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Unerwarteter Besuch

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Der Schreck fuhr Kiéran durch den ganzen Körper. Hatte die Invasion begonnen, war dieser Kerl ein Krieger oder Kundschafter? Nein, der fremde Elis schien ganz entspannt – er trug zwar ein Schwert, hatte es aber nicht gezogen. Trotzdem war Kiéran auf der Hut. War das einer von Aláes Leuten? Vielleicht hatte der Bastard irgendwie herausgefunden, dass Jerusha ihm ein neues Amulett verschafft hatte als Ersatz für das zerstörte Exemplar ...

Gi sa wyín, ardesh k´ion“, sagte der Elis; Kiéran wusste noch, was das hieß: ´Gesegnet sei dein Tag, und voller Licht´.

„Ich habe keine Ahnung, was man darauf eigentlich antwortet“, entfuhr es Kiéran.

„Einfach das gleiche“, meinte der Elis. Er sprach jetzt Ouén, sehr gut sogar, wenn auch zögernd, als habe er es erst vor kurzem gelernt. „Zumindest, wenn man höflich sein will.“

„Na gut. Gi sa wyín und so weiter.“ Kiéran fehlte gerade die Geduld für solche Feinheiten. „Wer seid Ihr und weswegen seid Ihr hier?“

„Erkennst du mich nicht mehr, Lin´tháresh?“, sagte der Fremde, er klang ein wenig enttäuscht. Lin´tháresh – Tiefseher. So hatte man ihn in Khorat genannt, weil er weniger und doch mehr sah als ein gewöhnlicher Mensch.

Inzwischen dämmerte es Kiéran, wer da vor ihm stand. Das war einer der jungen Burschen, die am Königshof der Elis Aénor in Moranshir lebten und dort tun und lassen konnten, was ihnen beliebte. Zum Glück einer der netteren. „Colmarél?“

Die Gestalt des Besuchers strahlte noch heller, der Kerl freute sich. „Ja, Lin´tháresh, ich bin es. Wo ist deine Gefährtin, die Drachenschwester?“

„Genau hier“, hörte Kiéran eine vertraute Stimme hinter sich. Jerusha lehnte in der Tür der Kate, natürlich hatte sie es nicht lassen können, nachzusehen, was los war.

Anscheinend erfreut wiederholte Colmarél seine Begrüßung und verbeugte sich mit vollendeter Eleganz vor ihr. „Lady Jerusha, es ist schön, Euch so wohl zu sehen.“

„Warum kommt ihr beiden nicht rein? Es regnet.“ Jerusha hielt die Tür auf. Xatos´ Rache! Manchmal war sie wirklich zu nett für diese Welt. Noch wussten sie nicht, was dieser Elis vorhatte, und sie bat ihn einfach so ins Haus.

Kiéran seufzte, steckte sein Schwert in die Lederscheide zurück und folgte Colmarél in die Hütte.

***

Jerusha wusste selbst nicht genau, was sie fühlte. Einerseits war es ein Alptraum gewesen, was sie in Moranshir erlebt hatten, andererseits waren viele der Eliscan freundlich zu ihnen gewesen, allen voran Königin Célafiora. Und Colmarél war ihnen gegenüber nie so arrogant aufgetreten wie sein Freund Silmar, deshalb freute sie sich nach dem ersten Schrecken fast, ihn zu sehen.

Colmarél war etwa so groß wie Kiéran und musste sich so wie er beim Hereinkommen bücken, damit er sich nicht den Kopf am Türrahmen stieß. Dann stand er mitten in der niedrigen Wohnstube der Kate und sah sich um; auf seinem schönen Gesicht, das von langen roten Locken umrahmt wurde, stand staunende Neugier. Vielleicht war er noch nie in einem Menschenhaus gewesen. Wahrscheinlich fand er es furchtbar unharmonisch und ärmlich.

Dann blickte er an sich herab, und seine Miene trübte sich, denn sein schickes taubengraues Lederwams, unter dem er ein weißes Seidenhemd trug, hatte arg unter der Feuchtigkeit gelitten. Und sein Lederhut sah aus wie etwas, das Kinder aus dem Dorfweiher gefischt hatten.

„Könnt ihr nicht bestimmen, dass es aufhört?“, fragte Colmarél sie mit leichter Verzweiflung und deutete aus dem Fenster.

Jerusha musste lachen. „Der Regen? Nein, sowas können wir hier nicht. Und es hätte noch schlimmer kommen können, manchmal schüttet es richtig.“

Der Gesichtsausdruck des jungen Elis zeigte deutlich, was er davon hielt.

