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KAPITEL 2 Neuland

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Der erst Tag des neuen Jahres, der 1. Januar 1915, war wolkig, bei einer leichte Brise aus Nord und gelegentlichen Schneeschauern. Am Abend verbesserten sich die Eisverhältnisse, und nach 20 Uhr pflügten wir schnell durch sprödes junges Eis, das sich mit dem Schiff ohne Schwierigkeiten zerbrechen ließ. Einige Stunden später kam ein leichter Sturm mit stetem Schneefall aus Ost auf. Am 2. Januar gerieten wir nach 4 Uhr in dichtes altes Packeis, das Anzeichen hohen Drucks aufwies. Es war sehr zerklüftet, aber bis zum Mittag gab es große Flächen offenen Wassers und lange Fahrrinnen Richtung Südwest. Unsere Position war 69° 49' S und 15° 42' W. Wir hatten in den letzten vierundzwanzig Stunden also 124 Meilen Richtung S 3° W zurückgelegt, was sehr erfreulich war.

Am Nachmittag blockierte schweres Packeis unseren Weg. Es wäre ohnehin beinahe unmöglich gewesen, das Schiff ins Eis zu steuern, aber der Sturm hätte ein solches Vorgehen noch dazu höchst riskant gemacht. Daher wichen wir nach Westen und Norden aus und suchten eine Durchfahrt Richtung Süden. Diese Verzögerung war ärgerlich, denn die gute bisherige Fahrt hatte mich hoffen lassen, am nächsten Tag Land zu sichten. Ich wollte vor allem der Hunde wegen an Land. Sie hatten vier Wochen lang keine ausreichende Bewegung gehabt, und ihr Zustand verschlechterte sich allmählich. An diesem Tag passierten wir mindestens zweihundert Eisberge und sichteten zudem große Massen an zerklüfteten Eis aus den Buchten und dem antarktischen Eisgürtel. Eine Scholle aus dem Buchteneis zeigte Spuren von schwarzer Basalterde, und ein großer Eisberg wurde von einem breiten braungelben Band durchzogen. Diese Verunreinigung könnte von Vulkanasche herrühren. Viele der Berge besaßen bizarre Formen. Einer glich bis in die Einzelheiten einem Ozeandampfer mit zwei Schornsteinen, es fehlte nur der Rauch. Später fanden wir eine Öffnung im Packeis und fuhren neun Meilen nach Südwest. Die Rinne endete jedoch am 3. Januar um 2 Uhr nachts in undurchdringlichem zerklüftetem Eis. Es kam ein leichter Sturm mit Schneegestöber auf und nahm uns jegliche Sicht. Das zerklüftete Eis eignete sich nicht als Ankerplatz, sodass wir gezwungen waren, zehn Stunden hin und her zu fahren, bevor wir auf der Leeseite eines Eisbergs von 120 Fuß Höhe an einer kleinen Scholle festmachen konnten. Der Berg brach den Wind und bewahrte uns davor, nach Lee abzudriften. Unsere Position war 69° 59' S und 17° 31' W. Um 19 Uhr holten wir den Eisanker ein, fuhren südwärts und passierten um 22 Uhr einen kleinen Eisberg, den das Schiff zwölf Stunden zuvor beinahe touchiert hätte. Offenbar kamen wir nicht weit voran. Einige der Eisberge, an denen wir an diesem Tag vorbeikamen, bestanden aus festem blauem Eis, was ihre Herkunft von einem Gletscher verriet.

Um Mitternacht des 3. Januars mussten wir nach elf Meilen Richtung Süden haltmachen, als wir in einen so dichten Schneefall gerieten, dass nicht mehr zu erkennen war, ob man in Rinnen und Öffnungen einfahren konnte oder nicht. Das Eis war zerklüftet, doch glücklicherweise ließ der Sturm nach, und nachdem wir Wasserflächen und Fahrrinnen um uns herum geprüft hatten, wandten wir uns zurück nach Nordosten. Wir sichteten zwei Pottwale und zwei große Blauwale – die ersten seit 260 Meilen –, außerdem etliche Sturmvögel, Adelie- und Kaiserpinguine, Krabbenfresserrobben und Seeleoparden. Die klare Sicht am Morgen zeigte uns, dass das Packeis von Südost nach Südwest massiv und undurchdringlich war. Am 4. Januar um 10 Uhr kamen wir erneut auf fünf Yards an den kleinen Eisberg heran, den wir am Tag zuvor schon zwei Mal passiert hatten. Seit fünfzig Stunden waren wir unter Dampf über eine Fläche von zwanzig Quadratmeilen gekreuzt, um eine Öffnung nach Süden, Südost oder Südwest zu finden, aber alle Wasserrinnen verliefen nach Norden, Nordost oder Nordwest. Es war, als wollten die Geister der Antarktis uns den Rückweg weisen – den wir auf keinen Fall einzuschlagen gedachten. Unser Ziel war es, so weit nach Südwesten zu kommen, dass wir Festland erreichten, möglichst östlich von dem südlichsten Punkt, zu dem Ross32 vorstieß, und auch östlich von Coatsland. Das war umso wichtiger, als die vorherrschende Windrichtung Ost zu sein schien und daher jede Meile Richtung Osten zählte. Am Nachmittag fanden wir im Westen offenes Wasser, und bis 4 Uhr fuhren wir Westsüdwest bei immer weniger Eis voraus. Die Sonne stand um Mitternacht über drei Grad hoch am Himmel, und wir konnten bei anhaltend gutem Wetter bis zum folgenden Mittag in diese Richtung weiterfahren. Unsere Position war 70° 28' S und 20° 16' W und wir hatten zweiundsechzig Meilen Richtung S 62° W zurückgelegt. Um 8 Uhr gab es von Nord über West bis Südwest offenes Wasser, gegen Süd und Ost aber nur undurchdringliches Packeis. Um 15 Uhr war der Weg nach Südwest und Westnordwest völlig versperrt. Da wir ohnehin ein Stück nach Westen abgekommen waren, hielt ich es auf keinen Fall für geraten, noch mehr von dem schwindenden Vorrat an Kohle zu verbrennen, um nach Westen oder Norden zu fahren. Ich führte das Schiff auf unserem Kurs etwa vier Meilen zurück zu einer Stelle, wo etwas loseres Packeis die schwache Hoffnung auf eine Durchfahrt weckte. Aber nachdem wir drei Stunden mit stark zerklüfteten Eis gekämpft hatten und vier Meilen nach Süden vorgedrungen waren, brachten uns enorme Blöcke und Schollen aus sehr altem Eis zum Stehen. Jeder weitere Versuch schien aussichtslos, und so gab ich, nachdem wir die Endurance an einer festen Scholle verankert hatten, Befehl, die Maschinen zu drosseln. Das Wetter war schön und einige Fußballbegeisterte trugen auf der Scholle ein Spiel aus, bis Worsley gegen Mitternacht durch ein Loch im morschen Eis fiel, aus dem er den Ball herausfischen wollte. Jetzt musste er selber herausgefischt werden.

