Читать книгу Elfenschimmer - Sissy Rau - Страница 6
ОглавлениеAuf welche?“, fragte ich verwundert und sah ihn mit großen Augen an.
„Auf die mit den kurzen Haaren. Die immer mit den … Jungs zusammen ist.“, antwortete er und sah wieder zum grauen Himmel. Ich nickte und öffnete die Tür. War aber dennoch verwundert, nicht nur über die kaum merkliche Pause, die er gemacht hatte.
Dann atmete ich noch einmal tief durch und stieg aus dem Wagen. Die Tür ließ ich zufallen und ohne noch einmal zurück zu blicken, ging ich zum Haus, bereit meine gerechte Strafe abzuholen. Ich hörte den Wagen nicht wegfahren, aber als ich die Tür erreichte, war er verschwunden. Ich ließ den Kopf hängen.
Zaghaft öffnete ich die Haustür und begegnete gleich dem strengen Blick meines Katers. Ich ging einen Schritt auf ihn zu, verschloss die Tür hinter mir und sah mich nach meiner Mutter um, die gleich aus der Küche auf mich zugestürmt kam: „Amalie Tara Davids! Wo bist du gewesen? Weißt du eigentlich, was ich mir für Sorgen gemacht habe? Was fällt dir ein, einfach zu verschwinden und dann auch noch ohne Louis!“ Ihre Stimme brach und unter Tränen nahm sie mich in den Arm, ich machte mich steif und sie ließ mich wieder los. Mit einer gerümpften Nase brachte sie mich auf Abstand und auch Louis floh einige Meter und fauchte unbestimmt.
„Was ist los?“, fragte ich, konnte mir die Antwort aber eigentlich schon denken.
„Wo bist du gewesen?“, fragte Mum nun misstrauisch.
„Unterwegs.“, antwortete ich und spürte wie mein Gesicht feuerrot anlief.
„Allein?“
„Nein ...“ Mir gefiel ihre Art der Fragestellung nicht. Es war mehr ein Verhör als eine Unterhaltung.
„Mit wem warst du weg?“
„Mit Antony. Ich habe dir von ihm erzählt.“, erklärte ich und versuchte mich an ihr vorbei zu schlängeln, was mir ganz gut geling, denn sie behielt den Abstand von zwei Metern bei.
„Ich dachte, er sei weg.“
„Ist er doch nicht.“, ich war bereits auf den Weg zur Küche; ich hatte etwas Hunger.
„Tara, ich glaube, er ist nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Er hat dich belogen.“
„Ich weiß, dass du das glaubst, aber wenn du ihn kennen würdest, verstündest du vielleicht, dass er … anders ist. Und er wusste nicht, dass er nicht zurückkommen würde. Dinge ändern sich, Mum.“
„Jetzt weiß ich, was hier läuft.“, bemerkte sie und brachte mich damit zum Stehen. Überrascht drehte ich mich zu ihr um. Noch immer hatte sie den Abstand gewahrt und ich fragte mich, warum ich den Gestank nicht riechen konnte, den sie doch so abschreckend fand.
„Du liebst ihn. Dann musst du ihn mir unbedingt vorstellen. Du weißt, welche Probleme auf dich zu kommen werden, wenn ihr euch öfter seht.“
„Mum. Bitte. Ich will ihn ja nicht heiraten, oder so. Außerdem haben wir heute ja gesehen, dass Louis auch mal alleine bleiben kann.“, meinte ich, drehte mich wieder um und nahm mir eine Banane aus der Obstschale. Jetzt wurde ich doch rot. Sie hatte gesagt, dass ich ihn liebte, nicht dass ich verliebt war. Und wahrscheinlich stimmte das sogar.
„Louis kann nicht alleine bleiben. Du hättest mal sehen müssen, wie schlecht es ihm ging.“, sagte sie und deutete zu ihren Füßen, wo mein Kater sich theatralisch auf den Boden legte und gequält maute. Ich verdrehte die Augen und biss von meinem Obst ab.
„Tara, wir wollen doch nur das Beste für dich.“, sagte sie nun mit sanfter Stimme.
„Ich weiß.“, meinte ich, warf meine Bananenschale in den Mülleimer und ging an meiner Mutter vorbei. „Aber manchmal möchte ich selbst entscheiden, was das Beste für mich ist, auch wenn ich Fehler mache.“
„Gehe bitte zuerst duschen.“, rief sie mir hinterher, als ich auf der Treppe war. Hinter mir hörte ich das leise Atmen von Louis, der noch immer nicht näher kommen wollte.
Zusammen gingen wir in mein Zimmer, dort nahm ich mir frische Sachen und verschwand allein im Bad. Die halbe Stunde, in der ich mich eingeschlossen hatte, hörte ich Louis vor der Tür jammern, doch ich sah nicht ein, warum ich ihn hinein lassen sollte. Schließlich konnte Romeo auch in Elisabeths Zimmer warten, wenn sie duschte.