Sie blickte zu Kiéran hinüber, um sich mit ihm gemeinsam darüber zu amüsieren, doch Kiéran stand mit gekreuzten Armen nahe der Tür, sein Gesicht war ausdruckslos. Er traute ihrem Besucher nicht über den Weg, so viel war klar. „Hat dich jemand gesehen?“, fragte er jetzt. „Wo ist dein Pferd?“

„Wartet im Wald auf mich – gut verborgen, so wie ich bei meinem Weg hierher“, antwortete Colmarél mit einem Anflug von Stolz.

Das war gut. Sonst hätte er ganz sicher Aufsehen erregt im kleinen, beschaulichen Loreshom, und sofort hätten die Lästermäuler begonnen zu spekulieren, wer er war.

„Was bringt dich her?“, fragte Jerusha, die es nicht länger schaffte, ihre Neugier im Zaum zu halten. „Wer schickt dich?“

„König Qedyr“, erklärte Colmarél und ließ sich sehr vorsichtig auf einem der Holzstühle, die um den Esstisch herumstanden, nieder. So als sei er nicht sicher, ob das Ding womöglich unter ihm zusammenbrechen würde.

Nicht Aláes. Allen Göttern sei Dank, nicht Aláes. Jerusha konnte sehen, wie sich Kiéran entspannte. Qedyr und Königin Célafiora waren gute Herrscher, sie hatten Jerusha beeindruckt durch ihre Würde und Großherzigkeit.

„Aber warum, was will der König von uns?“, hakte sie vorsichtig nach.

„Qedyr bittet euch beide um einen Gefallen.“ Plötzlich war Colmaréls Ton förmlich, und er wechselte in die Alte Handelssprache. Jerusha ahnte, dass er jetzt eine offizielle Botschaft vortrug. Sie war nur nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. Wieso glaubte einer der mächtigsten Herrscher des Reiches Khorat, dass sie irgendetwas für ihn tun konnten? Ungeduldig wartete sie darauf, dass der junge Elis weitersprach.

„Der König lässt fragen, ob ihr ihn durch Ouenda geleiten könnt. Er will sich unerkannt reisend selbst ein Bild davon machen, ob ihr Menschen wirklich einen Krieg gegen die Eliscan plant, so wie es viele in Khorat glauben.“

Jerusha blieb die Luft weg. Mit vielem hatte sie gerechnet, aber nicht mit so etwas. Kiéran starrte Colmarél an, er wirkte genauso verblüfft wie Jerusha. Doch er nahm sich Zeit mit der Antwort, wog jedes Wort ab. „Er nimmt also ernst, was ich versucht habe, ihm zu sagen. Dass nicht wir es sind, die den Krieg beginnen wollen.“

„Ja. Es ist eine wahre Möglichkeit, dass Aláes und seine Verbündeten nur vorgespiegelt haben, dass uns von euch Gefahr droht. Aber sicher können wir nicht sein, denn es gibt wahrlich einige Berichte über Zwischenfälle.“

Es war gut möglich, dass einige dieser Berichte stimmten. Anderwesen hatten in Ouenda keinen guten Ruf, und die meisten Menschen sprachen mit Furcht und Abneigung von ihnen. Und das ohne wirklichen Grund, ging es Jerusha durch den Kopf, denn getroffen haben die meisten von ihnen noch nie einen Elis!

„Wenn Qedyr mit eigenen Augen sieht, dass hier alles ruhig ist ... wird er uns dann Frieden garantierten? Uns zusichern, dass die Eliscan nicht versuchen, unser Reich einzunehmen?“ Kiéran ließ den Elis noch immer nicht aus den Augen.

„Ihr hättet die Gelegenheit, uns die friedlichen Absichten eures Volkes zu beweisen“, wich Colmarél aus. „Und wenn es doch zu einem Krieg käme, würden wir diesen Ort hier verschonen und einen weiteren Ort, der eurem Herzen nah ist.“

Loreshom würde verschont! Liri und ihre Mutter würden überleben! Jerusha spürte, wie Tränen der Erleichterung in ihre Augen traten, und wischte sie hastig weg, bevor Colmarél sie bemerkte. Noch war nichts vereinbart, nichts entschieden.

„Warum will Qedyr selbst kommen?“, platzte sie heraus. „Ist das nicht viel zu gefährlich? Er könnte doch einen Abgesandten schicken, dem er vertraut.“

Verlegen zwirbelte Colmarél eine seiner Locken zwischen den Fingern. „Es ist bei Hofe manchmal schwer zu sagen, wem vertraut werden kann und wem nicht. Außerdem ist er ... wie sagt man?“

„Neugierig?“, meinte Kiéran trocken.