Am folgenden Morgen, dem 6. Januar, versperrte noch immer massives Packeis den Weg nach Süden. Nördlich der Eisscholle gab es etwas offenes Wasser, doch da es windstill war und ich keine Kohle für eine möglicherweise fruchtlose Suche nach einer südlichen Durchfahrt vergeuden wollte, blieb das Schiff an der Eisscholle vor Anker. Diese Pause bei schönem Wetter bescherte uns die Gelegenheit, die Hunde zu bewegen. Die Hundeführer brachten die Tiere, die ganz außer Rand und Band waren, auf die Scholle. Einige schafften es, ins Wasser zu springen, und andere ließen sich von den Maulkörben nicht daran hindern, sich hitzige Gefechte zu liefern. Zwei Hunde, denen es gelungen war, ihre Maulkörbe abzustreifen, fielen kämpfend in ein Eisloch. Als wir sie herauszogen, waren sie noch immer ineinander verbissen. Aber trotz allem genossen Männer und Hunde den Auslauf. Eine Lotung ergab eine Tiefe von 2400 Faden, und die Bodenprobe enthielt blauen Schlamm. Am nächsten Morgen frischte der Wind aus West auf, und wir begannen, den nördlichen Rand des massiven Packeises in östlicher Richtung zu umsegeln. Bis Mittag kamen wir vom dichten Packeis weg, aber der Blick nach Süden gab nur wenig Hoffnung, entscheidend voranzukommen. Daher bemühte ich mich jetzt, weiter nach Osten zu gelangen. Wir segelten Richtung Nordost und passierten nach neununddreißig Meilen einen Eisberg, dem wir schon vor sechzig Stunden begegnet waren. Um uns herum tauchten nun Schwertwale auf, und ich musste darauf achten, keinem zu gestatten, das Schiff zu verlassen. Diese Raubtiere haben nämlich die Angewohnheit, über den Rand von Eisschollen zu spähen, um dort ruhende Robben ausfindig zu machen. Dann schießen sie von unten durch das Eis, um sich ihre Beute zu schnappen. Und sie würden wohl kaum einen Unterschied zwischen Robben und Menschen machen.

Die Mittagsposition am 8. Januar war 70° 0' S und 19° 09' W. Wir hatten in den vergangenen vierundzwanzig Stunden sechsundsechzig Meilen in nordöstlicher Richtung zurückgelegt. Am Nachmittag verlief unser Kurs Ostsüdost durch loses Packeis und offenes Wasser mit zahlreichen zerklüfteten Eisschollen im Süden. Es kamen etliche Wasserrinnen Richtung Süden in Sicht, wir hielten aber den östlichen Kurs bei. Die Eisschollen wurden weniger, und es gab Anzeichen von offenem Wasser voraus. Das Schiff passierte an diesem Tag nicht weniger als fünfhundert Eisberge, von denen einige eine enorme Größe besaßen. Ein dunkler Wasserhimmel33 dehnte sich am nächsten Morgen von Ost nach Südsüdost aus, und die Endurance arbeitete sich mit halber Kraft durchs lose Packeis und erreichte kurz vor Mittag das offene Wasser. Am Rand des losen Packeises lag wie ein Schutzwall ein 150 Fuß hoher und eine viertel Meile langer Eisberg. Wir segelten über einen vorstehenden Ausläufer dieses Bergs in das wogende Meer, das sich bis an den Horizont erstreckte. Das freie Wasser dehnte sich etwa von Südsüdwest über Ost bis nach Nordnordost aus, und genau über dem Süden hing ein hochwillkommener und vielversprechender dunkler Wasserhimmel. Ich legte den Kurs auf Süd bei Ost, um sowohl südlich wie östlich des südlichsten Punkts zu kommen, zu dem Ross vorgestoßen war (71° 30' südlicher Breite).

Wir blieben hundert Meilen im offenen Wasser, passierten viele Eisberge, stießen aber nicht auf Packeis. Zwei sehr große Wale, wahrscheinlich Blauwale, schwammen nahe ans Schiff heran, sodass wir ringsum ihre Fontänen sahen. Offenes Wasser inmitten des Packeises auf diesem Breitengrad mag den Walen, die weiter im Norden von den Menschen gehetzt werden, wie ein Heiligtum vorkommen. Die Fahrt Richtung Süden in blauem Wasser und mit offen vor uns liegender Wegstrecke war nach dem langen Kampf in den vereisten Fahrrinnen eine erfreuliche Erfahrung. Aber wie alle guten Dinge fand auch die Zeit unseres ungehinderten Vorankommens schließlich ein Ende. Am 10. Januar um 1 Uhr stieß die Endurance erneut auf Eis. Loses Packeis erstreckte sich von Ost nach Süd, während im Westen offenes Wasser und ein guter Wasserhimmel zu sehen waren. Es bestand zum Teil aus stark zerklüfteten Eis, das Anzeichen großen Druckes trug, aber auch viele dicke, flache Schollen enthielt, die sich offenbar in einer geschützten Bucht gebildet hatten und weder Druck noch Bewegung ausgesetzt gewesen waren. Der Strudel unseres Kielwassers spülte Kieselalgenschaum von den Rändern des Eises herab. Gegen 9 Uhr war das Wasser voller Kieselalgen, und ich ließ das Lot auswerfen. Bis 210 Faden wurde kein Grund geortet. Die Endurance setzte an diesem Morgen ihre Fahrt nach Süden durch das lose Packeis fort. Wir sichteten die Fontänen etlicher Wale und beobachteten einige Hundert Krabbenfresserrobben, die auf den Schollen lagen. Es gab auch viele weiße Seeschwalben, Antarktik- und Schneesturmvögel und auf einem kleinen Eisberg tummelte sich eine Kolonie Adeliepinguine. Wir sahen auch ein paar Schwertwale mit ihrer charakteristischen hohen Rückenflosse. Die Mittagsposition war 72° 02' S und 16° 07' W. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatten wir 136 Meilen Richtung S 6° O zurückgelegt.

