Читать книгу Heart & Hazard Series - Verhängnisvoller Verrat - S.L. March - Страница 10
ОглавлениеKapitel 5
Nowhere
John erwachte mit tierischen Kopfschmerzen. Sein Schädel fühlte sich an wie nach einer durchzechten Nacht mit unfassbar viel hochprozentigem Alkohol. Er spürte den harten Boden unter dem Körper und rappelte sich mühsam auf. Zu schnell. Was war los? Was war nur passiert? Er konnte sich an nichts erinnern. Ein Schwindelgefühl überkam ihn und die Übelkeit, die emporstieg, schluckte er angewidert herunter. Ein Windzug ließ ihn frösteln. Er kam durch ein kleines Loch in der Mauer. John setzte sich neben das Loch und atmete tief die frische, kühle Luft ein. Von draußen hörte er es Plätschern und Donnern. Ein Gewitter. In kurzen, gleichmäßigen Abständen tropfte es irgendwo. Das leise Plätschern war kurz. Das Wasser war nicht lange unterwegs, bevor es den Boden traf. Seine trockene Kehle meldete sich automatisch und er schluckte ein paar Mal kräftig. John fühlte sich erschöpft und noch immer ziemlich benommen, als es irgendwo raschelte und Plastik knackte. Die Erinnerung an die junge Frau mit dem fesselnden Blick kam zurück. Er versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen. Konnte er etwa den Schatten der Frau näher kommen sehen? Hatten sich seine Augen bereits an die Dunkelheit gewöhnt? Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine Gestalt in der Zelle nebenan auf. Es war die Frau.
„Was ist passiert?“, fragte John erschöpft. Er fühlte sich benommen. Sein Blick fiel auf den Plastikbecher, der umgekippt auf dem Boden lag.
„K.-o.-Tropfen.“ Sie kam mit einem Becher in der Hand näher, kniete sich auf den Boden und zog dabei den Saum des Shirts ein Stück tiefer. „Hier.“
John beobachtete sie und grummelte: „Wasser? Wo hast du es her?“
Kommentarlos stand sie auf und verschwand wieder in der Dunkelheit. Im selben Moment verstand er, was das Plätschern war: Regen! Es war trinkbares Wasser. Er streckte seine Hand nach dem Becher aus und bemerkte, dass seine Hand zitterte. Der Becher war bloß halbvoll. John zögerte. „Was ist mit dir?“
„Trink!“
John fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und trank. Er seufzte erleichtert und lehnte sich wieder gegen die Wand. „Warum haben die Schweine dich hergebracht?“, fragte er. Weil sie nicht antwortete, fuhr John fort. „Wie lange bist du schon hier?“
Wieder erhielt er keine Antwort. Er seufzte. Die Stille war schwer zu ertragen. „Verrätst du mir wenigstens deinen Namen?“
Wieso war er so nervös? Weshalb kam er sich dämlich vor, in die Finsternis zu reden, so als sei er allein.
„Diese Kerle und so eine Rothaarige haben mich mitten am helllichten Tag aus meiner Wohnung entführt und eingesperrt.“ Er unterbrach sich. „Oh Mann, das glaubt mir doch niemand.“
Ein Niesen drang durch die Dunkelheit.
„Dir ist sicher kalt.“ Er dachte daran, dass sie nicht mehr als ein dünnes Shirt trug, und zog seinen Pullover aus, den er über dem Hemd trug. „Hier, bitte. Vielleicht hilft das ein wenig.“ Er warf den Pulli in die Nachbarzelle und wartete ab. Tatsächlich kroch die Frau auf den Pulli zu und krallte ihre Finger in den weichen Baumwollstoff. Sie hob den Pullover auf und streifte ihn über. Der Pullover war ihr mindestens drei Nummern zu groß, sodass die Ärmel über ihre Hände hingen und der Saum bis fast zu den Knien reichte. Sie rieb sich über die Oberarme.
„Danke“, wisperte sie.
John nickte lächelnd. Wie lang wurde sie wohl schon gefangen gehalten? Vielleicht ein paar Tage oder Wochen, sogar Monate?
„Irgendwie kommen wir schon hier raus. Meine Freunde suchen bestimmt schon nach mir.“ Er hoffte es zumindest. „Sag mir einfach, wenn ich zu viel rede und dir auf die Nerven fallen sollte, ähm…“
Er wollte den Satz mit ihrem Namen beenden, doch er kannte ihn nicht.