Als ich fertig war und wieder in mein Zimmer ging, hörte ich eine Autotür. Ich ging zum Fenster und sah, wie meine Geschwister mit ihren Seelentieren völlig schlaff die Auffahrt entlang schlichen. Dann hörte ich die Haustür und Getrappel auf der Treppe. Mir war klar, dass Elisabeth und Valerie wahrscheinlich sofort zu mir ins Zimmer kommen wollten und ich behielt Recht.
Nach einem zaghaften Klopfen streckten Beide die Köpfe herein und waren erstaunt, dass ich normal aussah.
„Alles in Ordnung?“, fragte Elisabeth und kam zusammen mit unserer Schwester und ihren Seelentieren ins Zimmer.
„Alles in Ordnung.“, antwortete ich. Ich wollte ihnen eigentlich mehr sagen, aber Louis verriet mich mit einem strengen Mauen.
„Wirklich?“, fragte nun Valerie und beäugte mich misstrauisch.
„Wirklich. Louis ist nur sauer.“, meinte ich und streckte meinem Kater die Zunge heraus.
„Warum ist er denn sauer?“, meine Schwestern ließen sich auf meinem Bett nieder und wartete auf eine Antwort.
„Weil ich ohne ihn unterwegs war.“, sagte ich kleinlaut und sah wieder hinaus.
„Du warst was?“, fragte Elisabeth ungläubig.
„Naja, ich habe mich mit Mum gestritten und dann war da Antony in seinem Wagen und ich bin raus gestürmt, habe die Tür zugezogen, noch bevor Louis hinterher kommen konnte und bin mit Antony weg gefahren.“, erklärte ich, wobei mein Kater bei dem einen Namen wütend knurrte.
„Antony … war … hier?“, Valerie klang irgendwie hysterisch, „Und … du … bist … mit … ihm … allein … weg?“
Ich nickte. Und meine Schwestern betrachteten mich mit großen Augen.
„Was hat Mum gesagt, als du wieder da warst?“, Elisabeth hatte sich als erste wieder unter Kontrolle.
„Erst war sie wütend und dann hat sie irgendwie … verstanden. Keine Ahnung. Sie war merkwürdig. Ganz ehrlich, sie hat nur ganz kurz rumgeschrien und ich dachte, sie würde mir den Kopf abreißen.“, antwortete ich und war über ihre Reaktion jetzt auch verwundert.
„Meinst du, dass du noch Ärger bekommst?“, fragte meine kleinste Schwester.
„Ich denke nicht. Mum will Antony nur kennenlernen und das wird ja wohl nicht das Problem sein. Außerdem habe ich ja schon unbegrenzten Hausarrest, was soll denn da noch kommen?“ Beide nickten, obwohl ich mir nicht sicher war, ob es nicht doch ein Problem werden könnte.
Eine Zeit lang schwiegen wir, während ich immer noch in den nun einsetzenden Regen starrte. Dann erhoben sich meine Schwestern und gingen. Ich schaltete den Computer an, fragte per E-Mail Fabienne nach den Hausaufgaben in Englisch und setzte mich dann an die anderen Aufgaben.
Der Tag verging, draußen wurde es ungewöhnlich dunkel, was aber an dem herannahenden Gewitter lag und meine Familie aß schweigend zu Abend. Es wirkte schon fast unheimlich, wie jeder so seinen Gedanken nach ging, ohne auf die anderen zu achten. Selbst Dad war nicht so gut gelaunt wie sonst.
Danach half ich Mum noch beim Abräumen, verkroch mich aber schnell wieder in meinem Zimmer, sodass sie keine Chance hatte, mich noch einmal auf heute Mittag anzusprechen! Irgendwie war es mir jetzt peinlich. Mein Verhalten konnte doch nicht normal sein!
Wieder in meinem Zimmer, öffnete ich meine Fenster und ließ die frische Luft, die nach Gewitter roch, herein und legte mich auf mein Bett. Es war noch zu früh zum Schlafen, aber dennoch war ich schrecklich müde. Was dann wahrscheinlich auch der Grund war, warum ich trotz der kühlen Luft einschlief.
Als ich das nächste Mal aus der Tiefe meines Schlafens erwachte, war es schrecklich kalt in meinem Zimmer. Ich drehte mich um und zog mir die Bettdecke über, ohne die Augen zu öffnen. Bis ich ein klägliches Mauzen hörte. Ich riss die Augen auf, verharrte aber in der Position. Ich lag mit dem Gesicht zur Wand und sah nur das helle Licht, das durch die Fenster hinein schien. Es maute noch mal und ich war mir sicher, dass Louis vor der Tür um Einlass bat. Langsam drehte ich mich auf dem knarrenden Bett und sah zum weitgeöffneten Fenster. Die Nacht draußen war sternenklar und der fast volle Mond schien herein.