Wir befanden uns nun unweit der Küste, die Dr. W. S. Bruce, Leiter der »Scotia«-Expedition, 1904 entdeckt und Coatsland benannt hatte. Dr. Bruce war bei 72° 18' S und 10° W auf eine Eisbarriere gestoßen, die sich von Nordost nach Südwest erstreckte. Er fuhr 150 Meilen nach Südwest an ihrem Rand entlang und erreichte 74° 1' N und 22 W. Er entdeckte keinen nackten Fels, aber seine Beschreibung von ansteigenden Hängen aus Schnee und Eis und seichtem Wasser vor der Barriere deuteten klar auf Land hin. An einem dieser Abhänge, so weit südlich wie möglich, wollte ich den Marsch quer über den antarktischen Kontinent beginnen. Alle Mann hielten jetzt Ausschau nach der von Dr. Bruce beschriebenen Küste, und um 17 Uhr meldete der Ausguck Richtung Südsüdost Land in Sicht. Wir konnten einen sanften Schneehang zu einer Höhe von tausend Fuß ansteigen sehen. Es schien eine Insel oder Halbinsel zu sein, mit einem Sund an ihrer Südseite. Ihre nördliche Spitze lag bei 72° 34' S und 16° 40' W. Die Endurance fuhr durch dickes, lockeres Packeis und bog kurz vor Mitternacht am Rand der Barriere in eine Rinne offenen Wassers ein. Eine Messung mit dem Lot ergab in einer Kabellänge34 Entfernung bei 210 Faden keinen Grund. Die Eisbarriere selbst war siebzig Fuß hoch, mit vierzig Fuß hohen Klippen. Die Scotia muss diese Stelle passiert haben, als sie am 6. März 1904 mit Bruce zum südlichsten Punkt seiner Expedition vorstieß. Ich wusste aus Berichten von dieser Reise und auch aus eigenen Beobachtungen, dass die Küste in südwestlicher Richtung verlief. Die offene Wasserrinne führte weiter an der Barriere entlang, und wir kamen ohne Verzögerung voran.

Am Morgen des 11. Januars brachte eine östliche Brise Wolken und Schneefall. Die Barriere verlief Südwest bei West, und wir folgten ihr bis 11 Uhr fünfzig Meilen weit. Morgens waren die Klippen zwanzig Fuß hoch gewesen, am Mittag erreichten sie eine Höhe von 110 bis 115 Fuß. Die Bergkuppe war scheinbar um zwanzig bis dreißig Fuß angewachsen. Einmal wurden wir von sehr schwerem Packeis für drei Stunden von der Barriere abgedrängt. Ansonsten gab es an ihrem Rand nur offenes Wasser, bei hohem, losem Packeis in West und Nordwest. Wir beobachteten, wie eine Robbe auf und ab wippte, um einen langen silbrigen Fisch hinunterzuschlucken, der ihr mindestens achtzehn Zoll aus dem Maul hing. Die Mittagsposition war 73° 13' S und 20° 43' W. Die Lotung eine Meile von der Barriere entfernt ergab eine Tiefe von 155 Faden. Der Grund bestand aus groben vulkanischen Kieseln. Das Wetter trübte zunehmend ein, und ich hielt Kurs Richtung West, wo der Himmel offenes Wasser anzeigte, bis wir um 19 Uhr das Schiff an einer Scholle im losen Packeis längsseits legten. Es begann stark zu schneien, und ich machte mir Sorgen, ob der Westwind das Packeis nicht gegen die Küste treiben und das Schiff zerquetschen würde. Die Nimrod war 1908 im Rossmeer einem solchen Schicksal nur knapp entkommen.

Um 5 Uhr setzten wir am nächsten Morgen, dem 12. Januar, die Fahrt fort, bei bedecktem Himmel mit Nebel und Schneeschauern, und vier Stunden später brachen wir durch loses Packeis in offenes Wasser. Es herrschte schlechte Sicht, aber wir hielten Kurs Südost und hatten bis zum Mittag vierundzwanzig Meilen zurückgelegt. Bei Position 74° 4' S und 22° 48' W ergaben drei Lotungen 95, 128 und 103 Faden Tiefe, mit einem Grund aus Sand, Kieseln und Schlamm. Clark machte mit seinem Netz einen guten Fang an biologischen Proben. Die Endurance befand sich nun ganz dicht an der Barriere mit einem breiten Gürtel aus Packeis, in dem viele Eisberge wahrscheinlich am Grund festgefroren waren. Das feste Eis bog Richtung Nordwest ab, und wir fuhren an seinem Rand achtundvierzig Meilen Richtung N 60° W, um es zu umgehen.

Jetzt waren wir über den Punkt, den die Scotia erreicht hatte, hinaus, und das Land unter der Eisdecke, an deren Rand wir entlangfuhren, war Neuland. Die Biegung nach Norden kam unerwartet, und ich vermutete, dass wir eine riesige Eiszunge umfuhren, die an der eigentlichen Barriere hing und sich Richtung Norden erstreckte. Diese Vermutung sollte sich bestätigen. Die ganze Nacht lang umfuhren wir das Eis Kurs Nordwest, dann West bei Nord, und um 4 Uhr bogen wir wieder nach Südwest ab. Am 13. Januar um 8 Uhr steuerten wir Kurs Südsüdwest. Um Mitternacht war die Barriere niedrig und weit entfernt, um 8 Uhr trennte sie nur ein schmaler, etwa zweihundert Yard breiter Eisgürtel vom offenen Wasser. Ab Mittag gab es immer größere Lücken im Eisgürtel. An einer Stelle senkte sich die Barriere in einem Abhang bis auf Meereshöhe. Wir hätten dort ohne Schwierigkeiten Ausrüstung anlanden können. In vierhundert Fuß Entfernung von der Barriere machten wir eine Lotung, fanden aber bei 676 Faden keinen Grund. Um 16 Uhr folgten wir noch immer der Barriere nach Südwest, als wir eine Biegung erreichten, wo sie abrupt nach Südost zurückwich. Unser Weg wurde von sehr dickem Packeis versperrt. Nachdem wir stundenlang vergeblich nach einer Lücke gesucht hatten, machten wir die Endurance an einer Eisscholle fest und drosselten die Maschinen. An diesem Tag waren wir an zwei Rudeln von Robben vorbeigekommen, die sich schnell Richtung Nordwest und Nordnordost bewegten. Die Tiere schwammen dicht an dicht, tauchten auf und bliesen wie Tümmler, und wir fragten uns, ob ihre Reise gen Norden zu dieser Jahreszeit irgendeine Bedeutung hatte. Am Tag zuvor waren einige junge Kaiserpinguine gefangen und an Bord gebracht worden. Zwei von ihnen waren noch am Leben, als die Endurance an der Eisscholle längsseits ging. Prompt hüpften sie aufs Eis hinab, drehten sich um, verbeugten sich drei Mal artig und zogen sich auf die andere Seite der Scholle zurück. Es liegt etwas seltsam Menschliches im Benehmen und in den Bewegungen dieser Vögel. Ich machte mir Sorgen um die Hunde. Sie waren in schlechter Verfassung, einige schienen zu kränkeln. Am 12. Januar musste ein Hund erschossen werden. Am 14. kam das Schiff kein Stück voran. Gegen Abend frischte von Osten eine Brise auf, unter deren Einwirkung sich das Packeis von der Küste zu lösen begann. Noch vor Mitternacht öffnete sich das Eis, das uns den Weg versperrte, und gab eine Fahrrinne am Rand der Barriere frei. Ich entschied mich, bis zum Morgen zu warten, da ich nicht riskieren wollte, zwischen Barriere und Packeis eingeschlossen zu werden, falls der Wind sich drehte. Eine Messung ergab eine Tiefe von 1357 Faden und einen Grund aus Gletscherschlamm. Die Mittagsposition war 74° 09' S und 27° 16' W. Am 15. Januar um 6 Uhr lösten wir bei diesigem Wetter und nordöstlicher Brise die Leinen und fuhren in offenem Wasser die Barriere entlang. Der Kurs führte sechzehn Meilen nach Südost und drehte dann auf Südsüdost. In Luv hatten wir jetzt dichtes Packeis, und um 15 Uhr passierten wir eine Bucht, die sich etwa zehn Meilen tief nach Nordost erstreckte. Um 18 Uhr kamen wir an einer ähnlichen Bucht vorbei. Diese tiefen Einschnitte verstärkten die Vermutung, die wir schon seit Tagen hegten, dass wir eine riesige Eismasse von mindestens fünfzig Meilen Durchmesser umschifft hatten, die sich von der Küste gelöst hatte und möglicherweise bald aufs offene Meer treiben würde. Die Messungen – etwa 200 Faden an der Landseite und 1300 Faden an der Seeseite – legten nahe, dass dieser enorme Eiskörper schwamm. Es gab dort massenhaft Robben. Wir sahen sie in großer Zahl auf dem Packeis und einige auf den tiefer liegenden Teilen der Barriere, wo die Hänge weniger steil waren. Das Schiff fuhr durch große Rudel von Robben, die von der Barriere zum vor der Küste liegenden Packeis schwammen. Die Tiere planschten und bliesen um die Endurance herum, und Hurley filmte diesen ungewöhnlichen Anblick mit seiner Kamera.