„So in etwa. Bisher war er nur sehr selten in euren Fürstentümern, und meist nur kurz und in der Nacht. Er will Menschen verstehen lernen.“

Am liebsten hätte Jerusha auf der Stelle zugestimmt, doch sie ahnte, dass das unklug war. Kurz zog sie sich mit Kiéran in die enge Küche der Hütte zurück, ihre Lippen berührten sein Ohr. „Und, was meinst du?“, hauchte sie. „Sollen wir es machen?“

„Es ist eine unglaubliche Chance“, flüsterte Kiéran zurück, sein Atem streifte ihre Wange. „Aber auch ein enormes Risiko. Wenn sich Qedyr auch nur einen Fingernagel abbricht bei dieser Reise, dann sind wir beide so gut wie tot.“

Erschrocken tastete Jerusha nach seiner Hand, und einen Moment lang hielten sie sich aneinander fest. Sie wagten nichts mehr zu sagen, denn sie wussten beide, was für feine Ohren die Eliscan hatten. Wenn wir wirklich diskutieren wollen, müssen wir dafür einen anderen Ort finden.

Als sie in die Wohnstube zurückkehrten, flackerte im Kaminofen ein bläuliches Feuer, und Colmarél hatte es sich davor gemütlich gemacht. Anscheinend hatte er damit gerechnet, dass sie sich länger besprechen würden. Hastig nahm er die Füße von dem zweiten Sessel, den er sich herangezogen hatte, und das Feuer verlosch genauso plötzlich, wie es entstanden war.

„Wir brauchen mehr Bedenkzeit“, kündigte Jerusha an, ohne seine Verlegenheit zu beachten. „Kannst du morgen wiederkommen?“

„Ja, natürlich, Lady Jerusha.“ Colmarél verbeugte sich, dann versuchte er, seinen feuchten Hut wieder aufzusetzen. Ein Tropfen fiel auf seine Nase. „Bei Mondaufgang?“

„So sei es. Aber nicht hier“, sagte Jerusha schnell. Die Leute im Dorf, allen voran Irini DaEwinh, durften nichts von diesem Besuch mitbekommen. „Besser auf dem Fir Evarn – das ist ein Hügel im Craunenwald westlich von hier, dort stehen sechs Bäume im Kreis, ich habe Gesichter in sie eingeschnitzt ...“

Colmarél nickte feierlich. „Ich bin dort vorbeigeritten. Es ist ein guter Ort und bald noch besser.“

Na, mit dieser Meinung stand er in der Gegend ziemlich alleine da. Den Menschen im Dorf waren die Gesichter in den Bäumen unheimlich. Was genau meinte Colmarél mit ´bald noch besser´?

Zum Abschied verbeugte sich Jerusha vor ihrem unerwarteten Gast, und Kiéran brachte ein Lächeln und einen freundlichen Abschiedsgruß zustande.

***

„Ich will, dass Koriónas dabei ist, wenn wir uns beraten“, sagte Jerusha, kaum dass sich die Tür hinter dem Elis geschlossen hatte. Kiéran legte den Finger auf die Lippen und überprüfte rasch, ob Colmarél wirklich die Umgebung verlassen hatte und nicht etwa hinter einer der dünnen Hüttenwände lauschte. Erst als er sicher war, dass der Elis wirklich weg war, verließ die furchtbare Anspannung ihn. Er hätte jetzt einen Krug Met gebrauchen können, oder zur Not auch diesen fiesen Schnaps aus Khelgardsland, doch bedauerlicherweise hatten sie alles leergetrunken, was sie gekauft hatten, und die Vorräte von Jerushas verstorbener Großmutter bestanden aus lauter vernünftigen Dingen wie getrockneten Erbsen und Dörrobst.

Langsam drang zu ihm durch, was Jerusha eben gesagt hatte. „Koriónas? Gute Idee“, erwiderte er. Der Drache, mit dem ihr Clan verbündet war, flößte ihm noch immer Ehrfurcht ein, und Kiéran schätzte seine Klugheit.

„Dann los.“ Jerusha nahm eine Laterne vom Haken neben der Tür, zündete sie für sich an und ließ Kiéran vorangehen auf dem Pfad, der über die Brücke in den Wald führte. Dank seiner neuen Augen bewegte er sich in völliger Dunkelheit ebenso sicher wie bei Tag, er bemerkte nicht einmal, ob die Sonne am Himmel stand oder nicht.