„Becky“, flüsterte sie plötzlich.
Ihre Blicke trafen sich.
„Becky“, wiederholte John den Namen und ließ ihn auf der Zunge zergehen. „Ein schöner Name.“
***
Alter Gewölbekeller
Audrey ließ ihre Blicke durch die urige Kneipe namens Alter Gewölbekeller schweifen, während die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Es war ein seltsames Gefühl, wieder an dem Ort zu sein, an dem ihr Bruder umgebracht worden war. Ihr Blick glitt von selbst zum Tresen. Fast erwartete sie, Eyrin dort zu sehen, doch mehr als eine Gruppe grölender Männer konnte sie nicht erkennen. Sie ging ein paar Schritte und sah sich um. Waren die zivilen Beamten schon da, von denen Pierré gesprochen hatte? Ihr wurde mulmig zumute. Als sie an einem Tisch vorbeiging, berührte jemand sie am Arm. „Audrey?“
Audrey zucke zusammen und wirbelte herum. Eine Frau mit braunen Haaren, das ihr glatt über die Schultern fiel, lächelte sie verschmitzt an. Die grau-braunen Augen funkelten. Ihre Haut war frei von Makeln. Die Stupsnase und die schmalen Lippen ließen sie in Erinnerungen wühlen. Audrey sah von der taillierten Bluse über die enge Jeans zu den Sneakern. Wieso kam ihr die Frau so bekannt vor?
„Du bist doch Audrey, oder?“, fragte die Frau, die sich nun vom Stuhl erhob. Nein, das konnte nicht sein. Chloé konnte nicht diejenige sein, die sie bei Blizzard befreit hatte. Immerhin war Chloé einen Kopf kleiner als sie selbst und die Frau von damals war genauso groß wie sie gewesen. Audrey blinzelte und rang sich zu einem Grinsen durch. „Ja, die bin ich. Du musst Chloé sein.“
„Freut mich, dich kennen zu lernen.“ Chloé deutete auf den freien Platz ihr gegenüber. Audrey streifte den Mantel ab und legte ihn sich über den Schoß. Ihr Blick blieb erneut bei den grau-braunen Augen hängen.
„Was ist mit dir? Weshalb starrst du mich so an?“ Chloé beugte sich über den Tisch. Audrey lächelte. „Bitte entschuldige, aber du siehst einer Frau sehr ähnlich, die mich-“ Sie winkte ab, als ihr Gegenüber sie aufmerksam musterte. „Schon okay. Also, ich habe nicht viel Zeit. Was ist das für eine Nachricht?“
Eine schwarze Handtasche wurde auf den Tisch gestellt und geöffnet. Zeitgleich tauchte ein Kellner auf. Chloé bestellte ein Glas Wein. Sie selbst dankte jedoch ab. Erst als der Kellner ging, zückte Chloé einen Umschlag aus der Tasche und schob ihn rüber. Audrey wollte danach greifen, doch Chloé hielt ihre Finger darauf. „Bevor du ihn öffnest, bitte, ich muss wissen, was hier los ist.“
„Wovon redest du bitte?“
„Vor ein paar Tagen stand ein Mann vor meiner Tür. Er hat sich nicht vorgestellt, mir aber eine Holzschatulle in die Hand gedrückt. Er hat behauptet, es wieder in Ordnung zu bringen. Dann ist er abgezogen, ohne dass er mir meine Fragen beantwortet hat. In der Schatulle fand ich Seans Handy und zwei Briefumschläge. Einer davon war an dich gerichtet.“
Audrey blickte in ein glasiges Augenpaar. „Und der zweite?“
„An mich.“ Chloé schluckte. „Es war ein Brief von Sean. Es war seine Handschrift. Ohne jeden Zweifel.“
„Was hat er geschrieben?“
Sie zog die Hand zurück, verschränkte die Arme vor sich auf dem Tisch. Eine Träne verließ ihre Augenwinkel, als sie Audrey ansah. „Er hat geschrieben, wie sehr er mich liebt und dass er sich im nächsten Leben sicher trauen würde, mir einen Antrag zu machen. Wo ist Sean? Schwebt er in Gefahr?“
Audreys Herz zog sich zusammen. Sean hatte eine Geliebte gehabt? Wieso hatte er ihr das verschwiegen? Und er hatte ihr einen Antrag machen wollen?