Die Barriere verlief jetzt wieder in Richtung Südwest. Bei einer frischen Brise aus Ost setzten wir die Segel, die wir um 19 Uhr jedoch wieder einholen mussten, weil die Endurance eine Stunde lang von Packeis aufgehalten wurde. Wir nutzten die Pause zum Loten und stellten 268 Faden Tiefe fest, der Grund bestand aus Gletscherschlamm und Kieseln. Dann öffnete sich vor uns eine schmale Rinne. Wir rauschten mit Volldampf hindurch, und um 20:30 Uhr fuhr die Endurance auf einer weiten Wasserfläche unter Segel Richtung Süden. Ich hielt Ausschau nach möglichen Landungsplätzen, auch wenn ich nicht die Absicht hatte, ohne Not nördlich der Vahselbucht an der Luitpoldküste an Land zu gehen. Jede weitere in Richtung Süden zurückgelegte Meile bedeutete eine Meile weniger im Schlitten, wenn es an die Kontinentalquerung ging.

Kurz vor Mitternacht des 15. Januars kamen wir an die Nordflanke eines riesigen Gletschers oder Eisflusses aus dem Inlandeis, der über die Barriere ins Meer hinausragte. Er war vier- oder fünfhundert Fuß hoch, und an seinen Rändern drängten sich Massen von Buchteneis. Die Bucht, die von der Nordflanke dieses Gletschers gebildet wurde, wäre ein hervorragender Landungsplatz gewesen. Ein flacher Eisvorsprung etwa drei Fuß über Meereshöhe sah wie eine natürliche Kaimauer aus. Von dort stieg ein Abhang zum Gipfel der Barriere an. Die Bucht war vor dem Wind aus Südost geschützt und bot nur den Nordwinden Zugang, was in diesen Breiten höchst selten vorkommt. Eine Lotung ergab achtzig Faden Tiefe, was zeigte, dass der Gletscher bis zum Grund reichte. Ich gab dem Ort den Namen Glacier Bay und hatte später Grund, mich mit Wehmut an ihn zu erinnern.

Die Endurance dampfte etwa siebzehn Meilen an diesem Eisfluss entlang. Der Gletscher wies viele Spalten und durch hohen Druck entstandene Kämme auf und schien im Landesinneren bis zu eisbedeckten Hängen oder Hügeln von 1000 bis 2000 Fuß zurückzureichen. Einige seiner Buchten waren mit glattem Eis überzogen, auf dem sich Robben und Pinguine tummelten. Am 16. Januar erreichten wir um 4 Uhr den Rand einer weiteren riesigen Gletscherzunge, die sich ins Meer hineinschob. Das Eis schien über niedrige Hügel zu gleiten und war sehr brüchig. Die Gletscherfront war 250 bis 300 Fuß hoch, das Eis zwei Meilen weiter im Land etwa 2000 Fuß. Die im Meer liegende Front wies eine Gezeitenmarke von etwa sechs Fuß auf, was bewies, dass der Gletscher nicht schwamm. Wir dampften vierzig Meilen an diesem gewaltigen Gletscher entlang und wurden dann um 8:30 Uhr von festem Packeis aufgehalten, das sich anscheinend zwischen gestrandeten Eisbergen verkeilt hatte. Die Tiefe betrug zwei Kabellängen vor den Klippen der Barriere 134 Faden. An diesem Tag gab es kein Weiterkommen mehr, doch die mittags ermittelte Position von 76° 27' S und 28° 51' W ergab, dass wir in den letzten vierundzwanzig Stunden 124 Meilen nach Südwesten vorangekommen waren. An diesem Nachmittag gab es noch ein Vorkommnis. Die Eisberge in der Umgebung waren sehr groß, einige davon über zweihundert Fuß hoch. Manche saßen fest auf Grund und trugen Gezeitenmarken. Ein Eisberg in der Barriere schien über fünfundzwanzig Meilen lang zu sein. Wir trieben das Schiff gegen einen kleineren, gestreiften Eisberg, von dem Wordie einige größere Brocken Biotit-Granit als Probe nahm. Während die Endurance langsam gegen den Eisberg drückte, ertönte ein lautes Krachen, und der Geologe musste sofort zurück an Bord klettern. Die Streifen dieses Eisbergs waren besonders ausgeprägt, sie rührten von den Moränen des Muttergletschers her. Später am Tag frischte der Ostwind zu einem Sturm auf. Kleine Eisschollen trieben mit einer Geschwindigkeit von zwei Knoten vorbei, und das Packeis in Lee begann schnell aufzubrechen. Ein niedriger Eisberg mit geringem Tiefgang trieb in das mahlende Packeis, rammte zwei größere gestrandete Eisberge und stieß sie vom Ufer fort. Alle drei trieben ineinander verkeilt weiter, während wir in Lee eines großen gestrandeten Eisbergs Schutz suchten.

