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INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT IN DER ANTARKTIS (1901–1903)
ОглавлениеZu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Natur der Antarktis noch völlig unbekannt. Handelte es sich um einen mit Eis bedeckten Kontinent oder wie die Arktis um ein Eismeer, das von Inseln umgeben war? 1895 hatten sich die Geographen zum VI. Internationalen Geographenkongress in London versammelt und beschlossen, bis zur Jahrhundertwende den letzten weißen Fleck auf der Erde zu erforschen. Die belgische Expedition (1897–1899) unter der Leitung von Adrien de Gerlache war die erste, die diesem Aufruf folgte. An Bord der »Belgica« erkundete Gerlache die Inseln westlich der Antarktischen Halbinsel, wo er schließlich bei Peter I. Island ungeplant für zwölf Monate vom Eis eingeschlossen die erste Überwinterung südlich des Polarkreises durchführte. Die nächste von Carsten Borchgrevink in England privat ausgerüstete Expedition überwinterte 1899 auf Cape Adare in Victoria Land erstmals an Land. Beide Expeditionen brachten zwar äußerst interessante Ergebnisse von der Überwinterung nach Hause, konnten aber keineswegs die Millenniumsaufgabe der Geographen lösen. Nachdem abzusehen war, dass unabhängig voneinander agierende Expeditionen wenig Erfolg versprechend waren, wurde 1899 auf dem VII. Internationalen Geographenkongress in Berlin eine internationale meteorologische und magnetische Kooperation für die Jahre 1901 bis 1903 beschlossen. Vorbild war das Internationale Polarjahr, in dem von August 1882 bis August 1883 insgesamt an zwölf temporär eingerichteten Stationen rund um die Arktis meteorologische und magnetische Messungen durchgeführt wurden. Diesem Vorbild folgend beteiligten sich trotz aller damals bestehenden politischen Rivalität die britische Expedition auf der »Discovery« (1901–1904) unter der Leitung von Scott zum Rossmeer und die deutsche Südpolarexpedition (1901–1903) unter der Leitung von Erich von Drygalski, die im Südindischen Ozean am Südpolarkreis bei 90° O auf der »Gauß« ein Jahr lang ortsfest eingefroren wurde. Der schwedischen Expedition, die unter der Leitung von Otto Nordenskjöld auf der »Antarctic« (1901–1903) zur Antarktischen Halbinsel führte, erging es hingegen nicht so gut. Eigentlich hätte sie Nordenskjöld und fünf Kameraden, die 1902 planmäßig auf Snow Hill Island überwintert hatten, abholen sollen, konnte aber wegen der schlechten Eislage nicht dorthin gelangen. Stattdessen wurden drei Männer ausgesetzt, die über Land und Eis zu ihnen vordringen sollten. Die Wetterbedingungen zwangen sie aber, mit minimaler Ausrüstung in Hope Bay an der Spitze der Antarktischen Halbinsel zu überwintern. Als dann die »Antarctic« 1903 erneut nach Snow Hill Island unterwegs war, wurde sie vom Eis eingeschlossen, zerdrückt und ging unter. Die zwanzigköpfige Mannschaft musste sich nun ihrerseits auf die nächstgelegene Paulet Island retten.
An der internationalen Kooperation beteiligte sich außerdem noch die schottische Expedition auf der »Scotia« (1902–1904) unter der Leitung von William Speirs Bruce, die ins östliche Weddellmeer ging. Bevor Bruce in die Heimat zurückkehrte, übergab er seine meteorologische Station auf Laurie Island, einer der South Orkney Islands, dem argentinischen Wetterdienst und begründete damit die älteste kontinuierlich arbeitende Wetterstation in der Subantarktis. Schließlich folgte noch eine französische Expedition auf der »Français« (1903–1905) unter der Leitung von Jean-Baptiste Charcot zur Antarktischen Halbinsel, die ursprünglich der schwedischen Expedition zur Hilfe kommen wollte.
Diese fünf Expeditionen waren für manche Wissenschaftler und Offiziere Sprungbretter für eine große Karriere. Auch auf ihre erfahrenen Seeleute wurde immer wieder gerne zurückgegriffen. Zum Beispiel gründete Nordenskjölds Kapitän Carl Anton Larsen die erste Walfangstation auf Südgeorgien, während Roald Amundsen auf der »Belgica« quasi in die Lehre ging, bevor er seine erste eigene Expedition (1903–1906) durch die Nordwestpassage führte. Und Shackleton sammelte auf Scotts erster Expedition Erfahrungen in der Antarktis, als ihn Scott beauftragte, zusammen mit dem Arzt Edward Wilson und dem Geologen Hartley Ferrar von der Station am Fuß des Vulkans Mt. Erebus auf Ross Island eine Route über das Rossschelfeis in Richtung Südpol zu finden. Danach begleitete er Scott und Wilson auf der ersten Schlittenreise nach Süden, wo sie am 30. Dezember bei 82° 17' S den südlichsten Punkt erreichten. Auf ihrer viermonatigen Tour machte sich unangenehm bemerkbar, dass keiner von ihnen mit Hundeschlitten umgehen konnte. Zudem hatten sie teilweise verdorbenen Trockenfisch als einziges Hundefutter dabei, das aber nicht alle Zugtiere vertrugen, sondern davon erkrankten und starben. Am Ende kehrte keiner der 22 Hunde zum Ausgangspunkt zurück. Auch die Männer hatten große Probleme, denn sie litten vorübergehend unter Schneeblindheit, bekamen unangenehme Erfrierungen und Skorbut. Shackleton war von dieser Vitamin-C-Mangelkrankheit besonders betroffen. Zudem hustete er stark, war kurzatmig und konnte am Schluss den Schlitten nicht mehr ziehen. Auch gab es unterwegs starke Differenzen zwischen ihm und Scott, deren Ursache wohl in seiner Beliebtheit bei allen Expeditionsteilnehmern lag, die Scott als Expeditionsleiter mit seiner weniger einnehmenden Persönlichkeit nie erreichen konnte. Dies hatte zur Folge, dass Scott seinen Konkurrenten Anfang März 1903 angeblich wegen gesundheitlicher Probleme mit dem Versorgungsschiff »Morning« nach England zurückschickte, während andere an Skorbut erkrankte Kameraden bleiben durften.
Noch war die Phase der internationalen Zusammenarbeit in der Antarktis nicht abgeschlossen, denn Ende Juni half Shackleton Julián Irízar, der damals argentinischer Marine Attaché in London war, eine Rettungsaktion für die auf der Antarktischen Halbinsel gestrandete schwedische Expedition vorzubereiten. Unter anderem riet er Irízar, auf Paulet Island ein Depot für schiffbrüchige Seeleute einzurichten. Am Ende konnte Irízar an Bord des Marineschiffs »Uruguay« alle schwedischen Expeditionsmitglieder retten und in einem Triumphzug nach Buenos Aires bringen. Die argentinische Rettungsaktion wurde später ein wichtiger Mosaikstein in der Begründung des argentinischen Besitzanspruches an der Antarktischen Halbinsel. Heute ist die »Uruguay« ein nationales historisches Monument und kann im Museumshafen von Buenos Aires »Puerto Madero« besichtigt werden.