Mit einem Frösteln stand ich auf, ließ Louis zurück in mein Zimmer und schloss das Fenster. Doch das plötzliche Fauchen Louis‘ hinter mir, ließ mich inne halten. Einen Moment war es vollkommen still in meinem Zimmer, dann fauchte mein Kater erneut. Ich nutzte das Geräusch und drehte mich so schwungvoll um, dass sich meine Füße verhedderten und ich zu Boden stürzte. Louis fauchte noch einmal, aber diesmal war neben dem Fauchen noch ein anderes Geräusch gewesen. Es klang wie das verschmitzte Lachen von Antony. Ich rappelte mich langsam auf und sah zum Bett. Doch dort war nichts. Langsam sah ich mich noch einmal um, dass kuschelte ich mich wieder unter die Bettdecke.
Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass mein Wecker klingelte.
Louis saß vor meinem Bett und starrte mich noch immer wütend an. Ich seufzte, schaltete den Wecker aus und quälte mich aus meinem Bett. Ich nahm frische Sachen aus meinem Kleiderschrank und schlurfte den Flur entlang auf der Suche nach einem freien Badezimmer. – Ich fand keines. Also klopfte ich an einer der drei Türen an und Elisabeth öffnete mir.
„Morgen.“, murmelte sie. Ich nickte zur Begrüßung und sah mich nach Romeo um, der auf der Gardinenstange saß und alles ganz genau beobachtete. Dann stellte ich mich vor den Spiegel und sah die tiefen Augenringe.
„So ein Mist.“, fluchte ich, schüttelte den Kopf und tauchte mein Gesicht in eiskaltes Wasser.
Als wir beide fertig waren, schlenderten wir zusammen ins Esszimmer, wo wir uns zu unserer Familie setzten, während Romeo und Louis weiter in die Küche strebten, um ebenfalls zu frühstücken.
In der Schule wartete Fabienne bereits auf mich. Sie spielte mit einer Locke und sah sich immer wieder um. Sie sah aus, als hätte sie etwas verbrochen.
„Hallo Fabienne.“, begrüßte ich sie.
„Hallo.“, piepste sie zurück und sah sich weiterhin um.
„Was ist los?“, fragte ich sie und wir gingen zum Deutschunterricht.
„Nichts.“, log sie mit ihrer hysterischen Stimme.
„Fabienne, du kannst nicht lügen. Also was ist los?“
„Naja, ich habe nur schlecht geträumt. Es ist wirklich nichts.“, sagte sie und hörte endlich auf sich umzusehen. Doch hatte sie mich jetzt neugierig gemacht. Welch‘ einen Traum konnte sie veranlasst haben, sich so verfolgt zu fühlen?
„Und was hast du geträumt?“, fragte ich und setzte mich auf meinen Stuhl. Mit Absicht sah ich nicht zu seinem Platz.
„Ich habe von Antony geträumt. Er hat erst dich getötet und dann mich.“, flüsterte sie und starrte auf ihre Füße. Wurde sie etwa rot?
„Glaubst du wirklich, dass Antony uns töten würde?“
„Der Traum wirkte so echt. Ich weiß, dass es dumm ist, aber ich kann es nicht ändern. Es war schrecklich. Erst dachte ich, er wollte dich nur küssen und drehte mich weg, doch dann fiel dein Körper leblos zu Boden und er kam mit einem blutverschmierten Mund auf mich zu. Ich hatte eine solche Angst vor ihm, das kannst du dir nicht vorstellen.“
„Blutverschmierter Mund? Du meinst wie die Vampire aus den schlechten Horrorfilmen? Was hast du dir gestern Abend angesehen?“, murmelte ich und musste mir ein Kichern verkneifen. Dann folgten wir dem Unterricht. Aber nicht lang, denn recht schnell fiel mir auf, dass Antonys Platz leer blieb. Er würde heute also nicht kommen.
„Siehst du, Antony ist heute nicht mal zur Schule gekommen.“, meinte ich zu Fabienne – und teilweise auch zu Louis – als wir den Deutschraum verließen. Sie glaubte fest an den Traum, auch wenn ich das nicht ganz nachvollziehen konnte. Schließlich war er ziemlich abwegig, nicht dass ich bessere Träume hatte.
Dann verabredeten wir uns für die Pause und ich ging zu den Kunsträumen, wo ich meine kleine Schwester Valerie traf.
„Amalie, glaubst du, dass Mums Gene sich erst im Laufe der Zeit durchsetzen?“, fragte sie mich, nachdem sie mich am Ärmel gepackt und in eine ruhige Ecke gezogen hatte.
„Was meinst du?“, fragte ich verwirrt. Doch anstatt mir zu antworten, schob sie ihr dunkelblondes Haar ein wenig zur Seite, sodass ich einen Blick auf ihre Ohren erhaschen konnte und was ich da sah, gefiel mir gar nicht. Ihre Ohren waren gewachsen und liefen nach oben hin nun spitz zu.
„Seit wann ist das so?“, fragte ich sachlich.
„Das hat am ersten Schultag angefangen. Erst habe ich es nicht mal gemerkt, aber dann waren sie plötzlich spitz. Weißt du, dass ich keine Zöpfe mehr tragen kann? Außerdem sieht es doof aus. Was soll ich denn jetzt machen?“, meckerte sie und verdrehte die Augen.