Ein Blizzard aus Nordnordost zwang uns am folgenden Tag, Sonntag dem 17. Januar, im Schutz des Eisbergs zu bleiben. Das Wetter klarte auf, aber der Sturm trieb dichte Schneewolken vom Land heran und versperrte die meiste Zeit den Blick auf die Küstenlinie. »Bei klarer Sicht scheint das Land höher als wir gestern dachten, wahrscheinlich steigt es bis auf 3000 Fuß über den Gipfel des Gletschers an. Die Cairdküste, wie ich sie genannt habe, verbindet das von Bruce 1904 entdeckte Coatsland mit dem 1912 von Filchner entdeckten Luitpoldland. Der nördliche Teil besitzt einen ähnlichen Charakter wie Coatsland. Ihm ist eine gewellte Barriere vorgelagert, die Spitze einer mächtigen Eisdecke, die aus dem höher gelegenen Inneren des antarktischen Kontinents herausgeschoben wird und offensichtlich über niedrige Hügel, Ebenen und flache Seen hinwegschleift, so wie die große arktische Eisdecke einst über Nordeuropa hinweg gewalzt ist. Die Oberfläche der Barriere ist von See aus gesehen von einer blassen goldbraunen Farbe. Sie endet für gewöhnlich in Klippen, die zwischen zehn und dreihundert Fuß hoch sind, doch an manchen Stellen fällt sie bis auf Meereshöhe. Die Klippen sind von blendendem Weiß, mit herrlichen blauen Schatten. Weiter im Landesinneren kann man höhere Hänge erkennen, die wie dunkle blaue oder blassgoldene Schäfchenwolken aussehen. Diese entfernten Hänge sind mit unserer Fahrt nach Südwest nähergekommen und deutlicher sichtbar geworden, während die Klippen der Barriere hier höher und fester zu sein scheinen. Wir befinden uns jetzt nahe beim Übergang zum Luitpoldland. An diesem südlichen Ende der Cairdküste stürzt die Eisdecke, die sich über das darunter verborgene und eingeschlossene Land hinwegwellt, in gewaltigen Gletschern einen steilen Abhang hinab, zerklüftetes und gezacktes Eis, gesäumt von Tausenden von Gletscherspalten. Auf der gesamten Länge der Küste haben wir weder freiliegenden Boden noch nackten Fels gesehen. Außer hier und da einem vereinzelten Nunatak35 schien nichts diese Fläche aus Eis und Schnee zu durchbrechen. Aber die ansteigende Neigung der Eishänge Richtung Horizont und die Kämme, Terrassen und Spalten, die auftauchen, wenn das Eis sich dem Meer nähert, künden von den darunter liegenden Hügeln und Tälern.«

Bis zum 18. Januar um 7 Uhr lag die Endurance in Lee des gestrandeten Eisbergs. Der Sturm war zu diesem Zeitpunkt abgeflaut, sodass wir unter Segel südwestlich durch eine Wasserrinne fahren konnten, die sich vor der Gletscherfront aufgetan hatte. Wir umfuhren den Gletscher bis 9:30 Uhr, als er in zwei Buchten endete, die sich nach Nordwesten öffneten, aber von zwei gestrandeten Eisbergen nach Westen hin abgeschirmt waren. Die Küste dahinter verlief leicht ansteigend in Richtung Südsüdwest.

»Das Packeis zwingt uns jetzt vierzehn Meilen westlich zu fahren, bis wir einen breiten Gürtel aus großen Eisbrocken und Growlern durchbrechen. Wir segeln nur unter vorderem Toppsegel, die Maschinen haben wir zum Schutz der Schiffsschraube gestoppt. So gelangen wir in offenes Wasser, wo wir vierundzwanzig Meilen Richtung S 50° W fahren. Dann stoßen wir erneut auf Packeis, das uns zehn Meilen nach Nordwest abdrängt, bis wir von dicken Schneeklumpen, Trümmereis und großen losen Eisschollen aufgehalten werden. Die Struktur des Packeises verändert sich. Die Eisschollen sind sehr dick und mit tiefem Schnee bedeckt. Das zertrümmerte Eis zwischen den Schollen ist so dick und massiv, dass wir nur mit großem Kraftaufwand hindurchkommen, und dann auch nur für eine kurze Strecke. Daher drehen wir für eine Weile bei, um abzuwarten, ob sich das Eis überhaupt noch öffnet, wenn dieser Wind aus Nordost nachlässt.«

Am Morgen des 19. Januar war unsere Position 76° 34' S und 31° 30' W. Es herrschten gute Wetterverhältnisse, aber wir konnten nicht weiterfahren. Das Schiff war über Nacht vom Eis eingeschlossen worden, und von Deck aus ließ sich in keiner Richtung Wasser erkennen. Vom Mastkorb aus sah man nur ein paar wenige Fahrrinnen. Wir loteten 312 Faden und fanden am Grund Schlamm, Sand und Kieselsteine. Im Osten zeichnete sich schwach das Land ab. Während wir auf bessere Bedingungen warteten, nutzten die Wissenschaftler die Gelegenheit, um mit dem Netz biologische und geologische Proben zu sammeln. In der Nacht kam ein leichter Sturm aus Nordost auf, und als wir am 20. Januar die Lage sichteten, zeigte sich, dass das Schiff fest eingezwängt war. So weit der Blick vom Mastkorb aus reichte, türmte sich das Eis in allen Richtungen dick und massiv um die Endurance herum auf. Man konnte nichts tun, bis ich die Lage wieder änderte. So verbrachten wir die nächsten Tage zunehmend besorgt mit Abwarten. Der Sturm aus Ostnordost, der uns am 16. Januar gezwungen hatte, hinter dem gestrandeten Eisberg Schutz zu suchen, war später auf Nordost gedreht und wehte mit wechselnder Stärke bis zum 22. Januar. Offenbar hatte dieser Wind das Eis in die Bucht des Weddellmeers gedrückt, und das Schiff trieb jetzt im Griff der Eisschollen Richtung Südwest. Die leichte Bewegung des Eises um das Schiff herum führte am 21. Januar dazu, dass das Steuerruder eingeklemmt wurde und ernsthaft Schaden zu nehmen drohte. Wir mussten das Eis mit Stemmeisen zerschlagen, die sechs Fuß lange Holzgriffe hatten. Die Maschinen waren unter Dampf gehalten worden, um bei günstiger Gelegenheit sofort losfahren zu können. Jetzt ließen wir sie volle Kraft laufen und konnten so das Steuerruder aus dem Eis befreien. Am 22. Januar kam im Osten und Süden in etwa sechzehn Meilen Entfernung Land in Sicht. Die Eisdecke an Land schien zumeist in Klippen zu enden, aber an einigen Stellen senkten sich die Abhänge bis hinab zur Meereshöhe. Viele Spalten auf den Eisterrassen parallel zur Küstenlinie verrieten, wo sich die Eisdecke über Hügel hinweg bewegte. Das Inlandeis schien größtenteils gewellt, weich und gut begehbar, aber viele Spalten blieben uns vielleicht auch verborgen, weil sie mit Eis bedeckt waren oder keine Schatten warfen. Nach meiner Schätzung stieg das Gelände vierzig oder fünfzig Meilen weiter landeinwärts auf etwa 5000 Fuß an. Exakte Schätzungen von Höhen und Entfernungen sind in der Antarktis wegen der klaren Luft, der monotonen Farben, der täuschenden Wirkung von Luftspiegelungen und Lichtbrechungen stets schwierig. Das Land schien nach Süden anzusteigen, wo man in siebzig oder mehr Meilen Entfernung einen Gebirgszug oder eine andere Barriere erkennen konnte.

