Читать книгу Elfenschimmer - Sissy Rau - Страница 3
ОглавлениеHalb sechs stand ich auf. Nach meinem Traum hatte ich kein Auge mehr zugemacht und war nun schrecklich müde.
Ich war froh, endlich mal die Erste im Badezimmer zu sein und es ganz für mich allein zu haben. Mit vier Geschwistern kam das selten vor.
Ich ließ mir Zeit während ich duschte, meine Haare föhnte und mit etwas Schminke versuchte, die tiefen Augenringe los zu werden. Doch es half nichts. Ich sah genauso blass und kränklich aus wie Antony und seine Geschwister am Tag zuvor.
Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Ich öffnete und ließ Iason hinein. Er sah mich unsicher an, schloss dann aber die Tür hinter sich und nahm eine der vielen Zahnbürsten aus dem Becher. Er sah, genau wie ich, sehr mitgenommen und krank aus.
„Hast du auch nicht schlafen können?“, fragte er.
„Hatte einen merkwürdigen Traum.“, antwortete ich und versuchte meine Haare in einen Zopf zu zwängen.
„Ich auch.“
„Handelte er von einem Licht?“, fragte ich und sah ihn prüfen an. Schon seit Jahren hatten wir nicht mehr die gleichen Träume. Doch als Kinder war es für unsere Eltern besonders schwer gewesen. Wir wachten immer gleichzeitig wegen der gleichen Albträume auf und kletterten dann zu ihnen ins Bett.
An unserem 12. Geburtstag änderte sich das schlagartig. Und obwohl Iason diese gemeinsamen Träume abstritt, war ich mir sicher, dass auch er sie durchleben musste.
Seine Stimme riss mich aus diesen Erinnerungen: „Ja, und du bist darauf zugegangen. Elisabeth und dieser blonde Riese tauchten auf, aber du hast sie angeschrien und dich umgedreht. Gleichzeitig ist dieser – wie hieß er noch – Antony? – aufgetaucht und hat dich an sich gerissen. Du hast geschrien und ich bin aufgewacht.“ Er sah mich nicht an. Irgendetwas an diesem gemeinsamen Traum machte ihn nervös. Und ich konnte es ihm nicht verdenken.
„Dann gehörten diese Augen also Antony.“, flüsterte ich, mehr zu mir selbst. Iason nickte.
„Amalie, ich denke, dass dieser Traum – genau wie ich – dir rät, dich von ihm fern zu halten. Es war ja deutlich zu erkennen, dass die Gefahr von ihm ausging.“
Ich betrachtete meinen Zwilling im Spiegel. Wir waren uns seit langem nicht mehr so ähnlich gewesen, wie in diesem Moment und gleichzeitig waren wir uns uneinig.
Kopfschüttelnd verließ ich mit Louis das Bad und setzte mich zu meinen Eltern an den Frühstückstisch. Meine Geschwister waren alle noch nicht aufgestanden oder suchten sich ein Badezimmer.
„Morgen.“, murmelte ich und setzte mich.
„Hast du gut geschlafen?“, fragte mich Dad, während ich die erste Tasse Tee ohne Pause hinunter kippte. Ich schüttelte nur den Kopf.
Dann verabschiedete sich Dad von uns und fuhr mit unserem kleinen schwarzen Volvo zur Arbeit. Kurz darauf kam Iason die Treppe hinunter, gefolgt von Luna. Als er sich setzte, flog auch Romeo zu uns. Elisabeth kam wenige Sekunden später nach und das Chaos begann von neuem.
In der Schule gingen Iason und ich zum Mathe-Unterricht, doch ich konnte mich nicht wirklich konzentrieren. Ständig dachte ich an meinen Traum. Warum hatte ich ausgerechnet von Antony und dem blonden Riesen geträumt? Und war Elisabeth bei ihm gewesen, weil sie ihn in der Schule schon angeschmachtet hatte? Konnte es sein, dass Iason Recht hatte und dieser Traum eine Warnung gewesen war? Sollte ich mich tatsächlich von diesem Antony fernhalten?
In der nächsten Stunde würde ich wieder Französisch haben und er würde neben mir sitzen. Allein die Vorstellung daran machte mich schon nervös. Iason machte es nicht unbedingt besser, denn er trommelte mit seinem Bleistift in einem unregelmäßigen Rhythmus auf den Tisch. Ich sah zu Luna, die nervös vor der Tür hin- und herschlich. Dann blickte ich zu Louis, der ebenfalls unruhig umhertigerte.
Im gleichen Moment klingelte es. Langsam stopfte ich meine Unterlagen in meine Tasche. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, neben Antony zu sitzen. Was wäre, wenn Iason Recht hatte und er nicht gut für mich war?
„Wenn du dich nicht beeilst, musst du den ganzen Tag Mathe machen.“, meinte mein Bruder, der bereits an der Tür stand.
Seufzend rappelte ich mich auf und folgte ihm und den Seelentieren. Doch nur wenige Meter weiter ließ er mich schon zurück und ich betrat den Französischraum. Antony saß nicht an dem Platz, den er gestern eingenommen hatte. Überrascht blickte ich mich um, konnte ihn jedoch nicht entdecken und als ich endlich Platz genommen hatte, begann Herr Boleo mit dem Unterricht.
In der Pause setzte ich mich wieder zu Fabienne, meinen Geschwistern und den Seelentieren.
Nervös blickte ich mich um. Antonys Geschwister saßen an einem Tisch in der Nähe der Fenster. Und der Bruder sprach eindringlich auf seine Schwester.
Mein Blick huschte weiter zu den drei großen und muskulösen Kerlen. Sie sahen glücklich aus und unterhielten sich angeregt. Elisabeth, die neben mir saß, seufzte und der blonde Riese sah kurz zu uns, dann wandte er sich wieder ab und lachte lauthals.
Ich betrachtete die Drei genauer. Waren sie wirklich Brüder? Sie waren sich kaum ähnlich. Ich blickte kurz zu meinen Geschwistern. Auch wir waren sehr unterschiedlich. Doch diese Jungs waren so gegensätzlich wie sie es nur sein konnten.
