erkundungsritt von einem Granatsplitter getroffen wurde. Die Kameraden brachten den Verletzten auf einer Bahre zum nächsten Sanitätsposten, wo der Stabsarzt die blutige Hose aufschnitt und die Wunde desinfizierte. Bode war bei Bewusstsein und gab sich als Kollege zu erkennen, dann wurde er mit Äther betäubt. Ein Chirurg entfernte das gezackte Metallstück aus seinem Oberschenkel und nähte ihn zu, dann injizierte er ein Tetanus-Antitoxin. Die Sanitäter legten den Narkotisierten auf ein Feldbett neben die Verwundeten, die auf ihren Abtransport in die Heimat warteten. Als Bode erwachte, sah er in die Augen eines Mannes mit weiß bandagiertem Schädel und hörte in der Ferne Gefechtslärm. Der pochende Schmerz in seinem Bein wurde von Stunde zu Stunde heftiger, um nicht zu schreien, rollte er den Kopf auf seinem Lager hin und her.

O du mein Tod, qualsamer Quirl in meines Denkens heißer Quelle, ich muss dich wühlen lassen und wirbeln, wenn ich willenlos in meinem Kampfgrab sitze, allem Schwanken preisgegeben. Und noch mein letztes Auge reißt du mir aus meinem Hirn, verstumpft, verstümmelt – ach schlägst mich nicht tot, nein reißt mich aus der Nacht ans wehe Licht und pflegst mich heil zu ekelstarrer Scham.

Als Hermann den Schmerz nicht länger ertragen konnte, hörte er plötzlich auf. Durch einen Tunnel von warmem Licht fühlte er sich emporgehoben, alles Schwere fiel von ihm ab und er schwebte, während sein Körper unter ihm auf dem Feldbett lag. Verwundert betrachtete er sich selbst von oben, sein Bein war geschient und hochgelagert, durch den Verband sickerte Blut. Sein Abbild hatte immer noch die Uniform an, das rechte Hosenbein war abgeschnitten und neben der Bahre standen die Knobelbecher und der Tornister. Die Sanitäter schleppten die Verletzten in einen Zug, der sie in die Heimat bringen sollte. Unterwegs nach Hannover hielt die Eisenbahn mehrmals an, Krankenschwestern wechselten Verbände und gaben den Patienten zu essen oder zu trinken. Bode war nicht bei Bewusstsein, er schwebte durch den Wagen und sah, wie die Verstorbenen in einen gesonderten Waggon umgeladen wurden. Bei dieser außerkörperlichen Erfahrung dachte er bei sich, ich werde sterben: »Dulce et decorum est pro patria mori.« (Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben)

Ganz allmählich entfernte er sich von seiner sterblichen Hülle, die immer kleiner und kleiner wurde, bis er die Stimme von Maria vernahm: »Vati, du darfst nicht sterben!«

Als der Zug in Hannover ankam, hatte Julia den Weitertransport ihres bewusstlosen Mannes bereits organisiert und dafür gesorgt, dass er zu ihrem Schwager ins Annaspital gebracht wurde.

Oh du mein Tod, siehst du wie wir Kämpfer lernen viel und wissen nun: Gelassenheit, das scharfe Schwert der Ruhe, durchschneidet tatenlos wilden Wütens Wucht.

Peter Bade war einer der ersten Röntgenärzte in Deutschland, ihm unterstand die Krüppelfürsorge des Krankenhauses. Er machte eine Aufnahme von dem zugebundenen Bein seines Schwagers und sah, dass sich ein Knochensplitter gelöst hatte und die Wunde vereitert war. Für eine Amputation war es zu spät, man konnte lediglich abwarten, ob sich der Patient erholen würde. Als Hermann schließlich aus dem Koma erwachte, lag er in einem weißen Klinikbett und sein Bein war an einem Galgen aufgehängt. Er versank erneut in einen Dämmerschlaf und machte die Augen erst wieder auf, als sich seine Familie um das Bett versammelt hatte. Ein mattes Lächeln erhellte seine bärtigen Züge. Die Mädchen fanden diesen Mann erschreckend mager und abwesend, mit seinen fiebrig trüben Augen hatte er keine Ähnlichkeit mit ihrem Vater. Peter Bade betrat das Krankenzimmer und bat seine Schwägerin, ihren Mann in Ruhe zu lassen, nur Maria durfte in der Klinik bleiben, um ihm jeden Morgen aus der Zeitung vorzulesen. Sie stand dem Vater besonders nahe und machte ihm klar, wie sehr man ihn zu Hause vermisste. Der Verletzte war in einem bedenklichen Zustand und schwebte lange Zeit in Lebensgefahr, hinzu kamen die traumatischen Erlebnisse des Krieges, die er nicht verarbeiten konnte. Immer wieder fiel der Patient in Trance und wenn er wach war, hielt er seine Gefühle in zahlreichen Gedichten fest.