„Wir reden heute Nachmittag mit Mum, in Ordnung? – Wo ist eigentlich Fairy?“, fragte ich, da das Frettchen mir noch nicht aufgefallen war.
„Die ist auch komisch. Schon den ganzen Morgen rennt sie Jonathan, also Darios Bruder hinterher und ich kann sie nicht überreden bei mir zu bleiben.“, antwortete sie und zuckte mit den Schultern.
„Du solltest alles daran setzen, dass sie bei dir bleibt. Ich muss jetzt zum Unterricht.“, sagte ich, da meine Kunstlehrerin die Tür aufschloss und meine Klassenkameraden hinein ließ.
Nach dem Unterricht stürmte ich mit Louis in die Cafeteria und setzte mich zu meiner Freundin, die schon auf mich wartete.
„Er ist gekommen.“, flüsterte sie und nickte in meine Richtung. Langsam drehte ich mich um, denn ich konnte mir denken, wen sie meinte.
Und da saß er nun in der Cafeteria, allein. An seinem üblichen Platz und winkte mir zu. Ich schluckte schwer, entschuldigte mich bei Fabienne und ging zu Antony, Louis an meinen Fersen.
„Hallo.“, sagte ich ruhig und war über meine Selbstbeherrschung erstaunt.
„Hi. Setz dich doch.“, sagte er melodiös und deutete mit seiner weißen Hand auf den Stuhl vor mir. Ich drehte mich zu Fabienne, die gerade Gesellschaft von Valerie und Edward bekam. Dann setzte ich mich unter Louis‘ Fauchen auf den angebotenen Stuhl.
„Ich möchte nur gerne wissen, was dich immer wieder dazu bringt, ganz plötzlich aufzutauchen und ebenso plötzlich wieder zu verschwinden.“, meinte ich und sah in seine viel zu dunklen Augen. Plötzlich senkte er seinen Blick und krallte sich mit den Fingern an der Tischkante fest, sodass seine Knöchel so weiß wurden und man sie eigentlich schon durchsichtig nennen konnte.
„Du bist der Grund. Es ist so; etwas in mir zwingt mich dazu, bei dir zu sein. Ich muss wissen, ob es dir gut geht. Ich habe gar keine Wahl. Aber der andere Teil weiß, dass ich nicht bei dir sein sollte. Er weiß, dass es dir nur gut gehen kann, wenn ich nicht da bin. So wie jetzt. Ich bin gekommen, um bei dir zu sein. Obwohl es dir bei deinen Geschwistern besser gehen würde.“, antwortete er und seufzte.
„Okay.“, meinte ich und sah zum Fenster hinaus.
Verwundert sah er mich an: „Okay? Das ist alles?“
„Ja.“, sagte ich achselzuckend und betrachtete seine Hände, die sich noch stärker an die Tischplatte klammerten. Es knackte unheilvoll.
„Kein Warum? Kein Aber? Einfach Okay?“
„Ja. Weißt du, ich fühl mich geschmeichelt, dass du wissen willst, wie es mir geht und ich finde es in Ordnung, dass du dafür zu mir kommst. Aber vielleicht könntest du mir vorher einfach Bescheid geben.“, antwortete ich und zuckte mit den Schultern. Geschockt sah er mich an, ich spürte seinen Blick auf mir. Aber ich sah nicht zu ihm. Wollte nicht wieder die Gewalt über meine Gedanken verlieren.
„Du bist seltsam.“, sagte er nach einer Weile.
„Das sagt der Richtige.“, lachte ich. Und auch er begann zu lächeln.
„Naja, ich kann ja versuchen, dich vorher zu warnen.“, sagte er dann und löste endlich seine Finger.
„Das wäre sehr freundlich. Aber ich denke, wir sollten dich vorerst meinen Eltern vorstellen. Dann kannst du mich auch ohne Schwierigkeiten Zuhause besuchen.“, sagte ich, verdrehte die Augen und wurde rot.
„Wenn es dir so viel bedeutet, dann komme ich gerne einmal angemeldet vorbei.“, lachte er und erhob sich.
„Wo willst du hin?“, fragte ich entrüstet. Wir hatten uns doch gerade so gut unterhalten.
„Naja, ich möchte gern pünktlich zum Unterricht kommen, aber wenn du etwas dagegen hast, dann nehme ich auch gerne den Ärger auf mich.“, meinte Antony und wollte sich wieder setzen. Verwundert blickte ich mich in der ausgestorbenen Cafeteria um und erhob mich.
„Na gut, dann also zum Unterricht.“, lachte ich und gemeinsam mit Louis gingen wir die Treppen hinauf, dann trennten sich unsere Wege; während ich den Flur zum Mathematik-Raum nahm, schritt er elegant weiter nach oben zu den Kunsträumen.