Es klingelte zur nächsten Stunde und Fabienne und ich gingen hinauf in den ersten Stock zum gemeinsamen Deutschunterricht. Louis setzte sich auf meinen Schoß während ich meine Unterlagen auf dem Tisch ausbreitete.
Unsere Lehrerin ging ihre Namensliste durch, hielt aber bei Antonys Namen inne. Ich sah zu seinem leeren Platz mir gegenüber, schaute dann aber schnell wieder weg.
Der Unterricht war nach wie vor anstrengend und unsere Lehrerin war sehr streng. Sie duldete es nicht, gestört zu werden. Ich machte mich an die Aufgaben, und versuchte Fabienne zu ignorieren, die mich immer wieder stupste. Wahrscheinlich wollte sie mit mir reden.
Als es wieder klingelte, gingen wir zusammen zum Englisch-Unterricht. Vor der Tür warteten wir und ich sah in Fabiennes Gesicht, dass sie etwas auf dem Herzen hatte. Doch noch bevor sie etwas sagen konnte, trat der Schwarzhaarige von den drei Brüdern auf uns zu. „Du musst Amalie sein! Elisabeth meinte, dass ich wohl in deinem Jahrgang bin. – Ich bin übrigens Tristan!“ Er hatte ein wirklich einnehmendes Lächeln mit strahlend weißen Zähnen und funkelnden braunen, fast schwarzen Augen.
„Dann hast du jetzt mit uns Englisch-Unterricht?“, fragte ich grinsend und er nickte. Fabienne starrte uns abwechselnd an. Und erst als sie fast auf Louis getreten wäre, weil er sich gerade neugierig vor mich gestellt hatte, fiel mir auf, dass er sich Tristan gegenüber ganz anders verhielt als bei Antony.
Hinter mir öffnete sich die Tür und unser Lehrer ließ uns eintreten. Tristan setzte sich zu Fabienne und mir, und obwohl unser Lehrer uns viele Aufgaben auftrug, schaffte es der Schwarzhaarige bei allen gute Laune zu verbreiten.
Tristan war ein offener Mensch, der alle zum Lachen brachte und scheinbar vergaß Fabienne sogar, dass sie sich vor noch wenigen Minuten Sorgen gemacht hatte.
Es klingelte zur zweiten Pause und wir drei machten uns zusammen mit Louis auf den Weg zur Mensa, wo wir auf meine anderen Geschwister trafen. Meine Brüder hatten sich bereits etwas zu essen geholt und achteten kaum auf uns.
Tristan verabschiedete sich und ging zwei Tische weiter zu seinen Brüdern. Elisabeth sah begeistert zu uns hinauf.
„Ihr habt Tristan kennen gelernt?!“, ihre Augen leuchteten.
„Ja, er ist wirklich nett.“, meinte Fabienne und wir nahmen Platz.
„Nett ist wohl untertrieben. Und seine Brüder sind genauso! Dario ist in meinem Jahrgang und Jonathan ist in Valeries Jahrgang.“
„Und ihre Schwester?“, fragte ich und blickte zum schwarzhaarigen Mädchen, das in ihrer Mitte saß und in einem Buch las.
„Welche Schwester?“, Elisabeth schien verwirrt.
„Das Mädchen, das bei ihnen sitzt!?“
„Oh! Ich wusste nicht, dass sie auch eine Schwester haben!“ Sie streckte ihren Hals, um über Edward blicken zu können. Der war schon so genervt von unserem Geplapper, dass er seine Kopfhörer aus der Tasche zog und die Musik von seinem Handy lautstark aufdrehte.
Iason funkelte zornig an Elisabeth vorbei zu mir herüber. Fragend blickte ich zurück und als ich meinen Blick abwenden konnte, sah mich Fabienne seltsam an. Sie holte Luft, doch ehe sie etwas sagen konnte, klingelte es wieder und Louis und ich machten uns auf den Weg zum Kunst-Unterricht im Dachgeschoss der Schule.
Ich setzte mich auf meinen Platz und kurz darauf nahm Überraschenderweise Tristan neben mir Platz.
„Du hast Kunst also auch als Leistungskurs.“, es war eine Feststellung, keine Frage.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du so Kunst-begeistert bist.“, antwortete ich und erblickte Louis, der sich zu Tristans Füße setzte.
„Tja, ich stecke voller Geheimnisse.“, lachte er und zwinkerte mir zu.
Unsere Lehrerin betrat den Raum mit einem Stapel Kopien eines Gemäldes von Vincent van Gogh, das wir in dieser Stunde interpretieren sollten.
„Was machst du denn am Wochenende?“, fragte mich Tristan ohne den Blick von der Kopie zu nehmen. Verwundert sah ich zu ihm auf.
„Fabienne hat ihren 18. Geburtstag. Ich werde wohl mit ihr feiern gehen.“
„Du siehst nicht begeistert aus.“
„Ich bin nicht wirklich der Disko-Gänger.“
Er grinste wissend. „Ich auch nicht. Aber manchmal muss man solche Dinge machen.“
„Ja, besonders wenn es die beste Freundin ist.“
„Dann auf jeden Fall.“, lachte er und begann mit der Interpretation. Ich grinste und beugte mich ebenfalls über meine Kopie.
Nachdem es geklingelt hatte, machten Tristan, Louis und ich uns auf den Weg zum Parkplatz, wo meine Mutter und meine Geschwister mit ihren Seelentieren auf mich warteten. Tristan verabschiedete sich und ich setzte mich neben Elisabeth in unseren Familien-Van.
Sie sagte nichts, grinste nur über beide Ohren. Fragend blickte ich sie an. „Was?“
„Ach nichts.“, sagte sie unschuldig, grinste aber weiter.
Ich versuchte sie zu ignorieren, was mir nicht so wirklich gelang. Zuhause schielte Elisabeth immer noch alle paar Sekunden zu mir und grinste, ließ mich aber in Ruhe.