Am Sonntag, dem 24. Januar, herrschte sonniges Wetter mit einer leichten Brise aus Süd und Ost. Vom Mastkorb aus war kein offenes Wasser zu erkennen, aber in West und Nordwest zeigte sich ein schwacher Wasserhimmel. »Zum ersten Mal seit zehn Tagen wehte der Wind von Nordost bis Ost, und an fünf Tagen davon war er zu einem Sturm angewachsen. Offensichtlich ist das Eis in dieser Gegend stark zusammengedrückt worden, und wir müssen geduldig warten, bis ein Sturm aus Süd aufkommt oder Strömungen das Eis aufbrechen. Wir treiben langsam weiter. Die heutige Position ist 76° 49' S und 33° 51' W. Worsley und James haben auf einer Eisscholle bei Arbeiten mit dem Kew-Magnetometer eine Abweichung von sechs Grad West festgestellt.« Kurz vor Mitternacht tat sich fünfzig Yard vor dem Schiff ein Riss auf, etwa fünf Yard breit und eine Meile lang. Bis um 10 Uhr am 25. Januar auf eine Viertelmeile geweitet. Drei Stunden lang versuchten wir bei voller Maschinenkraft voraus und mit allen gesetzten Segeln das Schiff in diese Öffnung zu treiben. Was bloß bewirkte, dass achtern etwas Eis fortgespült und das Steuerruder befreit wurde. Nachdem ich feststellte, dass das Schiff unverändert feststeckte, brach ich den Versuch ab. Später am Tag stiegen Crean und zwei andere Männer auf einem Gerüst über die Reling und hackten auf ein großes Stück Eis, das unter das Schiff geraten war und unsere Fahrt behinderte. Plötzlich tauchte das Eis weg, schoss wieder empor, überschlug sich und klemmte Crean zwischen Gerüst und Griff der schweren elf Fuß langen Brechstange aus Eisen ein. Er befand sich für einen Moment in Gefahr, doch konnten wir ihn schnell befreien, sodass er mit einigen blauen Flecken davonkam. Die dicke Eisenstange war dabei um fünfundvierzig Grad verbogen worden.

Die folgenden Tage verliefen ereignislos. Leichte Winde aus Ost und Südwest hatten keine sichtbare Wirkung aufs Eis, das Schiff blieb weiter fest eingeschlossen. Am 27. Januar, den zehnten Tag der Untätigkeit, entschied ich, die Befeuerung der Maschinen einzustellen. Wir hatten pro Tag eine halbe Tonne Kohle verfeuert, um die Kessel unter Dampf zu halten. Da in den Kohlebunkern nur noch siebenundsechzig Tonnen übrig waren, was für dreiunddreißig Tage Fahrt unter Dampf reichte, konnten wir uns diesen Verbrauch an Treibstoff nicht länger erlauben. War der Horizont klar, zeigte sich in Ost und Süd noch immer Land. Der Biologe nahm mit dem Netz in verschiedenen Tiefen einige interessante Proben. Eine Lotung ergab am 26. Januar eine Tiefe von 360 Faden und am 29. Januar von 449 Faden. Es herrschte eine westliche Drift, und die Positionsbestimmung am Sonntag, dem 31. Januar, ergab, dass wir in einer Woche acht Meilen zurückgelegt hatten. James und Hudson bauten die drahtlose Funkstation auf, in der Hoffnung, die monatliche Nachricht von den Falklandinseln zu hören. Diese Nachricht sollte am nächsten Morgen um 3:20 Uhr gesendet werden, aber James bezweifelte, ob wir mit unserem kleinen Apparat über eine Entfernung von 1630 Meilen von der Sendestation überhaupt etwas hören konnten. Wir hörten tatsächlich gar nichts, und spätere Versuche schlugen ebenso fehl. Die Bedingungen wären auch für weitaus stärkere Empfänger schwierig gewesen.

Während dieser tagelangen Wartezeit legten wir uns allmählich einen Vorrat an Robbenfleisch zu. Zum einen brauchten die Hunde Futter, zum anderen stellten Robbensteaks und -leber an Bord der Endurance eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan dar. Vier Krabbenfresserrobben und drei Weddellrobben kamen uns am 2. Februar vor die Flinte. Das bedeutete über eine Tonne Fleisch für Hunde und Besatzung, und alle Mann waren fast den ganzen Tag lang damit beschäftigt, die Kadaver über das buckelige Eis zum Schiff zu bringen. Wir richteten drei Schlitten so her, dass sie von den Männern gezogen werden konnten, und beförderten die Robben zwei Meilen weit. Die Schlitten wurden aus dem Krähennest per Signalmast um Erhebungen und Wasserlöcher herumgeleitet. Auf der anderen Seite eines großen Eislochs sichteten die Männer zwei weitere Robben, doch gab ich keine Erlaubnis, sie zu verfolgen. Die Eisfläche war sehr trügerisch, Spalten und Löcher waren mit einer dünnen Eisschicht überzogen, und ich wollte kein Unglück riskieren.

In der Scholle am Heck des Schiffes öffnete sich am 3. Februar ein etwa vier Meilen langer Riss. Die schmale Rinne vor dem Schiff war noch immer offen, aber die vorherrschende leichte Brise schienen nicht in der Lage, das Eis in eine günstige Bewegung zu versetzen. Früh am Morgen des 5. Februars zog von Nordost ein Sturm heran, der Wolken und starken Schneefall mit sich brachte. Das Packeis öffnete und schloss sich immer wieder mal, ohne es insgesamt zu lockern. Mittags ging ein jäher Ruck durchs Schiff und es neigte sich um drei Grad zur Seite. Unmittelbar darauf verlief ein Riss vom Bug zu der Wasserrinne vor uns und ein anderer zu der Wasserrinne hinter uns. Ich dachte, es sei vielleicht möglich, das Schiff durch eine dieser Rinnen in offenes Wasser zu manövrieren, aber aufgrund des dichten Schnees konnten wir kein Wasser erkennen. Bevor nun die Kessel angeheizt waren und während noch immer schlechte Sicht herrschte, schloss sich das Packeis bereits wieder. Am 6. Februar war der Sturm aus Nord einer leichten Brise aus West gewichen. Das Packeis schien fester als je zuvor. Es erstreckte sich in alle Richtungen fast ohne Brüche bis zum Horizont. In den folgenden Tagen verschlechterte sich die Lage aufgrund sehr niedriger Temperaturen. In der Nacht des 7. Februar sank das Thermometer auf – 17° Celsius und am 8. Februar sogar auf – 19° Celsius. Diese Kältewelle mitten im antarktischen Sommer kam uns höchst ungelegen, weil sie das Packeis zementierte und den Druck des Eises auf das Schiff weiter verstärkte. Die langsame Drift nach Südwest hielt an. Hin und wieder erhaschten wir am östlichen Horizont einen Blick auf entferntes Hügelland. Unsere Position am 7. Februar war 76° 57' S und 35° 7' W. Lotungen am 6. und 8. Februar ergaben Gletscherschlamm bei 630 und 529 Faden Tiefe.