Kiéran wusste, dass seine Gefährtin wahrscheinlich schon jetzt mit ihrem Drachen in Kontakt stand und ihn bat herzukommen, wenn es irgendwie ging. Kaum waren sie auf der Lichtung angekommen, sah er den Drachen über dem Wald durch die Luft gleiten und hörte das Sausen seiner ledernen Schwingen in der Nachtluft. Wie so viele Anderwesen trat auch dieses klar und deutlich aus der ewigen Dunkelheit hervor, die Kiéran umgab, und wie gebannt beobachtete er, wie der Schuppenpanzer des Drachens schimmerte. Es sah aus wie die Lichtreflexe auf fließendem Wasser.

Koriónas konnte so behutsam aufsetzen wie ein fallendes Blatt, doch diesmal verpatzte er die Landung, und seine Vorderpranken gruben sich tief ins kieselige Bachbett am Rande der Lichtung. Sein Schwanz peitschte zur Seite und entwurzelte einen jungen Baum. Diese Spuren müssen wir beseitigen, bevor wir zurückgehen ins Dorf, niemand darf ahnen, dass ein Drache hier gewesen ist! Die meisten Bewohner Kalamancas wissen ja nicht mal, dass es noch welche gibt.

Ein erstickender Geruch nach Reptil umhüllte Kiéran, und einen Moment lang hielt er den Atem an, als der Drache ihm den gewaltigen Kopf zuwandte. Nicht, weil er Angst hatte – dazu kannten sie sich zu gut – sondern weil es schon eine Weile her war, dass sich Koriónas zuletzt das Maul gereinigt hatte, indem er armdicke Weidenzweige zerkaute.

Ein tellergroßes gelbes Auge mit schlitzförmiger Pupille wandte sich ihm zu. So, ich stinke also?, donnerte eine Stimme in Kiérans Kopf.

Manchmal hatte es Nachteile, dass Drachen Gedanken spüren konnten. Kiéran setzte zu einer diplomatischen Antwort an, doch Jerusha kam ihm zuvor. „Ja, ein bisschen, aber das ist egal, es sind ein paar wichtige Dinge geschehen ...“

Sie setzte sich neben Koriónas ans Bachufer und berichtete, was ihr unerwarteter Besucher ihnen im Auftrag der Eliscan-Herrscher vorgeschlagen hatte. Verblüfft schnaubte Koriónas, und ein paar Blätter wirbelten Kiéran um die Ohren. Das ist eine erstaunliche Bitte, stellte der Drache fest. Aber Qedyr ist auch ein erstaunlicher Herrscher, anders als viele vor ihm. Wahrheit ist ihm wichtiger als Macht.

„Das ist sehr löblich, aber was ist, wenn diese ganze Reise grandios daneben geht?“ Kiéran hatte Kopfschmerzen, wie so oft seit dem Gefecht in Daressal. „Colmarél hat gesagt, dass Qedyr die Menschen verstehen lernen will – da bin ich zusammengezuckt. Menschen sind grausam, neidisch, verschlagen und gierig – natürlich nicht dauernd, aber viel zu oft. Auch ich habe schon Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin.“

„Das ... aber ...“ Jerusha klang erschrocken – worüber? Dass er nicht perfekt war oder dass er einen so miesen Eindruck von der Menschheit hatte? Sie stockte, setzte dann noch einmal an. „Ja, du hast wohl Recht, aber er erwartet hier bestimmt kein Paradies der Gerechtigkeit oder so etwas. Schließlich nennt sich sein Volk die Edlen des Mondes, und manche von ihnen haben die Moral einer fünfschwänzigen Sumpfnatter!“

Das stimmt, mischte sich Koriónas ein. Während ihr Menschen zwar die meiste Zeit über unausstehlich seid, aber in manchen Momenten richtig nett.

„Danke“, sagte Jerusha und legte ihm die Hand auf die handtellergroßen Schuppen des Vorderbeins. „Ich glaube, das habe ich jetzt gebraucht.“

Außerdem will Qedyr sicher nur sehen, ob bei euch Armeen aufmarschieren oder nicht, fügte Koriónas hinzu.