Am nächsten Tag redete Fabienne nur noch vom Wochenende, das in wenigen Stunden eingeläutet werden konnte. Ihr Geburtstag war ihr schon immer der wichtigste Tag in ihrem Leben und sie genoss es, Aufmerksamkeit zu bekommen, die ihr normalerweise nicht zukam.
Ich freute mich mit ihr. Sie war immer an meiner Seite und sie verdiente eine Freundin, die alles für sie tat. Und auch wenn ich nicht immer ehrlich zu ihr sein konnte, versuchte ich diese Freundin zu sein.
„Also, du bist dann also gegen acht Uhr bei mir und dann gucken wir erst diesen Film, den wir unbedingt sehen wollten. Da spielt auch dieser Schauspieler mit, du weißt schon, dieser heiße Typ – und wir essen Popcorn und Eis und quatschen über diesen ganzen Mädchenkram. Und dann bringt Mum uns zur Disko. Ich hab das schon mit ihr geklärt. Sie holt uns dann auch wieder ab.“, so ging das in jeder freien Minute. Selbst wenn unsere Lehrer um Ruhe baten. Fabienne war so aufgeregt, dass sie sich nicht beherrschen konnte.
Ich bemühte mich wirklich ihr zuzuhören. Doch schon in der ersten Pause konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich saß ihr gegenüber, doch sah ich nicht sie an, sondern Tristan, der einen Tisch weiter saß und mich immer wieder mit einem hinreißenden schiefen Lächeln anlächelte. Seine Augen funkelten tiefbraun und ich spürte eine leichte Wärme in mein Gesicht steigen. Ich wandte meinen Blick ab.
„Die Disko soll wirklich gut sein. Ich war zwar noch nicht da, aber Savanna hat mir davon erzählt ...“, plapperte Fabienne vor sich hin, aber ich bekam es kaum mit. Ich begegnete dem Blick meiner Schwester, die neben mir saß.
„Ich denke, er mag dich.“, flüsterte sie mir in Ohr. Ich warf ihr einen genervten Blick zu und erkannte den gleichen Gesichtsausdruck auf Iasons Gesicht, der mir schräg gegenüber saß.
„Weißt du, Fabienne, vielleicht sollte ich euch in die Disko begleiten.“, sagte er plötzlich ohne seinen Blick von mir nehmen.
„Oh.. ähm... ich weiß nicht... Es sollte eigentlich ein Mädchenabend werden.“, sagte sie völlig perplex. „Aber ich denke, das ist okay. Wenn uns dann einer blöd kommt, kannst du ihn verscheuchen.“
Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen, hielt mich aber zurück. Es war Fabiennes Entscheidung, und wenn sie ihn dabei haben wollte, würde ich mich zusammenreißen.
Der Samstagabend kam schneller als gedacht und auch wenn ich nicht wirklich Lust hatte, verbrachte ich einen wundervollen Abend mit meiner besten Freundin. Sie freute sich riesig über das Armband, dass ich ihr besorgt hatte – ein Metallring mit den Worten Wahre Freunde stehen es gemeinsam durch.
Sie hatte bei diesen Worten fast geweint. Ich wusste, dass es ihr viel bedeuten würde, schließlich hatten wir schon so einige Sachen gemeinsam durchgestanden. Zum Beispiel damals als Ihr Vater sie und ihre Mutter verlassen hatte, oder als meine Großeltern gestorben waren und ich mit niemandem reden wollte.
Wir sahen gemeinsam einen Film und hatten eine Menge Spaß. Und als Mitternacht immer näher rückte, zogen wir uns passendere Kleidung an – Fabienne trug ein kurzen roten Rock und ein schwarzes Top, ich ein enges schwarzes Kleid – und warteten auf meinen Zwillingsbruder.
Kurz nach 12 Uhr trat er zusammen mit Luna ins Wohnzimmer, wo wir lachend über alte Zeiten sprachen. Fabienne verstummte augenblicklich als er zu uns kam und ich blickte lächelnd zu ihm auf. Sein Blick ruhte auf mir, aber ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
Ich war jedoch sprachlos. Er sah noch nie so gut aus. Er trug ein schwarzes Hemd, bis zur Brust aufgeknöpft, sodass seine blasse Haut und die Efeuranken sich deutlich hervorhoben. Dazu trug er eine einfache schwarze Jeans und schwarze Sneaker.
„Wir sollten dann mal gehen!“, meinte Iason und wandte sich von uns ab. Fabienne warf mir einen vielsagenden Blick zu und grinste. Ich kannte dieses Grinsen genau; sie hatte einen neuen Schwarm.
Ich grinste ihr zu und wir machten uns auf den Weg.
In der Disko angekommen, besorgte Fabienne uns erst einmal einige Getränke und je mehr ich trank, desto weniger machte es mir etwas aus, dass Iason ständig die Umgebung beäugte, ganz so als vermutete er jeden Moment einen Angriff.
Bald zerrte meine beste Freundin uns auf die Tanzfläche. Ich war überrascht, dass auch mein Bruder tanzte. Normalerweise war er sehr zurückhaltend. Aber scheinbar fühlte er sich das erste Mal seit langem gelöst. Ich hatte ihn schon eine ganze Weile nicht mehr so glücklich gesehen.
Auch ich genoss die allgemeine Hochstimmung und so vergingen die ersten Stunden, ohne dass ich es recht bemerkte. Doch bald wollte Iason etwas trinken und ließ uns allein auf der Tanzfläche zurück. Gedankenverloren sah ich ihm nach und erblickte ihn. Überrascht blieb ich stehen. An der Bar saß ein junger Mann, mit blonden wilden Haaren. Er trank einen Whiskey oder so etwas und er beobachtete mich. Aber das war nicht der Grund, warum ich in meiner Bewegung verharrte. Seine pechschwarzen Augen bildeten einen unfassbaren Kontrast zu seiner weißen Haut und seinem Haar. Ich musste schlucken. Fabienne hatte sich mir fragend zugewandt und wollte wissen, ob bei mir alles in Ordnung war.