Am 9. Februar lag die Endurance in einem Wasserloch, das von einer Schicht jungem Eis bedeckt war. Die festen Eisschollen hatten ihren Griff um das Schiff gelockert. Es war neblig und wir bemerkten, wie eine leichte nördliche Dünung durch das Packeis lief. Diese Bewegung ließ hoffen, dass es in unserer Nähe offenes Wasser gab. Um 11 Uhr entstand ein großer Riss im Packeis, der von Ost nach West verlief und so weit reichte, wie wir im Nebel sehen konnten. In der Hoffnung, in diese Lücke vorstoßen zu können, gab ich Order, die Kessel anzuheizen. Der Versuch schlug jedoch fehl. Zwar konnten wir das junge Eis in dem Wasserloch durchbrechen, doch das Packeis hielt uns stand. Am 11. Februar machten wir bei schönem Wetter und blauem Himmel einen erneuten Versuch. Es herrschte noch immer eine niedrige Temperatur, – 19° Celsius um Mitternacht. Nachdem die Endurance etwas von dem jungen Eis durchbrochen hatte, blieb sie in einer weichen Eisscholle stecken. Die Maschinen liefen volle Kraft zurück, konnten aber nichts ausrichten, sodass alle Mann helfen mussten, das Schiff »rauszuhauen«. Wegen der Verschläge für die Hunde mittschiffs mussten die Männer sich achtern versammeln, wo sie in dem begrenzten Raum ums Steuerrad herum alle auf einmal von einer Seite auf die andere rannten. Es war eine leicht groteske Angelegenheit, wie die Männer unter Rufen und Lachen übereinander purzelten, ohne viel zu bewirken. Das Schiff blieb weiter feststecken, während alle Mann auf Kommando lossprangen, kam dann aber schließlich frei, als alle doppelt so hart aufstampften. Wir waren jetzt in der Lage, jede Öffnung, die sich auftun würde, zu nutzen. Das Eis um uns herum war fest, und da es nicht danach aussah, dass wir an diesem Tag noch weiterkommen sollten, ließ ich ein Stahlseil und den Motorschlitten für eine Testfahrt auf die Eisscholle bringen. Der Motor funktionierte einwandfrei und legte in einer Stunde etwa sechs Meilen über Unebenheiten und Spalten im Eis zurück, die mit ein oder zwei Fuß lockerem Schnee bedeckt waren. Die Eisoberfläche schien schlechter beschaffen, als wir es bei Eis auf Festland oder Barriere erwartet hatten. Der Motorschlitten wand sich an dem 500 Faden langen Stahlseil selbst zurück und wurde wieder an Bord gehievt. »Der Ausguck im Mastkorb wurde ständig von den Luftspiegelungen genarrt. Alles hatte etwas Unwirkliches. Eisberge hingen kopfüber in der Luft. Die Landmasse wirkte wie eine silberne oder goldene Wolkenschicht. Wolkenbänke sahen wie Land aus, Eisberge tarnten sich als Inseln oder Nunataks, und wir konnten die ferne Barriere im Süden erkennen, obwohl sie sich eigentlich außer Sichtweite befand. Am Schlimmsten war jedoch der trügerische Anschein offenen Wassers, verursacht durch die Spiegelung weit entfernten Wassers, oder weil die Sonne in einem bestimmten Winkel auf eine glatte Schneefläche fiel, oder auf Eisklippen hinter dem Horizont.«

Die zweite Februarhälfte brachte keine grundlegende Veränderung unserer Situation. Früh am Morgen des 14. Februars ließ ich die Kessel ordentlich anheizen und schickte alle Mann mit Eispickeln, Spießen, Sägen und Spitzhacken auf die Eisscholle. Wir arbeiteten den ganzen Tag und auch den Großteil des nächsten, um das Schiff mit einem anstrengenden Kraftakt in die vor uns liegende Wasserrinne zu bekommen. Die Männer brachen das junge Eis vorm Bug auf und zogen es mühevoll beiseite. Nach vierundzwanzig Stunden Arbeit hatten wir das Schiff ein Drittel der Strecke bis zur Rinne vorangebracht. Aber noch immer trennten die Endurance etwa vierhundert Yard massiven Packeises vom Wasser. Widerstrebend musste ich eingestehen, dass jede weitere Anstrengung vergeblich war. Jede Öffnung, die wir schlugen, fror wegen der für diese Jahreszeit ungewöhnlich niedrigen Temperaturen sofort wieder zu. Das junge Eis war elastisch, sodass das Schiff es nicht mit einem kräftigen Schlag des Bugs spalten konnte. Darüber hinaus hinderte es das alte Eis an jeglicher Bewegung. Das Einstellen unserer Bemühungen war für alle eine große Enttäuschung. Die Männer hatten viele Stunden lang unermüdlich gearbeitet und einen Erfolg verdient. Doch diese Aufgabe überstieg unsere Kräfte. Ich gab die Hoffnung, wieder freizukommen, nicht auf, rechnete aber nun mit der Möglichkeit, den Winter in den unwirtlichen Fängen des Packeises verbringen zu müssen. Die Sonne, die seit zwei Monaten über dem Horizont gestanden hatte, ging um Mitternacht des 17. Februars unter. Auch wenn sie nicht vor April verschwinden würde, warnten ihre schräg einfallenden Strahlen uns vor dem Kommen des Winters. Gelegentlich öffneten sich Wasserlöcher und Rinnen, aber sie froren immer wieder schnell zu.

Wir legten uns weiterhin einen Vorrat an Robbenfleisch und Tran zu. Die Jagdausflüge über die Eisschollen stellten zudem eine willkommene Betätigungsmöglichkeit für die Männer dar. Die drei Krabbenfresserrobben, die wir am 21. Februar schossen, waren Kühe und wurden nicht von einem Bullen begleitet. Am Loch, aus dem sie gestiegen kamen, war Blut zu sehen. Wir vermuteten, dass der Bulle einem Schwertwal als Beute gedient hatte. Diese aggressiven Tiere waren in den Wasserrinnen und Eislöchern häufig anzutreffen, und wir blieben stets skeptisch, ob sie zwischen einer Robbe und einem Menschen unterscheiden konnten oder wollten. Ein echsenartiger Kopf kam zum Vorschein, wenn der Wal mit bösen Augen eine Eisscholle ausspähte. Dann tauchte das Raubtier ab, um wenige Augenblicke unter einer unglücklichen Robbe, die auf dem Eis ruhte, wieder emporzuschießen. Worsley untersuchte eine Stelle, wo ein Schwertwal in zwölfeinhalb Zoll starkes Eis ein Loch von acht mal zwölf Fuß geschlagen hatte. Dort waren dicke Eisbrocken auf die Scholle geschleudert worden. Einmal war Wordie damit beschäftigt, die Dicke des Eises zu messen, als er dabei bis zur Hüfte ins Wasser fiel und in einer benachbarten Rinne ein Schwertwal zum Blasen auftauchte. Hastig zogen ihn seine Kollegen wieder heraus.