Kiéran stützte den Kopf in die Hände und massierte seine Schläfen. „Wenn wir Pech haben, sieht er das sogar. Schließlich habe ich die ganze letzte Woche damit verbracht, das Maul aufzureißen und landauf, landab Leute zu warnen.“

„Stimmt, und die Priester des Schwarzen Spiegels bereiten sich bestimmt vor ... aber welcher der großen Fürstenhöfe hat bisher auf deine Botschaften reagiert?“ Jerusha klang skeptisch. „Doch nur der aus Kalamanca, richtig?“

Er nickte. „Genau. Und die haben sowieso kaum Truppen. Aus Benaris habe ich noch keine Antwort, in Khelgardsland wird gerade erst ein neuer Regent bestimmt, im Moment fühlt sich niemand zuständig, und Fürst Ceruscan aus Yantosi hat vermutlich kein Interesse mehr daran, meine Nachrichten zu öffnen ...“

„Weil du sein Angebot abgelehnt hast, in seine Leibwache einzutreten?“

„Nicht nur das. Ich habe ihm auch auf den Kopf zugesagt, dass seine Lieblings-Heilerin ein Anderwesen ist und sich offenbar an seinem Hof eingeschlichen hat. Du hättest ihn sehen sollen. Er war wütend wie ein angestochener Keiler, aber nicht auf seine Heilerin, sondern auf mich!“

So viele Einwände. Koriónas Stimme war sanft. Aber seid ehrlich, welche Wahl habt ihr denn? Es ist vielleicht eure einzige Chance, einen Krieg zu verhindern. Aus irgendeinem Grund vertraut euch Qedyr. Macht was draus!

„Na gut“, sagte Kiéran – er wusste, dass der Drache Recht hatte. „Ich hoffe, sie schicken als Eskorte ein paar Leute, die schon mal in Ouenda waren. Sonst fallen wir mit denen auf wie eine Herde blauer Schafe auf dem Marktplatz.“

Jerusha seufzte. „Ja, leider. Colmarél ist ein netter Kerl, aber was der hier bräuchte, ist kein Führer, sondern ein Kindermädchen.“

Koriónas hatte zugehört, aber nichts gesagt. Seine Augen schienen in die Ferne zu blicken, ohne etwas zu sehen. Er zuckte merklich zusammen, als Jerusha ihn ansprach. Was war mit ihm los, bedrückte ihn etwas?

Auch Jerusha schien aufgefallen zu sein, dass Koriónas abwesend wirkte. „Was ist los, alter Freund? Alles in Ordnung?“, fragte sie ihn und strich mit der Hand über seine Vorderpranke.

Der Wind weht scharf und kühl in dieser Nacht, entgegnete der Drache.

„Ja, das stimmt – danke, dass du trotzdem gekommen bist, um uns beizustehen“, sagte Jerusha. Koriónas sandte ihnen ein Abschiedsgruß, dann griffen seine Flügel, groß wie die Segel einer Karavelle, in die Luft, seine Hinterbeine stießen sich kraftvoll vom Boden ab und katapultierten seinen Leib dem Himmel entgegen.

Jerusha wickelte sich fröstelnd den Umhang enger um ihren Körper. „Ich finde, das klang irgendwie rätselhaft, findest du nicht? Kühl ist es zwar schon, aber so stark ist der Wind nicht.“

Auch Kiéran war das aufgefallen. „Was auch immer los ist, anscheinend will er nicht darüber reden. Besser, ihn nicht zu drängen.“ Er nahm Jerusha in die Arme, um ihr etwas von seiner Wärme abzugeben, doch so richtig erfolgreich war er damit nicht, es waren zu viele Schichten feuchter Wolle zwischen ihnen.

Nachdem sie alle Spuren des Drachenbesuchs beseitigt hatten, beeilten sie sich, in die Kate zurückzukommen und ein Feuer im Kaminofen in Gang zu bringen. Bei Mondaufgang des nächsten Tages sagten sie ihrem Besucher aus Khorat, was sie entschieden hatten – dass sie dem König den Gefallen mit dem größtem Vergnügen tun würden und sich schon auf seinen Besuch in Ouenda freuten. „Das ist herrlich“, freute sich der junge Elis. „Dann kann es schon bei Rhovei – so nennen wir den Sichelmond – losgehen, das ist ein guter Zeitpunkt für den Beginn einer Reise. Ich freue mich schon.“

Kiéran schwante Böses. „Wie viele Eliscan werden denn mit dem König herkommen?“, fragte er, und Colmaréls Gestalt leuchtete vor lauter Begeisterung hell wie die Sonne. „Drei“, erwiderte er. „Der König, eine Leibwächterin ... und ich!“

„Großartig“, sagte Kiéran und lächelte freundlich.

Allmählich wurde er richtig gut im Lügen.

Lilienwinter

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