Widerstrebend wandte ich mich von dem Mann an der Bar ab und nickte ihr zu, ging dann aber von der Tanzfläche. Ich brauchte dringend frische Luft und als ich als der Bar vorbei kam, warf ich noch einmal einen unauffälligen Blick zu der Stelle, wo er gesessen hatte. Doch er war verschwunden. Nur sein halbvolles Glas stand noch immer auf der Theke.
Fabienne folgte mir hinaus, genau wie mein Kater. Er hatte in der Nähe der Tanzfläche gewartet und sprang nun auf meine nackte Schulter.
Ich atmete tief durch und starrte zum Himmel. Mir war plötzlich übel und ich konnte nicht mehr richtig atmen.
„Was ist los?“, fragte plötzlich mein Bruder neben mir.
„Ich weiß nicht...“, antwortete Fabienne und blickte zwischen uns hin und her.
Ich sah zu Iason. „Können wir von hier verschwinden?“
Augenblicklich rief Fabienne ihre Mutter mit ihrem neuen Handy an und keine halbe Stunde später saßen Iason und ich mit unseren Seelentieren auf der Rückbank des alten Opel Astras. Meine Freundin hatte sich auf den Beifahrersitz gesetzt und blickte immer wieder besorgt zu mir.
Bei ihr Zuhause angekommen, verschwanden wir in Fabiennes Zimmer, während Iason auf der Couch im Wohnzimmer schlafen sollte.
Als ich es in dieser Nacht endlich schaffte einzuschlafen, träumte ich viel wirres Zeug. Mir erschienen Bilder von weißen Masken, die bunt aufleuchteten und mit schwarzen Höhlen anstelle der Augen. Dann stand ich in einer Menschenmenge, die mich schubste bis ich zu Boden ging. Doch wenn ich versuchte mich wieder aufzusetzen und die weiße helfende Hand ergreifen wollte, die mir gereicht wurde, tauchte ich wieder in die endlose Dunkelheit.
Immer wieder wurde ich wach. Erst in den Morgenstunden fiel ich in einen tiefen Schlaf.
Nach einem ruhigen Frühstück wurden mein Bruder und ich von Dad abgeholt. Ich drückte Fabienne noch einmal herzlich zum Abschied, dann stieg ich ins Auto. Iason nahm vorne neben unserem Vater Platz, während die Seelentiere bei mir auf der Rückbank lagen.
Doch kaum waren wir Zuhause verschwand Iason mit Luna in seinem Zimmer und war den gesamten Sonntag nicht mehr zu sehen. Ich setzte mich selbst auch in mein Zimmer und machte meine Hausaufgaben, die ich Freitag nicht geschafft hatte.
„Na, hattet ihr einen schönen Abend?“, fragte Elisabeth. Sie stand in der Tür, Romeo auf ihrer Schulter. Und sie hatten beide diesen wissenden Blick.
„Was hast du gehört?“, fragte ich und seufzte.
„Iason hat mir erzählt, dass ihr einen tollen Abend hattet, bis du seltsam geworden bist.“
„Ich bin nicht seltsam geworden.“, ich wollte ihr von dem Mann erzählen, wusste ich aber nicht wie. „Mir war schlecht. Vielleicht hatte ich zu viel getrunken.“, sagte ich stattdessen.
„Vielleicht hilft dir beim nächsten Mal ja Tristan!“, sie grinste vielsagend.
„Was meinst du?“
„Ach komm schon. Das muss dir doch aufgefallen sein. Er ist sowas von verknallt in dich und du magst ihn scheinbar auch.“
„Er ist schon ganz nett ...“
„Ganz nett? Oje, Amalie... So wird das nie was mit dir!“, sagte sie und setzte sich auf mein Bett. „Also ich wollte wohl Dario fragen, ob er mit mir ausgeht. Wir könnten daraus ein Doppeldate machen.“
„Ein Doppeldate? Elisabeth, ich glaube nicht, dass das das Richtige wäre. Ich kenne ihn ja kaum.“
„Das ist doch der Sinn von einem Date; man lernt sich besser kennen.“
Am Montagmorgen stellte ich erleichtert fest, dass Fabienne eine regelrecht heilende Wirkung auf meinen Gemütszustand besaß. Ihre unbeschwerte Art einfach Alles und Jeden in Grund und Boden zu quatschen halfen mir dabei, nicht ständig an diesen Mann in der Disco zu denken. Ich konnte nicht mal sagen, warum ich immer wieder an ihn dachte. Vielleicht waren es seine schwarzen Augen, wobei ich mir mittlerweile nicht mal mehr sicher war, ob sie wirklich so dunkel gewesen waren. Schließlich sah alles etwas anders aus im schummrigen Licht der Tanzfläche.
Iason verhielt sich wie vor dem Discobesuch auch – abweisend und genervt.
Und obwohl ich dachte, dass alles ganz normal war, wurde ich das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Und da bezog ich nicht mal die abwertenden Blicke von Antonys Schwester oder die Aufmerksamkeit von Tristan ein.
Aber das eigentlich seltsame an diesem Tag war das Verhalten von meinem Kater. Denn obwohl er ständig an meiner Seite war, zweifelte ich daran, dass er wirklich mein Innerstes widerspiegelte.
Ich versuchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren, oder auf die Gespräche in den Pausen, konnte aber schon nach wenigen Minuten nicht mehr sagen, um was es eigentlich gerade ging. Und am Ende des Tages war ich mehr als verwirrt, als ich mit meiner Mutter allein in der Küche stand und sie mich fragend ansah.
„Warum siehst du mich so an?“, wollte ich von ihr wissen und betrachtete die leeren Teller in meiner Hand.
„Was ist denn los mit dir. Du bist ja völlig durch den Wind.“
„Ich weiß auch nicht. Ich kann mich so schlecht konzentrieren.“, antwortete ich und beobachtete Louis, der nervös hin- und herlief.
„Warte, ich mach dir einen Baldriantee. Danach geht es dir vielleicht besser.“
Meine Mutter behielt Recht – was mich aber nicht allzu sehr verwunderte. Als Elfe lag es ihr schließlich in den Genen, nur das Beste aus Pflanzen zu holen.