Am 22. Februar erreichte die Endurance den südlichsten Punkt auf ihrer Drift und berührte auf einer Länge von 35° W den 77. Breitengrad.

Der Sommer war vorüber, ja, eigentlich hatten wir gar keinen richtigen Sommer erlebt. Die Temperaturen blieben Tag und Nacht im Keller und das Packeis fror rund ums Schiff immer fester zu. Am 22. Februar um 2 Uhr maß das Thermometer – 23° Celsius. Einige Stunden zuvor hatten wir im Süden einen herrlichen goldenen Nebel beobachtet, wo die Strahlen der untergehenden Sonne den vom Eis aufsteigenden Dampf anstrahlten. Unter solchen Bedingungen verschwinden alle gewohnten Perspektiven, und die niedrigen Kämme des Packeises mit dem Nebel dazwischen vermittelten die Illusion eines wilden Gebirges wie im Berner Oberland. Es konnte keinen Zweifel mehr geben, dass die Endurance für den Winter eingeschlossen blieb. Leichte Brisen aus Ost, Süd und Südwest konnten die Eisschollen nicht am Zusammenfrieren hindern. Die Robben verschwanden und die Vögel verließen uns. Das Land am Horizont schien noch immer schönes Wetter zu haben, aber es lag für uns jetzt außer Reichweite, und es war müßig, den hinter uns liegenden Landungsstellen nachzutrauern.

»Wir müssen auf den Frühling warten, der uns vielleicht mehr Glück beschert. Hätte ich vor einem Monat vorausgeahnt, dass uns das Eis hier festhalten würde, hätte ich unser Basislager an einem der Landungsplätze an dem großen Gletscher aufgeschlagen. Aber es schien kein Grund zu der Annahme zu geben, dass sich das Schicksal als dermaßen unfreundlich erweisen würde. Diese ruhige Wetterlage mit extremer Kälte ist während des Sommers höchst außergewöhnlich. Meine Hauptsorge gilt jetzt der Drift. Wo werden die unsteten Winde und Strömungen das Schiff während der langen, vor uns liegenden Wintermonate hintreiben? Es wird Richtung Westen gehen, das war klar, aber wie weit? Und würde es möglich sein, gleich zu Beginn des Frühlings aus dem Packeis auszubrechen und die Vahselbucht oder einen anderen geeigneten Landungsplatz zu erreichen? Diese Fragen waren für uns von großer Tragweite.«

Am 24. Februar stellten wir die routinemäßigen Schiffswachen ein und machten die Endurance zum Winterquartier. Die ganze Besatzung verrichtete tagsüber ihren Dienst und schlief nachts, außer einer Wache, die nach den Hunden schaute und achtgab, ob sich irgendetwas im Eis bewegte. Um Steuerruder und Schiffsschraube schafften wir einen freien Raum von zehn mal zwanzig Fuß, indem wir das zwei Fuß starke Eis zersägten und die Blöcke mit einer vom Schiffzimmermann gebauten Greifzange aus dem Wasser hoben. Crean benutzte die Blöcke, um für die Hündin Sally, die die Expedition um einen kleinen Wurf Welpen verstärkt hatte, eine Eishütte zu bauen. Hin und wieder tauchten Robben auf, und wir erlegten alle, die in unsere Reichweite kamen. Sie bedeuteten sowohl Brennstoff als auch Nahrung für Mannschaft und Hunde. Es wurde Order gegeben, achtern die Laderäume zu leeren und die Vorräte zu überprüfen, um genau zu wissen, womit wir für die Belagerung durch den antarktischen Winter gerüstet waren. Am nächsten Tag verließen die Hunde das Schiff. Ihre Hütten wurden auf der Eisscholle errichtet, entlang eines Drahtseils, an dem wir ihre Leinen befestigten. Die Tiere schienen von Herzen froh zu sein, das Schiff verlassen zu dürfen, und kläfften laut und fröhlich, als sie ihre neuen Quartiere bezogen. Kaum hatten wir mit dem Training für die Gespanne begonnen, gab es schon große Rivalitäten zwischen den Schlittenführern. Die flachen Eisschollen und gefrorenen Wasserrinnen in der Nähe des Schiffs waren hervorragende Sportplätze. Hockey und Fußball gehörten zu unseren beliebtesten Abwechslungen, und alle Mann nahmen voller Eifer an diesen Spielen teil. Am 26. Februar stieg Worsley mit einigen Mann auf die Eisscholle und begann eine Reihe von Iglus und »Hundlus« um das Schiff herum zu bauen. Diese kleinen Gebäude wurden nach Eskimoart aus großen Eisblöcken und dünnen Eisplatten für die Dächer errichtet. Darauf legte man Planken oder gefrorene Robbenfelle, verteilte über allem Schnee und presste ihn in die Ritzen, und zum Schluss goss man Wasser drüber, um dem ganzen Gebilde Festigkeit zu verleihen. Innen wurde das Eis geglättet und für die Hunde mit Schnee bestreut, die jedoch lieber draußen schliefen, außer bei ganz schlechtem Wetter. Das Anleinen der Hunde war eine einfache Angelegenheit. Wir steckten das Ende der Kette etwa acht Zoll tief in den Schnee, drückten einige Eisstückchen dagegen und gossen ein wenig Wasser drüber. Der eisige Atem der Antarktis ließ augenblicklich alles steinhart gefrieren. Vier kranke Hunde mussten erschossen werden. Ein paar der Tiere litten schrecklich unter Würmern, und alle Heilmittel, die uns zur Verfügung standen, zeigten leider keine Wirkung. Alle gesunden Hunde trainierten mit den Schlitten und waren begeistert bei der Sache. Manchmal führte ihr Eifer, auf und davon zu laufen, zu komischen Situationen, aber die Schlittenführer lernten, auf der Hut zu sein. Unser Funkgerät blieb noch immer aufgebaut, doch lauschten wir Samstagnacht vergeblich auf die Zeitsignale von der Neujahrsinsel, deren Sendung eigens für uns von der argentinischen Regierung angeordnet worden war. Am Sonntag, dem 28. Februar wartete Hudson um 2 Uhr auf das monatliche Signal aus Port Stanley, konnte aber nichts hören. Die Entfernungen waren eindeutig zu groß für unsere kleine Anlage.

32Ross: James Clark Ross, 1800–1862, britischer Marineoffizier und Polarforscher, erreichte im antarktischen Sommer 1842–43 im Weddellmeer die südliche Breite von 71° 30'.

33Wasserhimmel: engl. water-sky, ein Lichtphänomen, das vornehmlich in den Polarregionen auftaucht, wobei die Unterseiten von Wolken dunkel oder schwarz erscheinen, wenn sie über einer offenen Wasserfläche liegen, weshalb man diese Erscheinung zum Navigieren nutzen kann.

34Kabellänge: etwa 185 m.

35Nunatak: Bezeichnet einen isoliert aus Eismassen aufragenden Felsen.

Südwärts - Die Endurance Expedition

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