„Das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass mein Bruder eine Geliebte hatte.“
Chloé musterte sie eindringlich. „Warum sprichst du in der Vergangenheitsform?“
„Sean ist tot.“
„Was?“, entfuhr es ihr atemlos.
„Seit über einer Woche.“
Chloé sackte zurück in den Stuhl. „Was ist passiert?“
„Sean wurde-“ Audrey zögerte und zog den verschlossenen Briefumschlag zu sich. Mit den Fingern fuhr sie über den Schriftzug ihres Namens. „Er wurde ermordet. Genau hier. Im Hinterhof dieser Kneipe.“
„Ermordet? Von wem?“ Chloé riss die Augen auf. „Gibt es einen Tatverdächtigen?“
Der Kellner kam und stellte das Weinglas neben Chloé ab. Audrey hielt dem Blick der Brünetten stand, die mit jedem ihrer Worte mehr zu zerbrechen schien.
„Das Police Department ermittelt bereits“, antwortete Audrey ruhig. „Woher kanntest du meinen Bruder?“
Chloé schluckte mehrfach, ehe sie aufsah. „Ich habe ihn bei der Arbeit kennengelernt. Ich arbeite für das FBI, so wie er, nur in einer anderen Einheit.“ Sie lächelte verschmitzt. „Er ist einfach auf mich zugekommen und hat mich um ein Date gebeten. Ich habe erst abgelehnt. Ich kannte deinen Bruder nicht lange, aber er war so beharrlich, bis ich ihm eine Chance gegeben habe. Das erste Date mit ihm war so romantisch. Ich lernte Saiten an deinem Bruder kennen, die ich ihm nie zugetraut hätte. Er war so liebenswürdig, hilfsbereit und rücksichtsvoll.“
„Ja, das war Sean.“ Audrey versank in Erinnerungen. Sie dachte daran, dass er ihr eine Bleibe gegeben hatte, als ihr Ex-Freund sie vor die Tür gesetzt hatte.
„Ich kann nicht glauben, dass er tot ist.“ Chloés Stimme brach.
„Ich auch nicht.“ Sie stierte auf den Briefumschlag und zerknitterte eine der Ecken. „War das der Grund, warum du mir den Brief nicht per Mail schicken konntest?“
Chloé nickte und wischte sich mit den Fingern Tränen aus den Augenwinkeln. „Ich habe länger nichts von Sean gehört. Ans Telefon ging er auch nicht. Ich habe mir Sorgen gemacht und dann stand dieser merkwürdige Typ vor der Tür. Außerdem wollte ich den Brief nicht öffnen, um ihn dir per Mail zu schicken.“
„Kannst du mir den Typen beschreiben?“
„Er war groß gebaut. Normale Statur, aber breite Schultern. Braunes, kurzes Haar mit vereinzelten weißen Strähnen, braune Augen, schmale Nase, Vollbart. Er trug einen Dreiteiler und einen Anstecker mit einem gelben Emblem. Es könnte auch ein Logo gewesen sein. Ein gezackter Pfeil in einem Kreis. Gelb und glänzend. Es sah aus wie ein Blitz. Der Typ war vermutlich Anfang vierzig. Der Kerl kam mir irgendwie, ich weiß nicht, unheimlich vor.“
„Hat er sich dir vorgestellt?“
Chloé verneinte.
„Woher wusste er, wo du wohnst?“
„Ich habe keinen blassen Schimmer. Er stand einfach vor meiner Tür und gab mir die Holzschatulle, als wäre es ganz selbstverständlich.“
„Hast du die Schatulle noch?“
Chloé nippte am Glas und nahm dann einen ordentlichen Schluck, ehe sie antwortete: „Ja. Zuhause.“
„Und Seans Handy?“
Chloé öffnete erneut die Handtasche und zog ein schwarzes Smartphone hervor. Mit dem Daumen fuhr sie über das Display. Lange starrte sie es an, ehe sie es Audrey reichte. „Hier. Ich brauche es nicht mehr. Ich habe meine Aufgabe erfüllt.“
„Aufgabe? Was für eine Aufgabe?“ Audrey nahm es entgegen.