In dieser Nacht schlief ich seit langem endlich einmal wieder traumlos. Und als der Wecker am nächsten Morgen klingelte, fühlte ich mich fit und munter.
Die ganze Woche verabreichte Mum mir jeden Abend eine Tasse Baldriantee. Ich spürte regelrecht, wie meine Kraft und Konzentration zurückkamen. Auch Louis wurde ausgeglichener und schmuste wieder mit mir. Dennoch war er aufmerksamer als zuvor. Behielt immer alles im Auge und stellte sich schützend vor mich, selbst bei Fabienne.
Und dann kam der Freitag. Ich war schon fast in Wochenendstimmung, nachdem ich die langweiligste Geschichtsstunde meines bisherigen Lebens abgesessen hatte.
Ich betrat also gutgelaunt den Französischraum, als er mir sofort auffiel. Er saß an seinem Platz und starrte in sein Notizheft. Also atmete ich tief durch und setzte mich neben ihn. Und versuchte ihn nicht weiter zu beachten.
„Hallo Amalie.“, hörte ich seine unvergleichbare Stimme. Ich hob meinen Kopf nicht. Denn ich wusste, wenn ich ihn jetzt ansah, konnte ich an nichts anderes mehr denken als an ihn.
„Hallo.“, antwortete ich und legte meine Mappe auf den Tisch. Ich meinte, ihn im Augenwinkel kurz Schmunzeln zu sehen, doch als ich ihn dann direkt anblickte, war sein Gesicht die perfekte Maske und er folgte dem Unterricht.
Meine Wangen glühten noch stärker und, mich in Gedanken selbst bestrafend, sah ich auf die Tischplatte, während mein Magen sich immer kräftiger zusammenzog. Wie konnte er nur solch eine Wirkung auf mich haben?
Ich ließ meine Haare vor das Gesicht fallen und versuchte Louis und Antony zu ignorieren. Das eine war einfacher als das andere, denn Louis beruhigte sich dieses Mal schneller als er es noch vor einer Woche getan hatte und ich war überrascht, dass er sich sogar direkt vor Antonys Füße legte. Das hatte sicherlich mit diesem Tee zu tun.
Während Herr Boleo den Unterricht fortsetzte, kritzelte ich nervös in meinem Notizheft.
„Hast du Geschwister?“, fragte Antonys samtene Stimme plötzlich sehr nah – zu nah an meinem Ohr. Ich schreckte hoch und sah unweigerlich in die rotumrandeten, sonst braunen Augen.
„Atmen nicht vergessen!“, flüsterte er und ich schnappte nach Luft. Ich sah zu Herrn Boleo, der jedoch gerade einige wichtige Vokabeln an die Tafel schrieb.
„Also, hast du nun Geschwister?“
Ich nickte.
„Und sizt du mit denen in der Cafeteria?“ Erneutes Nicken meinerseits, wobei ich mich zwang, nicht in seine Augen zu sehen.
„Du bist nicht besonders gesprächig, oder?!“, lachte er und sah zu Herrn Boleo, der uns mit seinen ernstem Blick zu verstehen gab, dass wir nicht so laut seine sollten.
„Naja, ich ... ich rede nicht gerne über meine Familie.“, antwortete ich so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob er mich überhaupt gehört hatte. Aber er überraschte mich und fragte – wieder näher: „Sind sie denn so schrecklich? Auf mich wirkten sie sehr nett.“
„Sie sind nett, aber sie sind eben meine Geschwister.“, meinte ich diesmal etwas lauter. Ich sah immer noch auf mein Heft, ich wollte nicht schon wieder die Kontrolle über meine Gedanken und über meine Atmung verlieren.
„Mache ich dich etwa nervös?“, fragte er sehr leise und so dicht an meinem Ohr, dass ich seinen kühlen Atem auf meiner Haut spürte. Meine Nackenhaare stellten sich auf.
Ich nickte und machte den gleichen Fehler noch einmal; ich sah in seine viel zu schönen Augen.
Er lächelte, lehnte sich dann wieder weg und lauschte den Worten unseres Lehrers. Ich hatte nicht bemerkt, dass er mit dem Unterricht fortfuhr und kritzelte wieder in meinem Heft herum.
Als es klingelte, hatte ich mich schon darauf eingestellt, dass er hochschnellen und aus dem Zimmer stürmen würde, doch diesmal blieb er neben mir sitzen und verstaute langsam seine Sachen in der Tasche. Überrascht sah ich zu ihm und tat es ihm gleich. Freundlich lächelnd blickte er zu mir. Ich schnellte meinen Kopf zurück zu meiner Tasche, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen.
„Amalie?“, seine Stimme klang schüchtern und seltsam zurückhaltend. Ich sah zu ihm, im Augenwinkel beobachtete ich Louis, der auf Luna und Iason an der Tür zueilte.
„Ich habe gleich Politik und weiß nicht, wo sich der Raum befindet. Könntest du ihn mir vielleicht zeigen?“, fragte er. Hilflos nickte ich. Gemeinsam standen wir auf und gingen zur Tür, wo mein Zwilling verwundert wartete.
„Antony, das ist mein Bruder Iason – Iason, das ist Antony.“, stellte ich die beiden einander vor und sah dabei nur auf den Boden. Warum war mir das alles nur so peinlich?
„Hallo Iason. Nett dich kennen zu lernen.“, sagte Antony höflich und sah ihn abwartend an.
„Hey.“, meinte mein Zwilling missmutig und sah mich dann forschend an. Misstrauen lag in seinem Blick.
„Iason, ich zeige Antony noch wo der Politikraum ist, wir sehen uns dann in der nächsten Pause.“, meinte ich zu meinem Bruder und schritt davon.
„Dein Bruder ist wirklich nett.“, flüsterte er. Ich sah ihn verwundert an, aber anscheinend meinte er es ernst. Wir gingen eine Treppe hinauf und standen dann vor der ersten Tür auf der rechten Seite.
„So, da wären wir.“, meinte ich und zeigte auf die Tür. Doch er schien nicht darauf zu achten. Stattdessen betrachtete er mich, was mich nur nervöser machte und mein Gesicht wieder mal rot anlaufen ließ.