Iason sprach während der ganzen Stunde, in der wir nebeneinander saßen, kein Wort mit mir, obwohl wir die Aufgabe eigentlich paarweise erledigen sollten. Er hielt so viel Abstand wie möglich und rümpfte immer wieder die Nase. Ich stank nicht, da war ich mir sicher und wenn er doch plötzlich etwas gegen meinen Geruch haben sollte, musste er mit mir reden. Da er das aber nicht tat, ignorierte ich ihn, Luna und Louis, wobei letzterer unschlüssig um meine Beine schlich. Seit dem Kampf der beiden Katzen hatten sie sich nicht mal mehr angesehen und Louis hatte ziemlich schnell die Langeweile geplagt. Dennoch blieb er standhaft und begegnete Luna meinetwillen mit allergrößter Vorsicht.
Die Mathestunde zog sich hin und bald schaltete ich ab, um mein Umfeld zu vergessen und als es endlich klingelte, schob ich meine Sachen in meine Tasche und stürmte hinaus. Ich war so schnell gewesen, dass Louis, der kurzzeitig eingeschlafen war, kaum mit mir mithalten konnte. Ich versuchte das Grinsen darüber zu verkneifen.
An der Treppe wartete Fabienne bereits auf mich und sah mich prüfend an.
„Du lebst also noch.“, stellte sie fest, als ich an ihr vorbei ging und sie die Treppe hinauf zog. Louis war schon voraus gerannt.
„Ja, ich lebe noch.“, antwortete ich, unschlüssig, was ihre Andeutung zu bedeuten hatte.
„Antony hat dich nicht umgebracht?“, fragte sie, immer noch mit prüfendem Blick.
„Ach so. Nein, er hat mich glücklicherweise nicht umgebracht. Ich glaube sonst wäre hier auch schon die Hölle los. Obwohl, dann hätte ich vermutlich nicht diese schrecklich langweilige Mathestunde mitmachen müssen.“, lachte ich, mich an ihren Traum erinnernd.
Schnell gingen wir in den Raum und setzten uns auf unsere Plätze, um eine weitere unerträglich langweilige Englischstunde über uns ergehen zu lassen.
„Du setzt dich bestimmt wieder zu ihm, oder?! Ich meine, jetzt bist du dir ja sicher, dass er dich nicht tötet, da kann ich es nachvollziehen.“, sagte meine Freundin, als wir nach dem Unterricht der Menschenmasse zur Cafeteria folgten. Diesmal trug ich Louis auf meiner Schulter, um eine Verletzung seinerseits zu verhindern, was nicht bedeutete, dass ich unversehrt blieb. Aber als Fabienne Antony erwähnte, bereute ich meine Entscheidung, denn mein Kater krallte sich fester in meine Schulter.
„Ich denke schon, wenn er nicht wieder einfach verschwunden ist.“
„Wirklich?“, fragte Fabienne mit gespieltem Interesse.
In der Cafeteria wartete Antony wirklich an seinem üblichen Platz. Ich verabschiedete mich von meiner Freundin und ging zu ihm.
„Ich dachte mir, dass du vielleicht Hunger hättest.“, sagte er und schob sein Tablett in die Mitte des Tisches. Ich setzte mich ihm gegenüber. Louis sprang endlich von meiner Schulter und starrte Antony mit einem finsteren Blick an.
„Danke, aber ich habe heute keinen Hunger. Du kannst es ruhig essen.“, antwortete ich und schob das Tablett zurück zu ihm.
„So eine Verschwendung. Ich habe auch keinen Hunger.“, meinte mein Gegenüber daraufhin und stellte das Tablett außer Reichweite an das andere Ende des Tisches und grinste verschmitzt, so als müsse er sich ein Lachen verkneifen. Ich ließ meinen Blick durch den Raum wandern und sah zu seinen perfekten Geschwistern. Auch sie hatten wieder unberührtes Essen vor sich auf dem Tisch stehen und starrten in den Regen.
„Weißt du, dass ich dich oder deine Geschwister noch nie habe essen sehen?“, fragte ich rhetorisch und sah wieder zu Antony. Sein Blick war auf den Tisch geheftet und er biss sich auf die Unterlippe, bevor er sich aufrichtete und mit einem schelmischen Blick mich fragte, ob das schlimm sei.
„Nein, nein. Es hat mich nur gewundert.“, antwortete ich und wurde rot. Das war dumm von mir und bestimmt hatte ich ihn dadurch gekränkt.
„Wie sind deine Eltern eigentlich so?“, fragte er plötzlich ernst. Ich riss meine Augen auf und starrte ihn schockiert an.
„Warum?“, brachte ich dann heraus und war kurz vor einem Hustenanfall.
„Naja, wenn ich sie kennen lerne, möchte ich doch schon etwas über sie wissen.“, antwortete er und lächelte ein schiefes Lächeln. Ich seufzte und lief rot an.
„Meine Mutter hat den Tick mich und meine Geschwister nur mit unseren Zweitnamen zu rufen. Das heißt, du solltest dich nicht wundern, wenn sie mich plötzlich mit Tara anredet!“
„Tara ist ja auch ein schöner Name.“, unterbrach er mich.