„Sean hat mich in meinem Brief gebeten, dir deinen Brief zu geben. Das habe ich hiermit getan.“ Sie trank den Rest des Weins, legte ein paar Geldscheine auf den Tisch und stand auf. Ihre Finger krallten sich sichtbar in den Riemen der Handtasche. „Danke, dass du gekommen bist und so ehrlich zu mir warst.“
„Selbstverständlich.“
Das Smartphone fest umklammert, sah Audrey Chloé nach, wie sie die Kneipe verließ. Erst als die Tür hinter Chloé ins Schloss fiel, schaltete sie das Handy an. Kein Pinschutz. Ein buntes Menü strahlte sie an. Im Hintergrund ein lachender Sean. Hinter ihm Chloé, die sich lächelnd an ihn schmiegte. Er sah so glücklich aus. Audrey musste schlucken und tippte auf die Messenger App. Die, in der sie oft kommuniziert hatten. Tatsächlich, sie scrollte runter, es war alles da. Sie überflog weitere Chats, fand aber nichts Aufregenderes als den üblichen Smalltalk und witzige Anekdoten, die via Bildchen versendet worden waren. Ihr Finger verharrte bei dem Chat mit Chloés Name, hinter dem ein rotes Herz prangte. Wieso hatte ihr Bruder die Bekanntschaft zu Chloé verheimlicht? Sie öffnete den Chat und überflog die Herz- und Kuss-Emojis, schmunzelte bei den romantischen Worten, die er Chloé geschrieben hatte, und verharrte bei der letzten Nachricht, die Sean versendet hatte. Es war der Tag seines Todes gewesen. Nur wenige Minuten, ehe er vom Tisch aufgestanden und nie zurückgekehrt war. In Großbuchstaben stand geschrieben „I LOVE U“.
Sean hatte jemanden gefunden, den er liebte und kurz vor seinem Tod eine Nachricht gesendet. Als hätte er bereits gewusst, dass er sterben würde. Audrey wurde übel. Was für ein Unsinn. Niemand würde seinen eigenen Tod voraussehen. Aber wozu dann die zwei Handys? Warum die Abschiedsbriefe, die er Chloé und ihr hinterlassen hatte? Sie legte das Handy beiseite und starrte auf den weißen Umschlag. Ihre Hände zitterten. Sie war nervös. Wusste nicht, ob sie das lesen wollte, was sich im Inneren des Kuverts verbarg. Schließlich öffnete sie den Umschlag und zog einen zusammengefalteten Zettel hervor. Sie faltete den Zettel auseinander und erkannte die Handschrift ihres Bruders. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
„Liebe Audrey, solltest du diese Zeilen lesen, bedeutet es, dass ich nicht mehr bei dir sein und Zeit mit dir verbringen kann, um nochmal all die verrückten Dinge zu tun, die wir schon erlebt haben. Falls du es noch nicht weißt, muss ich dir mitteilen, dass ich für eine geheime Eliteeinheit des FBIs tätig war, die für die Zerschlagung einer mächtigen Organisation verantwortlich ist. Bitte verurteile mich nicht, weil ich dir nie davon erzählt habe. Ich hatte keine andere Wahl, um dich zu schützen.“
Audrey wurde speiübel. Klar, sie wusste es bereits. Aber das Ganze nochmal in seiner Handschrift zu lesen, machte es nicht leichter, es zu verarbeiten. Sie brauchte einige Sekunden, ehe sie weiterlas. Sie starrte auf das Blatt Papier. Eine Träne tropfte auf die Tinte, sodass sie leicht verwischte.
„Mit größter Wahrscheinlichkeit bin ich ein Opfer der Organisation geworden. Ich bitte dich inständig, nicht nach dem Täter zu suchen. Es würde ungeahnte Gefahren mit sich bringen, die deinen Tod zur Folge haben könnten. Diesen Brief schreibe ich dir, um dir zu sagen, wie sehr ich dich liebe, mein Schwesterherz! Glaube niemals, ich hätte dich verlassen. Ich werde immer an deiner Seite sein. Und es gibt noch einen Mann, der es schon immer war und auch weiter sein wird, so lange er lebt. (Ich brauche nicht zu erwähnen, wen ich damit meine.) Bitte vergiss nicht, dich um meinen Nachlass zu kümmern. In ewiger Liebe, dein Bruder Sean.“