„Das ist wirklich süß.“, grinste er. Ich sah ihn geschockt und wütend an: „Süß?“
Er schmunzelte. Dann lehnte er sich zu mir und fragte flüsternd: „Hast du eigentlich einen Freund?“
Jetzt weiteten sich meine Augen noch mehr. Ich schüttelte meinen hochroten Kopf und sah auf meine Füße.
„Hast du Lust, mit mir in der nächsten Pause in der Cafeteria zu sitzen? Nur wir beide. Keine Geschwister.“, meinte er.
Das plötzliche Klingeln zur nächsten Stunde riss mich aus meinen Gedanken.
„Also, ich halte dir dann einen Platz frei.“, meinte Antony, nahm meine Hand in seine und deutete einen Handkuss, wie in vergessenen Zeiten, an. Ich war erschrocken – nicht wegen seines Handkusses, sondern wegen der Kälte, die auf meiner Haut fast schon brannte. Er sah mir tief in die Augen und ich zuckte zusammen, als Louis fauchte.
„Ich ... ich sollte gehen.“, murmelte ich, entzog ihm meine Hand und ging dann völlig verwirrt und mit meinem Kater im Schlepptau die Treppe wieder hinab zum Englisch-Raum.
Fabienne saß bereits an ihrem Platz und wartete auf mich.
„Hey.“, begrüßte ich sie und grinste über beide Ohren.
„Hi. Wo warst du denn in der Pause?“, fragte sie verwundert und leise, da unsere Lehrerin nun mit dem Unterricht beginnen wollte.
„Ich habe Antony gezeigt, wo er als nächstes Unterricht hat.“, erklärte ich kleinlaut. Ich konnte mir schon denken, was sie sich ausmalte.
„Antony? – Aha! Also doch nicht Tristan.“, ihr Lächeln sagte alles. Doch als uns der strafende Blick unserer Lehrerin traf, verstummten wir und ich war froh darüber. Ich wollte ihr jetzt nicht bis ins kleinste Detail schildern, wie es zu diesem spontanen Treffen gekommen war.
„Du hast dich also gut mit Antony verstanden?“, fragte Iason missbilligend, sah mich jedoch nicht an, als ich mich im Mathematik-Unterricht neben ihn gesetzt hatte. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst und ich wusste, was er dachte. Er empfand Antony als schlechte Person.
„Ja, ich verstehe mich gut mit ihm. Er ist sehr nett.“, sagte ich schneidend und versuchte Luna und Louis zu ignorieren, die sich anfauchten.
Und wie würde Iason erst reagieren, wenn ich heute nicht bei meinen Geschwistern, sondern bei einem fast Fremden sitzen würde? Ich versuchte nicht daran zu denken und konzentrierte mich auf die Aufgaben, die Herr Hesse an die Tafel schrieb.
Die gesamte Stunde saßen wir also schweigend nebeneinander. Einerseits war ich froh, dass er nicht weiter herummeckerte, andererseits fand ich diese stille Anspannung zwischen uns anstrengend.
Die Klingel war fast eine Erlösung für mich. Ich stopfte meine Sachen ohne zu zögern in meine Tasche, sprang auf und stürmte als Erste hinaus. Nicht mal eine Minute später stand ich in der Cafeteria und sah mich nach Antony um. Wieso war ich so aufgeregt?
Und dann entdeckte ich ihn. Er wartete bereits. Vielleicht hatte sein Unterricht vielleicht früher geendet.
Mit einem leichten Lächeln und darauf bedacht, nicht über Louis zu stolpern, der sich immer wieder provokativ vor meine Füße stellte, stolperte ich auf Antony zu, der fast schon spöttisch lächelte.
„Und wie war dein Unterricht?“, fragte er, als ich ihm gegenüber Platz nahm.
„Langweilig.“, sagte ich, immer noch darauf bedacht, nicht unnötig in seine Augen zu sehen.
„Genau wie bei mir. Welch ein Wunder.“, sein wundervolles Lachen entzog mir wieder die Kontrolle über meine Atmung. Wie schaffte er das immer wieder?
„Möchtest du denn gar nichts essen?“, fragte er nach einer Weile und deutete auf die freie Tischplatte vor mir. Ich schüttelte den Kopf. „Und du? Keinen Hunger?“
Er schmunzelte, fast so als müsse er sich ein Lachen verkneifen, dann schüttelte auch er seinen Kopf.
„Wie ich sehe, sind deine Geschwister ganz aufgebracht darüber, dass du bei mir sitzt.“, flüsterte er mir zu, wobei er sich leicht über den Tisch lehnte. Überrascht drehte ich mich um und sah einerseits den finsteren Blick meines Zwillings, andererseits die vor Neugierde strahlenden Augen von Elisabeth, Valerie und Fabienne. Nur Edward schien das alles nicht zu interessieren. Er stocherte nur gedankenverloren in seinem Essen.
Genervt seufzte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. „Wieso tun sie das?“, fragte ich mich selbst und hatte völlig vergessen, wer mir gegenüber saß, bis mich etwas Kaltes an meiner Hand berührte. Ich nahm meine Hände soweit von meinem Gesicht, dass ich ihn sehen konnte. Doch er sah mich nicht an. Er blickte nur auf seine gefalteten Hände, die er auf den Tisch gelegt hatte.
„Wieso hast du so kalte Hände?“, fragte ich so leise, dass ich mir sicher war, dass er mich nicht gehört hatte. Er sah mich nur eine Sekunde lang an, dann wandte er sich ab und verzog seine Lippen zu einer strengen Linie, die mich an Iason erinnerte. Ich atmete noch einmal tief durch, nahm meine Hände vom Gesicht und sagte: „Ich gehe jetzt besser zu meinen Geschwistern.“ Denn ich hatte das Gefühl, dass er an keinem weiteren Gespräch interessiert sein würde. Er nickte und ich ging.
Valerie und Edward warteten an der Tür auf mich – sie hatte ihn vermutlich überredet. Ich blickte mich um, dann fragte ich wo Iason und Elisabeth waren.