Am 6. November 1914 bekam Bode »auf allerhöchsten Befehl seiner Majestät des Kaisers und Königs« das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen und wurde im Januar 1915 zum Leutnant befördert. Nach der Rekonvaleszenz kam er mit zwei Krücken zu Hause an. Auguste brachte Nahrungsmittel aus Burgwedel, damit ihr Sohn genug zu essen bekam. Auch die 28-jährige Julia bemühte sich aufopfernd um ihren Mann. In der Nacht, wenn die Kinder schliefen, erzählte Hermann von seinen Kriegserlebnissen, die sie zum Weinen brachten und zutiefst deprimierten. Er wollte in den Armen seiner Frau das Erlebte vergessen, während sie Angst davor hatte, erneut schwanger zu werden. Als es Bode etwas besser ging, konnte er bei seinem Regiment Fahrstunden nehmen und den Führerschein machen. Weil seine Kriegsverwendungsfähigkeit durch die Verwundung beschränkt war, wurde er als Bataillons-Adjutant zum Landsturm-Infanterie-Bataillon X. 33 in Serbien abkommandiert. Das Laufen fiel ihm noch schwer, aber reiten konnte er. Schließlich bestieg der Dragoner seine fuchsfarbige Hannoveraner Stute, die von seinem Diensthund, dem Airedale Terrier Fels begleitet wurde. Als Offizier stand ihm ein Pferdepfleger und Bursche zu, er wählte den bärtigen Niedersachsen Born. Für Julia war es ein Trost, diesen ruhigen und zuverlässigen Gefährten an der Seite ihres Mannes zu wissen. Der Abschied entwickelte sich herzzerreißend, weil sich Maria weinend an das Bein des Vaters klammerte. Sie war außer sich vor Angst, dass sie den geliebten Vater nie wiedersehen würde.

Hermann schrieb nur selten Feldpostbriefe und Julia wurde immer dünner, sie wirkte abwesend und in sich gekehrt und den Kindern fehlte der energische Vater. Die Mädchen besuchten eine Privatschule, in der Französisch Pflichtfach war und eine Reformpädagogik zur Anwendung kam, die körperliche Strafen und preußischen Drill als überholte Erziehungsmaßnahmen ablehnte. Der Schulweg führte über belebte Straßen und den nahegelegenen Bahnhofsplatz. Die luxuriöse Privatschule war teuer, darüber hinaus mussten 100 Reichsmark im Monat für die Lebensversicherung des Vaters aufgebracht werden. Die Ersparnisse auf dem Sparbuch schmolzen dahin, Julia konnte sich kein Personal mehr leisten und wenig später reichte das Leutnantsgehalt auch für die Wohnungsmiete nicht mehr aus. In den Praxisräumen an der Georgstraße, die Bode vor dem Krieg gekauft hatte, praktizierte nun der Großvater. Julia entschied sich, für die Dauer des Krieges dort einzuziehen. Ein Pferdefuhrwerk beförderte das Umzugsgut und kräftige Männer schleppten die Möbel in den ersten Stock. Sie stellten die Betten neben die mit weißen Laken zugedeckten zahnmedizinischen Gerätschaften. Die Kinderzimmermöbel verschwanden in einer Nische, in der nicht genügend Platz zum Spielen war, deshalb blieben die meisten Sachen in Pappschachteln. Im großen Behandlungszimmer stand vor dem Fenster der zugedeckte Zahnarztstuhl, die Kinder mussten auf den Röntgenapparat steigen, wenn sie die Straßenbahn und die vorbeieilenden Passanten sehen wollten. Wenn der Großvater Patienten behandelte, dann mussten die Mädchen mucksmäuschenstill sein.

Die Kunst ist das Einzige, was bleibt

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