Wieder seufzte ich, dann fuhr ich fort: „Sie ist aber eigentlich sehr lieb und nett und versteht mich sehr gut, aber wie alle Mütter kann sie auch nerven. Außerdem macht sie sich ständig Sorgen. Mein Vater ist jung geblieben. Er macht über alles seine Späße und lacht viel und wird eigentlich nie ernst.“
Er sah mich abwartend an.
„Das war‘s.“, sagte ich, da er nicht den Anschein erweckte, irgendetwas sagen zu wollen.
„Nun deine Geschwister.“, forderte er mich auf und grinste breiter.
„Na gut. Also fangen wir mit meinem Zwillingsbruder an; wie du ja schon mitbekommen hast, hält er nicht viel davon, dass ich bei dir sitze und redet deswegen nicht mehr mit mir – sehr kindisch, obwohl er normalerweise der erwachsenere von uns beiden ist. Dann kommt Elisabeth; sie ist ein echter Wirbelwind. Kann nie still sitzen und hat ständig etwas Neues. Ich weiß gar nicht wie viele Instrumente sie schon lernen wollte. Valerie ist sehr ruhig. Sie ist eher objektiv sich selbst gegenüber. Sie weiß, was sie schaffen kann und das macht sie. Alles andere ist Zeitverschwendung für sie. Und dann haben wir da noch Edward. Er ist eindeutig der stillste in der Familie. Er kann stundenlang in einer Ecke sitzen und lesen, ohne sich zu bewegen. Und nichts macht ihm mehr Spaß, als auf der Erde zu liegen, die Augen zu schließen und gar nichts zu tun. Dabei ist er gerade mal elf Jahre alt und müsste voller Energie sein.“, damit schloss ich meinen Bericht.
„Und wie schätzt du dich selbst ein?“, fragte er weiter.
„Ich? Ich bin auch ruhig. Nicht so wie Edward, aber ich bin lieber für mich. Nichts gegen meine Geschwister, sie sind das Beste, was ich habe, aber vier Geschwister können manchmal auch nerven.“, sagte ich grinsend. Dann sah ich ihn bedeutungsvoll an und forderte ihn auf, etwas über sich und seine Familie zu erzählen.
Überrascht richtete er sich auf. „Was soll ich denn über meine Familie sagen?“, fragte er und sah zu seinen Geschwistern.
„Na los.“, meinte ich und stupste ihn am Arm, was ihn noch mehr verwunderte.
„Also gut; da haben wir eine Mutter Edith. Sie ist liebenswürdig und immer freundlich und sagt nie ein böses Wort. Mein Vater, Domatus, ist auch sehr herzlich, kann sich aber durchsetzen. Und dann haben wir Roxanne. Sie ist wirklich eine ganz Liebe, nur hält sie gern an Altem fest und kann mit ungewohnten Situationen nicht besonders gut umgehen. Und Yann ist ein Streithahn. Nie gibt er auf und will immer das letzte Wort haben.“, berichtete er und schielte zu seinen Geschwistern, als ob sie ihn hören könnten. Ich folgte seinem Blick, doch sah nur die abweisenden und dennoch wunderschönen, blassen Gesichter.
„Ich wünschte, du könntest sie kennen lernen.“, murmelte Antony und dachte bestimmt nicht, dass ich ihn hören konnte.
„Warum nicht!? Du lernst meine Familie kennen und ich deine. Dann sind wir Quitt.“, sagte ich und strahlte ihn an. Doch er sah nicht begeistert aus.
„Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist. Wie gesagt, sie wissen nicht wie sie in ungewohnten Situationen umgehen sollen.“, antwortete er und sah wieder nachdenklich auf seine bleichen Hände.
„Na gut. Dann eben nicht. – Ich sollte jetzt gehen.“, sagte ich viel schnippischer, als ich es wollte und stand auf, um meinen Geschwistern zum Auto zu folgen. Insgeheim hatte ich gehofft, er würde mich aufhalten. Aber leider tat er es nicht.
„Amalie. Wir müssen reden.“, meinte Valerie, die mit Fairy sich hatte zurück fallen lassen, um mit mir allein zu reden.
„Darüber?“, ich zeigte auf meine Ohren. Sie nickte und ich sah es in ihren Augen glitzern.
„So schlimm?“, fragte ich und nahm sie in den Arm, wodurch es nur noch schlimmer wurde. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf und warf sich in meine Arme. Es dauerte keine Minute, da stand schon unsere gesamte Familie um uns herum.
„Was ist los?“, fragte Mum. Ich sah zu ihr hoch, im Augenwinkel erkannte ich, wie sich mein Zwilling abwendete.
„Mum, wir müssen allein mit dir reden.“, sagte ich und versuchte meine kleine Schwester weiter zu trösten.
„Na gut. Alle Mann ins Auto.“, sagte Mum bestimmend zu unseren Geschwistern, dann schob sie uns zu einer Bank und setzte sich mit uns. Dann blickte sie uns erwartungsvoll an.
„Darf ich es ihr zeigen?“, fragte ich Valerie einfühlsam und tätschelte ihren Kopf. Sie nickte. Langsam schob ich ihre Haare zur Seite und zeigte meiner neugierigen Mutter die spitzen Ohren.