„Schon beim Auto. Ich glaube, Iason ist sehr wütend. Ich weiß nur nicht warum.“, antwortete Valerie und bewegte dabei abfällig ihre Hand.
„Ich kann es mir schon denken!“, murmelte ich vor mich hin, in der Hoffnung, dass mich niemand verstanden hatte. Ich sah zu Edward, der zu meiner Verwunderung sehr still war. Er hatte seinen Blick auf den Boden gerichtet und seine Hände fummelten nervös an seiner Jacke.
„Edward, was ist los?“ Erschrocken fuhr sein Kopf hoch und er sah mich mit geweiteten Augen an.
„Nichts! Mir geht es gut!“, sagte er und rannte dann zusammen mit Angel zum Auto, in dem Mum, Iason und Elisabeth ungeduldig warteten.
„Das war ja merkwürdig.“, meinte Valerie und blickte mich mit großen, runden Augen an. Ich zuckte nur mit den Schultern. Wer weiß, was der hatte. Gemeinsam folgten wir ihm.
Ich nahm den Wangenkuss meiner Mutter entgegen und stieg in den Van. Die Fahrt wurde jedoch interessanter als ich dachte; Elisabeth flüsterte mir die neusten Ereignisse ins Ohr: „Ich bin mit Dario verabredet.“
„Mit wem?“, fragte ich genauso leise.
„Na, Dario! Der Neue in meiner Klasse!“, sie war immer leiser geworden und ich hatte große Probleme sie zu verstehen, dennoch wusste ich, wen sie meinte. Der blonde Junge mit den ungewöhnlich klaren Augen war mir in den letzten Tagen öfter aufgefallen, aber nur weil Elisabeth ihn ständig angehimmelt hatte. Meine Gedanken waren immer noch bei Antony.
Wir waren mittlerweile Zuhause angekommen und stiegen aus. Meine Schwester und ich ließen uns zurück fallen.
„Und wann?“, fragte ich nun etwas lauter, da uns die anderen nun nicht mehr hören konnte.
„Heute Abend. Eröffnung einer Ausstellung im Kunst-Museum. Und du musst mitkommen!“, sagte sie und hielt mich am Arm fest. Erschrocken sah ich sie an.
„Ich? Warum?“
„Weil ich garantiert nicht alleine ins Kino darf und ich Mum nicht unbedingt sofort von Dario erzählen will. Was, wenn es doch nicht klapp, dann stellt sie nur lästige Fragen.“, erklärte sie, während wir langsam zur Haustür gingen.
„Okay! Und was mache ich, wenn du und Dario ...“
„Du musst natürlich jemanden mitnehmen.“, unterbrach sie mich. Ich zog die Haustür hinter mir zu, schlüpfte aus meinen schwarzen Chucks und folgte meiner Schwester die Treppe hinauf – Romeo war wahrscheinlich schon in ihr Zimmer geflogen – während ich mich fragte, wen ich bloß fragen sollte. Iason kam schon mal nicht in Frage, der war immer noch sauer. Und meine anderen Geschwister waren zu jung für eine Eröffnungsgala im Museum.
Ich war im letzten mit meiner Mutter bei einer solchen Veranstaltung gegangen und war mit Abstand die Jüngste gewesen.
Wir hatten mittlerweile unsere Zimmertüren, die direkt nebeneinander lagen, erreicht und so nickte ich kurz, um ihr mein Einverständnis zu geben.
Ich setzte mich an meinen Rechner – Louis kauerte sich an meine Füße – und schrieb Fabienne, ob sie Lust hätte mich zu begleiten, jedoch kam schon nach wenigen Minuten ihre Absage: „Tut mir Leid. Meine Mutter hat Theater-Karten. Wäre aber gerne mitgekommen.“
Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und schlich mit meinem Kater zu meinem Bruder ins Zimmer. Er saß auf seinem Bett und las, während Luna verwundert aufsah.
„Iason? Kann ich mit dir reden?“, fragte ich vorsichtig. Ohne von seinem Buch aufzublicken, nickte er. Ich schloss die Tür hinter mir und während Louis ohne zu zögern zur Luchsdame ging, blieb ich nervös im Zimmer stehen.
„Elisabeth will heute Abend mit einem Jungen zu einer Kunstgala und ich soll mitkommen. Aber ich möchte nicht alleine hin. Und ...“
„Du wolltest mich fragen, ob ich mitkomme?“, unterbrach er mich und sah endlich auf. Zögernd nickte ich. In seinen Augen lag ein Blick, den ich nicht verstand. Er zeigte keinerlei Emotion und trotzdem waren sie nicht leer. Irgendetwas versuchte er vor mir zu verbergen.
„Ich kann nicht.“, sagte er und las weiter. Überrascht starrte ich ihn an. Als weder ich mich, noch Louis sich bewegten, sah er wieder auf. Wieder nickte ich, dann verschwand ich zusammen mit meinem Kater.
Frustriert ließ ich mich auf mein Bett fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Louis hatte sich neben mich gesetzt und starrte mich aus seinen goldenen Augen an. Es war beruhigend, doch gleichzeitig frustrierte es mich noch mehr. Als es plötzlich an meiner Tür klopfte und Mum herein kam.
„Schatz, ich wollte einkaufen. Brauchst du noch etwas?“, fragte sie und ich sah Bella über ihren Kopf hinweg in mein Zimmer flattern. Ich schüttelte den Kopf und das kleine Vöglein verließ mit meiner Mutter wieder das Zimmer. Ich hätte schon etwas gebraucht; eine Begleitung.
Da ich fand, dass ich nicht ewig hier sitzen konnte, rappelte ich mich auf und ging mit Louis ins Wohnzimmer. Vielleicht konnte man ja etwas im Fernsehen finden, das einen fröhlicher stimmte oder mich wenigstens ablenkte. Aber ich kam zu spät; Valerie und Edward saßen zusammen mit Fairy und Angel bereits auf der weißen Couch und sahen irgendeine Kinderserie. Trotzdem setzte ich mich zu ihnen, Louis legte sich an meine Füße und sah mich mitleidig an. Das war immer noch besser als gar nichts zu tun! Auch wenn die Sendung so stumpfsinnig war, dass es mich kaum auf andere Gedanken brachte.