„Aber … Ist das der Grund, warum du weinst?“, fragte Mum meine Schwester, welche wieder nickte.
„Evengeline, das ist doch nicht so schlimm. Ich hab doch auch solche Ohren und Oma hatte sie auch. Was findest du denn so schlimm daran?“, fragte Mum. Ich stand auf, damit sie meine kleine Schwester trösten konnte.
„Ich will sie aber nicht.“, antwortete Valerie mit gebrochener Stimme. Ich brachte immer mehr Abstand zwischen uns. Ich wollte das jetzt nicht hören. Selbstverständlich machte ich mir Sorgen, doch war ich der Meinung, dass erst Mum und Valerie alles allein klären sollten und dass sie dann vielleicht ansprechbar sein würde.
Als ich in das Auto stieg, bombardierten mich Elisabeth und Edward gleich mit Fragen.
„Ich werde nichts sagen. Ich bin der Meinung, dass Valerie euch das selbst sagen sollte.“, meinte ich und setzte mich mit meinem Kater auf den hinteren Platz in dem kleinen Bus und nahm Louis auf den Schoß. Ich spürte die neugierigen Blicke meiner Geschwister – nun sah auch Iason mich an – und hörte wie Edward und Elisabeth anfingen zu tuscheln. Dann ging ruckartig die Tür auf und Valerie sowie Mum, Bella und Fairy stiegen ein. Ich sah, wie mein Zwilling sich nach vorn drehte, während die anderen beiden der Kleinsten prüfend nachsahen.
Während der Fahrt waren wir alle ruhig. Niemand traute sich, etwas zu sagen. Und dann waren wir endlich Zuhause. Wir stiegen aus und jeder ging seinen Weg.
Ich war froh, endlich in mein Zimmer zu kommen und mit Louis einen gemütlichen Nachmittag zu verbringen, doch ich hatte mich getäuscht. Als ich meine Zimmertür öffnete, begann Louis auch schon zu fauchen, mein Magen krampfte sich zusammen und ich konnte mir plötzlich lebhaft vorstellen, wer da in meinem Zimmer auf mich wartete.
Ich ging hinein, stupste dabei unbemerkt Louis vor mir her und schloss die Tür, ohne auf zu sehen.
„Hallo Antony.“, murmelte ich und blickte zum Bett.
„Woher wusstest du, dass ich hier bin?“, fragte er verwundert und stand auf. Ich zuckte mit den Schultern und ließ meine Schultasche neben meinem Schreibtisch fallen.
„Ich bin beeindruckt.“, flüsterte er mir ins Ohr. Ich zuckte zusammen und bekam weiche Knie von seiner plötzlichen Nähe. Sein kühler Atem ließ meine Nackenhaare aufrichten. Mir blieb der Atem weg, bis ich keuchte und den Kopf schüttelte, sodass ich meine Gedanken wieder sortieren konnte.
„Wie hast du das geschafft?“, fragte ich verwirrt und zeigte von meinem Bett auf seine Füße und zurück.
„Du bist wirklich nicht besonders aufmerksam.“, lachte er und setzte sich viel zu dicht neben Louis auf mein Bett.
„Du möchtest also wissen, wie es mir geht, obwohl wir doch gerade erst in der Cafeteria miteinander geredet haben?“, fragte ich, als ich es endlich geschafft hatte, meine Gedanken zu sortieren, aber erwartete eigentlich keine Antwort. Ich kramte mein Hausaufgabenheft heraus und legte es geöffnet auf meinen Schreibtisch.
„Nein, ich bin eigentlich gekommen, um mich zu entschuldigen.“, murmelte er. Im Augenwinkel sah ich, wie er sich nachdenklich über das Kinn fuhr.
„Naja, ich verstehe auch nicht, warum das der Fall ist.“, sagte ich und schmunzelte.
„Amalie?“, Antonys Stimme klang plötzlich nachdenklich. Ich drehte mich zu ihm. Und sein Blick war unergründlich.
„Ich muss dir etwas sagen, aber ich darf es nicht. Ich will es, wirklich, aber …“
„Antony, hat deine Familie etwas dagegen, dass du es mir sagst?“, fragte ich und ging einen Schritt auf ihn zu. Er nickte.
„Es ist das Geheimnis, von dem du gestern geredet hast, richtig?!“, fragte ich und setzte mich neben ihn, wobei ich Louis zur Seite schob.
„Es ist das Geheimnis schlechthin. Und das macht es noch komplizierter. Ich könnte dir eine Millionen Tipps geben und du würdest es doch nicht erraten und das macht mich wahnsinnig. Am Anfang hatte ich gedacht; egal was mit ihr ist, ich werde sie nicht beachten. Und dann konnte ich dich nicht ignorieren. Du glaubst gar nicht, wie ich die Nächte verbracht habe. Ich stand oft am Fenster, beobachtete wie die Sonne unterging und wie sie wieder aufging und dachte dabei immer nur an dich. Wie viele Enden malte ich mir aus? Hunderte, Tausende, Millionen? Ich weiß es nicht. Doch ich bin zu egoistisch, um dich in Ruhe zu lassen. Und in der Nacht, als ich das feststellte, bin ich zum ersten Mal hergekommen. Du hast so friedlich geschlafen. Ich konnte nicht … ich konnte nicht weggehen.“ Er hatte seine Stimme gesenkt und sah mich mit strahlenden Augen an.
„Du warst hier? In der Nacht?“
Er nickte: „Ich könnte es verstehen, wenn du mich nicht mehr sehen willst.“
Meine Augen weiteten sich.
„Antony. Deine Gründe sind mir egal. Wer oder was du bist, ist mir egal. Ich will nur, dass du bei mir bist.“, meine Worte waren nur ein Flüstern. Louis ignorierte ich. Auch dass ich wieder rot wurde, bei meinem plötzlichen Geständnis, ignorierte ich. Was ich jetzt wollte, war dass er auf mich zu kam, mein warmes Gesicht in seine eiskalten Hände nahm und mich küsste. Noch mehr Hitze stieg mir in die Wangen.
„Das ist nicht gut. Ich wollte dich nicht mit hineinziehen.“ Er war aufgestanden und starrte durch das Fenster zum grauen Himmel. Sein Ausdruck war unergründlich. Ich sah darin Verzweiflung, Verlangen, Enttäuschung und Schmerz. Und ich konnte es nicht verstehen.
„Antony, ich finde es gut. Sehr gut sogar. Und ich bin doch irgendwie freiwillig bei dir, oder?!“ Mein Lachen verschwand recht schnell, als ich sein schmerzverzerrtes Gesicht sah.
„Du solltest dir wirklich nicht so viele Sorgen machen. Das Leben ist auch so schon schwer genug.“, murmelte ich und sah kurz zu Louis, der mittlerweile aufgegeben hatte zu fauchen, dann sah ich wieder zu meinem Gast. Er sah nicht glücklich, aber auch nicht unglücklich aus. Und eigentlich wusste ich nicht, wie ich seinen Blick deuten sollte.
„Es gibt Dinge in dieser Welt, die sollte es nicht geben und ich bin eines dieser Dinge.“, flüsterte er plötzlich. Er wandte sich vom Fenster ab und blickte mir eindringlich in die Augen. Als er aber mein verwirrtes Gesicht sah, wandte er sich wieder dem grauen Himmel zu.
„Was sagst du da? Antony, ich denke …“
„Nein, Amalie. Mich sollte es nicht geben, damit du ein normales Leben haben kannst.“, unterbrach er mich. Wieder sah er mich eindringlich an und seine Augen funkelten. Der rote Ring um seine blaue Iris leuchtete auf. Mein Körper wollte schon zurückweichen, doch mein Geist widerstand. Stattdessen sprang ich auf und ging auf ihn zu.
„Normales Leben?“
Wir standen uns nun direkt gegenüber, so nah, dass ich seinen kalten und süßlichen Atem auf mir spürte.
„Ich hatte nie ein normales Leben.“, flüsterte ich, von seiner Perfektion beeindruckt. Aber diesmal gaben meine Gedanken nicht nach. Ich erinnerte mich an meine Zeit im Kindergarten, wo alle glaubten, ich hätte Phantasietiere, mit denen ich reden würde. Erst in der Grundschule begriff ich, dass ich anders war und dass ich niemals ein normales Leben führen würde.
„Wir haben anscheinend eine unterschiedliche Auffassung von normal.“, sagte er und ging einen Schritt zurück. Flüchtete er vor mir? Ich folgte ihm. Er ließ seinen Blick sinken. Ich ergriff seine Hand und holte Luft. Ich wollte ihn nicht so leiden sehen, egal aus welchem Grund.
„Nein. Ich gehe jetzt.“, sagte er, öffnete das Fenster und kletterte am Sims entlang. Geschockt blickte ich ihm nach, konnte es nicht fassen, wie sicher er nach den kleinsten Vorsprüngen griff. Gerade als er mit seinen Hände den Sims losgelassen hatte, klopfte es an meiner Zimmertür und Valerie kam herein, nur um sich gleich wieder abzuwenden und das Gesicht zu verziehen.
„Wonach riecht es hier? Das ist ja schrecklich.“, maulte sie und hielt sich die Nase zu, kam jedoch langsam in mein Zimmer geschritten.
„Was ist denn los?“, fragte ich und sah, dass auch Fairy vor meinem Zimmer zurück wich.
„Eigentlich wollte ich mich bedanken. Riechst du das denn nicht?“
„Valerie, es riecht wie immer.“, antwortete ich und setzte mich zu Louis auf mein Bett. Langsam streichelte ich ihn.
„Naja, ich geh dann mal wieder.“, sagte sie und schloss die Tür hinter sich, noch ehe ich sie davon abhalten konnte.
Was war denn nur los? Warum meinten alle, dass es bei mir stank? Es roch doch normal. Aber was war schon normal?