Das laute Klingeln an der Haustür riss mich aus meinen Gedanken und da meine Geschwister keine Anstalten machten, sich zu bewegen, erhob ich mich schwerfällig und schlurfte zu Tür, mein Kater verfolgte mich immer noch. Im Augenwinkel sah ich mein Profil im Spiegel und ärgerte mich ein weiteres Mal darüber, dann machte ich mit einem grimmigen Blick die Tür auf.
Augenblicklich verschwand das ernste Gesicht und machte Platz für ein überraschtes Lächeln, dass von roten Wangen umspielt wurde. Wie hatte er mich gefunden?
„Möchtest du mich nicht herein bitten?“, fragte mich Antony. Ich schnappte nach Luft und trat einen Schritt zur Seite – beinahe auf Louis’ Schwanz, der den Besucher besorgniserregend anfauchte. Mit einem perfekten Lächeln sah sich Antony staunend um. Als er sich jedoch im Spiegel erblickte, drehte er sich zu mir. Er sah mich abwartend an, fast so als wartete er nur auf einen Zusammenbruch von mir.
„Wer war das?“, hörte ich meine Schwester aus dem Wohnzimmer rufen, unterbrochen von dem versagenden Fauchen meines Katers. Ich holte Luft, bekam jedoch keinen Ton heraus, mein Blick noch immer auf seinen Augen ruhend.
„Möchtest du nicht antworten?“, flüsterte er und beugte sich dabei leicht zu mir, wodurch mich die ganze Wucht seines Geruchs traf und mich schwindeln ließ. Ich blinzelte einige Male, dann setzte ich meinen steifen Körper in Bewegung. Antony folgte mir, genau wie Louis. Schweigend standen wir neben der Couch auf der meine Geschwister lümmelten und als sie es endlich bemerkten, entfuhr meinem kleinen Bruder ein stummes Oh. Fairy sprang sofort vom Sofa und versteckte sich, genau wie Angel, in der hintersten Ecke des Raumes. Warum benahmen sich die Tiere in Antonys Anwesenheit eigentlich immer so merkwürdig?
„Hallo, ich bin Antony. Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen.“, sagte er und ich sah einerseits den Anflug von Überwältigung bei meiner Schwester und andererseits die Spur von Neid bei meinem Bruder. Ich holte tief Luft und meinte dann zu meinen Geschwistern, dass mein Gast und ich wohl besser in mein Zimmer gehen sollten, bevor Iason auftauchte. Doch es war schon zu spät, denn kaum traten wir aus dem Raum, stand er auch schon am Fußende der Treppe – Luna beschützend und ebenfalls fauchend vor ihm – und starrte völlig entsetzt zu Antony hinauf. Mir war nicht bewusst gewesen, dass Antony fast einen halben Kopf größer war als er. Dann blickte er ernst zu mir, und noch bevor ich überhaupt den Mund für eine Erklärung öffnen konnte, wandte er sich ab und ging in die Küche.
Luna wartete einige Sekunden länger, dann wandte auch sie sich ab. Mit einem Seufzer und Louis einen grimmigen Blick zuwerfend ging ich die Treppe hoch. Antony auf meinen Fersen.
„Ich glaube, er mag mich nicht.“, sagte er, als wir in mein Zimmer kamen und er sich auf mein Bett setzte. Mit einigem Abstand setzte ich mich zu ihm und beobachtete Louis, der vom Boden aus wiederum Antony beobachtete.
„Er kennt dich einfach nicht.“, meinte ich und war froh, dass das Zittern meiner Knie keine Auswirkungen auf meine Stimme hatte. Mein Kater verengte seine wunderschönen Augen und sah kurz zu mir. Als sich Antony jedoch bewegte, starrte er ihn wieder an.
„Kann ich dir denn etwas anbieten? Ein Wasser oder Limonade?“
„Nein Danke.“, antwortete er knapp und betrachtete gerade eine Zeichnung von Louis, die ich über mein Bett gehangen hatte.
„Warum bist du hier?“, fragte ich, ehe er etwas sagen konnte. Wie sollte ich ihm erklären, dass das auf dem Bild meine Katze war, die er nicht sehen konnte?
Eine Weile schwieg er, dann drehte er sich zu mir – wieder bekam ich bei seinem Blick das Schwindelgefühl – und sagte: „Darf ich dich nicht einfach mal besuchen?“
Ich holte Luft, schluckte und wandte meinen Blick von ihm, dann meinte ich: „Naja, eigentlich schon, aber da wir heute in der Cafeteria dieses ... Missverständnis hatten, dachte ich, du würdest gar nicht mehr mit mir reden.“
„Oh, das. Ja, das war sehr unhöflich von mir. Und das tut mir leid. Auch wenn es vielleicht besser wäre, wenn wir nicht mehr miteinander reden würden. Es wäre sogar das Beste für dich, wenn ich verschwinden und dich nie wieder sehen würde.“, flüsterte er und ich hörte deutlich den Schmerz in seiner Stimme. Aus Wut und Verzweiflung drehte ich mich zu ihm und bereute es sofort, denn sein Blick war so intensiv, dass ich schon schwarze Punkte zu sehen begann. Dann drehte ich mich wieder weg und atmete flach.
„Es wäre besser, wenn ich es könnte. Wenn ich einfach diese Stadt verlassen und nie wieder zurückkehren könnte.“, sagte er schließlich. Ich spürte seinen Blick auf mir ruhen, während Louis und ich einen Kampf mit unseren Augen ausfochten.
„Aber ich kann es eben nicht. Ich kann dich nicht verlassen, du bist so verletzbar. Dann könne ich dich auch gleich dem Löwen zum Fraß vorwerfen.“, sprach er weiter und wandte den Blick von mir ab.
Was wollte er mich damit sagen?
Wieso konnte er mich nicht verlassen? Und wen meinte er mit „Löwen“?